„Abreise von San Geminiano“; Relief an dem Dom zu Modena (Abb. aus Cavani, S. 63)
San Geminiano reist mit dem Schiff über das Meer (Abb. aus Cavani, S. 63, a.a.O.).
Die Austreibung des Dämons (Abb. aus Cavani, S. 63, a.a.O.)
Die Übergabe der Geschenke (Abb. aus Cavani, S. 63, a.a.O.)
31. Januar
Gedenktag des Hl. Geminianus[1] von Modena (ital. San Geminiano und San Gimignano; franz. Géminien)
Der Hl. Geminianus (* 4. Jhdt. † 31. Januar ca. 397), war der Überlieferung nach der 2. Bischof von Mutina (dem heutigen Modena).
Die einzige historisch zuverlässige Nachricht über Geminianus’ Leben bezieht sich auf eine norditalienische Synode, die der Hl. Ambrosius von Mailand im Jahr 390 nach Mailand einberief, um Jovinian (+ um 405) als Häretiker verurteilen zu lassen. Jovinian leugnete die lebenslange Jungfräulichkeit Mariä und ging von einer grundsätzliche Gleichrangigkeit von Keuschheit und Ehe, von Fasten und dankbarem Genuss, freiwilliger Armut und verantwortlich genutztem Wohlstand aus (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jovinianus). Hieronymus sah in Jovinian einen „christlichen Epikur“. An der Mailänder Synode nahm der Bischof Geminianus von Modena entweder persönlich oder durch einen Abgesandten vertreten teil. Jovinians Lehren wurden von der Synode als häretisch verurteilt. Wie Ambrosius soll auch Geminianus ein entschiedener Gegner der Arianer gewesen sein.
Hochverehrt soll Geminianus nach ca. 40jähriger Amtszeit als Bischof der Stadt am 31. Januar vermutlich des Jahres 397 gestorben sein. Beerdigt wurde er in einer Nekropole vor der Stadt, nahe der heutigen Via Emilia.
Schon sein Nachfolger im Amt, Bischof Theodor ließ über dem Grab Geminianus‘ eine Kirche errichten (vgl. Cavani, S. 7, a.a.O.), den Vorgängerbau des heutigen Doms von Modena. Schon bald entstanden in der Stadt und der Umgebung Legenden um das Leben des als Heiligen verehrten und seine angeblichen Wundertaten.
Im Jahre 1106 wurden die Gebeine des Hl. Geminianus in den neu errichteten Dom von Modena überführt. Die feierliche Umbettung der Reliquien wurde in einem illustrierten Codex aus dem 12. Jhdt. beschrieben. An den Feierlichkeiten nahm auch die berühmte Markgräfin Mathilde von Canossa (ca. 1046 - 1115) teil, die zu dieser Zeit über Modena herrschte. Eine der Abbildungen im Codex zeigt sie bei der Niederlegung eines kostbaren, mit kleinen Kreuzen dekorierten Gewebes in dem Sarkophag des Hl. Geminianus.
Der Sarkophag des Heiligen befindet sich bis heute in der Krypta des Domes zu Modena. Der Körper des Heiligen liegt so, dass er in Richtung auf die aufgehende Sonne blicken könnte: die aufgehende Sonne wurde mit der „Auferstehung des Fleisches“ assoziiert (vgl. Cavani, S. 36, a.a.O.).
Im Jahre 2006 wurde in Modena das neunhundertjährige Jubiläum der Überführung der Gebeine des Heiligen in den Dom von Modena [2] – die „Casa di San Geminiano“ - feierlich begangen.
An der Porta dei Principe (erbaut zwischen 1106 und 1110) an der Südseite des Domes befinden sich auf einem waagerechten Architrav sechs Reliefs, die (legendäre) Episoden des Lebens von San Geminiano darstellen.
Die Szenen schildern eine legendäre Reise San Geminianos nach Konstantinopel, wo er auf Einladung des Kaisers Jovinianus dessen Tochter von einem bösen Dämon befreien sollte. Zwei Reliefs zeigen die Reise nach Konstantinopel, zwei weitere die Austreibung des Dämons, eine weitere die Rückkehr nach Modena und die letzte schließlich die Beerdigung Geminianos. Den Bildern wurden jeweils kurze erklärende lateinische Texte zugeordnet (vgl. Cavani, S. 63, a.a.O.).
1. ) „Abreise von San Geminiano“; Relief an dem Dom zu Modena (Abb. aus Cavani, S. 63)
Der Heilige ist zu Pferde auf dem Wege zum Hafen, mit der Rechten schlägt er ein Kreuz. Ihm folgt ein Kleriker, ein Diakon (?), der den Hirtenstab des Bischofs und das Einladungsschreiben von Kaiser Jovinian trägt. Der lateinische Text über dem Bild lautet:
„SCANDIT EQUU(M) LET(US) DU(M) TENDIT (AD) EQUORA PRESUL“ [3]≙ ca. „Der Bischof reitet froh zu Pferde auf dem Weg zum Meer”
2.) San Geminiano reist mit dem Schiff über das Meer (Abb. aus Cavani, S. 63, a.a.O.).
Der Heilige ist in Begleitung des Klerikers und eines Seemanns, der das Ruder führt. Ein Teufel im Wasser, am Bug des Schiffes versucht einen Sturm zu entfachen, um die Reise San Geminianos zu verhindern, dieser aber beruhigt das Meer durch das Kreuzeszeichen. Der Schiffsrumpf ist leicht gekrümmt, die drei Personen werden von ihm und dem schrägen Segel umgrenzt. Der Mast und die Segelstange bilden ein weiteres Kreuz. Die Wellen der Wassers werden hier durch das Motiv „a nastrino“ (ital. „Bändchen“) dargestellt.
Der lateinische Text über dem Bild lautet:
„PASTOR P(RE)CLARU(S) [4] MARE TRANSIT GEMINANUS“≙ ca. „Der verehrte Seelenhirte Gemianus durchquert das Meer“
3.) Die Austreibung des Dämons (Abb. aus Cavani, S. 63, a.a.O.)
Hier trägt San Geminiano liturgische Gewänder, Stola und Casula. Er exorziert die Kaisertochter: Ein eulenartiger Dämon hat sie verlassen. Hinter dem Heiligen steht der Diakon aus den ersten beiden Reliefs.
Im Zentrum des Reliefs befindet sich die leicht schwebende Kaisertochter; ihre Hände, die des Kaisers Jovinian und des Heiligen bilden zusammen ein kreuzartiges Geflecht. Nur die bekrönte und auf einem Hocker stehende Kaiserin wendet sich direkt dem Betrachter zu.
Der lateinische Text über dem Bild lautet:
„PRINCIPIS HIC NATA(M) DAT PULSO DEMONE SANAM“ ≙ ca. „Hier findet die Kaisertochter ihre Heilung, der Dämon wird vertrieben“.
4.) Die Übergabe der Geschenke (Abb. aus Cavani, S. 63, a.a.O.)
Nach dem gelungenen Exorzismus überreicht das Kaiserpaar dankend Geschenke: Jovianus übergibt dem Heiligen einen goldenen Kelch und eine Patene, eine Hostienschale. Einen kostbaren Evangeliar hat San Geminiano bereits in den Händen.
Die wiederum auf einem Hocker erhöht stehende Kaiserin [5] überreicht ein Pallium [6] . Der Diakon streckt bereits die Hände aus, um die Geschenke von dem Heiligen entgegenzunehmen.
Der lateinische Text über dem Bild lautet:
„DONA CAPIT REGIS CALICE(M) CU(M) CODICE LEGIS“ ≙ ca. „Sie nehmen die königlichen Geschenke an, einen Kelch und einen Gesetzeskodex“.
Bei seiner Reise nach Konstantinopel hätte sich San Geminiano allerdings sehr beeilen müssen. denn Kaiser Flavius Claudius Iovianus, der (christliche, religiös aber recht tolerante) Nachfolger von Kaiser Julian „Apostata“ regierte nur acht Monate lang 363/64 (der „Winterkaiser“), vor seinem überraschenden, unerklärlichen Tod als erst Einunddreißigjähriger schlafend in seinem Bett im Quartier in Bithynien (diese Episode wurde von Gore Vidal in seinem historischen Roman „Julian“ beschrieben, Vidal, 1965, S. 530 f., a.a.O.). Zudem erreichte er als Kaiser die Stadt Konstantinopel nicht lebend, konnte also auch den Heiligen als Kaiser nicht in Konstantinopel empfangen. Bekannt ist, dass der Kaiser kurz vor seinem Tode seinen halbwüchsigen Sohn Varronianus gegen dessen Willen in Ancyra (dem heutigen Ankara) zum Konsul machte. Von einer Tochter des Kaisers ist nicht bekannt. Begraben wurde Jovianus in dem Kaisermausoleum in Konstantinopel, in oder bei der Apostelkirche (am Ort der heutigen Fatih-Moschee).
Das 4. und das 5. Relief sind zwar durch einen schmalen senkrechten Rahmen getrennt, aber der Schwanz des Pferdes und der Arm des Diakons ragen in das Nachbarbild hinein.
5. ) Rückkehr San Geminianos nach Modena
Vor dem Stadttor, angedeutet durch ein kleines Dach, schwenkt ein Geistlicher ein Weihrauchgefäß und empfängt den reitenden San Geminiano. Diesem folgen zwei Personen, der Diakon trägt den Hirtenstab.
Der lateinische Text über dem Bild lautet:
„DU(M) REDIT E C(ON) TRA SIBI CURRIT C(ON)TIO CUNCTA“ ≙ ca. „Bei der Rückkehr kommt ihm hier alles Volk entgegen“
6. ) „Beerdigung von San Geminiano“; Relief an dem Dom zu Modena (Abb. aus Cavani, S.63, a.a.O. )
In diesem Relief wurden mit 8 Personen die meisten Menschen dargestellt. Der verstorbene San Geminiano ist in ein Leichentuch gewickelt. Zwei Geistliche sind dabei, ihn ins Grab, in einen Sarkophag hinabzulassen. Ein weiterer Geistlicher mit einem Weihrauchgefäß segnet den Verstorbenen. Von der Größe her überragt er alle anderen Personen. Es könnte sein – wurde vermutet – dass hier der Hl. Severus, der schon um 345 verstorbene Bischof von Ravenna, dargestellt wurde, der wunderbarerweise an der Beerdigung teilgenommen haben soll.
Man sieht an Stadttor, Mauerkrone und Zinnen [7] , dass der Heilige ursprünglich außerhalb der Stadt, entsprechend der römischen Tradition in einer Nekropole begraben wurde
Der lateinische Text über dem Bild lautet:
„POST REDITU(M) FORTIS P(ER)SOLVIT DEBITA MORTIS“ ≙ ca.„Der Starke zahlt nach der Rückkehr den Tribut an den Tod“.
„San Geminano“, Kopie eines Andachtsbildes, nach einem Gemälde von L. Manzini (1805 – 1866)
Im Inneren des Domes zu Modena befindet sich - im Presbyterium, dem Bereich des Hochaltars - eine Statue aus weißem Marmor des Bildhauers und Donatello-Schülers Agostino da Duccio (1418 – ca. 1481) aus dem Jahre 1442. Sie stellt eines der Wunder des Heiligen dar, die Rettung eines Knaben, der von dem Torre Ghirlandina [8] gefallen war. Der Legende nach berichtete das Kind, dass während des Sturzes abwärts ein alter Mann mit weißem Bart es an den Haaren ergriffen und sanft auf dem Boden abgesetzt habe.
Die Statue zeigt den Heiligen wie er mit der Linken das Kind am Haarschopf ergreift und mit der Rechten eine segnende Geste vollführt.
San Geminiano mit dem geretteten Knaben; Statue in dem Dom von Modena (Photo: Christian Meyer)
Eine weitere Legende schreibt dem Heiligen die Rettung Modenas vor einer Invasion der Hunnen unter König Atilla zu. Sein Gebet habe das Aufkommen eines starken Nebels bewirkt, der die Angreifer zum Abzug zwang.
Eine andere Variante der Legende wurde in einem Reliefzyklus ebenfalls von Agostino da Duccio dargestellt. Die 1442 entstandenen Reliefs aus weißem Marmor sind an der Südwand des Domes von Modena eingemauert
Im Hintergrund sieht man die Verteidigungsmauer der Stadt, hunnische Reiter nähern sich von links, das Stadttor ist weit geöffnet. Vor dem Tor steht der Heilige, mit wehendem Mantel. Voller Gottvertrauen soll San Geminiano zu Attila [9] gesagt haben: Man hat die Tore geöffnet, tritt ein. Aber als die „Barbaren“ eintraten, fanden sie der Legende nach nicht die Stadt, sondern befanden sich in einer weit entfernten, ihnen unbekannten Region – die Stadt war gerettet.
Die Hunnen vor Modena, Relief von Agostino da Duccio (Photo: Christian Meyer)
Ihren Namen erhielt die vieltürmige toskanische Kleinstadt San Gimignano von dem heiligen Bischof von Modena; Geminianus soll den damalige Ort Silva vor den Goten König Totilas geschützt haben: Der Bischof sei wundersamerweise auf den Mauern des Städtchens erschienen und die Goten zogen sich bestürzt zurück. Um den dauernden Schutz des Heiligen zu erlangen, soll die Stadt seinen Namen übernommen haben
Eine Bank in Modena trägt bis heute den Namen Banco di San Geminiano.
Geminianus ist Patron des Domes von Modena und Schutzheiliger der Städte Modena, San Gimignano und Pontremoli (einer kleinen Stadt in der Nähe von Carrara).
(unveränderlich, am überlieferten Todestag des Heiligen, nach dem Gregorianischen Kalender)
[1] Der Name „Geminianus“ kommt vom lat. „gemini“≙ Zwilling, bedeutet also ca. „wie ein Zwilling“. Der Name „Geminianus“ – wurde vermutet - könnte an die Abstammung aus der stadtrömischen Senatorenfamilie der Gemini erinnern.
[2] Dario Fo hielt den Dom von Modena und seine Kunstwerke für ein steinernes Buch, für eine wahre Biblia pauperum (Fo, a.a.O.).
[3] Das lat. „praesul“ bedeutete ursprünglich „Vortänzer“, im kultischen Sinne, z.B. bei den „Salii“ ( ≙ den Tänzern, Priester des Mars, später trat ein Bedeutungswandel ein, „praesul“ bezeichnete nun einen „hohen Geistlichen, Bischof, Papst“, auch Beschützer; lat. „laetus“ ≙ „fröhlich, blühend, üppig“; lat. „aequor“ ≙ „Ebene, Meeresfläche“
[5] Einige Wissenschaftler vermuten, dass die auf gleiche Größe mit dem Kaiser gebrachte Kaiserin ein versteckter Hinweis auf die politische Bedeutung der zeitgenössischen papsttreuen Markgräfin Mathilde von Canossa sei (vgl. Cavani. S. 64, a.a.O.). In der Legende spielt die Kaiserin zudem keine Rolle.
[6] Lat. „pallium“ war ursprünglich ein „weiter Mantel“ der Römer, bei den antiken Griechen „himation“. Später (bis heute) wurde das Pallium zum Schultertuch der Bischöfe und Erzbischöfe. In der orthodoxen Kirche ist es das „Omophorion“, „auf der Schulter tragen“. Pallium wurde auch der Krönungsmantel der mittelalterlichen Kaiser genannt.
[7] Es handelt sich hier um sog. guelfische Zinnen, Rechteckzinnen mit einem horizontalen Abschluss. Tatsächlich war die Stadt Modena im 12. Jhdt auch guelfisch, „welfisch“, papsttreu. Jedoch ist es falsch, anzunehmen, man könne aus der Form der Zinnen auch die politische Haltung der Besitzer der Anlage schließen. Die kaisertreuen Ghibellinen (die Anhänger der Staufer) sollen im mittelalterlichen Italien schwalbenschwanzförmige, ghibellinische Zinnen bevorzugt haben. Allerdings ist die Schwalbenschwanzzinne viel älter als der guelfisch-ghibellinische Streit. Zudem gibt es Befestigungen, in denen sich beide Zinnentypen finden lassen.
Rückkehr San Geminianos nach Modena (Abb. aus Cavani, S. 63, a.a.O.)
„Beerdigung von San Geminiano“; Relief an dem Dom zu Modena (Abb. aus Cavani, S.63, a.a.O. )
„San Geminano“, Kopie eines Andachtsbildes, nach einem Gemälde von L. Manzini (1805 – 1866)
San Geminiano mit dem geretteten Knaben; z.T. kolorierte Statue in dem Dom von Modena (Photo: Christian Meyer)
Die Hunnen vor Modena, Relief von Agostino da Duccio (Photo: Christian Meyer)