Abb. oben: Vermutetes Selbstporträt Botticellis; Detail aus seiner "Anbetung der Könige", heute in den Uffizien; (Abb. aus Titelseite von Frank Zöllner, a.a.O.)
Abb.: Das „Porträt einer jungen Frau“ von Botticelli (heute in der Berliner Gemäldegalerie) wurde häufig mit Simonetta Vespucci identifiziert (Abb. nach einer historischen Postkarte des Dahlemer Museums).
Sandro Botticelli: "Weibliches Idealbildnis" wurde häufig mit Simonetta Vespucci identifiziert; Mischtechnik auf Pappekholz; ca. 1480/90 (Abb. nach einer historischen Postkarte des Städel Museums/Frankfurt am Main)
Abb.: Sandro Botticelli: „Anbetung der Heiligen Drei Könige“, Tempera auf Holz, 1476, heute in den Uffizien; Giuliano Medici steht vorne links (Abb. nach einer – historischen - florentiner Postkarte von 1964)
Abb.: Als Beginn des Spätwerks Botticellis wird oft das Gemälde der „Krönung Mariens mit vier Heiligen“ (um 1490, heute in den Uffizien) angesehen: Zweigeteilt, die himmlische Zone mit Goldgrund, irdisch Johannes der Evangelist, Hieronymus, Augustinus und der Hl. Egidius, der Patron der Goldschmiede, die das Gemälde bestellt hatten. Im Hintergrund sieht man die Brunelleschi-Kuppel des Doms. Mit 3,7 x 2,5 m Ausmaßen handelt es sich um das größte religiöse Gemälde Botticellis. Der Kunsthistoriker Wilhelm von Bode urteilte wie folgt über Botticellis Wandlung: „Die absichtliche Verleugnung fast jeder Perspektive, die Vernachlässigung der Proportionen, die Absage gegen jede individuelle Verschiedenheit in einer Zeit, in der das künstlerische Wissen gerade den höchsten Grad erreichte, ist zu gesucht, um zu befriedigen, so wenig es die Kunst der Zeit in neue gesunde Bahnen führen konnte“ (Bode, zit. n. Piper, 2010, S. 96, a.a.O.).
17. Mai 1510: Todestag von Sandro Botticelli (es ist unsicher, ob es der Begräbnis- oder der Todestag Botticellis war)
Der Frührenaissance-Maler Sandro Botticelli wurde am 1. März 1445 in Florenz unter dem Namen Alessandro di Mariano di Vanni Filipepi als jüngster Sohn in bescheidenen, kleinbürgerlichen Verhältnissen geboren. „Botticelli“ (ital. „kleines Fäßchen“) war nur sein oder seines Bruders Spitzname [1]. Sein Vater war Gerber im Stadtteil Ognissanti, der Botticellis Lebensmittelpunkt blieb. Botticelli konnte von daher keine klassische BIldung erwerben. Seine Lateinkenntnisse sollen nur mangelhaft gewesen sein. Die antiken Quellen seiner späteren berühmten mythologischen Bilder kannte er so nur aus zumindest zweiter Hand.
Der junge Sandro erlernte das Goldschmiedehandwerk bei seinem Paten (vgl. Vasari, S. 230, a.a.O.), ging dann bei dem angesehenen florentiner Maler und Karmelitermönch Filippo Lippi in die Lehre. Dieser unterrichtete Botticelli „… mit aller Sorgfalt .. und brachte (ihn) bald dahin, daß er eine Stufe in der Kunst erreichte, die ihm niemand zugetraut hatte“ (Vasari, S. 231, a.a.O.).
Belegt ist, dass er in seinem Heimatbezirk Ognissanti der Lukas-Gilde beitrat und 25jährig seine eigene gut organisierte und produktive Malerei-Werkstatt („Bottega“) gründete, in der u.a. auch Filippino Lippi (der Sohn seines Lehrers) jahrelang tätig war, allerdings einen eigenen Stil entwickelte.
Mehrere hundert Bilder Botticellis und seiner Werkstatt sind erhalten geblieben.
Botticelli war Florentiner, seine hauptsächlichen Auftraggeber (so die Medici) waren Florentiner, er verließ die Stadt nur sehr selten.
1474 arbeitete er in Pisa: Seine Fresken im Camposanto des Doms sind aber nicht erhalten.
In der Florentiner Kirche Ognissanti malte Botticelli 1480 an der rechten Wand des Langhauses ein Fresko des „Hl. Augustinus in Meditation“, das ihm viel Lob und Bewunderung einbrachte.
Belegt ist 1481/82 ein Aufenthalt in Rom, wo er im Auftrage Papst Sixtus IV. Fresken in der Sixtinischen Kapelle [2] verfertigte. „Als … Papst Sixtus die Kapelle in seinem Palast zu Rom erbaut hatte und sie mit Malereien verziert sehen wollte, ernannte er Sandro zum obersten Aufseher über jenes Werk … Durch dieses Bild erlangte Sandro einen großen Namen und Ruf vor vielen Florentinern und anderen Meistern, die mit ihm dabei konkurrierten…“ (Vasari, S. 235, a.a.O.). Für den Bau und die Ausstattung der Kapelle zwischen 1473 und 1483 wurden
außerdem herangezogen, u.a. Ghirlandaio, Perugino, Signorelli, Pinturicchio, Piero di Cosimo, - später erst Raffael und Michelangelo.
Die ursprünglichen Fresken der Sixtinischen Kapelle waren chaarakerisiert durch einen „…allgemeinen teppichartigen dekorativen Aufbau“, der ornamental, wenig räumlich und perspektivisch gestaltet war. Die sowjetische Kunsthistorikerin Irina J. Danilowa nannte diesen Gestaltungstypus, der in der 2. Hälfte des 15. Jhdts. sehr weit verbreitet war, das „Teppichprinzip des Wandmalerei“ (Danilowa, S. 269, a.a.O.).
Botticelli erstellte an der Nordwand der Kapelle „Die Versuchung Christi“ und an der Südwand die Begebenheiten aus dem Leben von Moses, u.a. die Ereignisse um Zippora/Sephora (vgl. Abb. unten, und Marcel Proust, s.u.) und die Bestrafung Korahs (4. Mos 16).
Botticelli zeigt Sephora mit einer Schwester am Brunnen, wo ihnen Mose gegen feindliche Hirten bei der Tränkung der Herde hilft. Zippora (Sephora in der griechischen Übersetzung; hebr. צִפֹּרָה) ist eine biblische Gestalt, eine Tochter des midianitischen Priesters Jitro (oder Jethro). Sie wurde nach der Flucht des Mose aus Ägypten auf der Sinai-Halbinsel seine Ehefrau und gebar ihm zwei Söhne, Gerschom und den jüngeren Eliéser („mein Gott ist Hilfe“).
Nachdem Mose von einer Erscheinung Gottes auf dem Wege zur Herberge nieder gerungen worden war, rettete Zippora sein Leben: Mit einem Stein beschnitt sie ihren bis dahin unbeschnittenen Sohn Gerschom und berührte dann Mose mit der noch blutigen Vorhaut (2. Mos
4,24–25 ) und rettete ihm damit wohl das Leben.
Die Fresken entsprechen auch der Kunsttheorie Leon Battista Albertis (s.u.), nach der Gemälde eine Geschichte
erzählen sollten.
Durch alle Fresken Botticellis zog sich – führte Danilowa aus – ein „… etwas verhaltener Rhythmus der Bewegungen und Gesten…, daß die Gestalten zusammentreten und sich zu Gruppen zusammenschließen und dann von neuem auseinander gehen, gerade wie in einem Tanz, in jenem besonderen, pulsierenden, ornamentalen Rhythmus …“ (Danilowa, S. 271, a.a.O.).
Botticelli stand in Rom „auf der Höhe seines Ruhmes“, wahrscheinlich hatte er zuvor schon die „Primavera“ gemalt (vgl. Danilowa, S. 271, a.a.O.).
Nach dem Tode seines Vaters kehrte Botticelli 1482 nach Florenz zurück. Weitere Werke in der Sixtinischen Kapelle führte er deshalb nicht mehr aus.
Der Papst belohnte Botticelli „… durch eine bedeutende Summe Geldes, die Sandro ganz und gar während des Aufenthaltes in Rom verbrauchte, wo er seiner Gewohnheit gemäß nach Laune lebte“ (Vasari, S. 235, a.a.O.).
Botticellis Gemälde (und die seiner Werkstatt) sind durch eine Reihe von Eigenheiten charakterisiert: Wie schon bei seinem Lehrer Fra Filippo Lippi herrschte auch bei Botticelli ein Primat der Linie (vgl. Eissenhauer, S. 25, a.a.O.). Viele seiner Bilder sind deutlich konturiert, oft scheinen in seiner Werkstatt Schablonen eingesetzt worden zu sein. Insbesondere seine blonden, blauäugigen, anmutig-ätherischen Frauenfiguren sind häufig gekennzeichnet durch eine Melancholie, durch Blässe und eine hohe, abgerundete Stirn. Dies entsprach dem damaligen Schönheitsideal und findet sich auch bei anderen Malern der Frührenaissance (z.B. bei Piero della Francesca). Belegt ist, dass insbesondere Florentiner Patrizierinnen versuchten, durch Ausrasieren der Stirn, diesem Ideal näher zu kommen.
Simonetta Cattaneo Vespucci (* 1453, vermutlich Genua; † 26. April 1476 in Florenz) galt zu ihrer Zeit als die schönste Frau von Florenz und entsprach wohl diesem Ideal oder prägte es (vgl. Abb. oben). Sie war mit einem Vetter von Amerigo Vespucci (unglücklich) verheiratet. Vielfach wurde angenommen, sie sei die Geliebte von Giuliano Medici gewesen. Jedoch hätte eine solche Verbindung zwischen einem führenden Medici und einer verheirateten Frau einen Skandal in Florenz auslösen müssen. Aber ein solcher ist aus den Quellen nicht bekannt. Simonetta inspirierte mehrere Künstler. Sie starb 23jährig an der Tuberkulose
Viele Bilder Botticellis sind Rundbilder („tondi“, vom ital. rotondo≙rund), oft meisterhaft gestaltet. Die Mehrheit der Bilder von Botticelli bzw. seiner Werkstatt sind religiöse Darstellungen, v.a. viele Marienbilder. Aber auch seine autonomen Porträts waren für seine Zeit innovativ.
Am berühmtesten aber sind heute die großformatigen mythologischen Tafelbilder, als deren eigentlicher Erfinder Botticelli heute gilt (vgl. Frank Zöllner, S. 6, a.a.O.). Zu nennen sind hier v.a. die „Primavera“ (um 1482) und seine „La nascita di Venere“ (Geburt der Venus, zwischen 1484 und 1486).
Mit den mythologischen Episoden konnte Botticelli den menschlichen Körper weitgehend unverhüllt, nackt darstellen, ohne sich moralischen Vorwürfen ausgesetzt zu sehen. In dem historischen Kontext des Quattrocento erscheinen die mythologischen Bilder uneindeutig. Natürlich könnte ein Bild wie Botticellis „Geburt der Venus“ erotisch gemeint sein, die Ankunft der lebensgroßen und nackten Liebesgöttin in ihrem Muschelgefährt an der Küste Zyperns legt eine solche Deutung nahe. Vielleicht aber sollte das Bild aber ein ethisches Prinzip wie die „nackte Wahrheit“, die freie Erkenntnis, die Idee der Fruchtbarkeit oder der platonischen Liebe illustrieren. Da der genaue gesellschaftliche Kontext des Bildes unklar ist, bleibt - Frank Zöllner betonte - jede Deutung unzulänglich.
Charakteristisch für diese Bilder, die er wohl im Auftrag der Medici herstellte, war „… die virtuose Umsetzung komplexer Bildkonzepte, die auf präzisen Textvorgaben beruhten“. Für die Gestaltung der literarisch inspirierten Gemälde war – wie der Botticelli-Biograph Frank Zöllner betonte – eine „… sehr enge Zusammenarbeit mit einem ausgewiesenen Humanisten anzunehmen“, denn die mythologischen Gemälde waren „… ohne profunde literarische Kenntnisse weder entstanden noch verständlich“ (Frank Zöllner, S. 6/7/8, a.a.O.).
Anregungen für die mythologischen Bilder erhielt Botticelli durch die informelle Platonische Akademie, z.B. aus den Gedichten des zeitgenössischen Florentiner Dichters und Humanisten Angelo Poliziano (1454 – 1494), dem Hauslehrer der Medici, der mit Botticelli wohl befreundet war [3] .
Eine Studie des Würzburger Kunsthistoriker Damian Dombrowski (* 1966) betonte, dass der im Florenz des späten Quattrocento dominierende Neuplatonismus, Bildkonzeption und Stil Botticellis offenbar deutlich beeinflusst habe (vgl. Dombrowski, S. 11, a.a.O.).
Für des Humanisten, Philosophen und Arzt Marsilio Ficinos (1433-1499) pia philosophia, fromme Philosophie, z.B. war das religiöse Empfinden der zentrale Unterschied zwischen Mensch und Tier. Wissensbegierde, Streben nach Erkenntnis und Wahrheit seien eine Folge des anthropologisch fixierten religiösen Triebes. Fundament allen menschlichen Erkennens sei – nach Ficino - das göttliche Licht, lumen divinum, das göttliche Kraft verbildliche. Es zeige sich sowohl in der christlichen Offenbarung als auch in der („heidnischen“) platonischen Philosophie.
Aus Ficinos Lichtmetaphysik resultierte sein Schönheitsideal. Göttliche Schönheit im Bereich der realen Wahrnehmung zeige sich am klarsten als Harmonie (concinnitas) von Einzelteilen eines Ganzen, so als Wohlproportioniertheit einer menschlichen Gestalt. Da das Gute sich in der Schönheit zeige, könne man nur über das Schöne Zugang zur Erkenntnis des Guten erlangen. Dombrowski wies so darauf hin, dass Botticelli den nicht darstellbaren transzendenten Lichtquell zunehmend außerhalb seiner Tafeln platziere.
Viele Humanisten der Zeit vertraten die (neuplatonische [3a]) Auffassung, dass die irdische Schönheit ein Ab glanz himmlischer Schönheit sei [3b] (vgl. Eissenhauer, S. 31, a.a.O.).
Über die Haare abzubildender Personen schrieb Alberti: „… mögen sie sich winden, als ob sie sich zu einem Knoten verschlingen wollten, und mögen sie in der Luft flattern wie eine Flamme; soll ein Teil von ihnen sich untereinander winden wie Schlangen, und ein anderer Teil sich nach dieser oder jener Seite heben. Genauso wie Zweige sollen sie sich mal nach oben und mal nach unten, mal nach außen und mal nach innen krümmen, oder mögen sie sich wie Stricke zusammendrehen. In der gleichen Weise muß man die Falten malen, so daß die Falten wie Zweige aus einem Baumstamm wachsen …“ (Alberti, zit. n. Danilowa, S. 272, a.a.O.). Botticelli scheint diese Ratschläge v.a. in seinen mythologischen Bildern beherzigt zu haben.
Botticellis „Geburt der Venus“ (eigentlich „Ankunft der Venus“ an der Küste Zyperns, heute in den Uffizien) gilt als das erste europäische Gemälde mit einem mythologischen Sujet und einer völlig nackten Protagonistin.
Vielfach gelten Botticellis Figuren als „… Inbegriff des Renaissancekonzepts der leggiadria (≙ ital. „Anmut, Lieblichkeit, C.M.), wie es später Filippo Baldinucci [5] charakterisierte: „Eine bestimmte Art der Körperhaltung, die so leicht und wendig ist, dass die Figur sich zu bewegen scheint, ohne aber Gewicht zu besitzen, und sich mit der größtmöglichen Leichtigkeit hält. Sie ist der Jugend und insbesondere den Nymphen eigen“ (Baldinucci, zit. n. Eissenhart, S. 10, a.a.O.).
Romain Rolland charakterisierte das Florenz „… der Lorenzo die Medici und des Botticelli“ als „… geistreich und geniesserisch“, voller „… süsser Lieblichkeit des Lebens und Träumens und jenes Geistes der Bertrachtung“, der „vornehmen und weltfrohen Poesie und der geschmeidigen und schlauen Seele des Quattrocento“ (vgl. Rolland, S. 13/14, a.a.O.). Im Gegensatz zur Ausgeglichenheit Ghirlandaios sah Rolland die Kunst Botticellis schlicht als „neurotisch“ an (Rolland, S. 17, a.a.O.).
Die Gunst der Medici und ihres Umfeldes war die Grundlage von Botticellis künstlerischem Erfolg (vgl. Eissenhauer, S. 25, a.a.O.). Lorenzo il Magnifico – einer von Botticellis Förderern – starb 1492.
Nach dem Tode Lorenzo il Magnificos verfiel, zerfiel die Akademie rasch, auch verstarben einige ihrer Mitglieder bald.
Ungefähr in der Zeit von 1480 bis 1500 illustrierte Botticelli Dantes „Göttliche Komödie“. In der Berliner Ausstellung „Die Botticelli-Renaissance“ 2016 waren einige seiner Federzeichnungen auf Pergament zu sehen. Nur vier der noch 93 erhaltenen Grafiken, die sich heute in den Sammlungen des Berliner Kupferstichkabinetts (88) und der Vatikanischen Bibliothek (7) befinden, sind koloriert worden. Acht weitere Illustrationen sind verschollen.
Ursprünglich wollte Botticelli wohl alle Zeichnungen farbig gestalten. Noch immer gibt der mutmaßliche Verwendungszweck von Text und Bild der Forschung Rätsel auf. Man nimmt heute an, dass die ganzseitigen an der Längsseite gebundenen Illustrationen eine neuartigen Zuordnung von Bild und Text ermöglichen sollten: Man blätterte die Seiten von unten nach oben. Während man das Bild oben betrachtete, konnte man gleichzeitig auch den zugehörigen Dante-Text lesen.
In der Sicht Vasaris habe Botticelli seine Zeit mit dem Studium Dantes vergeudet und sein Leben so in Unordnung gebracht (vgl. Vasari, S. 235, a.a.O.).
Giorgio Vasari lobte die „Schönheit“, die Botticelli seinen Figuren verlieh, „… die die Meisterschaft des Künstlers“ erkennen ließ. Sein Werk [6] „… ist bewundernswert in der Farbgebung, in Zeichnung und Komposition so schön, daß es heute noch jeden Künstler in Staunen versetzt und seinen Verfertiger damals in Florenz wie an anderen Orten einen großen Namen machte“ (Vasari, S. 234/35, a.a.O.).
Viele Humanisten der Zeit vertraten die (neuplatonische) Auffassung, dass die irdische Schönheit ein Abglanz himmlischer Schönheit sei (vgl. Eissenhauer, S. 31, a.a.O.).
Im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, als seine ehemaligen Gönner, die Medici, aus Florenz verbannt worden waren, konnte der Dominikanermönch Girolamo Savonarola eine Art theokratischen Staat errichten. Botticellis Bruder Simone gehörte zu den Anhängern Savonarolas, obwohl er als Bankier zu Wohlstand gekommen war. Girolamo Savonarola (vgl. Karneval) predigte seit 1489 in Florenz und wurde durch seine eschatologischen Bußpredigten immer einflussreicher. Er forderte demütige Unterwerfung unter die traditionellen christlichen Regeln, Abkehr vom „eitlen“ Luxus und lehrte, dass die Schönheit religiöser Bilder von ihrem wesentlichen religiösen Gehalt ablenkten (vgl. Eissenhauer, S. 32, a.a.O.). Das konnte als direkter Angriff auf Bilder Botticellis verstanden werden.
Sandro Botticelli erlebte diese Zeit als eine tiefe persönliche Krise, verbunden mit einem auffallenden künstlerischen Stilwandel seit den Bußpredigten des Dominikanermönchs. Es wich die lichte Farbigkeit seiner Gemälde dunkleren Tönen, Botticelli wählte fast nur noch religiöse Thematiken. Die früheren leichten mythologischen Szenen verschwanden ganz aus seinem Oeuvre.
Seine nach dieser Zeit entstandenen Werke, wie die »Pietà« vom Beginn der neunziger Jahre (Museo Poldi Pezzoli, Mailand), die wohl etwa aus derselben Zeit stammende »Geburt Christi« (National Gallery, London) oder die »Heilige Maria Magdalena« (um 1496, Fogg Art Museum, Cambridge, Massachusetts), spiegeln eine tiefe Frömmigkeit und religiöse Ergriffenheit wieder.
Vielleicht unter dem Einfluss von Savonarola kehrte Botticelli zu früheren Stilformen zurück, zu grelleren Farben und weniger proportionierten Gestalten, er kam zu einem „archaischen“ Spätstil (vgl. Eissenhauer, S. 248, a.a.O.). Möglich aber wäre dieser Entwicklung auch als eine Folge des Geschmackswandels und einer Veränderung der Auftragslage (vgl. in Eissenhauer, S. 33, a.a.O.).
Dass er selbst dem von Savonarola initiierten „Fegefeuer der Eitelkeiten“, bei dem 1497 und 1498 reumütige Teile der Florentiner Bevölkerung „Luxusgegenstände“ wie allzu üppigen Schmuck, Musikinstrumente, Spielkarten, wertvolle Bücher und auch Gemälde den Flammen übergaben, eigene Werke opferte, wird allerdings bezweifelt.
Tanja Kinkel kolportierte allerdings in ihrem historischen Roman „Die Puppenspieler“ dieses Verhalten von Botticelli: Sie schrieb: Der „… Maler Botticelli, früher einer von Lorenzo di’Medicis engsten Freunden, … (warf) unter den Jubelschreien der Menge Zeichnung um Zeichnung auf die Pyramide…, gefolgt von anderen weniger bekannten Florentiner Malern“ (Kinkel, S. 666, a.a.O.). Savonarola wurde am 23. Mai 1498 in Florenz als Ketzer verbrannt.
Vieles spricht dafür, dass die Wandlung Botticellis nicht freiwillig geschah. Zwei Jahre nach dem Tode Savonarolas schrieb er, seine Bilder seien „… während der dreieinhalbjährigen Herabsendung Satans auf Erden“ entstanden. „Das Atelier Botticellis galt offensichtlich – zumindest über einen gewissen Zeitraum – als ein Ort des Müßiggangs und als Treffpunkt der politischen Opposition gegen Savonarola, die sich nicht auf dessen asketische Ideale hatte einschwören lassen" (vgl. Rehm, a.a.O.).
Romain Rolland urteilte, dass „… der alternde und verquälte Botticelli (1498, C.M.) den heidnischen Stolz der Renaissance“ aufgab – im Gegensatz zu z.B. Michelangelo (vgl. Rolland, S. 27, a.a.O.).
Botticelli soll - nach Vasari - jahrelang viel Geld verdient haben, es aber auch rasch (und leichtsinnig) wieder ausgegeben haben.
Darüber hinaus habe er – als Anhänger von Savonarolas „Sekte“ dann „… das Malen ganz vernachlässigt, und, weil er dadurch alles Einkommen verlor, sich in größte Verlegenheit stürzte“ (Vasari, S. 236, a.a.O.).
Botticelli gehörte 1504 – zusammen mit Filippino Lippi, Leonardo da Vinci und Perugino – zu der Flotentiner Kommission, die bereit, wo Michelangelos „David“ aufgestellt werden sollte. In Übereinstimmung mit dem Wunsch des Bildhauers entschied die Kommission sich für den Eingang zum Palast der Signoria (vgl. Rolland, S. 31/32, a.a.O.). Heute befindet sich das Original der Skulptur in der Akademie der Schönen Künste zu Florenz.
Botticelli soll etwa fünfundsechzigjährig 1510 kinderlos. vereinsamt, krank, arm und elend gestorben sein, ein gebrochener Mann, der nicht mehr zu seiner gestalterischen Größe zurückfand (vgl. Zöllner, a.a.O.).
Am 17. Mai 1510 wurde Botticelli - Alessandro Filipepi, der Sohn von Mariano Filipepi – auf dem kleinen Friedhof Ortaccio, unmittelbar neben die Kirche Ognissanti, begraben. Man weiß weder woran er starb, noch wer den Trauerzug begleitete oder wie viele kamen, um Abschied zu nehmen von dem, der zuvor als einer der größten florentiner Maler gegolten hatte. Sandro di Botticello, Maler, begraben am 17. in Ognissanti, so lautete der kappe Eintrag im Totenbuch seiner Zunft. (Rehm, S. 7, a.a.O.). Botticelli wurde später in der Gruft seines Vaters unter der Kirche Ognissanti in Florenz beigesetzt. Die Gruft stand oft unter Wasser und seine Grabstelle wurde nur wiederentdeckt, da sie durch eine Inschrift identifiziert werden konnte.
Der Friedhof von Ortaccio wurde im 19. Jhdt. aufgegeben.
Trotz seines großen Ansehens wurde er nach seinem Tod rasch, ca. 300 Jahre lang vergessen, was vielleicht z.T. an der Beschreibung durch Vasari [7] lag.
Vasaris Beschreibung hat sich als hochgradig manipulativ erwiesen. Dass Botticelli bis heute in der kunsthistorischen Forschung eine Art Einzelgängerposition einnimmt, obwohl er über vierzig Jahre lang mit großem Erfolg eine der bedeutendsten Werkstätten Italiens geleitet und ein breites Netz gesellschaftlicher Kontakte gepflegt hat, ist sicher eine Konsequenz aus Vasaris fälschlicher Behauptung, Botticelli habe sich im Alter zu einem unproduktiven Sonderling entwickelt (vgl. Rehm, S. 272, a.a.O.).
Botticellis „Geburt der Venus“ wurde erst 1815, mit der Eröffnung der Uffizien der Öffentlichkeit zugänglich.
Ingres war einer der ersten, die das Werk sahen und in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung erkannten.
Botticellis Wiederentdeckung wurde v.a. durch die Präraffaeliten bewirkt, die sich programmatisch und namentlich vornehmlich auf die Malerei der Frührenaissance, vor Raffael, bezogen. Botticelli kann als ihr künstlerisches Vorbild angesehen werden.
Mit der Wiederentdeckung der Kunst Botticellis gab es vermehrt kunstgeschichtliche Bezüge auf sein Werk
Im Jahre 1887 wurde Claude Debussy (1862–1918) als Stipendiat in Rom durch eine Reproduktion der „Primavera“ zur Komposition der zweisätzigen Orchestersuite „Printemps“ inspiriert.
In Marcel Prousts (1871 – 1922) „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ sind Anspielungen auf Botticelli in den Bänden „In Swanns Welt“ (De côté de chez Swann) von Bedeutung. „Eine Liebe von Swann“ beschreibt minutiös die Entwicklung der Liebe Swanns zu der „Kokotte“ Odette de Crécy. Swann fand sie jedoch erst attraktiv, als er „… auf einmal erkannte …, daß sie auf frappante Weise der Gestalt Sephoras, der Tochter Jethros auf einer der Fresken in der Sixtinischen Kapelle glich …. An Stelle einer Photographie von Odette stellte er auf seinen Arbeitstisch eine Reproduktion der Tochter Jethros auf. … Aus der unbestimmten Sympathie, die uns vor ein Meisterwerk führt, das wir betrachten können, wurde nun, da er das fleischgewordene Original der Tochter Jethros kannte, ein Besitzverlangen, wie es Odette in ihrer nur körperlichen Erscheinung ihm zunächst nicht hatte einflößen können. Wenn er den Botticelli lange genug betrachtet hatte, dachte er an ‚seinen‘ Botticelli, des er noch schöner fand; er zog die Photographie der Sephora näher zu sich heran und glaubte, Odette ans Herz zu drücken“ (Proust, Bd.1/2, S. 297-300, a.a.O.).
Erst als Swann Odettes Ähnlichkeit mit „… der Sephora jenes Sandro di Mariano…, den man mit Vorliebe seinen volkstümlichen Namen Botticelli" gibt auffällt, beginnt er, sie attraktiv zu finden (Proust, S. 298, a.a.O.).
Swann bemerkt „… ein meisterhaft geführtes, schönes Linienwerk, dem seine Blicke folgten, indem sie seine verwickelten Kurven von der Neigung des Nackens bis zum Ansatz des fließenden Haares und der Wölbung der Augenlider… Die Bezeichnung ‚florentinisches Meisterwerk‘ erwies Swann einen überaus großen Dienst. Sie erlaubte ihm Odettes Bild in eine Welt der Träume hineinzunehmen, zu der es bislang keinen Zugang gehabt hatte und in der es eine Veredelung erführ… (Odette wurde) … zur Krönung der anbetenden Bewunderung für ein Meisterwerk …, für ihn etwas Übernatürliches und Köstliches“ (Proust, S. 298/299, a.a.O.).
Ottorini Respighi (1879-1936) soll durch einen Besuch in den Uffizien 1927 zur Komposition seiner Symphonischen Dichtung „Trittico botticelliano“ (Botticellianisches Triptychon, P 151 [8]) inspiriert worden sein.
Die drei Sätze beziehen sich auf "La Primavera", "L'adorazione dei Magi" und "La nascita de Venere".
Im 1. Satz „La Primavera“ findet sich eine deutliche Anspielung auf Vivaldis „Frühling“ aus den „Vier Jahrsezeiten“. Die Uraufführung erfolgte in Wien 1927 unter Leitung des Komponisten.
„Die Geburt der Venus“ und die „Primavera“ sind unterdessen weltbekannt, wurden zu regelrechten Pop-Ikonen (so durch Andy Warhol) - das eigentliche Thema der Berliner Botticelli-Ausstellung. Botticelli erlangte unterdessen eine besondere Prominenz. Er „… zählt zu den wenigen Künstlern, deren Werke von einem sehr breiten und zunehmend globalen Publikum auf Anhieb wiedererkannt und die in jedem erdenklichen Medium von Haute Couture bis Street Art reproduziert werden“ (in Eissenhart, S. 10, a.a.O.).
[2] Die unmittelbar nördlich des Petersdoms befindliche Sixtinische Kapelle (ital. Cappella Sistina) ist eine der Kapellen des Vatikanspalastes, der Ort, an dem traditionell Wahl eines Papstes (das Konklave) stattfindet. Ihr Name rührt her von Papst Sixtus IV., in dessen Pontifikat sie von 1475 bis 1483 erbaut wurde. Die Kapelle wurde am 15. August 1483 eingeweiht.
[3] Poliziano widmete der Simonetta Vespucci 1475 folgendes Gedicht:
„DIE NYMPHE, DER MEIN HERZ ENTGEGENEILTE,
erschien mir dort in reinstem Liebesglanze,
so wunderhold beim Tanze,
mir war's als wenn ich schon im Paradiese weilte.
Gedenk ich ihrer, steh ich schon in Flammen,
wie sprech ich von dem Wunder ohnegleichen?
Könnt eine sie erreichen,
sie könnte nicht mit höh'rem Kranz sich kränzen.
Um das beseelte Antlitz hingen lose
die goldnen Haare, die der Stirn entsteigen,
i indes im holden Reigen
sie Himmelsschritte leicht im Takt bewegte,
und ob sie wenig nur die Augen regte,
doch traf ein Strahl mich dann und wann verstohlen,
doch neidisch hat verhohlen
des Haares Schleier schnell, was mich entzückte.
Die Nymphe sah's, die erdenwärts Entrückte,
und neigte sich erbarmend meinem Sehnen,
denn den verirrten Strähnen
wies sie mit weißer Hand die rechte Stelle.
Und tausend Liebesgeister, feuerhelle,
ließ sie dem süßen Augenpaar entströmen.
Mich muß es wundernehmen,
daß ich nicht augenblicks zu Asche brannte.“
(vgl. http://www.toskanafraktion.de/pol.html)
[3a] Der Neuplatonismus ist eine philosophische Richtung der griechischen Spätantike (3. bis 6.. Jhdt.) mit dem Ziel der Wiederaufnahme der Philosophie Platons in Verbindung mit aristotelischen und stoischen Motiven. Er beginnt mit Ammonios Sakkas (ca. 175 bis 242) und hat seinen Höhepunkt im umfassenden Stufensystem der Welt Plotins. Sein Einfluss auf die christliche Mystik und die Scholastik war groß.
[3b] Auch Savonarola soll Plato bewundert haben, aber er wies der Kunst die Aufgabe religiöser Erbauung zu. Er sah – in seinen Predigten über Amos uind Zacharias am Karfreitag, 1. April 1496 – das Ideal des Schönen „… im Antlitz eines frommen, betenden Menschen, das verklärt werde von einem Strahl der göttlichen Schönheit“ (Savonarola, zit. n. Rolland, S. 28, a.a.O.). Insgesamt war er kein Ikonoklast der Renaissance.
[4] Der Entwurf der 1470 vollendeten Fassade von Santa Maria Novella in Florenz stammt von Alberti.
[5] Der Maler und Kunsttheoretiker Filippo Baldinucci (1625 – 1696) veröffentlichte 1681 die Schrift: „Vocabolario toscano dell’arte disegno“.
[6] Vasari bezog sich dabei ausdrücklich auf Botticellis um 1475 entstandene „Anbetung der Könige“ (vgl. Abb, oben), einst an der Eingangswand der Florentiner Kirche Santa Maria Novella, heute in den Uffizien. Das Werk war ein Auftrag des „Wucherers“ Guaspero di Zanobi del Lana. Als Könige wurden in dem Gemälde verschiedene bereits verstorbene Mitglieder der Medici-Familie porträtiert. Im Gefolge wurden auch weitere Medicis und Angehörige der Stifterfamilie dargestellt (vgl. Frank Zöllner, S. 27/28, a.a.O.). Die Figur im braunen Mantel ganz rechts, aus dem Bilde schauend, soll Botticelli selbst sein.
[8] „P“, die Bezeichnung des Werkverzeichnisses der Kompositionen von Respighi , rührt her von dem italienischen Musikwissenschaftler Potito Pedarra (*1945), der es erstellte.
(unveränderlich nach dem Gregorianischen Kalender)
© Christian Meyer
Abb. oben: Botticellis Venus mit durchscheinendem Mundschutz; Wird die Benutzung der Schutzmaske normal? Detail des Titelbildes des rumänischen Transformationskünstlers Dan Cretu für die „Zeit“ vom 16. April 2020, Nr. 17/20, S. 1. Nur ganz klein am Rande – um den Schöpfer anzugeben – wurde vermerkt, das Original entstamme Botticellis „Geburt der Venus“, - das war aber eigentlich überflüssig: Denn die „Geburt der Venus“ führt heute „… ein Eigenleben als replizierbares Bild. … gleichsam in Endlosschleife als Metapher für Jugend und Schönheit, Chic und Exklusivität oder Kunst als solche…“ (Eissenhauer, S. 8, a.a.O.).
Abb. unten: Cicero-Titel - Venus mit der Burka, Februar 2015; eine in eine Burka gekleidete Frau reicht der nackten Venus das Gewand. Das Bild bezog sich auf einen Artikel über Samuel Huntingtons Kampf der Kulturen und den Dschihad.
Abbn. oben & unten: Sandro Botticelli: "Sephora" und Szenen aus den Leben Moses, u.a. Tränken der Herde am Moses-Brunnen; Ausschnitte aus einem Fresko Botticellis an der Südwand der Sixtinischen Kapelle in Rom: (Abb. aus https://de.wikipedia.org/wiki/Zippora)
Abb. oben: Botticelli (Abb. aus Vasari, S. 232 a, a.a.O.).
Abb. oben: Grab von Sandro Botticelli in Ognissanti. In der zweiten Kapelle des rechten Querschiffs zeigt eine runde Steinplatte das Wappen der Familie: Ein aufsteigender Löwe mit einem Zirkel. Die Fußbodenplatte mit dem Wappenbild ist das einstige Grab der Filipepi: SEPULCRUM MARIANI FILIPEPI & FILIORUM 1510 – Grab des Mariano Filipepi und seiner Söhne, 1510 : Mariano, war Sohn des Bruders Antonio, der Botticellis Malerwerkstatt übernahm – der Name Sandro Botticellis fehlte einst. Der im Kirchenboden eingelegte heutige Grabstein von Sandro Botticelli nennt seinem wahren Namen: Alessandro di Mariano di Vanni Filipepi. In einer Schachtel bei dem gegenwärtigen Grab in der Kirche liegen „Liebesbriefe“ an Botticelli, ein Zeichen heutiger ungebrochener Verehrung. Nur wenige Besucher wissen, dass in diesem Gotteshaus sowohl Simonetta Vespucci, Botticellis mehrfaches Modell, als auch Amerigo Vespucci – der Namensgeber Amerikas - begraben liegen (sein Grab ist rechts vom Altar; Photo: Alexander Schulz, Februar 2016)