21. November 1811: Tod Heinrich von Kleists
Am 21. November 1811 gegen 16.00 Uhr vollzogen Heinrich von Kleist und die mit ihm befreundete, an Gebärmutterkrebs schwerkranke Henriette Vogel (*1780) gemeinsam Selbstmord: Zuerst erschoss der erst 34jährige Kleist auf ihren Wunsch hin Henriette und dann sich selbst am Kleinen Wannsee bei Berlin (damals noch Stolper Loch benannt).
Es war eine Art von angekündigtem Tod. Am 9. November, zwölf Tage zuvor schrieb der vereinsamte, erfolglose und resignierte Kleist aus Berlin an seine vertraute Cousine, Marie von Kleist. In dem Brief hieß es u.a., dass er eine Freundin gefunden habe, „… die (nicht) mit mir leben, sondern … mit mir sterben will. … und daß ich sterbe, weil mir auf Erden nichts mehr zu lernen und zu erwerben übrig bleibt. Lebe wohl!“ (zit. n. Genér, in Kleist, S. LIV, a.a.O.).
Am 10 November schrieb er erneut an seine Cousine: „… Es mir ganz unmöglich länger zu leben, meine Seele ist so wund, dass nur – wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke - das Tageslicht wehe thut, das mir darauf schimmert“ (vgl. Bamberger, a.a.O.).
In seinem Abschiedsbrief an seine Schwester Ulrike vom 21. November 1811 schrieb Heinrich von Kleist: „.. Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl, möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und Heiterkeit, dem meinigen gleich“ (vgl. Genér, in Kleist, S. LVII a.a.O. und Loch, a.a.O.).
Henriette Vogel schrieb in ihren Abschiedsbriefen an Freundinnen u.a.: „Erinnert Euch der zwei wunderlichen Menschen, die bald ihre große Entdeckungsreise antreten werden … Über meinen Tod werde ich Dir jenseits mehr Auskunft geben können“ (zit. n. Wolff, S. 52, a.a.O.).
Am 20. November 1811 waren Henriette Vogel und Heinrich von Kleist mit einer gemieteten Kutsche aus Berlin [1] kommend gegen 15.00 Uhr in Stimmings Krug [2] nahe dem Wannsee an der Straße nach Potsdam und der Friedrich Wilhelm Brücke abgestiegen, Sie hatten dort in zwei Zimmern übernachtet. Es handelte sich um „… einen hübschen, regelmäßigen Fachwerkbau mit einem Obergeschoss, 8 Meter hoch, 21 m lang und 12 m tief, dazu große Stallungen“ (vgl. Wolff, S. 45, a.a.O.). Der Gasthof war auch eine Poststation, an der die Pferde gewechselt wurden.
Am nächsten Tag frühstückten die beiden Gäste im Krug, schrieben in äußerlicher Ruhe Abschiedsbriefe und sandten sie per Boten nach Berlin (vgl. „Die Zeit“, 24. April 2011). Niemand kam auf die Idee, dass dieses Paar sich umbringen wollte. Schließlich unternahmen sie einen Spaziergang über den Damm auf die andere Seite des Sees, wo sie den gemeinschaftlichen Freitod ausführten.
Als Selbstmörder durften beide damals nicht auf einem Friedhof bestattet werden. So wurden Henriette Vogel und Heinrich von Kleist bereits am 22. November in Särgen wahrscheinlich am Ort des Suizids beerdigt.
Im Stahnsdorfer Kirchenbuch fand sich die Eintragung: „Am 21. November 1811 erschoß in der Klein-Machnower Heide, nahe bei der Berliner Chaussee Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist die Ehefrau des Generalrendanten der Kurmärkischen Land-Feuersocietät und Landschaftsbuchhalters Friedrich Ludwig Vogel, Adolfine Sophie Henriette geb. Keber, alt 31 Jahre und dann sich selbst in seinem 34. Jahr. Beide sind auf der Stelle, wo der Mord und Selbstmord geschah, in zwei Särge gelegt und in ein Grab gelegt worden“ (zit. n. Wolff, S. 51, a.a.O.).
Erst der skandalträchtige, wie inszenierte Selbstmord machte Heinrich von Kleist berühmt und entfachte in großen Teilen Europas geradezu eine „publizistische Lawine“ (vgl. Siebert, S. 32, a.a.O.).
Rasch wurden die Gräber zu einer Art baumumstandenen Pilger- und Gedenkstätte: Besuche von z.B. Ernst Moritz Arndt 1814 oder Ferdinand Grimm 1818 und 1821; die Gräber verwilderten aber immer wieder und wurden restauriert. Die Tochter des neuen Krugwirts, Emilie Hölzmann, pflegte die Gräber „aus eigenem Antrieb“ (vgl. Wolff, S. 53, a.a.O.).
1837/38 ließ der später nahebei bestattete Holzinspektor Bensch zwischen den beiden Grabhügeln eine Eiche pflanzen, die noch heute dort wächst (vgl. Siebert, S. 38, a.a.O.).
1848 wurde ein unbehauener Granitwürfel mit Kleists Namen und Lebensdaten auf das Grab gesetzt, von Verehrern des Dichters, initiiert u.a. durch Eduard von Bülow, dem ersten Kleistbiographen.
Um 1856 zeichnete Hermann Schnee aus Potsdam das Kleistgrab, mit den beiden Grabhügeln und der noch kleinen Eiche (Abb. unten, aus Siebert, S. 36,
a.a.O.).
1862 ließen wohlhabende Verehrer Kleists (erstmals unter Beteiligung der Familie von Kleist) einen Marmorblock auf dem Grab errichten. Auf dem Grabstein wurden Alexandriner-Verse des jüdisch-deutschen Dichters Max Ring (1817 – 1901) eingraviert: „Er lebte, sang und litt / In trüber, schwerer Zeit, / Er suchte hier den Tod / Und fand Unsterblichkeit“, Matth.6 V.12" [3]. Zudem wurde die Grabstätte mit einem Gitter geschützt und mit Blumen bepflanzt (vgl. Wolff, S. 53, a.a.O.).
Vor allem seit der Eröffnung der „Grunewaldbahn“ wurde das Kleistgrab - wie Theodor Fontane 1889 in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ (.a.a.O.) schrieb - eine „vielbesuchte Pilgerstätte".
Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) berichtete in einem Brief über die Grabstätte Kleists: „Ich ging als junger Mensch immer gern an sein Grab, damals war eine Wildnis herum… das Gitter rostete… Zu jener Zeit schrieb ich in mein Taschenbuch: ‚Wir sind keiner klarer oder blinder, wir sind alle Suchende, du weißt - und so wurdest du vielleicht der Finder, ungeduldiger und dunkler Kleist ...‘“ (zit. n. Wolff, S. 53, a.a.O.). Das Gedicht entstand am 14. Januar 1898 (vgl. Rilke, S. 382/383, a.a.O.).
Bei dem heutigen Grabstein handelt es sich nicht um das Original, sondern um einen Stein aus dem Jahre 1936. Anlässlich der Berliner Olympiade tauschte man den vorhandenen Grabstein aus [4] und renovierte die Anlage, „da die in allen Reiseführern genannte Grabstätte von zahlreichen ausländischen Gästen aufgesucht werden wird".
Mitten im 2. Weltkrieg, 1941 veränderten die NS-Machthaber aus ideologisch-rassistischen Gründen noch einmal die Grabanlage und ersetzten die Verse Max Rings durch das Zitat aus Kleists Prinz Friedrich von Homburg: „Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein“.
Ein eigener Gedenkstein für Henriette Vogel kam 2003 durch eine private Initiative hinzu (vgl. Siebert, S. 40, a.a.O.). .
Im Jahre 2010 wurde die Dokumentation „Die Akte Kleist“ (52 Min., Buch, Regie, Schnitt: Simone Dobmeier, Hedwig Schmutte, Torsten Striegnitz) gedreht. Der Film schildert den Todestag, die letzten 25 Stunden des Paares (Alexander Beyer spielte Heinrich von Kleist, Meret Becker war Henriette Vogel).
Anlässlich des 200. Todestages des Dichters im Jahre 2011 wurde die gesamte Grabanlage aufwändig neu gestaltet und der Grabstein restauriert und um 180 Grad gedreht. Er trägt nun auf beiden Seiten eine Inschrift. Auf der neuen Vorderseite stehen jetzt wieder die Worte Max Rings und beide Namen und Lebensdaten, auch der Name von Henriette Vogel ist nun aufgeführt. Die neue Rückseite des Steins zeigt die alte Inschrift aus dem Prinzen von Homburg, wie sie vor der Restaurierung seit 1941 zu sehen war.
Eine hörspielartige Audio–Führung zu dem Doppel-Suizid als „akustisches Kleist-Denkmal“ wurde von dem Regisseur und Autor Paul Plamper seit dem November 2011 eingerichtet, die Audio-Guides sind im Geschenkeladen am S-Bahnhof Wannsee erhältlich.
Zum 200. Geburtstag Heinrich von Kleists hatte die Post der DDR 1977 eine Gedenkmarke herausgegeben (Abb. s.u.). Neben einem Porträt des Dichters waren auf dem Gedenkblock Figuren aus seinen Dichtungen dargestellt, so der Prinz von Homburg. Michael Kohlhaas und der Richter Adam mit dem zerbrochenen Krug.
(unveränderlich, nach dem Gregorianischen Kalender)
© Christian Meyer
[1] Heinrich von Kleist wohnte von 1809 bis zu seinem Tode in der Berliner Mauerstr. 53. Dort erinnert eine Gedenktafel an den Dichter.
[2]Stimmings Krug befand sich ursprünglich im nahegelegenen Dorf Stolpe. 1790/92 ließ der preußische König Friedrich Wilhelm II. eine damals moderne Landstraße zwischen Berlin und Potsdam bauen, eine „Steinbahn“, eine feste, auch bei schlechtem Wetter gut befahrbare Straße. Im Zuge der Bauarbeiten wurde die flache Verbindung zwischen dem Großen und dem Kleinen Wannsee zugeschüttet und durch die „Friedrich-Wilhelm-Brücke“ verbunden, die knapp über dem Wasserspiegel lag (vgl. Wolff, S. 43, a.a.O.). Die neue Straße führte nun an Stolpe vorbei, geradewegs auf die Glienicker Brücke zu. Dabei wurde die starke Steigung am Schäferberg in Kauf genommen. Erst 1935 wurde dort die heutige Einschnittstraße gebaut (vgl. Wolff, S. 43, a.a.O.).
Nun lag jedoch das Gasthaus Stimmings in Stolpe abseits und verödete. Deshalb wurde es auf Staatskosten an einen gewinnversprechenden Ort am Großen Wannsee, an die Friedrich Wilhelm Brücke verlegt, in Richtung Potsdam links gleich nach der Brücke, wobei Stimming viele bürokratische Hürden erlebte, um das verauslagte Geld zurückzuerhalten.
Stimmings Neuer Krug wurde sehr erfolgreich, „Stimming“ war bei den Berlinern ein Begriff; der Gasthof war einer der belebtesten in ganz Preußen – bis 1838, zum Bau der Eisenbahn Berlin – Potsdam. Stimming selbst war gestorben und seine Witwe verkaufte den Krug für 10 000 Taler an den Gastwirt Hölzmann. Dieser betrieb den Krug bis 1863, auch als Ausflugs- und Tanzlokal (vgl. Wolff, S. 45, a.a.O.). Im Jahre 1863 kaufte der Bankier und Direktor der Berliner Handelsgesellschaft Wilhelm Conrad die Gaststätte, ließ sie 1870 abreißen und dort die Villa Alsen (Königstr. 4) errichten.