Nach traditioneller christlicher Auffassung war der Apostel Johannes [1] der Jünger, „den Jesus lieb hatte", gleichzeitig auch Autor des gleichnamigen Evangeliums, der Johannes-Briefe und der Offenbarung („Apokalypse“). Der Sohn des Zebedäus soll vor seiner Berufung als Fischer am See Genezareth gearbeitet haben. Dazu passt jedoch nicht, dass er persönliche Beziehungen zu der hohenpriesterlichen Oberschicht in Jerusalem gehabt haben soll.
Nach Jesu Tod scheint Johannes einige Zeit in der christlichen Ur-Gemeinde in Jerusalem eine Rolle gespielt zu haben, jedenfalls nannte ihn Paulus eine der drei „Säulen" der Gemeinde (Gal 2,9). Hochbetagt soll er in Kleinasien gelebt haben und schließlich als Verbannter auf der Insel Patmos gestorben sein. Vieles spricht jedoch dafür, dass der Apostel Johannes relativ früh in Palästina das Martyrium erlitt und der Seher auf Patmos ein anderer Johannes war.
Das Johannesevangelium [2] entstand wahrscheinlich zwischen 90 und 130 in einer relativ abgeschlossen lebenden christlichen Gruppe. Dass das Johannesevangelium der Bericht eines unmittelbaren Augenzeugen ist, wird heute von der modernen christlichen Theologie weithin bezweifelt (vgl. Klaus Koch, S. 256/257, a.a.O.).
Wie alle Evangelien entstand auch das Evangelium nach Johannes in mehreren Tradierungsetappen. Seine endgültige Fassung erhielt es vielleicht in Ephesos (heute: Efes).
Noch in Nicäa stieß 325 das Johannes-Evangelium auf Widerstände, weil es eine Gottes-Selbsterkenntnis möglich erscheinen ließ.
Charakteristisch für die johanneischen Schriften (zumindest das Evangelium und die Apokalypse) ist eine pointierte Stellung zum Judentum: „Hier wie dort begegnet eine ausgesprochene Hochschätzung für ‚Israel’ in enger Verflechtung mit einer nicht weniger ausgeprägten Aversion gegen ‚die Juden’“ (vgl. Rengstorf, Bd. 1, S. 34, a.a.O.). Auch gegenüber den älteren Evangelien erhalten ‚die Juden’ eine gänzlich veränderte Position, sie werden zu den eigentlichen Gegenspielern Jesu, zu einer Art negativem Pendant zu den Jüngern Jesu.
Von der modernen Theologie wird diese Besonderheit des Evangeliums nach Johannes dadurch erklärt, dass es während der kritischen Phase der Abgrenzung der entstehenden christlichen von lokalen (kleinasiatischen oder syrischen) jüdischen Gemeinden entstand. Gegen Ende der fünfziger Jahre (des 1. Jhdts.) hatte die judenchristliche Gemeinde Jerusalems noch Zugang zum Tempel und zum Opferdienst in Jerusalem (vgl. Apg 21, 26). Dagegen wurde im Zeitraum zwischen 85 und 100 n. Chr. dem jüdischen Achtzehngebet [3] eine gegen Häretiker und Christen gerichtete Bitte eingefügt.
Viele moderne christliche Theologen gehen davon aus, dass der Autor der Apokalypse [4] des NT nicht Johannes, der Jünger Jesu sei, auch nicht der Apostel und der Evangelist, sondern eine weiterer Johannes, der Johannes von Patmos genannt wird.
Der Autor der um das Jahr 96 geschriebenen Apokalypse nannte sich selbst Johannes und lebte zumindest im Alter einige Jahre auf der heute zu Griechenland gehörenden Insel Patmos. Dieser Johannes von Patmos stammte sicher aus einer jüdischen Familie und sah sich selbst sehr wahrscheinlich als Juden. In seiner Apokalypse ist zwar viel von Jesus Christus die Rede, aber der Begriff „christlich“ [5] wird nie benutzt.
Inhaltlich ist die an die sieben Gemeinden in Kleinasien gerichtete Apokalypse gekennzeichnet durch:
· Die Anknüpfung an ältere jüdische Motive v.a. des Buches Daniel
· Visionen, die der Seher durch Engel von der Zukunft der Erde und dem Weltende erfährt, sicher auch als eine Reaktion auf die Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70. n. Chr.
· Eine antirömische Tendenz; „Babylon“ ist in der Schrift eine Art Deckname für Rom. Faktisch ist die Apokalypse auch eine Art antirömische Streitschrift [6].
· Die Naherwartung der Wiederkunft Jesu , wie sie allerdings auch bei Paulus vorlag.
Für Johannes von Patmos scheinen die Judenchristen die wahren Juden gewesen zu sein. Das Christentum hatte sich noch nicht völlig von dem Judentum gelöst, die unterschiedliche Einschätzung von „Judenchristen“ und „Heidenchristen“ war ein Streitpunkt im entstehenden Christentum. So gesehen ist die Offenbarung Johannis sogar eine gegen Paulus gerichtete Schrift, denn dessen Tätigkeit war v.a. auf die „Heiden“-Mission gerichtet.
Der bedeutende französische Arzt und Botaniker Joseph de Tournefort berichtete von seiner Ägäis-Reise 1700-1702 auch von seinem Aufenthalt auf der Insel Patmos, dem angeblichen Sterbeort des Evangelisten Johannes. Nahe bei dem Kloster des Hl. Johannes zeigte man ihm ein kleines Haus, das „Apocalypsis“ genannt wurde und wo Johannes seine Apokalypse geschrieben haben soll. In einer Grotte nahe beim Kloster sah er eine Spalte, durch die der Heilige Geist mit Johannes geredet habe. Der Fels der Grotte würde - nahm man damals auf Patmos an - würde böse Geister vertreiben und Krankheiten bannen (vgl. Kellner-Heinkele, S. 26, a.a.O.).
(unveränderlich, nach dem Gregorianischen Kalender am 27. Dezember)
© Christian Meyer
[1] Der gräzisierte Name Johannes stammt vom hebr. „Johanan" und bedeutet „Jahwe ist gnädig".
[2] Das älteste, je entdeckte Manuskript eines Evangeliums ist der „Bodmer-Papyrus" mit dem (fast vollständigen) Johannesevangelium in griechischer Sprache. Der Bodmer-Papyrus wurde in Oberägypten aufgefunden und um 170 n. Chr. niedergeschrieben.
Es gab in den ersten beiden Jahrhunderten des Christentums vermutlich ca. 30 Schriften vom Typus „Evangelium“, so das Hebräer-, das Ägypter-, das Petrus- oder das Thomas- Evangelium (vgl 21. Dezember, Gedenktag des Thomas). Sie alle wurden nach der Kanonisierung der Texte des Neuen Testaments im 3./4. Jhdt. als „apokryph“ ausgesondert und vermutlich vernichtet.
[3] Das Achtzehngebet ist ein aus 18 Segenssprüchen bestehendes Gebet. Seit dem 1. Jhdt. n. Chr. war dieses Gebet gemeinsam mit dem „Sch’ma Jisrael“ (hebr. „Höre Israel“) fester Bestandteil der synagogalen Gottesdienste. Es setzt sich aus 3 Lobpreisungen, 13 Bitten, einer Danksagung und einer abschließenden Bitte um Frieden zusammen. Jeder Jude sollte es dreimal täglich beten
[4] Der Begriff „Apokalypse“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet im theologisch-christlichen Sinne „Offenbarung“; im Wortsinne aber bedeutet der Begriff „Entschleierung“ (vom gr. nκάλυψις ≙ „verschleiern“), Entschleirung von zukünftigen Geschehnissen und endzeitlichen Geheimnissen. Zu beachten ist der grundsätzliche Bedeutungswandel des Begriffs, denn heute wird unter Apokalypse im Allgemeinen eine Katastrophe verstanden, eine heraufziehende Schreckenszeit.
Es gab eine ganze Reihe von alttestamentarischen und urchristlichen Apokalypsen (so das „Vierte Buch Esra“, die „Griechische Baruchapokalypse“ oder die „Offenbarung des Petrus“, vgl. Weidinger, a.a.O.). In den biblischen Kanon des NTs wurde allerdings nur die Offenbarung des Johannes von Patmos als letztes Buch aufgenommen. Es wird nach seinen Anfangsworten „Dies ist die Offenbarung Jusu Christi…“ („Apokálypsis Jesu Christu ...“, Offb 1, 1) im Christentum oft einfach nur die Apokalypse genannt.
[5] Der Begriff „Christ“ tauchte vermutlich zum ersten Mal in der Apostelgeschichte des Lukas (Apg 11, 27; entstanden ca. 50/60 n. Chr.) auf und zwar im Kontext mit der Gemeinde in der Stadt Antiochia. Dort ist von den „christianoi“ die Rede, den „Gefolgsleuten Christi“. „Christianoi“ setzt sich zusammen aus dem Griechischen „Christos“ (der Gesalbte, der Messias) mit einer lateinischen., allerdings hellenisierten Endung: „christianus“ wurde zu „christianos“, im Plural „christianoi“. Der Begriff „Christ“ scheint ursprünglich keine Selbst- sondern eine Fremdbezeichnung, von Seiten der römischen Besatzungsmacht in Antiochia gewesen zu sein. Diese Stelle ist die einzige Stelle im NT, an der überhaupt von „Christen“ die Rede ist.
[6] Diese „antiimperialistische“ Tendenz bezieht sich auf die christliche wie die jüdische Apokalyptik. Nach David Flusser (1917-2000, Professor für vergleichende Religionswissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem) wäre es denk bar, dass Rom im Jahre 64 von jüdischen apokalyptisch fühlenden Juden angezündet wurde.
Nach einer ägyptischen, den Christen Roms bekannten Prophezeiung, sollte die „Brutstätte des Bösen“ brennend untergehen, wenn der Stern Sirius am Morgenhimmel aufgehe. Das war am 19. Juli 64 der Fall - dem Tag, als Rom brannte (vgl. Spiegel Geschichte,1/2009, S. 58 f.). Feuer galt vielen damaligen Christen- auch in der Apokalypse - als Symbol der Katharsis und würde die Schande der Welt für immer ausmerzen.
Heute gibt es unter einigen Historikern die - durch keine Indizien belegte - Hypothese, dass es wirklich Christen gewesen sein könnten, die unter Kaiser Nero 64 n. Chr. Rom anzündeten: Extremisten hätten so die Wiederkunft Christi aktiv beschleunigen wollen.
Die meisten Christen Roms lebten im heutigen Trastevere, das nicht von dem Brand betroffen war. Zudem kann vermutet werden, dass der dreitägige Stadtbrand für viele Christen so wirkte, wie in der Apokalypse das Weltgericht beschrieben wurde. So könnte der Brand bei vielen Christen nicht etwa Entsetzen hervorgerufen haben, vielmehr als Vorzeichen der Wiederkunft Christi begrüßt worden sein.
„Evangelist Johannes“, aus dem Ada–Evangeliar, Hofschule Karls des Großen, um 800; heute in der Stadtbibliothek Trier