Lailat al–Bara’a (ar.), Leylei berat, Berat gecesi, Berat kandili (trk.)[1], Shab-i barat (pers.), Nacht der Vergebung und Barmherzigkeit und islamisch - mystische „Nacht der Mitte des Schaban“; eine der „fünf heiligen Nächte“

 

Die Muslime bitten zur Berat - Nacht (14 Tage vor Ramadanbeginn) um Sündenvergebung, sehen sie als  die Nacht der Vergebung und Barmherzigkeit an. Inwieweit ein konkretes Ereignis der Offenbarungschronologie bzw. in der Biographie des Propheten Muhammad in Verbindung mit dieser Nacht steht, ist ungewiss ( ð Kadir – Nacht).  

Der Prophet selbst soll seinen Gläubigen die Nacht der Vergebung mit folgenden Worten empfohlen haben: “Wenn die Hälfte des Monats Schaban erreicht ist, wachet in der Nacht und fastet am Tage, denn die Segnung, die in dieser Nacht ausgegoßen werden, sind ohne Ende.”

Die „Nacht der Sündenvergebung“ ist von inständigen Andachten gekennzeichnet, da in dieser Nacht das Schicksal des kommenden Jahres festgelegt wird. Nach dem Volksglauben wird in dieser Nacht der Baum des Lebens geschüttelt. Auf den Blättern des Baumes stünden die Namen aller lebenden Menschen, und die Menschen, deren Namen auf den herabgeschüttelten Blättern stehen, würden im nächsten Jahr sterben.

Eine Hadith besagt, dass Gott in der Berat – Nacht in den untersten Himmel herabsteigen würde und ausgewählten Menschen die Sünden vergeben würde. 

 

In der Türkei bieten die Simit-Händler zu den Kandil - Nächten spezielle Kandil-Simit (kleinere Kringel ohne Sesam). Diese Simit sind in bunten Päckchen auch in Konditoreien und Bäckereien zu erwerben.

In der Türkei werden zur Berat – Nacht regional besondere Beratkerzen (Berat mumu) entzündet.

Viele Muslime in Indien besuchen zur Berat – Nacht die Friedhöfe,  beten für die Toten, spenden den Armen Nahrung und Almosen, essen Helva, entzünden Feierwerkskörper und illuminieren u.a. die Moscheen.

 

Schließlich gilt die Nacht des 15. Schaban als Geburtstag des zwölften schiitischen Imam Muhammad Mahdi.

Spätere mythologische Vorstellungen im Islam brachten die Berat – Nacht in Verbindung mit dem Paradies. Das Paradies wurde als eine Art Pyramide oder Kegel mit acht Stockwerken betrachtet, wobei die verschiedenen Stockwerke immer kostbarer ausgestattet seien. Ganz oben, rechts neben dem Thron Gottes wächst der im Koran angesprochene „Grenz – Lotus“ dessen Zweige die ganze Pyramide, das ganze Paradies beschatten [2] . Auf seiner nächtlichen Reise (Miradj) soll der Prophet Muhammad den Baum erblickt haben, über ihn hinaus könne aber niemand gelangen, auch Engel nicht, auch keine Offenbarung führe weiter.

                                           „Und wahrlich, er sah ihn ein andermal

                                             Bei dem Lotusbaum, über den kein Weg,

                                             neben dem der Garten der Wohnung“

                                                                          (An – najim – Sure, Der Stern, 53, 13 – 15)

 

In den Hadithen wird die Episode noch ausgeschmückt: Im siebenten Himmel sah der Prophet das Al - Bait – a l- Ma'mur (Gottes Haus) in dem – nach Aussage des Engels Gabriel – 70 000 Engel Gott preisen und loben. Auch erblickte er den Sidrat – al – Muntaha (Baum, hinter dem kein Weiterkommen ist), den wilden Lotusbaum mit seinen Nabk – Früchten von der Größe von Tongefäßen aus Hajr (einer arabischen Stadt) und mit Blättern von dem Umfang von Elefantenohren. Aus seinen Wurzeln entsprangen vier Flüsse, Nil und Euphrat sowie zwei Flüsse, die das Paradies bewässern (aus Sahih al- Buhari 4,429). Der Sidrat al - Muntaha gilt als ein schöner Baum, der von goldenen Schmetterlingen besucht wird.

 

Um welchen Baum handelt es sich bei diesem Lotusbaum ? Vermutlich um ein Gewächs, das zur Gattung Zizyphus gehört. Die Gattung Zizyphus (Kreuzdorngewächse) aus der Familie der Rhamnaceen umfasst ca. 50 Arten. Folgende wichtige Arten werden unterschieden:

Zizyphus vulgaris Lam. (wilder Lotus, auch Brustbeerenbaum [3], ar. „sidrat“, trk. sidre aðacý) ist ein Strauch bzw. niedriger dornenreicher Baum, wobei die Dornen paarweise stehen: einer gerade, der andere zurückgekrümmt). Die Blüten sind gelb, die dunkelroten Steinfrüchte (gemeine, welsche Hagebutte genannt; arab. nabk) eiförmig, 2- 3 cm lang und schmecken sehr süß und schleimig. Sie werden auch spanische oder französische Jujube (frz. „jujubier“) genannt. Schon in römischer Zeit wurde die Pflanze aus Syrien ins ganze Mittelmeergebiet verbreitet. In der Türkei heißt sie „çiðde“ oder „bünnap aðacý“. Die Früchte, auch Brustbeeren [4] (baccae jujubae) genannt, werden als Obst oder als Brusttee verwendet.

Der kleinere Zizyphus lotus Lam. (auch Lotusbaum [5] genannt) ist ebenfalls im Mittelmeergebiet beheimatet. Er hat kleine weiße Blüten und rötliche, weniger wohlschmeckende Früchte (italienische Jujube).

Vielfach wird dieser Lotus für die Frucht aus der Odyssee gehalten. Odysseus wurde mit seinen Gefährten durch einen Sturm an die Küste der Lotophagen (gr. „Lotusesser“) verschlagen. Sie sendeten einen Herold mit Begleitung aus, um Land und Leute zu erkunden:

                              „Und sie erreichten bald der Lotophagen Versammlung.

                           Aber die Lotophagen beleidigten nicht im geringsten

                           Unsere Freunde; sie gaben den Fremdlingen Lotos zu kosten.

                           Wer nun die Honigsüße der Lotosfrüchte gekostet,

                           Dieser dachte nicht mehr an Kundschaft oder an Heimkehr,

                           Sondern sie wollten stets in der Lotophagen Gesellschaft

                           Bleiben und Lotos pflücken und ihrer Heimat entsagen“

                                                                                                              (IX, 91 – 97)

Mit Gewalt mussten die Widerstrebenden zurück auf die Schiffe gebracht werden. Oft wird das sagenhafte Land der Lotophagen mit der (heute tunesischen) Insel Djerba assoziiert. 

Auch heute noch wird diese Jujube in Libyen u.a. genutzt, u.a. auch als Viehfutter, außerdem wird ein Getränk aus den Früchten hergestellt.

Der Zizyphus spina christi Willd. (hebr. naazuz, Christusdorn) ist ein großer Strauch, der auch die Höhe eines kleinen Birnbaumes erreichen kann. Er hat zahlreiche, sehr scharfe, je zu zweit zusammensitzende Dornen. Er trägt wallnußgroße Früchte, die adstringierend (zusammenziehend, blutstillend) wirken. Die reifen Früchte sind im gesamten Orient ein beliebtes Obst. Aus Zweigen dieser Pflanze soll die Dornenkrone Christi [6] bestanden haben (vgl. Kinzler, S. 240, a.a.O.).

Alle drei Arten wachsen oft ganz alleinstehend in der Wüste.  

Der Zizyphus jujuba Lam. (echter Jujubenbaum) ist ein in Indien beheimateter Baum mit weißen Blüten und taubeneigroßen gelben Früchten. Sie schmecken apfelartig und werden nach Art der Oliven eingemacht und verzehrt.  

Der Lotusbaum spielt in den mythologisch - islamischen Vorstellungen zum Paradies eine große Rolle. Er symbolisiert die himmlische Seligkeit und den höchsten Himmel. Gleichzeitig steht er für Grenze und Maß in Raum und Zeit.

Die Sufis interpretieren den „paradiesischen“ wilden Lotus im Islam ähnlich wie den brennenden Busch (2. Mose 3, 1-6). Im Falle von Mose handelte es sich um einen Widerschein von Gottes Glanz auf Erden, im Falle des Propheten Muhammad stand der Baum für Gottes Glorie im Himmel selbst.

Die Sufi – Zeremonie „Nacht der Mitte des Schaban“ („nisfu Schaban“) leitet sich von der Tradition her, dass der Lotusbaum des Paradieses so viele Blätter trüge, wie es Menschen auf der Erde gäbe. In jedes Blatt wäre der entsprechende Name, sowie der von Muter und Vater eingeschrieben. In der Nacht, die dem 15. Tag des Monats Schaban vorausgeht, würde kurz nach dem Sonnenuntergang der paradiesische Lotusbaum geschüttelt werden, und die Blätter all der Menschen, die im folgenden Jahr sterben werden, fielen herab. Je nachdem, wie lange der Mensch noch zu leben hat, desto weniger vertrocknet ist das abgefallene Blatt.

In Ägypten wird anlässlich der Zeremonie ein besonderes Gebet verwendet (vgl. Chevalier, S. 545, a.a.O.).

Der wilde Lotusbaum kann auch als Schutz und Amulett dienen. Bei einigen Stämmen in Marokko wird dem neugeborenen Jungen sofort von der weisen Frau ein kleiner Zweig des Lotusbaumes in die Hand gelegt, damit er so wehrhaft und gefährlich werde, wie dieser Baum mit seinen Dornen. Die Dornen werden auch genutzt, um den bösen Blick abzuwehren.

Zuweilen werden auch Gräber mit Zweigen dieses Dornenstrauches bedeckt.

 

(variabel nach dem islamischen Mondkalender, die Nacht vom 14. zum 15. Tag des 8. Mondmonats Schaban)

 

© Christian Meyer

 



[1] Die Etymologie des Namens ist ungewiss. Das arabische Wort „bara’a“ bedeutet soviel wie Befreiung, Erlösung von Sünden, Verfehlungen, Übeln oder Krankheiten. Das türkische Wort „berat“ hingegen bedeutet „Bestallung, Bestallungspatent, - brief, Verleihungsurkunde“, weshalb die Berat gecesi auch vielfach als die Nacht der Berufung des Propheten Muhammad betrachtet wird.  

[2] An anderer Stelle ist im Koran auch von einem paradiesischen „dornenlosen Lotus“ die Rede (56, 27), der als Symbol des göttlichen Segens und der Wohlfahrt angesehen wird. Tatsächlich gibt es auch wirklich dornenlose Zizyphus – Gewächse. 

[3] Von diesen unterschieden müssen die Schwarzen Brustbeeren (Jujubae nigrae) werden. Hierbei handelt es sich um die Früchte der Cordia officinalis Lam, die in Indien und dem Orient beheimatet ist. Die dunklen Früchte sind weich, süß, schleimig aber angenehm schmeckend und werden gegen Husten, Heiserkeit und Brustbeschwerden verwendet. 

[4] Für die Taoisten stellen sie die Speise der Unsterblichkeit dar. Sie galten als reine, quasi immaterielle Speise, vor deren Genuss man sich längere Zeit des Verzehrs von Getreideprodukten enthalten sollte.

[5] Auch in der griechischen Mythologie spielt der Lotusbaum eine Rolle. Der schönen Nymphe Lotis gelang es nur mühsam immer wieder, den Nachstellungen des Priapos zu entkommen. Nachdem sie schließlich dennoch von ihm überwältigt (d.h. vergewaltigt) wurde, verwandelte sie sich in einen blühenden, dornigen Lotus – Busch.  

[6] Die Gleditschia triacanthos L. (Zuckerschotenbaum, Schotendorn) wird häufig Christusakazie genannt, weil man seine Dornen für das Material zu Christi Dornenkrone hielt. Sie wächst in Nordamerika, hat einfach gefiederte, 16—18 cm lange Blätter, braunroten, am obern Teil des Stammes bisweilen dicht stehende bis 12 cm langen Dornen. Sie wird bei in Europa in mehreren angepflanzt. Das Holz des Baums ist von außerordentlicher Güte und wird von Drechslern, Tischlern gernverarbeitet. Die Dornen selbst gebrauchten einige autochthone amerikanische Völker als Pfeile.  

Benannt wurde die Pflanze nach dem BotanikerJohann Gottlieb Gleditsch, (*1714 zu Leipzig, 1786 zu Berlin).

Gleditsch studierte in Leipzig Medizin und Botanik und hielt seit 1742 in Frankfurt an der Oder  Vorlesungen

über Physiologie, Botanik und Medizin. 1746 wurde er Professor der Botanik und Direktor des Botanischen

Gartens in Berlin. Seit 1770 lehrte Gleditsch an der Berliner Forstlehranstalt Forstbotanik..Er zählte zu den

ersten, die dem Forstwesen eine naturwissenschaftliche Grundlage zu geben versuchten. Sein Hauptwerk ist die

»Systematische Einleitung in die neuere, aus ihren eigentümlichen physikalisch = ökonomischen Gründen

hergeleitete Forstwissenschaft«  (Berlin, 1774 bis 1775, 2 Bde.).