Ausschnitt einer Miniatur des "Heiligen Bischofs Liborius" aus dem „Liber Vitae“ von Corvey (Abtei Helmarshausen 1185): Man beachte die Attribute des Heiligen, das aufgeschlagene Buch mit den Steinen.

Mit der kompetenten Hilfe meiner Nichte, der Latinistin Constanze Harnack, konnte der Text der Banderole entziffert und unter Bezugnahme auf das „Alte Testament“ gedeutet werden. Die Frage lautet "Quid sibi volunt isti lapides?" = "Was wollen diese Steine für sich?", eine Formulierung, die zweimal in der Vulgata auftaucht.Es handelt sich deshalb bei dem Banderolen-Text sehr wahrscheinlich um einen Verweis auf das Buch Josua 4.1, wo mehrfach von Steinen die Rede ist, von den Denksteinen des Durchzugs durch den Jordan: 

 

 „1.  Da nun das Volk ganz über den Jordan gegangen war, sprach der Herr zu Josua:

 

2. Nehmt euch zwölf Männer, aus jedem Stamm einen,

 

3. und gebietet ihnen und sprecht: Hebt auf aus dem Jordan zwölf Steine von dem Ort, da die Füße der Priester stillgestanden sind, und bringt sie mit euch hinüber, dass ihr sie in der Herberge lasset, da  ihr diese Nacht herbergen werdet.

 

4. Da rief Josua die zwölf Männer, die er verordnet hatte aus den Kindern Israel, aus jeglichem Stamm einen,

 

5. und sprach zu ihnen: Gehet hinüber vor die Lade des Herrn, eures Gottes, mitten in den Jordan und hebe ein jeglicher einen Stein auf seine Achsel, nach der Zahl der Stämme der Kinder Israel,

 

6. dass sie ein Zeichen seien unter euch. Wenn eure Kinder hernach ihre Väter fragen werden und sprechen: Was tun diese Steine da?

 

7. so sollt ihr ihnen sagen: Weil das Wasser des Jordans abgerissen ist vor der Lade des Bundes des Herrn, da sie durch den Jordan ging, sollen diese Steine den KIndern Israel ein ewiges Gedächtnis sein.

 

8. Da taten die Kinder Israel, wie ihnen Josua geboten hatte, und trugen zwölf Steine mitten aus dem Jordan, wie der Herr zu Josua gesagt hatte, nach der Zahl der Stämme der Kinder Israel, und brachten sie mit sich hinüber in die Herberge und ließen sie daselbst.

 

9. Und Josua richtete zwölf Steine auf mitten im Jordan, da die Füße der Priester gestanden hatten, die die Bundeslade trugen; diese sind noch daselbst bis auf diesen Tag.

 

10. Denn die Priester, die die Lade trugen, standen mitten im Jordan, bis alles ausgerichtet ward, was der Herr dem Josua geboten hatte dem Volk zu sagen; wie denn Mose Josua geboten hatte. Und das Volk eilte und ging hinüber.

 

11. Da nun das Volk ganz hinübergegangen war, da ging die Lade des Herrn auch hinüber und die Priester vor dem Volk her.

 

12. Und die Rubeniter und Gaditer und der halbe Stamm Manasse gingen gerüstet vor den Kindern Israel her, wie Mose zu ihnen geredet hatte.

 

13. An vierzigtausend Gerüstete zum Heer gingen vor dem Herrn her zum Streit auf das Gefilde Jerichos.

 

14. An dem Tage machte der Herr den Josua groß vor dem ganzen Israel. Und sie fürchteten ihn, wie sie Mose fürchteten, sein Leben lang.

 

15. Und der Herr sprach zu Josua:

 

16. Gebiete den Priestern, die die Lade des Zeugnisses tragen, dass sie aus dem Jordan heraufsteigen.

 

17. Da gebot Josua den Priestern: Steigt herauf aus dem Jordan!

 

18. Und da die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, aus dem Jordan heraufstiegen und mit ihren Fußsohlen aufs Trockene traten, kam das Wasser des Jordans wieder an seine Stätte und floß wie zuvor an allen seinen Ufern.

 

19. Es war aber der zehnte Tag des ersten Monats, da das Volk aus dem Jordan heraufstieg; und sie lagerten sich in Gilgal, gegen Morgenvor der Stadt Jericho.

 

20. Und die zwölf Steine, die sie aus dem Jordan genommen hatten, richtete Josua auf zu Gilgal

 

21. und sprach zu den Kindern Israel: Wenn eure Kinder hernach ihre Väter fragen werden und sagen: Was bedeuten diese Steine?,

 

22. so sollt ihr‘s ihnen kundtun und sagen: Israel ging trocken durch den Jordan,

 

23. da der Herr, euer Gott, das Wasser des Jordans austrocknete vor euch, bis ihr hinüberginget, gleichwie der Herr, euer Gott, tat in dem Schilfmeer, das er vor uns austrocknete, bis wir hindurchgingen;

 

24. auf daß alle Völker auf Erden die Hand des Herrn erkennen, wie mächtig sie ist, und den Herrn, euren Gott, fürchten allezeit“ (Josua   4, 1- 24, Luther-Bibel).

 

Liborius war zudem zuständig für Stein- und Nierenleidende.  

Schließlich  passt das Mitnehmen der Steine vom alten Ort und das Hinlegen am neuen gut zu der Translation des Liborius von Le Mans nach Paderborn.

 

„Hl. Liborius thronend vor den Kathedralen von Paderborn und Le Mans“ (aus einem Fenster des Paderborner Domturmes)

Liboriuskapelle an der Werrabrücke bei Creuzburg / Thüringen

23. Juli: Festtag des Hl. Liborius

 

Der Name Liborius bedeutet „der Gott Geopferte“ (griech. - latein.) oder der „feierliche Sprecher“ (keltisch - latein.).

 

Über das Leben des Liborius ist nur wenig bekannt. Vermutlich war Liborius nicht römischer sondern keltisch – gallischer Herkunft. Er soll seit 348 ca. 47 Jahre lang „segensreich“ als spätantiker Bischof (4./5. Jahrhundert) in der gallo-romanischen civitas Le Mans  tätig gewesen sein (vgl. H. Keller, S. 380, a.a.O.). In der Diözese ließ Liborius eine Reihe von Kirchen und insbesondere viele Landpfarreien errichten. Auch mehrere Wunderheilungen werden in den Überlieferungen erwähnt. Wegen seiner Wohltätigkeit und seines festen Glaubens soll Liborius ein allseits verehrtes Vorbild gewesen sein.

 

Bei seinem Tode (am 9. Juni 397) soll ihm der mit ihm befreundete Hl. Martin von Tours beigestanden haben. Martin soll auch Liborius’ Begräbnis in der Zwölfapostelkirche geleitet haben, wo auch schon der Hl. Julian, der erste Bischof von Le Mans, begraben worden war.

In Le Mans wurde Liborius schon frühzeitig als Heiliger verehrt. 

 

Im Jahre 836 wurden unter Kaiser Ludwig dem Frommen (814–840) die Reliquien des Hl. Liborius durch Bischof Aldricus von Le Mans (832–857)dem Bischof Badurad (815–862)  von Paderborn [1] überlassen (Translation: 28. April; die feierliche Prozession nahm den Weg über Chartres, Paris über den Rhein nach Sachsen; Ankunft der Reliquien in Paderborn: 28. Mai 836, dem Pfingstsonntag).

 Reliquientranslationen [2] von westfränkischen Kirchen und Klöstern ins nur oberflächlich christianisierte  Sachsen waren damals weit verbreitet.

 

In Paderborn wurden die Reliquien von im Dom aufbewahrt, auch Wunder sollen in der Folge stattgefunden haben.  Die Liboriusverehrung verbreitete sich langsam über Westfalen, Niedersachsen, den Niederlanden, u.a. nach Sachsen, Thüringen und Bayern.

Im Dreißigjährigen Krieg wurden die Reliquien des Heiligen durch Truppen "des tollen Christian" aus Paderborn geraubt. Dabei ging auch der Reliquienschrein des Liborius verloren. Christian v. Braunschweig liess ihn einschmelzen und fertigte aus dem Silber die bekannten „Pfaffenfeindtaler“.

 

Nach fünf Jahren aber wurden die Reliquien wieder zurückgebracht. Der Tag der Rückkehr der Reliquien, der 25. Oktober, wird in Paderborn als jährlich als Gedenktag Klein-Libori begangen (vgl. de Vry, a.a.O.). Die Reliquien werden heute im Liborius-Schrein im Dom in Paderborn aufbewahrt.

 

Eine spätere Legende (vermutlich aus dem 18. Jhdt.) berichtete, dass ein Pfau - der als Sinnbild für die Herrlichkeit Gottes und des Ewigen Lebens gilt - bei der Übertragung der Gebeine vorausgeflogen sei. Er ließ sich auf der Spitze des Domes nieder und fiel beim Eintritt der Reliquien in den Dom tot vom Dach.
Vermutlich geht auf diese Legende auf die Tradition zurück, dass Pfauenfedern bei Prozessionen dem Schrein des Heiligen vorangetragen wurden (vgl. H. Keller, S. 381, a.a.O.).  

Seit 836 ist Liborius einer der Patrone des Domes zu Paderborn („Dom St. Mariae, St. Kiliani und St. Liborius“). Im Dom zu Paderborn wird bis heute ein kleiner Tragaltar des Rogerus von Helmarshausen aufbewahrt,  der um ca. 1100 in den Besitz des Doms gelangte. Dieses wertvollste Stück des Paderborner Domschatzes zeigt deutliche Einflüsse des byzantinischen Kunstkreises. Eine der Heiligen – Figuren des Tragaltars, als Patron des Doms, mit Stab und Buch, aber ohne Mitra, wird als Liberius gedeutet.  .

 

Ebenfalls im Paderborner Domschatz befindet sich der kostbare, frühbarocke Liborii – Schrein (1622 – 27), der vom Goldschmied Hans Krako in Dringenberg nach der Wiedererlangung der Reliquien verfertigt wurde. Der Schrein besteht aus einem hausförmigen Holzkern, verkleidet mit vergoldetem Silber und Bronze, aus getriebenen, gegossenen, gravierten und punzierten Teilen. Man geht davon aus, dass die Form in Anlehnung an den verlorenen Schrein gefertigt ist. Früher befand sich der Schrein im Untergeschoß des Hochaltars. 

 

In alten Paderborner Gesangbüchern finden sich spezielle Kirchenlieder zur Verehrung des Hl. Liborius, so z. B. aus der Zeit von 1765- 1780:

 

 „Verehrung der dahie im Thum ruhenden Gebeinen des h. Liborii. In bekandter Melodie.

 

1. Sey gegrüsset, o Libori! Dessen Namen, Ehr und Glori, Gott auf Erden groß gemacht, Seyd gegrüsst, o ihr reine Und beglückte Leibs-Gebeine, Die aus Franckreich hergebracht.

 

2. Schon vor vielen hundert Jahren Hat man euch hieher gefahren, Wo die schöne Pader springt: Hie ein jeder euch verehret, Hülf und Trost von euch begehret, Euren Lob mit Freuden singt.

 

3. Euch mit Andacht zu begrüssen, Werff ich mich zu euren Füssen: Hör, o Heilger meine Bitt! Deine Ohren zu mir neige, Und mir dein Gunst erzeige: In der Noth verlaß mich nit!

 

4. Gib, daß mich und meine Nieren Keine Pein des Steins berühren, Und was sonsten schmertzlich fällt: Dann diß alles kanst du heilen, Und darwider Hülf ertheilen, Als ein Artzt von Gott gestellt.

 

5. Quaal und Kranckheit an den Lenden, An den Füssen, an den Händen, An dem Aug und gantzen Leib; Wie auch alle Fieberschmertzen, Alle Noth und Angst des Hertzen, Als ein Helffer von mir treib.

 

6. Doch vor allen, meiner Seelen Helff, und laß sie nicht verfehlen Von dem Weg der Seligkeit! Wil der Satan mich bestreiten, Und von meinem Gott verleiten, Kehr ihn ab von meiner Seit.

 

7. Wann ich diß von dir empfange, Wie ich hertzlich es verlange, Wil ich immer preisen dich; Wil dir auch mein Opfer bringen, Wil dein Lob mit Freuden singen, Und dir sagen Danck für mich.

 

8. Dann so werd ich frölich leben, Und in stäten Freuden schweben, Ohne Schmertz und alle Pein. Ja, ich werde mich bestreben, Deinen Namen zu erheben, Und dein treuer Knecht (treue Magd) zu seyn“ (aus:  http://www.eab-paderborn.de/fgeschichte.htm)

 

Attribute des Hl. Liborius sind ein aufgeschlagenes Buch mit darauf liegenden kleinen Steinen (wg. der Steinleiden) sowie Pfau und Pfauenfeder.

 

Der Hl. Liborius gilt als Fürsprecher in Krankheit (insbesondere bei Steinleiden, Koliken, Wassersucht und Fieber) und Not.

Noch heute wird alljährlich zum Gedenken an die Translation des Heiligen das neuntägiges Kirchen- und Volksfest Libori in Paderborn begangen, bei dem der Schrein mit den Liborius-Reliquien über den Domplatz getragen wird. Libori, das jährlich Ende Juli gefeiert wird, ist eine Mischung aus Kirmes (mit fast zwei Kilometer langer „Kirmesmeile“ auf dem Liboriberg), Kultur und Kirche. Die Höhepunkte der religösen Feierlichkeiten bilden am ersten Libori-Samstag die „Aussetzung“ des goldenen Schreins mit den Reliquien des Hl. Liborius, eine feierliche, von Schützen begleitete Prozession mit dem Schrein durch die Stadt am Sonntag sowie schließlich die „Beisetzung“ des Schreins am Libori-Dienstag. Bei der „Aussetzung“ des Schreins und den Prozessionen wird noch heute ein Pfauenwedel (Flabellum) dem Schrein vorangetragen.

 

Libori zieht in den letzten Jahren regelmäßig mehr als eine Million Besucher an. Den krönenden Abschluss des Liborifestes bildet ein Höhenfeuerwerk über dem Paderquellgebiet. Es ist eines der größten und ältesten sowie das vielleicht traditionsreichste Volksfest Europas. Die Zeit des Liborifests gegen Ende Juli wird in Paderborn auch als „Fünfte Jahreszeit“ bezeichnet (vgl. http://www.libori.de.vu/ , http://www.liborius-paderborn.de/, http://www.libori.de/, http://de.wikipedia.org/wiki/Liborius).  

 

Gegen Ende Oktober (am Wochenende nach dem 25. Oktober bzw. am Wochenende des 25. Oktobers selbst, wenn dieser ein Sonntag ist) wird in Paderborn auch Herbstlibori bzw. Kleinlibori gefeiert. Hierbei handelt es sich eher um eine Kirmes auf dem Liboriberg. Gefeiert wird hier die Rückkehr der Reliquien nach Paderborn, nachdem sie im 30-jährigen Krieg geraubt worden waren, mit einem Pontifikalamt und der „Erhebung und Beisetzung“ der Reliquien.

 

Die schöne Liborius – Kapelle an der alten Werra – Brücke bei Creuzburg /Thüringen wurde 1499 anstelle einer älteren hölzernen Wallfahrtskapelle erbaut (vgl. Abb. oben). 

 

 (das Fest des Hl. Liborius ist unveränderlich nach dem Gregorianischen Kalenderr; das neuntägige Liborifest beginnt am ersten Samstag nach dem 23. Juli, dem Fest des Hl. Liborius. Ausnahmen bilden die Jahre, an denen der 23. Juli auf einen Samstag bzw. einen Sonntag fällt. Dann beginnt das Liborifest bereits am 23. Juli bzw. am 22. Juli. Allgemein ist der 9. Juni der Todestag, Gedenktag des Liborius, im Erzbistum Paderborn sowie im Bistum Essen jedoch der 23. Juli. Vor der Reform des Heiligenkalenders durch das 2.  Vaticanum war der 8. April der Liboriustag. Dieser Tag galt im Volksglauben als besonders für die Schatzsuche geeignet)

 
© Christian Meyer

 


[1] Das Bistum Paderborn wurde im Jahre 805 durch Karl den Großen gegründet.

[2] Unter dem Paderborner Bischof Biso (887–909) schrieb ein Paderborner Anonymus, vermutlich ein Mitglied des Domkapitels, einen Translationsbericht über die Translation der Reliquien des Liborius, des „Brückenbauer Europas“, nach Paderborn, die sog. "Translatio Sancti Liborii", sowie eine Vita des Heiligen und eine Geschichte des Bistums. Diese Schriften sind jedoch nicht erhalten geblieben.

Durch den Reliquientransfer von Le Mans nach Paderborn ist zudem die vielleicht älteste Städtefreundschaft der Welt entstanden.

 

 

Liborius' Schrein bei der Prozession am Liborius-Fest 2005

Ernst Christian Joahnn Friedrich Preller d. Ält. (1804 – 79): “Prozession an der Liboriuskapelle bei Creuzburg“, Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen