Abb.: „Ainu“, ein Takebayashi Seiichi zugeschriebenes Photo, nach 1882; dargestellt wurde ein Bettler mit zerrissener Kleidung, im Straßenstaub schlafend; ein Opfer des Niedergangs der damaligen Ainu-Gesellschaft auf Hokkaido unter dem Druck der japanischen Kolonisation seit ca. 1880.
(Abb. aus Tosone, S. 15, a.a.O.).
Abb.: „Eine Ainu-Familie vor ihrem Haus“, anonymes, handkoloriertes Photo, ca. 1880 (Abb. aus Tosone, S. 39, a.a.O.).
Abb.: Bärenfest 1903 auf Sachalin (Abb aus:https://de.wikipedia.org/wiki/Niwchen#Glaubensvorstellungen)
Abb.: Winterhaus der Niwchen/Giljaken; Das Fell des geopferten Bären mit dem daran belassenen Kopf hängt über einem Gestell neben der Kochstelle mitten im Winterhaus. Dem toten Bären wird ein großer Fisch angeboten. Die Fenster der Hauses sind mit Fischhaut abgedichtet. Die Bewohner sind beim Festessen nach dem Bärenopferfest (Abb. aus Findeisen, S. 23, a.a.O.).
Abb.: „Zwei Ainu-Männer“; die Illustration stammt ursprünglich aus ihrem 1880 erschienenen Buch „Unbeaten Tracks in Japan“
https://en.wikipedia.org/wiki/Isabella_Bird#/media_D092_Ainu_of_yezo.jpg
Abb. oben: Ainu Bärenopfer. Japanische Malerei um 1870; heute in den Sammlungen des Britischen Museums London
≈ 15. Dezember: Dreitägiges Bärenfest der Ainu - Kamui omante [1]
Die Ainu (≙ „Menschen“) sind wahrscheinlich die Ureinwohner des gesamten Gebietes von Nord-Honshu, über Hokkaido, Sachalin und die Kurilen-Kette bis zur Halbinsel Kamtschatka. Sie bildeten sesshafte Jäger-, Fischer- und Sammler-Gesellschaften (vgl. Stöhr, Bd. I, S.16, a.a.O) , die gewisse mutterrechtliche Elemente aufbewahrt hatten. Gleichzeitig aber war auch die Vorstellung verbreitet, Frauen hätten keine Seele (vgl. Tokarew, S. 130, a.a.O.).
Das „Yukar“, ein mündlich überliefertes Epos der Ainu erzählt von blutigen Schlachten, in denen um 1000 n. Chr. die Ainu aus Honshu verdrängt wurden. Seit dem 15. Jhdt. wurden die Ainu auch auf Hokkaido von den Japanern unterworfen und gingen langsam zum Feldbau über (Stöhr, Bd. I , S. 17, a.a.O.). 1873 sollen noch 95 % der Bewohner von Hokkaido Ainu gewesen sein.
Seit 1937 erfolgte durch das militaristische Kaiserreich eine repressive Assimilationspolitik den Ainu gegenüber.
Um 1990 lebten nur noch zwischen 36 000 und 60 000 Ainu als Reste der Urbevölkerung Japans, v.a. auf Hokkaido. Die Zahlenangaben schwanken wegen einer großen Zahl von „Mischehen“ (vgl. Mayer, S. 120, a.a.O.). Bereits der britische Anthropologe Edward Evans-Pritchard (1903-1973) hielt die Ainu für ein „aussterbendes Volk“, er schätzte, es gäbe 1970 nur noch 300 – 400 „reinblütige“ Ainu (vgl. Evans-Pritchard, Bd. VII/2, S. 166, a.a.O.).
Die mit dem Japanischen nicht verwandte Sprache der Ainu steht kurz vor dem Aussterben - da sie heute nur noch von weniger als fünfzehn Menschen – die alle über 60 Jahre alt sind - als Muttersprache gesprochen wird. Trotz einiger Versuche zur Wiederbelebung wird befürchtet, dass die Ainu-Sprache [2] in den nächsten Jahren aussterben wird.
Unter den gegenwärtigen Ainu (offiziell: „ehemalige Eingeborene von Hokkaido“) sind anteilig weniger Abiturienten und Hochschulabsolventen als in der Gesamtbevölkerung Japans, dafür dreimal so viele Sozialhilfeempfänger. Die wenigen Ainu-Dörfer auf Hokkaido sind seit langem vor allem Ziele touristischer Exkursionen (vgl. Mayer, S. 121, a.a.O.).
Der – ursprünglich auf der irdischen Nordhalbkugel weit verbreitete - Bärenkult („Arktolatrie“) hat bei den Ainu deutlich totemistische Züge, eine Art „ritueller Besessenheit“ für Bären wird vielfach als ein bedeutender Teil der Ainu-Identität angesehen.
Nach der Ainu-Mythologie habe ihr Urvorfahr mit einer Bärin einen Sohn gezeugt. Nach der Geburt brachte die Bärin den Säugling dem Vater, der nahm ihn zu sich. Viele Ainu sehen deshalb in dem Bären ihren Ahnen (vgl. Findeisen, S. 20, a.a.O.).
Bei den Ainu in Nord-Japan gilt der Bär bis heute als eine höchste Gottheit, „Sohn des Berggottes“ (Tokarew, S. 133, a.a.O.), die Gottheit der Bären und Berge. Daneben wird bis heute hoch verehrt „Kamuy Fuchi“, die Göttin der Feuerstelle, des heimischen Herdes. Weibliche Schamanen kommunizieren durch verschiedene Riten mit ihr. Dass der Name des Vulkans Fujiyama von der Ainu-Göttin Kamui Fuchi herrührt, ist umstritten.
„Repun Kamuy“ ist die Gottheit der See, des Fischens und der Meereslebewesen, vergegenständlicht durch den Schwertwal. Als eine weitere Göttin gilt „Frau Spinne“, Yushkep Kamuy, die Helferin bei Geburten ist.
Der Bär aber galt als das wichtigste Tier in der Natur. Für die Ainu war der Bär der Weg des Gottes „Kim-un Kamuy“, den Menschen Nahrung zu bringen.
Die britische Reiseschriftstellerin Isabella Bird (1831 – 1903) unternahm als 46-jahrhrige eine Reise nach Ostasien, u.a. auch nach Nord-Japan zu den Ainu, die sie im August 1878 erreichte. Sie war dabei eine echte Pionierin, das Land war gerade erst unter dem Druck der US-Marine geöffnet worden, sie gelangte in Gebiete auf Hokkaido (damals noch Ezo), die kein „Weißer“ zuvor betreten hatte. Unter den Ainu lebte sie Monate lang und berichtete als erste Europäerin von ihren Erlebnissen.
Sie hielt die Ainu zwar für „unbildsame und unverbesserliche Wilde", war aber von ihrem Leben fasziniert. Denn sie erschienen ihr zugleich attraktiv, sanft und harmlos, so dass sie sich völlig sicher fühlte (vgl Bird, Brief XXXVII, a.a.O.).
Es gab bereits gemischte, japanisch-Ainu-Dörfer, aber die Japaner waren noch in klarer Minderzahl.
Sehr viele Ainu lebten noch als Fischer, Jäger und Sammler, Landwirtschaft wurde von ihnen noch selten betrieben.
Rasch bemerkte sie die besondere Rolle, die Bären für die dortigen Menschen spielten: Sie zeigen eine große Bewunderung für die Wildheit und den Mut des Bären, denn er ist das stärkste, wildeste und mutigste ihnen bekannte Tier. Einige ihrer Gesänge loben den Bären, das höchste Lob für einen Mann besteht darin, ihn mit einem Bären zu vergleichen.
In allen Ainu-Dörfern, besonders in der Nähe des Hauses des Häuptlings – beobachtete Bird - gibt es mehrere hohe Stangen auf denen oben fleischlose Schädel von Bären befestigt sind.
Getrocknete und zerstoßene Bärenleber ist für sie ein Heilmittel, sie verlassen sich bei Koliken und
anderen Schmerzen darauf.
Vor allem aber berichtete Isabella Bird erstmals von dem großen Bärenfest, dem Hauptfest der Ainu, das sie an antike Saturnalien erinnerte. Dabei wurde der Bär zwar rituell getötet, aber man glaubte, er würde zu den Seinen wiedergeboren, zurückkehren. Bird fragte sich dabei, ob diese Vorstellungen von einer „Metempsychose“ - Seelenwanderung – zu einem späteren Zeitpunkt durch Kontakt mit dem Buddhismus entstanden seien (vgl Bird, Brief XXXVII, a.a.O.).
Ihre Erfahrungen veröffentlichte Isabella Bird in Briefform 1880 unter dem Titel „Unbeaten Tracks in Japan“ , auf Deutsch: „Unbetretene Pfade in Japan“ (a.a.O.).
Das Bärenopfer
Es handelt sich auf Hokkaido um den Ussuri- oder Ezo-Braunbären (Ursus arctos lasiotus), einer Unterart des Braunbären. Das aufgerichtet bis zu 2,2 m große, mächtige, bis zu 500 kg schwere Tier ist der vorherrschende Bär der Region. Auf Hokkaido sind fünf regionale Subpopulationen von Ussuri-Braunbären bekannt. Sie lebten während der letzten Eiszeit auch auf der japanischen Hauptinsel Honshu, wurden dort jedoch entweder durch den Wettbewerb mit asiatischen Schwarzbären oder durch den Verlust des Lebensraums verdrängt.
Außer dem Menschen hat der Bär nur den Amur-Tiger als natürlichen Feind, und für die Ainu auf Hokkaido war der Bär das einzige Raubtier, das ihnen gefährlich werden konnte (vgl. Evans-Pritchard, Bd. VII/2, S. 169, a.a.O.).
In Hokkaido starben zwischen 1900 und 1957 141 Menschen an Bärenangriffen und weitere 300 wurden verletzt. Allein von 1962 bis 2008 gab es auf Hokkaido 86 Angriffe auf Menschen und 33 Todesfälle durch Ussuri-Bären. In einer weit verbreiteten japanischen Wahrnehmung gelten die Bären deshalb vielfach als Menschenfresser.
Die Angriffe sind hauptsächlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass menschliche Stadterweiterungen, Forstwirtschaft, Straßenbau und Agribusiness traditionelle Bärenlebensräume stark einschränken. Die illegale Jagd (und auch Gefangennahme) ist ein bedeutender Faktor für den Rückgang der Bärenpopulation, da Körperteile der Bären in China zu hohen Preisen verkauft werden,
2015 schätzte die Biodiversitätsabteilung der Regionalregierung von Hokkaido den Bestand auf 10.600 Ussuri-Braunbären. Die Internationale Union für Naturschutz (IUCN) stuft den Ussuri-Braunbären als gefährdete Art ein.
Ablauf des oft dreitägigen Festes:
Traditionell eröffnete der Ruf der Eule die Jagdsaison (vgl. Evans-Pritchard, Bd. VII/2, S. 169, a.a.O.).
Ainu-Fallensteller machten sich gegen Ende des Winters auf den Weg ins Gebirge, zu den Bärenhöhlen. In dieser Zeit befinden sich die Bären noch in der Erstarrung des Winterschlafs. Finden sie ein neugeborenes Jungtier, töten sie die Mutter. Die Jäger riskieren dabei ihr eigenes Leben, um ein oder zwei Bärenbabys zu fangen und in die Dorf-Gemeinschaft zu bringen. Dafür ist ihnen im Dorf hohes Ansehen sicher.
Im Dorf wird das Bärenjunge drinnen im Wohnhaus - oft von der Frau des Ritualmeisters – aufgezogen, als wäre es ein eigenes Kind. Schon Isabella Bird berichtete, dass der Jungbär oft von der Hausfrau gestillt und von den Kindern des Hauses bespielt wird (vgl. Bird, XXXVII. Brief, a.a.O.).
Ist das Bärenjunge für das Haus zu groß und zu kräftig, wird es in einem Käfig gehalten und sorgfältig weiter aufgezogen/gepflegt (vgl. Tokarew, S. 132, a.a.O.). Die kleinen Bären werden mit großem Respekt und Zuneigung behandelt, aber ihr Schicksal ist nach zwei bis drei Jahren tödlich.
Der erste Tag des Festes dient der Vorbereitung. Die Männer stellen Gebetsstöcke (inau [3]) für den Altar (nusa-san; nusa ist der Plural von Inau), zeremonielle Pfeile, Alkohol, v.a. Sake und Geschenke für den Kamuy Geist/Gott her. Es werden Gebete vollzogen und Tänze und Lieder aufgeführt.
Am zweiten Tag des Rituals wird wird der Bär mit einem Seil um den Hals aus dem Käfig genommen und feierlich von Haus zu Haus geführt. Dann wird er auf einem Kultplatz, einem Ritualraum am Altar an einem als heilig geltenden Pfahl angebunden. Um den Bären herum wird getanzt und gesungen, dem Bären wird Nahrung angeboten. Zu verschiedenen Kamuy wird gebetet, dann laut. ohrenbetäubend geschrien und in die Hände geklatscht, um den Bären zu reizen. Jetzt wird der Bär manchmal wütend. Aber je wilder der Bär wird, desto mehr freuen sich die Menschen. Sollte sich das Tier jedoch weigern, sich zu bewegen, wird es mit einem Stock („Takusa“) gereizt und mit stumpfen, zeremoniell verzierten Pfeilen beschossen. Die Teilnehmer versuchen so, den Bären aggressiv zu machen. Die gereizten Bewegungen des Bären werden als Freudentanz wegen der bevorstehenden Heimreise gedeutet (vgl. Evans-Pritchard, Bd. VII/2, S. 171, a.a.O.).
Zu diesem Zeitpunkt laufen v.a. junge Ainu-Männer mit verschiedenen Waffen auf den Bären zu, jeder bemüht sich, ihm eine Wunde zuzufügen, da es Glück bringen soll, ihn blutig zu verletzen.
Wenn der aufgeregte und kämpfende Bär Anzeichen von Erschöpfung zeigt, wird er in der Mitte des Menschenrings zu Boden geworfen. Nun drängen die jungen Ainu-Männer nach vorne, packen das arme Tier an den Ohren und dem Fell des Gesichts, öffnen sein Maul und stecken ein Stück Holz in die Kiefer des Bären.
Die Riten des Festopfers waren einst zwischen den Berg- und Küsten-Ainu unterschiedlich, so z.B. die Art und Weise der Tötung des Bären.
Partiell schoss der Ritualmeister oder der Häuptling den tödlichen Pfeil auf den Bären ab, während die Frauen nach dem Bären schreien. In einigen Dörfern war es üblich – beobachtete Isabella Bird -, dass die „Pflegemutter“ des Bären durchdringende Klagen ausstößt und nachdem er getötet wurde, jeden der Mörder rituell mit Baumzweigen schlägt
Regional wurde der Bär auf eine andere Weise „abgeschickt“. Beim Herauskommen aus dem Käfig packen zwei Männer den Bären an den Ohren, er wird zu Boden geworfen und andere legen eine lange, kräftige Stange über den Nacken des Bären: Einige Ainu steigen auf die Stange, und nach längerem Kampf wird die Wirbelsäule des Bären gebrochen. Wenn sich der Bär im Todeskampf windet, rufen die Männer im Chor: „Wir töten dich, oh Bär! Komm bald zurück in einen Ainu“ (vgl. Bird, XXXVII. Brief, a.a.O.). Dann machen die Menschen dem toten Bären Geschenke und beten erneut zum Kamuy.
Wenn der Bär von einem Pfeil verwundet wird, vollzieht der Schütze einen Entschuldigungs- oder Versöhnungsritus. Gleiches gilt auch nach der Tötung des Bären.
Schließlich schneiden die Dorfbewohner dem Bären die Kehle auf und trinken gemeinsam sein Blut.
Der nackte Bärenschädel wird auf einen Speer gelegt, dann mit dem eigenen Fell des Bären umwickelt. Diese „Puppe" wird ein Objekt der Verehrung durch die Dorfbewohner. Der Bär sei so heim in die Welt der Götter „geschickt" worden (vgl. https://de.qaz.wiki/wiki/Iomante).
Nachdem dem Bären der Kopf abgeschnitten wurde, bot man ihm die Waffen an, mit denen er verwundet wurde: Er wurde förmlich gebeten, sich an den Menschen zu rächen. Auch erhält er ein Trankopfer.
Der Körper des Bären wird zerstückelt und gekocht. Es gibt ein Fest begleitet von viel Sake, mit dem gekochten Fleisch des Bären sowie Aufführungen von Tänzen und Liedern. Das Fleisch des geopferten Bären wird feierlich gemeinsam verzehrt, eine Form des Gottessens, der Theophagie [4]. Knochen und Schädel werden reliquienähnlich aufbewahrt.
Am letzten Tag des Rituals wird der Kopf des Bären gehäutet und mit Inau sowie Geschenken verziert. Dem toten Bären werden Kuchen und andere Leckerbissen geschenkt. Derr Kopf wird dann auf einem y-förmigen Holzstab befestigt, aufgerichtet und in Richtung der Berge im Osten – der Heimat der Bären -Geister - gedreht. So wird der Bär in die Berge zurück geschickt. Später aber wird der Schädel zurück zum Dorf gedreht, um die Rückkehr der Kamuy in ihre Welt zu symbolisieren ?
Das Iomante-Fest (wörtlich: „absenden" oder „abschicken" ) ist somit ein Ritual, bei dem die Menschen den Gast, den Bärengeist, zu seinem jenseitigen Zuhause „abschicken". Nach der Ainu-Mythologie kommen Kamuy manchmal als Bär auf die Erde; Die Menschen müssen ihn dann beschenkt zurückschicken und werden dafür belohnt. Denn der Kamuy wird seinen Mit-Kamuy von den Großzügigkeiten der Menschen erzählen, was andere Kamuy dazu bringt, selbst in die menschliche Welt zu gehen. Durch das Iomante-Fest zeigen die Menschen ihre Dankbarkeit gegenüber den Kamuy und diese werden den Menschen weiterhin Geschenke, den Reichtum der Natur zukommen lassen (vgl. Chevalier, S. 717, a.a.O.). Die Bärenzeremonie dient somit der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts, der wechselseitigen Beziehung zwischen Menschen und Kamui/Natur und kann als eine symbolische Darstellung dieser Beziehung angesehen werden.
Die Ainu haben mit den Niwchen eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten: Ähnlichkeit der Sprache, der religiösen Vorstellungen und Mythen, die Bären-Feste, die Anfertigung von Holz-Skulpturen, Motive auf der Kleidung, und sogar - humangenetisch - die Haplogruppe C3 (im Gegensatz zu den Japanern oder Europäern).
Die Niwchen (hist.-russ.: Giljaken) zählen zu den indigenen Völkern Russlands. Historisch lebten sie in Teilen der Amur-Region, den Kurilen und auf der Insel Sachalin (vgl. Tschechow). Laut Volkszählung von 2002 beträgt ihre Zahl 5162 Menschen. Die Hälfte von ihnen bewohnt den Norden der Insel Sachalin.
Die Glaubenswelt der Niwchen basierte - wie die der Ainu - auf dem Animismus.
Der Bär galt als Sohn des Taiga-Herrschers, die Jagd auf ihn ist mit einem Bärenkult verbunden. Ein sehr ähnlich ablaufendes Bärenfest wurde im Januar oder Februar gefeiert.
Bei den Ainu ist bis in die Mitte des 20. Jhdts. die Bärenopferzeremonie Iomante bezeugt. Tierschützer drängten 1955 die Regionalregierung von Hokkaido mit Erfolg dazu, die Iomante abzuschaffen. Das entsprechende Rundschreiben wurde jedoch im April 2007 wieder aufgehoben, da das japanische Umweltministerium entschied, dass Tierzeremonien generell als Ausnahmen vom japanischen Tierschutzgesetz des Oktobers 2006 anzusehen seien (vgl. https://de.qaz.wiki/wiki/Iomante#Legality).
Iyomante-Videos und Artefakte sind u.a. im Nibutani Ainu-Kulturmuseum in Nibutani/Hokkaidō sowie im Ainu-Museum in Shiraoi-cho/Hokkaidō ausgestellt.
Nach S. A. Tokarew diente das Bärenfest heute vor allem der Volksbelustigung und als touristisches Schauspiel (vgl.
Tokarew, S. 133, a.a.O.). Ob und inwieweit es heute noch begangen wird. ist ungewiss.
(Das Bärenfest der Ainu fand/findet nach dem Gregorianischen Kalender im Dezember statt, wenn die Bären-Gottheit auf die Erde kommt und von den Menschen empfangen wird, vor dem Beginn der winterlichen Jagdsaison; ob es alljährlich stattfand, ist umstritten; nach einigen Berichten wurde es nur alle fünf oder zehn Jahre begangen)
© Christian Meyer
[1] Die Religion der Ainus war durch animistisch-schamanistische Vorstellungen geprägt. Der Begriff „kamui“ (oder „kamuy“) bedeutet so viel wie "Gottheit" oder "Geist". „Kamui Omante" (oder "Iyomante" (イ ヨ マ ン テ) heißt „absenden" oder „abschicken der Gottheit“ zurück nach Hause, in die jenseitige Welt. Im Japanischen wird es das Bären-Fest (熊祭, kumamatsuri ) genannt. Im Schöpfungsmythos der Ainu ist es ein Tier, „… die Bachstelze, welche die Elemente des Ursumpfes trennt und auf diese Weise die Erdenwelt schafft“ (Findeisen, S. 13, a.a.O.).
[2] Die Ainu verfügten über einige besondere Gesten: Das Kopfnicken zur Bejahung war bei ihnen unbekannt. „Die Verneinung wird durch Bewegung der rechten Hand vor der Brust von rechts nach links und zurück angedeutet; und als Zeichen der Bejahung werden beide Hände anmutig bis zur Brust erhoben und ebenso anmutig – mit den Handflächen nach oben – gesenkt“ (Weston La Barre, in Mühlmann, S. 265, a.a.O.).
Begrüßte ein Ainu seine Schwester, „… hielt der Mann die Hände seiner Schwester einige Sekunden fest, um sie dann plötzlich loszulassen, ihre beiden Ohren anzufassen und den Ainu-Schrei auszustoßen. Dann streichen sie sich gegenseitig über Gesicht und Schultern“ (Weston La Barre, in Mühlmann, S. 268, a.a.O.).
[3] Inau (Ainu : イ ナ ウ – inau) bezeichnet einen rituellen Holzstab/Holzzweig, dessen Rinde zu büschelartig gekräuselten Streifen geschält wurde. Er wurde zu verschiedenen Ritualen verwendet, bei dem Bärenfest, zur Jagd, bei der Geburt, bei Krankheiten oder Gebeten etc. Einige Inau können mehrfach verwendet werden, andere müssen nach einem Gebrauch zerstört werden. Ihre Größe und die Kräusel-Richtung hängen davon ab, welchem Kamuy es angeboten wird und um was gebeten wird.
[4] In der Religionswissenschaft bezeichnet man die Einverleibung einer Gottheit über die Aufnahme von Speisen bzw. Getränken oder den Verzehr von Objekten, die dem Körper eines Gottes zugeordnet sind, als Theophagie. Das gemeinsame Trinken des Blutes und verspeisen des Fleisches des Ainu-Opferbären erinnert an das katholische Abendmahlsfest, die Eucharistie, denn nach der Transsubstantionslehre sind Wein und Brot Leib und Blut Jesu. Thomas von Aquin hat in seiner „Summa theologica“ auf die Bedeutung der Eucharistie hingewiesen: „per Eucharistiam manducamus Christum“ (≙ ‚durch die Eucharistie essen wir Christus‘).
Schon die babylonischen Opferkuchen „kamanu“ repräsentierten die Kriegs- und Liebesgöttin Ischtar und wurden bei einem Kultmahl gemeinschaftlich rituell verzehrt.
Abb.: Geschnitzter Holzbär der Niwchen (heute im Branly-Museum, Paris) https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Nivkh_people?uselang=de#/media/File:Nivkh_bear_Branly_71.1899.76.30.jpg
Abbn.oben und unten: Bärenschädel, in als heilig angesehenen Umfriedungen zur Verehrung auf Pfähle gestellt: Der Schädel des Bären wird mit besonderem Respekt behandelt, denn der „abgeschicke“ Bär kann nur dann wiedergeboren werden, wenn sein Schädel nicht verloren geht (vgl. Findeisen, S. 21, a.a.O.; Abbn. aus Tokarew, S. 135, a.a.O. sowie Evans-Pritchard, Bd. VII/2, S. 169, a.a.O.).
Abb.: Eine Sammlung von Inau im Ainu Rennmuseum/Hokkaido, AinuInau (Abb. aus : https://www.google.com/search?q=ainu+japan+RennMuseum&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=2ahUKEwiLiL2AuunuAhUSohQKHbyBDqMQ_AUoAXoECBEQAw
Abb.: Beim Bärenfest verwendete Bartheber der Ainu; männliche Ainu beschneiden sich traditionell nicht die Bärte (Abb. aus Findeisen, S. 37, a.a.O).