Abb.: Der 6741 m hohe Kailash in Westtibet

ca. 1. Juli - September: Hauptsächliche Zeit der Pilgerfahrten - Yatra - zum als heilig angesehenen Berg [1] Kailash (Kailasa, auch Rajatadri, sanskr.: „Silberner Berg“) in West – Tibet ( 6714m, höchster Berg im tibetischen Teil des Transhimalaja [2], ca. 100 km nördlich der nepalesischen Grenze). Ein Berg von ehrfurchtgebietender Schönheit; er wirkt kristallähnlich, mit vier großen Seitenflächen [3]

 

Für Anhänger von vier Religionen, für Hindus, für Jainas [4] , für Buddhisten wie auch Anhänger der tibetischen Bon - Religion wird die Pilgerfahrt zum Kailash, der als Mittelpunkt der Welt gilt, als besonders segensbringend angesehen. Viele Pilger hoffen u.a. auf der Wallfahrt eine Lösung verschiedenster persönlicher Probleme zu finden. Der Kailash ist vermutlich der heute am meisten verehrte Berg der Welt. Aufgrund der politischen und geographischen Gegebenheiten sind es jedoch jährlich nur einige Tausend Wallfahrer, die zum Kailash pilgern.   

 

Die Kosmologien der oben angesprochenen Religionen identifizieren den Kailash mit den mythischen Meru – Berg, der Weltenachse, dem Zentrum  und Nabel der ganzen Welt, aus dem der Legende nach vier Ströme in die vier Hauptrichtungen entspringen und die Welt bewässern: im Norden der Fluss der Löwenmündung, im Osten der Fluss der Pferdemündung, im Süden der Fluss der Pfauenmündung und im Westen der Fluss der Elefantenmündung. Tatsächlich entspringen vier Flüsse in der Region des Kailash: der Indus, der Yarlung Tsangpo (Brahmaputra), der Karnali and der Sutlej.

Der Kailash solle von der siebten Hölle bis in den höchsten Himmel reichen. Heutige Hopi Indianer glauben, der Kailash sei die Gegenseite ihres Black Mesa, der Gesamtberg bildete ihrer Vorstellung nach eine Art kosmisches Rückgrat.

 

Anhänger der schamanistisch - tibetischen Bon-Religion (Bon-po) nennen den Kailash „Tise“ und sehen in ihm den Sitz der Himmelsgöttin Sipaimen. Für Bon-po - Anhänger ist der Kailash der Ort, an dem ihr Gründer, Shanrab, vom Himmel herabstieg.  Hier lag auch das spirituelle Zentrum von Zhang Zung, dem alten Bon-Reich, das einst den ganzen Westen Tibets umfasst haben soll.

 

Bon-Mythen sehen den Berg Kailash zudem als den Ort des wundersamen Wettstreits des buddhistischen Heiligen Milarepa und dem Bon-Schamanen Naro Bon - chung. im 12. Jhdt. . Die Niederlage des Schamanen machte den Buddhismus zur hauptsächlichen Religion in Tibet.

 

Bon – po – Anhänger nennen den Berg auch „neungeschossigen Swastika – Berg“. Gläubige haben mehrfach geäußert, dass sie von Süden her an der Bergwand ein großes Hakenkreuz ( = Swastika [5] ) gesehen hätten.

 

 Für Hindus ist der Kailash zudem noch Wohnsitz des Gottes Shiva (vgl. Mahashivaratri). Der Charakter des Gottes Shiva erscheint uns widersprüchlich, denn er gilt gleichzeitig  als Meister von Entsagung und Askese wie auch als göttlicher Meister des esoterischen Tantra, die davon ausgeht, dass die sexuelle Vereinigung der vollkommenste Weg zur spirituellen Erleuchtung sei. Nach der Legende soll Gott Shiva auf dem Gipfel des Kailash [6] leben und sowohl asketische Yoga - Übungen praktizieren, als auch mit Parvati der Liebe pflegen. Dabei raucht Shiva auch das als göttlich angesehene Kraut Ganja, das in der Bundesrepublik unter das Betäubungsmittelgesetz fiele, denn es handelt sich dabei um Haschisch bzw. Marihuana.    

Hindus interpretieren dies nicht als Widersprüchlichkeit, sondern sehen es als ein Zeichen von Shivas Göttlichkeit, wie er extreme Züge menschlicher Natur weise integriert und transzendiert habe.

Auch Shakyamuni Buddha selbst soll auf einer spirituellen Reise den Berg Kailash besucht haben.  

 

Tibetanische Buddhisten nennen den Kailash „Kang Rimpoche“ (auch „Kangrinhoqe Fen), was soviel wie „köstlicher Gletscherschnee - Juwel“ bedeutet. Für sie ist der Berg der Wohnsitz von Demchog (Chakrasamvara, eine grimmig blickende tantrische Gottheit) und Dorje Phagmo.

Drei Berge in der Umgebung des Kailash werden als die Wohnsitze der Bodhisattwas Manjushri, Vajrapani und Avalokiteshvara [7] (vgl. Geburtstag von Guan–yin, der Göttin der Barmherzigkeit und ihre ð Mönchsordination) betrachtet.

Eine Umrundung des Bergs führt nach lamaistischer Vorstellung zur Sündenvergebung, 108 Umrundungen des Kailash sollen zur Erleuchtung führen

 

Jeder Tibeter soll davon träumen, einmal im Leben die Wallfahrt zum Kailash unternehmen zu können. Manche Pilger kommen zum Kailash, um hier zu sterben.

Die Pilger kommen z. T. zu Fuß, z. T auch per LKW. Wenn sie den Berg erstmals am Horizont sehen, beten viele kniend in Richtung zum Kailash. Die Pilger begrüßen sich unterwegs mit „Tashidele“ = Glück und Frieden.

 

Ausgangspunkt der eigentlichen Umrundung ist der Wallfahrerort Darchen (auch: Tarchen, südlich des Bergs gelegen; der Name kommt vom Sanskrit – Wort „darshan“ = geheiligter Ausblick). Vorbei an einem großen Gebetsfahnemast und durch eine zweibeinige Stupa schreitend beginnen die Wallfahrer die Umrundung des Kailash. Die Umrundung wird „kora“ genannt und ist ca. 55 km lang. Je nach Geschwindigkeit dauert die kora 1 – 3 Tage. Besonders fromme Pilger umrunden den Kailash, indem sie die Entfernung mit ihrer Körperlänge abmessen, sich jeweils auf den Boden niederwerfen, - wodurch diese besonders verdienstvoll kora ca. einen Monat dauert. 

 

Nahe bei Darchen befinden sich in der wüstenartigen Landschaft zwei Seen,  der salzige Rakshas Taal („Dämonen See“) und der Mansarovar [8], ein türkisfarbener Süßwassersee. Im Tibetanischen heißt der See „Tso Rimpoche“ = „Juwelen–See“. An diesem See liegen acht Klöster und mehrere Höhlen, in denen Eremiten lebten. Der bedeutende Hindu–Dichter, Kalidasa, meinte: ‘‘Wenn das Wasser des Mansarovar Deinen Körper berührt, wirst du ins Paradies eingehen, du wirst befreit von den Sünden (dem negativem Karma) von hundert Wiedergeburten“. Deshalb vollziehen manche Pilger im auch während des tibetischen Hochsommers eiskalten Wasser des als heilig angesehenen Sees das rituelle Tauchbad: es soll segensbringend und sündentilgend sein. Hindus glauben, sich durch ein vollständiges Eintauchen in den See eine Wiedergeburt als ein Gott zu ermöglichen. Tibetaner hingegen vermeiden ein völliges Bad in dem See, sie glauben den See so zu verunreinigen.

In dem See sollen nach traditioneller Vorstellung Nagas, sagenhafte Schlangengeister, leben: sie flüstern den Badenden Lösungen für ihre Probleme und Konflikte ins Ohr.

Am Pilgerweg und am See befinden sich mehrere Klöster (Gompa = Ort der Einsamkeit).

Auf dem höchsten Paß am Berg, Dolma La, der der Göttin Dolma geweiht ist, heften die Wallfahrer Wunschzettel an die Felswände. Dort befindet sich der große Felsblock der Göttin Tara, der völlig mit Gebetsfahnen und Textilstreifen bedeckt ist. Wer dort eine Gebetsfahne zurücklässt, lässt dort auch seine Ängste, Wünsche und Ärger zurück. 

Unterwegs vollziehen die Pilger das Ritual des „Prüfsteins der Seele“: der Prüfling muß durch eine Felsspalte klettern, Sünder bleiben stecken......

 

Tibetische Wallfahrer sind unterwegs mit Gebetsketten, Gebetsmühlen drehend, „Om mani padme hum“ rezitierend. An dem Shiva – Tsal pflegen die Pilger ein Haar, ein Tropfen Blut, einen Stein o.ä,. zurückzulassen, um damit auch ihre Vorurteile zurückzulassen.

Der Berg selbst wird nur umrundet [9]. Niemand hat bislang den Kailash bestiegen, das würde als Entweihung betrachtet, als Sitz der Götter ist er tabu. Jede Umrundung soll dem Wallfahrer eine Wiedergeburt ersparen, die Sünden eines ganzen Lebens sollen durch eine kora gelöscht werden und der Gläubige sich so dem Eingang ins Nirvana annähern.

Auch Lama Anagarika Govinda (1898 – 1985; ein deutschstämmiger buddhistischer Gelehrter der sich v.a. mit Theorie und Praxis des tibetischen Vajrayana – Buddhismus beschäftigte) meinte, jeder, der sich mit hingegebenem und konzentriertem Geist der Circumambulation des heiligen Berges widme, ginge durch einen vollen Zyklus von Leben und Tod. 

 

Wer physisch nicht in der Lage ist oder nicht den Willen hat selbst die kora durchzuführen, kann eine Ersatzperson damit beauftragen und ihre Wallfahrt finanzieren: der spirituelle Gewinn soll dann 50 zu 50 aufgeteilt werden.

Buddhisten, Hindus und Jainas umrunden den Kailash im Uhrzeigersinn,  Angehörige der Bon – Religion entgegen dem Uhrzeigersinn.

 

Milarepa (vgl. Milarepas Geburts- und Todestag) – er wird im Westen Tibets besonders verehrt - soll einige Jahre in einem Kloster am Kailash  gelebt haben. Als einziger Mensch soll er - der Legende nach - meditierend auf einem Sonnenstrahl reitend auf den Gipfel des Kailash gelangt sein.  Milarepa hielt den Kailash und seine Umgebung für den gesegnetsten und hilfreichsten Ort für alle spirituellen Übungen und empfahl ihn allen Gläubigen.

 

2014 als ein Jahr des Pferdes – wie es zyklisch alle 12 jahre eintritt -  gilt Buddhisten als ein besonders günstiges, segenverheißendes Jahr für eine Kailash-Wallfahrt, das Shakymuni Buddha in einem Jahr des Pferdes geboren worden sein soll. Eine rituelle Umrundung zählt in diesem Jahr soviel wie 12 Umrundungen in anderen Jahren.

 

(Die Pilgerfahrt zum Kailash findet während des ganzen Jahres statt, wegen der mehr als rauen klimatischen Bedingungen jedoch zumeist in den Sommermonaten)

 


[1] Weltweit gibt es eine Unzahl von Bergen, die einst oder heute noch als heilige angesehen werden, vom Olymp bis zum Fujiyama. Ein bis heute hoch verehrter Berg ist der Oldonya Ngai (Ngorongoo Crater 3647 m ???), der heilige Berg des schwarzen Gottes der Massai, die bis heute überwiegend Hirtennomaden sind. Der Berg ist ein kegelförmiger Vulkan, der zuletzt 1967 ausbrach. Er liegt im nordwestlichen Tansania, östlich des Victoria – Sees.  Die Massai betrachten den Berg als den Wohnsitz ihres Himmelsgottes Ngai (auch: Engai), ein allmächtiger Gott, der gleichzeitig gut und böse ist. Ngai =  „Regen“- ursprünglich wohl ein Wettergott) hat eine überragende Stellung in der Religion der Massai, der Ahnenkult ist dagegen sekundär.

Beim Tode eines männlichen Massai wird gebetet: „Mein Gott, ich bitte, gib Gesundheit, gib Besitz, gib Kinder!“ (vgl. Lurker, S. 231, a.a.O.).

Merker (1910) glaubte in der Religion der Massai alttestamentarische Reminiszenzen erkennen zu können (vgl. Stöhr, Bd. 2, S. 101, a.a.O.). 

Massai – Frauen vollziehen zu bestimmten Zeiten unter rituellen Gesängen nächtliche Bittprozessionen um Fruchtbarkeit zu dem Berg, Männer und Frauen pilgern zuweilen zu einer Opferstätte am Fuß des Berges. An einem Opferbaum wird dann ein Schafsopfer vollzogen, das Schutz für die Massai bewirken soll. Das Blut des Opfertiers wird teilweise getrunken, das Fleisch gemeinsam verzehrt. Dem Ngai werden zuvor Milch und Wasser als Trankopfer (Libationen) gespendet. 

Auch die Kikuyu (ein Bantuvolk in Kenia) verehren den Ngai als Hochgott: er lebt bei ihnen im Himmel, sein sichtbares Zeichen ist der Blitz.

 

Nachsehen: Tokaev, S. 210f., Dictionnaire des symboles, „Montagne“, Giurand /Schmidt „Mythologie“, S. 74f.

   

[2] Mehr als 20 Jahre lang war es den Buddhisten aus Nepal etc. nicht möglich, zum Kailash zu pilgern, da die chinesischen Behörden keine Einreise gestatteten. Erst seit den 80er Jahren darf wieder eine begrenzte Zahl von Wallfahrern einreisen. Seit 1993 erlauben die chinesischen Behörden jährlich 450 indischen Pilgern die Einreise zur Wallfahrt zum Kailash. 

[3] Der nach dem Kailash zweitheiligste Berg für die lamaistischen Buddhisten ist der „Kristallberg“ im nördlichen Nepal, nahe der tibetischen Grenze. Eine jährlich wiederkehrende Wallfahrt mit Umrundung des Kristallbergs ist das gesellschaftliche Ereignis der Region. Der Höhepunkt der das Karma günstig beeinflussenden Wallfahrt liegt am Vollmond des 6. tibetischen Monats. 

[4] Die Jainas nennen den Kailash "Astapada". Ihrer Legende nach erlangte hier Adinath Rishabnath, der erste ihrer 24 Propheten (Tirthankara) meditierend befreiende Erleuchtung.

[5] Das uralte Swastika - Zeichen (abgeleitet vom sansk. „svasti“ = „Glück, Heil“), das Hakenkreuz, wird im Buddhismus schon seit Jahrtausenden interpretiert als ein Symbol für das Rad der Lehre (Dharma – chakra,  vgl. ð Chukhor Duchen) oder auch für die buddhistische Lehre insgesamt. Auf z.B. japanischen Stadtplänen werden die Orte buddhistischer Tempel auch heute noch durch ein Hakenkreuz markiert.  

[6] In Ellora, einem Dorf nördlich von Aurangabad / Indien befinden sich 34 buddhistische, hinduistische und jainistische Höhlentempel, u.a. der aus dem Fels geschlagene Tempel „Kailasa“ (8. Jhdt.). Es handelt sich dabei um eine architektonische Wiedergabe des Berges Kailash, das größte Denkmal indischer Monolitharchitektur. 

[7] Der Dalai – Lama gilt als die 14. Inkarnation des Bodhisattwa Avalokiteshvara.

[8] Das Wort "mana" bedeutet "Bewusstsein", der Name des Sees bedeutet "See des Bewusstseins und der Erleuchtung".

[9] Die Umrundung (Circumambulation) eines als geheiligt angesehenen Ortes ist ein weitverbreiteter Ritus: „kora“ auf Tibetisch, „temenos“ auf Griechisch oder parikrama auf Sanskrit. In Kaschmir z.B. wird das Hochzeitshaus traditionell von der Hochzeitsgesellschaft 3, 5 oder 7mal rituell umrundet, - das soll das zukünftige Glück sichern (vgl. Atkinson, S. 211/212, a.a.O.). Andere Beispiele wären die Umrundungen der mongolischen Owos, die altrömischen Ambarvalien oder katholische Fronleichnamsprozessionen. Vermutlich geht das Ritual auf den Glauben an die magische Kraft des Kreises zurück.

 

© Christian Meyer

 

 

 

 

Der Kailash und der ebenfalls als heilig angesehene See Manasarova (Abb. Chinesische Postkarte aus dem Jahre 2002)

Abb. oben: „Bodhisattwa Vajrapani“, feuervergoldete Bronze. Innere Mongolei ca. 1700; heute in Berlin, Ethnologisches Museum im Humboldt Forum (Abb. aus dem Humboldt Forum Magazin, S. 12).

 

 

Vajrapani ( „der einen Vajra in der Hand hält“, vgl. Lurker, S. 334, a.a.O.) wird zu den acht großen Bodhisattwas gezählt, gilt als „Herr der Geheimnisse“. Er ist eine tibetische Schutzgottheit. Der Kunsthistoriker und Choreograph Hans-Werner Klohe (*1970) formulierte dazu: „Seine furchteinflößende Erscheinung mit flammendem Haar und brüllendem Mund ist nur Camouflage. Dahinter steckt erleuchtete Tatkraft und Stärke im Einsatz gegen schädliche Eigenschaften auf dem Weg zur Erleuchtung, wie Gier, Hass und Unwissenheit, die in der buddhistischen Lehre oft als die drei Geistesgifte bezeichnet werden. Vajrapani ist ein Lösungshelfer entflammt aus Mitgefühl“ (Klohe, in Humboldt Forum Magazin, S. 12).

 

Vajra“ ist ein Diamant- oder Donnerkeilszepter; es wird im tantrischen Buddhismus oft als Ritualobjekt gebraucht und dargestellt. Auf der obigen Abbildung trägt Vajrapani kein Vajra.