8. September: Weltalphabetisierungstag
Im Jahre 1996 konnten ca. eine Milliarde Menschen weltweit nicht lesen und schreiben. Allein in der Bundesrepublik sollen schätzungsweise 3 – 4 Millionen Menschen die Schrift nur sehr mangelhaft bis gar nicht beherrschen. Allein in Berlin dürfte es ca. 160 000 Analphabeten geben (vgl. „Tagesspiegel“, 9. September 2005, S. 10). Die Erfassung dieser Zahlen ist sehr schwierig, die Dunkelziffer sehr hoch. Zu einem großen Teil handelt es sich in Deutschland um „funktionale Analphabeten“. Hier handelt es sich um Menschen, die trotz Schulpflicht – aufgrund biographischer, sozialer oder schulischer Umstände – die Schule ohne hinreichende Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen verlassen.
Nach einer OECD – Studie hatten im Dezember 1995 14,4 % der deutschen Bevölkerung große Probleme dabei, einen einfachen Text zu verstehen (in den USA: mehr als 20 %, in Schweden ca. 7,5 %).
Nach der PISA – Studie verließen ca. 25 % aller SchülerInnen in Berlin die Schule ohne ausreichende Grundbildung, viele von ihnen waren funktionale Analphabeten.
Für die allermeisten heutigen Arbeitsplätze reichen das Lesen einfacher Texte, Formulare und das Schreiben von Namen und Adressen nicht aus. Darüber hinaus ist Alphabetisierung ein Teil des Grundrechtes auf Bildung und Voraussetzung für die Teilhabe an demokratischen Meinungsbildungsprozessen.
Im Jahre 2003 rief die UNESCO die „Dekade der Alphabetisierung“ aus.
Ein deutscher Beitrag zur Welt – Alphabetisierungsdekade ist die Schaffung der Projektes „APOLL“ („Alpha – Portal Literacy Learning“) in Zusammenarbeit von u.a. dem Volkshochschulverband, des Bundesverbandes Alphabetisierung e.V. und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Der in Berlin – Neukölln beheimatete Verein „Lesen und Schreiben“ [1] hatte bis zu den Hartz – Gesetzen von 2003 zwei fest angestellte Lehrkräfte, zwei Sozialarbeiter und vier Handwerker, denn der Verein bot neben Schreib- und Lesekursen auch berufsvorbereitende Maßnahmen an. Jährlich gab es damals bei „Lesen und Schreiben“ durchschnittlich ca. 60 Kursteilnehmer.
Durch die Kürzungen der Mittel infolge der Hartz – Gesetze [2] hat der Verein 2005 nur noch 10 Schüler, bei 15 ehrenamtlichen Lehrern. Auf der Warteliste der Kurse stehen 60 Personen.
Im Internet stehen in dem Portal „ich-will-schreiben-lernen.de“ eine ganze Reihe von Lese- und Schreiblerneinheiten bereit. Das Portal arbeitet des funktionalen Analphabetismus wegen weitgehend mit Symbolen, Bildern und Piktogrammen. Entwickelt wurde das Portal im Rahmen des APOLL – Projektes.
„ich-will-schreiben-lernen.de“ war 2005 das weltweit erste und einzige E-learning – Portal zum Schreiben und Lsen lernen, speziell entwickelt für erwachsene funktionale Analphabeten.
Im Juni 2005 wurde „ich-will-schreiben-lernen.de“ von der Gesellschaft für Pädagogik und Information e.V. (GPI) mit der Comenius – Medaille 2005 für exemplarische Bildungsmedien ausgezeichnet.
Die Volkshochschulen bieten seit Jahren Alphabetisierungskurse an. 95 % aller dieser Kurse werden von den VHS angeboten. Unter den Berliner VHS – Alphabetisierungskursteilnehmer*innen hatten 60 % keinen Schulabschluss, 70 % keine abgeschlossene Berufsausbildung und 40 % keine Arbeit (vgl. „Tagesspiegel“, 9. September 2005, S. 10).
Zum Tag der Alphabetisierung 2005 führten die VHS einen Literaturwettbewerb „Wir schreiben“ unter den Kursteilnehmern durch. Die besten Texte wurden prämiert und öffentlich von Schauspielern vorgetragen. „Esma, eine junge Tunesierin aus Hamburg, hat ihre Erfahrungen als Zwangsverheiratete aufgeschrieben. Wie sie ungebildet, stumm und eingeschüchtert in einem roten Opel nach Deutschland verfrachtet wurde, um Kinder zu gebären oder vor dem Fernseher zu hocken. Das Schreibenlernen war Teil ihres schmerzvollen Emanzipationsprozesses“ (vgl. „Tagesspiegel“, 9. September 2005, S. 10).
(unveränderlich nach dem Gregorianischen Kalender)
[1] „Lesen und Schreiben“, Herrnhuter Weg 16; 12043 Berlin; Tel: 030 / 687 40 81
[2] Die Arbeitsagentur Berlin – Süd ließ verlauten, Analphabetismus sei eine Schulaufgabe, keine für Arbeitsvermittler (vgl. „Tagesspiegel“, 9. September 2005, S. 10).