Abb.: Meine Tochter Karoline im Sommer 1982 mit einer Schildkröte am Ufer des Iznik-Sees/Türkei (Photo: Christian Meyer)

 

Abb.: Rindengemälde einer Schildkröte der Aborigines auf einer australischen 20-c-Briefmarke von 1971;

im „Röntgen-Stil“ mit Innereien dargestellt ist (wohl) eine Australische Schlangenhalsschildkröte (Chelodina longicollis). Anders als viele andere Wasserschildkröten können sie ihren Hals nicht einziehen, wie es die „Halsberger“ machen. Diese Schlangenhalsschildkröte gehört zu den „Halswendern“, sie legt ihren Hals s-förmig am Panzer an.

Auch die (ca. 270) Inseln in der Torres-Straße [1] (zwischen dem Kap York, der Nordspitze Australiens, und Neuguinea) drohen durch anthropogen ansteigenden Meeresspiegel, extreme Wetterereignisse und Erosion mit „Mann und Maus“ unterzugehen. Betroffen davon sind auch die dort nistenden Schildkröten, deren Nistplätze immer stärker zerstört werden (vgl. „Tagesspiegel“, 15. Mai 2021, S. 24).

 

Berühmt ist die kleine, heute unbewohnte Torres-Straßen-Insel Deliverance Island, auf Deutsch etwa „Erlösungsinsel, Befreiungsinsel“, in der indigenen Kala-Lagaw-Ya-Sprache [2] heißt sie Warul Kawa „Schildkröteninsel“. Sie liegt nur ca. 34 km südlich der Küste von Papua-Neuguinea, gehört aber zum australischen Bundesstaat Queensland. Die vollständig bewaldete (viele Kokosnuss-Palmen), vogelreiche Insel ist nur knapp 1,7 km lang, maximal 0,47 km breit und an den höchsten Stellen gerade 2 m hoch. Umgeben ist die Schildkröten-Insel von einem wattartigen Meeresgebiet, mit Seegras, Braunalgen und Grünalgen, aber nur geringem Korallenbewuchs. In der Inselregion und dem umliegenden Riff beheimatet sind zwei bedeutsame Populationen von Meeresschildkröten: Eine der größten Kolonien von Wallriff-Schildkröten (Natator depressus) und im Wattgebiet zahlreiche migrierende Suppenschildkröten (vgl. Enzyklopädie site:at.wikiqube.net; https://at.wikiqube.net/wiki/Warul_Kawa_Indigenous_Protected_Area).

 

Der englische Schriftsteller William Somerset Maugham (1874 – 1965) erzählt in seinen Kurzgeschichten „Cosmopolitan“ (dtsch: Weltbürger“, 1965, List) von „German Harry“, einem Einsiedler auf der Torres-Insel Trebucket, es war die Deliverance-Insel. In der Realität soll es ein dänischer Seefahrer aus Langebæk gewesen sein, als Old Harry bekannt, tatsächlich aber Johannes Henrik Enevoldsen oder Henry Evolt  (1849/50 - 1928) hieß und von ca. 1888 bis zu seinem Tod ca. 30 Jahre lang als Einsiedler überwiegend allein auf der Insel lebte. Unter anderem ernährte er sich von Schildkröten und ihren Eiern (vgl. Enzyklopädie  site:at.wikiqube.net). 


[1] Die Meeresstraße wurde 1606 von dem spanischen Seefahrer Luis Vaez de Torres entdeckt.

[2] Die Kala Lagaw Ya-Sprache gehört zu den melanesischen Sprachen und hatte im Jahre 2014 zwischen 1200 und 3000 Muttersprachler. Eine Bibelübersetzung in diese Sprache ist im Netz einsehbar. Junge regionale Indigene sprechen oft eine kreolische Sprache. Der traditionelle Begriff Melanesien ( „Schwarzinselland“) soll nach der dunklen Farbe seiner Wälder und seiner Bewohner abgeleitet worden sein (vgl. Sievers, S. 330, a.a.O.).

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Abb.: Pelodiscus variegatus – Die Rüsselschildkröte (aus „Freitag“, 24. XII. 2020, S. 12). Erst im Jahre 2019 wurde im z.T. unzugänglichen, riesigen Mekong-Delta Vietnams eine neue Schildkrötenart entdeckt, Pelodiscus Variegatus (aus der Familie der Trionychidae), Gefleckte Weichschildkröte, eine Wasserschildkröte mit Rüssel und einem gefleckten bis zu 23 cm langen Panzer. Kaum entdeckt, ist die Schildkröte jedoch schon wieder vom Aussterben bedroht, denn Wilderer jagen alle Schildkröten der Region: Schildkrötenfleisch gilt dort als Delikatesse (vgl. „Freitag“, 24. XII. 2020, S. 12). 

 Eine der ältesten Schildkrötengattungen war die ca. 70 cm lange Proganochelys (gr. „Vorher-Schildkröte“; „progano“ vorher, „chelys“  Schildkröte), die u.a. in Deutschland als Fossil entdeckt wurde und im oberen Trias lebte (vgl. Abb. oben, aus Špinow, S. 96, a.a.O.). Ein Exemplar der Proganochelys befindet sich in der Sammlung des Berliner Naturkundemuseums. Im Jahre 2008 wurde in China eine vermutlich noch ältere Schildkrötenart entdeckt, Odontochelys (gr. „odonto“  „Zahn“ und „chelys“ „Schildkröte“), deren Ober- und Unterkiefer bezahnt waren. 

2015 wurde von Stuttgarter Paläontologen bei Schwäbisch Hall „Pappochelys“ entdeckt, ein ca. 20 cm langes Wesen, das noch nicht nach Schildkröte aussieht (vgl.Abb. unten). Die Panzerung dieses gegenwärtig als älteste Schildkröte der Welt angesehenen Tieres war noch unfertig, die Rippen waren verbreitert (Abb. aus http://www.focus.de/wissen/natur/palaeontologie/wissenschaft-aelteste-schildkroete-der-welt-entdeckt_id_4773816.html). Die Bezeichnung des ca. 240 Mio. Jahre alte Fossils „Pappochelys“ rührt her von gr. „pappos“ Großvater und „chelys“  Schildkröte. Dashalb wurde das Fossil umgangssprachlich auch „Opaschildkröte“ genannt.

Archelon ischyros  (Abb. aus Špinow, S. 130, a.a.O.)

Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) ist die einzige auch in Mitteleuropa heimische Schildkrötenart. In freier Natur ist sie heute bei uns vom Aussterben bedroht und war 2015 „Reptil des Jahres“. Das Exemplar der Abb. lebt im Sea-Life-Aquarium in Berlin und wird gerade von einem Pfleger von Algen und anderen Rückständen gereinigt (Abb. aus „Die Zeit“, Nr. 13/2019, S. 11).

Abb.: Zeichnung einer Riesenschildkröte von den Maskarenen-Inseln aus dem Jahre 1730 (Abb. aus Tagesspiegel, 1. Januar 2020).

Abb. Niederländische Seeleute, die auf einer Gewölbten Mauritius-Riesenschildkröte im Jahre 1598 reiten (Abb aus: https://de.wikipedia.org/wiki/ Cylindraspis#/media/Datei:Parrot_hunting_on_Mauritius.jpg

Abb.: "Auf dem Rücken eines Flusspferdes treiben diese zwei Pelomedusen-Schildkröten durch einen Fluss in Südafrika. Hier können sie sich sicher wähnen, schließlich haben Flusspferde kaum natürliche Feinde"  (Abb. aus: WWF-Magazin, H. 1/2020, S. 17).  Die Pelomedusen-Schildkröten (Pelomedusidae) sind eine Familie von Süßwasserschildkröten im östlichen und südlichen Afrika. Sie sind nicht in der Lage, ihren Kopf senkrecht zur Panzeröffnung einzuziehen, sondern legen ihn seitlich unter den Panzer. Die gehören deshalb zu den Halswender-Schildkröten.  

 

Abb.: Oben, aus Greenpeace Nachrichten, H. 2/2021, S. 5

 

23. Mai:  Welt-Schildkrötentag

 

 

 Der 23. Mai wurde als Weltschildkrötentag im Jahre 2000 von der „American Tortoise Rescue“ eingeführt und 2002 von der „Humane Society of the United States“ (HSUS, vgl. http://www.hsus.org/) übernommen und popularisiert. Ziel ist es, auf die Gefährdung der Schildkröten hinzuweisen und geeignete Aktionen zu ihrem Schutz zu initiieren.

 

Die zoologische Ordnung der Schildkröten (zool. Testudinata, Testudines, von lat. „testudo“  „Schildkröte“ [0] ; früher auch Chelonia vom gr. χελώνιον  „Schildkrötenschale“) sind eine Reptilienordnung mit ca. 340 wechselwarmen Arten und kurzem und breitem Körper, der von einem flachen oder gewölbten Schild bedeckt ist. Sie haben zahnlose Kiefer und legen die Eier auf dem Land ab. Sie sind weltweit verbreitet, auf dem Land, im Wasser und in den Ozeanen, außer den Polarregionen. Es gibt fleisch- und pflanzenfressende Arten.

 

Im Trias (vor ca. 240 – 195  Mio. Jahren) traten erstmals die echten Schildkröten (Chelonia) als eine wichtige Reptiliengruppe auf.  Im Perm (der letzten Periode des Archaikums, vor ca. 280 Mio. Jahren) gab es vielleicht Vorformen der Schildkröten (vgl. Špinow, S. 32, a.a.O.) .

In den Sammlungen des Berliner Museums für Naturkunde befindet sich ein Oberschenkelknochen der ältesten bekannten Schildkröte, die im Trias, vor ca. 240 Mio. Jahren lebte. Bei dem Micro-CT-Scan des Knochens stellte sich heraus, dass eine auffällige Beule des Knochens Symptome eines bösartigen Knochenkrebses zeigte. Dieser Krebs an dem Schildkröten-Knochen ist der zweitälteste, der bislang an Fossilien nachgewiesen wurde (vgl. Magazin des Naturkundemuseums Berlin, H. 2/2020, S. 20).  

 

In den kretazischen (kreidezeitlichen) Meeren Nordamerikas lebten vor ca. 72 Mio. Jahren große, bis zu 4 m lange Schildkröten, Archelon ischyros, die größte bisher entdeckte Schildkröten. Sie waren weitgehend an das Leben im Wasser angepasst: Die Panzer waren reduziert, da so Gewicht gespart wurde. Ihre Füße waren – wie bei den heutigen Meeresschildkröten – zu paddelförmigen Extremitäten umgestaltet und verbreitert, die Finger durch Hautgewebe verbunden.

 

Im Mesozoikum (Erdmittelalter) waren die Reptilien die erfolgreichste Gruppe der Landwirbeltiere. Die meisten Arten der Reptilien starben anschließend aus, vermutlich durch den Einschlag eines Asteroiden. Das Ende des Mesozoikums  überlebten nur vier Ordnungen der Reptilien …

  • die Krokodile (zool. crocodilia)
  • die Schuppensaurier (zool. squamata), die Schlangen, Eidechsen etc.
  • die Schildkröten (zool. chelonia), und
  • die Brückenechsen (zool. rhynchocephalia  „Schnabelköpfe“), mit einer einzigen rezenten Art (Sphenodon punctatus), ein neuseeländisches „lebendes Fossil“ (vgl. Špinow, S. 223, a.a.O.) .

Die Schildkröten haben sich seit dem Trias nur sehr wenig verändert, überlebten erdgeschichtliche Umbrüche und blieben bis in die jüngste Gegenwart ebenso zahlreich wie in der Vergangenheit. Die Schildkröten werden als „bizarres Überbleibsel primitivster Reptilien“ angesehen (vgl. Špinow, S. 96, a.a.O.) angesehen, die ursprünglich ausschließlich festländisch lebten, also terrestrische Tiere waren.

 

Heute gibt es weltweit ca. 340 verschiedene Schildkröten-Spezies, die meisten leben im Süßwasser. Sieben Arten leben im Meer, Meeresschildkröten sind aktuell vom Aussterben bedroht. 

Heutige Meeresschildkröten leben in tropischen und subtropischen Meeren. Die Weibchen werden mit frühestens 20 Jahren fortpflanzungsreif. Die Weibchen aller sieben Arten sind ortstreu, sie kommen zur Paarung und zur Eiablage an den Strand zurück, an dem sie selbst geschlüpft waren. Dazu schwimmen sie z.T. tausende von Kilometern durch den Ozean.

Bis heute ist es unklar, wie die Weibchen zu dem Strand ihrer Geburt zurückfinden. Vermutet wird, die Schildkröten verfügten (wie z.B. bei Rotlachsen oder einigen Zugvögelarten nachgewiesen) über ein Sinnesorgan zur Wahrnehmung des Erdmagnetismus. Dann könnte ein Art geomagnetische Prägung vorliegen, ein Lernvorgang der „magnetischen Signatur“ der Inklination der Feldlinien, der sie mit Hilfe einer Magnetfeld-Landkarte auch viele Jahre später immer wieder zum Strand ihrer Geburt zurückfinden lässt (vgl. Wiltschko, a.a.O.).  

Mit welchen Organen ggf. die Tiere das Magnetfeld der Erde wahrnehmen, ist unklar.

Die Männchen sind weniger ortstreu, so dass langfristige Inzucht verhindert wird. Der biologische Vorteil der Ortstreue liegt darin, dass – wie Forscher des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung 2013 feststellten – die Weibchen in bestimmten Gengruppen Abwehrkräfte genau gegen die Krankheiten und Parasiten vererben, die auf der jeweiligen Brutinsel auf den Nachwuchs warten.

Im Sand am Strand werden die Eier in einem selbstgegrabenen Loch abgelegt und von der Sonnenwärme ausgebrütet. Seit Jahrtausenden vermutlich ist der Moment des Schlüpfens im Sand und der Weg ins rettende Meer ein Massaker unter den Baby-Schildkröten: denn die nur handtellergroßen Tiere werden zum großen Teil von Vögeln und anderen Freßfeinden verzehrt, wie es z.B. schon der italienische sensationsheischend-voyeuristische Film „Mondo Cane“ aus dem Jahre 1962 zeigte.  

Im Durchschnitt erreicht nur einer von 1.000 „Schlüpflingen“ der Unechten Karettschildkröte (zool. Caretta caretta) das fortpflanzungsfähige Erwachsenenalter.

 

Ein Grund für die Faszination von Schildkröten ist, dass sie ein sehr hohes Alter erreichen können. Das Geburtsjahr einer Galápagos-Riesenschildkröte namens Harriet (sie lebte jahrelang im Australia Zoo/Queensland) lebte und 2006 verstarb, wurde auf 1830 geschätzt. Damit wäre sie mindestens 176 Jahre alt geworden. Meeresschildkröten können wahrscheinlich 75 Jahre oder mehr leben. werden  Als Haustier gehaltene Schmuckschildkröten können nachweislich bei guter Pflege 40 Jahre oder älter werden.

Die schwerste jemals gemessene Schildkröte wog 916 kg, eine Lederschildkröte.  

 

Da die Haut der Schildkröten – wie die aller Reptilien – im Laufe des Lebens nicht mitwächst, müssen sie sich Häuten. In Aquarien werden die Schildkrötenpanzer im Frühjahr mit Bürsten gereinigt: „Mit leichtem Schrubben der Schildkrötenpanzer unterstützen wir die Häutung. Das ist wie eine Massage für die Tiere“ (vgl. Tagesspiegel, 15. Mai 2019, S. 28).

Zu den Besonderheiten einiger Schildkröten gehören…

  • die Fähigkeit sehr lange Zeit ohne Nahrung und Wasser aus zu kommen
  • die Fähigkeit von Weibchen  manchen Arten, die Samen mehrerer Männchen zu speichern und ihre Einer damit erst lange nach der Paarung zu befruchten.

Als die im Indischen Ozean (ca. 500 km östlich von Madagaskar) gelegenen Maskarenen-Inseln  im Jahr 1512 vom portugiesischen Seefahrer Pedro Mascarenhas entdeckt wurden, lebten auf Réunion, Mauritius und Rodrigues Tausende Exemplare der Landschildkröten-Gattung Cylindraspis. Die Panzer der fünf Arten waren teilweise zurückgebildet, sie waren überflüssig, da die Schildkröten keine natürlichen Feinde auf den Inseln hatten. Durch die Verfolgung der eingewanderten Menschen (oder durch eingeschleppte Ratten oder Raubtiere) wurde die Gattung rasch ausgerottet und ist seit der Mitte des 19. Jhdts. ausgestorben. Den Dodo überlebten die Schildkröten immerhin ca. 200 Jahre (vgl. Kehlmaier, a.a.O.).  

 

Durch die Untersuchungmitochondrialer DNA-Sequenzen aus erhalten gebliebenen Resten von Maskarenen-Riesenschildkröten konnte nun in der „Scientific Reports“  deren abenteuerliche Geschichte näher geklärt werden.

Die Maskarenen-Inseln liegen auf dem Réunion-Hotspot, der immer wieder neue Vulkaninseln im Indischen Ozean entstehen (und vergehen) lässt. Vor ca. 40 Mio. Jahren dürfte nach den genetischen Berechnungen eine weibliche, befruchtete Cylindraspis von Afrika (oder Madagaskar oder Asien) zu einer dieser Inseln geschwemmt worden sein. Sie wurde (vermutlich) zur Urmutter aller Maskarenen-Riesenschildkröten, einer Population mit eigenständiger Evolution, die auch den Untergang der ursprünglichen Vulkaninsel durch Übergang auf die neu entstandenen Inseln überlebte.  Vor ca. 10. Mio. Jahren entstanden dann die heutigen Maskarenen, besiedelt von u.a. den Cylindraspis – bis die Menschen kamen (vgl. Kehlmaier, a.a.O.).      

 

Dagegen überlebten Riesenschildkröten (Aldabrachelys gigantea, Syn.: Dipsochelys) auf den Seychellen und insbesondere auf Aldabra, dem größten Atoll im Indischen Ozean. Politisch gehört Aldabra zu den Seychellen, liegt nördlich von Madagaskar und ist bis auf eine Ranger-Gruppe unbewohnt. Das Atoll steht unter strengem Schutz und konnte seine ursprüngliche Flora und Fauna weitgehend erhalten. 1982 wurde Aldabra von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt.

Die Seychellen-Riesenschildkröten  sind eine Gattung der der Landschildkröten und erreichen bis zu 1,2 m Länge und ein Gewicht von bis zu 250 kg. Sie sind die einzigen Riesenschildkröten weltweit, deren Bestand momentan nicht gefährdet ist. In der Population sind ca. 100.000 Tiere vorhanden.  

Im Jahre 2004 gelangte eine Aldabra-Schildkröte an die Küste von Tansania: das Tier war zwar abgemagert, aber gesund; es war die ca. 2000 km von den Seychellen nach Ostafrika getrieben/geschwemmt, vermutlich mehrere Monate lang (vgl. Tagesspiegel, 1. Januar 2020). 

 

Eine besondere, auffällige Jagdmethode zeichnet die bestandsgefährdete Geierschildkröte (Macrochelys temminckii; auch: Alligatorschildkröte) aus, denn sie „angelt“ ihre Beute. Diese bis zu 75cm große nordamerikanische Süßwasserschildkröte hat einen während der Jagd auffällig rosaroten Zungenfortsatz. Die Schilkröte ruht lauernd im Schlamm auf dem Boden des Gewässers, öffnet das Maul und bewegt den Zungenfortsatz. Vorbei schwimmende Fische halten den Zungenfortsatz für einen Wurm, schnappen nach ihm – und werden von den scharfen Kiefern der Schildkröte gefangen (vgl. Abbn. dazu unten).

 

Aussterben dürfte vermutlich bald die Yangtse-Riesenweichschildkröte, die größte Süßwasserschildkröte der Welt. Das letzte Weibchen der Art starb in einem chinesischen Zoo – bei einem Besamungsversuch. Weltweit gibt es nun nur noch drei bekannte Exemplare, - drei Männchen, eines in einem chinesischen Zoo und zwei in vietnamesischen Seen (vgl. Berliner Zeitung, 16. Arpil 2019, S. 26). 

 

Schildkröten tragen in vielen Regionen der Erde charakteristische symbolische Bedeutungen, von Ostasien, über den Mittelmeerraum und Afrika bis nach Amerika.  Insbesondere ist es eine kosmographische, die Welt beschreibende Symbolik: Der gewölbte Panzer der Schildkröte stellte das Himmelsgewölbe dar und die flache Unterseite die als Schiebe gedachte Erde (vgl. Chevalier, S. 956, a.a.O.).

Oft gelten sie als geduldig, weise, langlebig, aber auch von eigensinniger Kraft. Wegen der Sich-Selbst-Erneuerung bei der reptilientypischen Häutung (Abschilferung) wurden sie als unsterblich angesehen.

In der griechisch-römischen Antike war die Schildkröte wegen der großen Menge an Eiern ein Fruchtbarkeitsymbol und daher der Aphrodite bzw. der Venus heilig (vgl. Heinz-Mohr, S. 254, a.a.O.).    

 

 

In der chinesischen Tradition galten Schildkröten neben dem Drachen (long), Fenghuang (einer Art Phönix) und Qilin (einer Art Einhorn) als eines der vier Wundertiere, Si Ling (chin. 四灵), vier beseelten, mildtätigen, glückverheißende Wesen. Sie sollen  bereits bei der Erschaffung der Welt mitgewirkt und dann im Garten des Gelben Kaisers gelebt haben.

 

„Schildkröten“ ( / guī) standen traditionell in China  für ein langes Leben, Beständigkeit, Unwandelbarkeit, Treue und kosmische Geheimnisse; deshalb wohl waren in der chinesischen traditionellen Architektur die schönsten Säulen oft von Schildkröten getragen. Viele Kaiser und Heroen der frühen chinesischen Geschichte wurden in Gräbern bestattet, die von Hügeln in Form von Schildkrötenpanzern bedeckt waren (vgl. Spengler [1x], S. 55/56, a.a.O.).

 

Besonders verehrt wurde die mythische Geisterschildkröte (chin.: , língguī), die in ganz Ostasien die Langlebigkeit  (寿Chángshòu) repräsentiert. Die riesige Schildkröte trüge den sagenhaften Berg Horai auf ihrem Rücken, auf dem ein unsterblicher Eremit lebte. Die Inseln der Unsterblichen des legendären taoistischen Philosophen Lie-tseu fanden ihr Gleichgewicht nur, weil diese auf dem Rücken von Schildkröten beteten.

 

 

Später schwächte sich die Schildkröte als Glückssymbol langsam ab, vielleicht durch das Aufkommen einer Legende, nach der weibliche Schildkröten sich nur mit Schlangen paaren könnten. In der Folge wurden Männer, die von ihren Frauen betrogen wurden,  „Schildkröten“ genannt.

 

 

Generell aber waren Schildkröten auch sexuell konnotiert mit Schamlosigkeit, dem Penis, Zuhältern, Bordellbesitzern, dem Vater einer Hure u. a. (龜甲 / 龟甲 (guījiǎ) ; Der Schildkrötenpanzer hieß aber auch   guījiă. Einfach nur jiă bedeutete im alten China „Orakelknochen“.

 

Es gibt in China bis heute (angeblich) potenzsteigernde Pillen „… in der Form kleiner Schildkrötenschwänze“ (Spengler, S. 130, a.a.O.).

 

In China war (ist?) der Begriff „Schildkrötenei“ ein derbes, sexuell konnotiertes Schimpfwort. Chang/Halliday erwähnen einen Konflikt zwischen Mao tse-tung und seiner damaligen Ehefrau Gui-yuan im September 1937 in Yenan (Yan’an), anlässlich einer Affaire Maos. Seine Frau beschimpfte ihn daraufhin: „Du Sohn eines Schweins, du Schildkrötenei…“ (Chang/Halliday, S. 257, a.a.O.).  

 

Ein altes chinesisches Sprichwort lautet: „Die Schildkröte landet vor ihrer Zeit im Kochtopf“ (Spengler, S. 57, a.a.O.) – ihrer Langlebigkeit wegen.  

 

Die Schwarze Schildkröte (chin. 玄武 - Xuán Wǔ „schwarzer Krieger“ [2x]) spielt eine bedeutsame Rolle in der traditionellen chinesischen Astronomie.

 

Die Ekliptik wurde in China in 28 Xiù 宿,  Schlaf-, Ruheplätze, Wohnsitze unterteilt, entsprechend der vom Mond pro Tag zurücklegten Strecke. Diese 28 „Wohnsitze“ wurden den „Vier Symbolen" (= vier Himmelsrichtungen oder auch den „Vier Wundertieren“) zugeordnet (jeweils 7 Wohnsitze), es sind:

 

·         der „Blaue Drache des Ostens“ steht auch für den Frühling

 

·         der „Rote Vogel des Südens“ steht auch für den Sommer

 

·         der „Weiße Tiger des Westens“ steht auch für den Herbst

 

·         die Schwarze Schildkröte des Nordens“ steht auch für den Winter (vgl. Eberhard, a.a.O.).

 

Die Chinesischen Sternenkonstellationen, Sternbilder sind deutlich kleiner als die westlichen, alleine zur Schwarzen Schildkröte gehören 65 Sternkonstellationen und insgesamt 408 Sterne (vgl. Chinesischer Lunarkalender).  

 

Im archaischen China schon galten Schildkröten – wegen ihrer vermuteten Position zwischen Himmel und Erde – als Wahrsagungstiere. Dabei wurden erhitzte Metallnägel in einen Schildkrötenpanzer (oder Orakelknochen) getrieben und die entstehenden Risse dienten der Erkenntnis über die Zukunft.

 

Vielfach wird den Schildkröten in den Mythologien eine stabilisierende Funktion zugeordnet:

Die mythisch-vorzeitliche taoistische Fürstin Niu-Koua verwendete die vier Beine der Schildkröte um die vier Pole der Schöpfung festzulegen.  In chinesischen Kaisergräbern ruhen die Pfeiler oft auf einer Schildkröte.

Kung-Kung – eine Art chinesischer Teufel, verkörpert als schwarzer Drache  – entfachte durch seine üblen Taten nicht nur die Urflut; sein schlangenleibiger und neunköpfiger Diener Hsiang Yao erzeugte mit seinem Auswurf übelriechende Quellen und Sümpfe (vgl. Lurker, S. 180, a.a.O.). Kung Kung selbst nutzte eine Schildkröte zur Stabilisierung des Himmelspfeilers (vgl. Chevalier, S. 956, a.a.O.).   

 

Die Inseln der Unsterblichen des legendären taoistischen Philosophen Lie-tseu fanden ihr Gleichgewicht nur, weil diese auf dem Rücken von Schildkröten beteten.

In vielen Mythen weltweit spielen Schildkröten eine kosmophorische Rolle und sind – wohl ihrer Langlebigkeit wegen – ein Symbol für die Unsterblichkeit.

Kurma (skrt. = die Schildkröte) gilt in der indischen Mythologie als Verkörperung kosmischer Macht undf steht in Verbindung mit dem Schöpfergott Prajapati. 

Vishnu, ein indischer Schöpfergott, erscheint (in zweiter Inkarnation) als Schildkröte im Urmeer schwimmend, die Welt auf seiner Panzerschale tragend und diente so bei der Quirlung des Milchozeans als festes Fundanent (vgl. Lurker, S, 181, a.a.O.).

 

Seit Jahrhunderten hält sich in Thailand der Glaube, man könne negative Gedanken, Krankheiten. familiäre

 

Probleme und Sorgen etc. in eine ausgewählte Schildkröte „hineinmeditieren“. Wenn die so „behandelten“ Schildkröten freigelassen werden, sei man die Sorgen und Beschwerden auf diese Weise los. Auf Thai-Märkten findet man Stände, an denen Schildkröten praktisch als Arzneimittel verkauft werden.

 

In Bangkok gibt es mehrere Klöster, in denen in Teichen viele Schildkröten verschiedener Art leben. Sie werden von den Mönchen und den Touristen gefüttert, leben aber z.T. unter artunangemessenen Bedingungen. Tierschützer haben deshalb mehrfach Schildkröten aus den Klosterteichen befreit und gingen davon aus, diese Aktionen würden ihr Karma verbessern!     

Tempelschildkröten gibt es auch in Indien und Bangladesh.

Vishnu, ein indischer Schöpfergott, erscheint als Schildkröte im Urmeer schwimmend, die Welt auf seiner Panzerschale tragend.

Viele Buddhisten glauben, dass in jeder Schildkröte menschliche Seelen auf der Seekenwanderung verweilen, auf dem Weg ins Nirvana.

In Japan gilt der mit überlangem Schädel dargestellte Fukurokudshu (ein sprechender Name: „Glück, Reichtum, langes Leben“) als Glücksgott, Seine Begleittiere sind Schildkröte und Kranich, als Symbole für Langlebigkeit und zufriedenes Alter (vgl. Lurker, S. 109 & 162, a.a.O.).

In Japan symbolisieren Schildkröten schon seit Jahrhunderten Treue, Zuver-lässigkeit und Langlebigkeit. Nach einer mittelalterliche Legende zog einst ein Samurai für den Herrscher in den Krieg. Vor der Abreise steckte er Geld und wichtige Dokumente in eine Schatulle und setzte seine Schildkröte als Wächter bis zu seiner Rückkehr darauf. Aber er kam nicht zurück, er starb im Krieg. Viele Jahre später erst durchsuchten seine Enkel die Hinterlassenschaft und fanden die Schatulle, auf der noch immer – treu - die Schildkröte saß. Allerdings war ihr in den vielen Jahren hinten aus dem Panzer ein langer Bart gewachsen. Bis heute gibt es in Japan viele Souvenirläden, in dem Schildkröten mit Bart angeboten werden.

Bei den Kalmüken trägt eine Schildkröte die ganze Welt. Wenn einst die Hitze der Sonne alles austrocknen und verbrennen wird, dann wird auch die Schildkröte unruhig und sich umdrehen, und so das Ende der Welt herbaiführen (vgl. Chevalier, S. 957, a.a.O.).

 

Im antiken Griechenland wurde der Mythos von Chelone (Χελώνη  gr.  Schildkröte) tradiert. Anlässlich der Hochzeit des Zeus und der Hera wurden alle Götter, Menschen und Tiere durch den Götterboten Hermes eingeladen. Die junge Chelone jedoch blieb als einzige zu Hause, aus Verachtung vor der Götterhochzeit. Hermes, der ihr Fehlen bemerkt, stieg er zur Erde hinab, warf Chelone mitsamt ihrem Haus in einen Fluss und verwandelte sie in eine Schildkröte. Sie muß deshalb ihr Haus fortwährend auf dem Rücken tragen.

Im antiken Griechenland gab es zudem auf den Bergen in der Nähe von Tegea ein lokales Tabu gegen den Verzehr von Schildkröten, im Zusammenhang mit der Verehrung des Gottes Poseidon (vgl. Tokarew, S. 514, a.a.O.).

 

Bei den mesoamerikanischen Maya wird ein Mondgott mit einem Schildkrötenpanzer als Brustschutz dargestellt (vgl. Chevalier, S. 957, a.a.O.).

 

Jabuti“ ist der Indio-Name für eine im Amazonas-Gebiet heimische  Sumpfschildkröte mit langen, geschuppten Beinen. In dem Roman „Quarup“ von Antonio Callado wird die Indio-Legende erzählt, wie der jabuti zu seinem Panzer kam: „Der jabuti, der damals nur einen weichen, weißen Schild besaß, wurde von einem Jaguar angegriffen und ließ sich von ihm beißen. So tief, daß der Jaguar im jabuti steckenblieb und schließlich verendete. Da machte der jabuti aus dem Schädel des Jaguars seinen Panzer“ (Callado, S. 349, a.a.O.). 

 

Claude Lévi-Strauss führt in seiner „Eifersüchtigen Töpferin“ an, dass die indianischen Guarayo vom Rio Madre de Dios im Tiefland von Bolivien annehmen, Tiere würden über eine Reihe von Zwischenstufen vom Menschen abstammen: „Die Erdschildkröte stammt vom Affen und der Affe vom Menschen ab“ (Lévi-Strauss 1987, S. 11, a.a.O.).

Im archaischen China schon galten Schildkröten – wegen ihrer vermuteten Position zwischen Himmel und Erde – als Wahrsagungstiere. Dabei wurden erhitzte Metallnägel in einen Schildkrötenpanzer (oder Orakelknochen) getrieben und die entstehenden Risse dienten der Erkenntnis über die Zukunft.

 

Bei den Tikar (im nordwestlichen Kamerun) wurden Taburett-Schildkröten bei örtlichen Gerichtsverfahren als eine Art Lügendetektor eingesetzt. Verdächtige wurden während des Verhörs auf den Rücken der Schildkröte gesetzt – in der Annahme, sie würden dort nicht lügen können (vgl. Chevalier, S. 957, a.a.O.).     

 

Bei den Bafia (einer Ethnie im zentralen Kamerun), ist die Schilkröte ein Symbol der Gerechtigkeit, des Friedens und des Glücks. Das Totemtier gilt als heilig: man darf es nicht verzehren, nicht jagen, man respektiert, ja  man  fürchtet es und darf es nicht ansehen. Le totem est présenté comme le fondement des institutions, un modèle de comportement, une exigence d'organisation.

 

Joseph Dong'Aroga, selbst ein Angehöriger der Ethnie der Bafia, beschreibt sein Entsetzen, als es bemerkte, dass andere Kameruner Schildkröten keineswegs als tabu erachteten. Er führt aus, wie bei den Bafia das Totem die Grundlage der sozialen Organisation und des Verhaltens bildet (vgl. Dong'Aroga, a.a.O.).  

 

Schildkröten fanden auch Eingang in volksislamische Glaubensvorstellungen, so in der marokkanisch-berberischen Kleinstadt Lalla Takerkoust, am Rande des Hohen Atlas, ca. 40 km südöstlich von Marrakesch. Der Ortsname geht auf die regional verehrte Sufi-Heilige Lalla Takerkoust (12. Jhdt.) zurück. Sie soll des Arabischen nicht mächtig gewesen sein und kannte sich nicht einfache Gebetsformeln. Ihre überkuppelte und ummauerte Grabstätte (qubba) liegt in der alten Ortsmitte. An der Außenmauer tritt eine Heilquelle hervor, die ein Wasserbecken außerhalb des Gebäudes speist, in dem als wunscherfüllend angesehene Wasserschildkröten leben. Die Schildkröten werden von den Gläubigen als hilfreiche Geister (dschinn) angesehen, die die  Segenskraft (baraka) der Heiligen übertragen können. Physisch und psychisch Kranke kommen bis heute an das Wasserbecken und halten ihre mit Teig versehene Hand oder einen Fuß ins Wasser: Die Schildkröten knabbern an dem Teig, werden so  günstig gestimmt, damit sie die Krankheit heilen. Bis in die 1970er Jahre erhörten die Schildkröten auch die Fürbitten von Juden, seither nur noch die von Muslimen. Orthodoxe Muslime verabscheuen diese Praxis, - der IS hätte die Grabanlage sicher gesprengt.

 

In einigen Regionen werden Schildkröten aber auch negative Aspekte zugeschrieben,  ja auch mit dämonischen Kräften in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Abbn. aus Ägypten und Aquileia), allein schon wegen der Fruchtbarkeit und des Lebens im Wasser und Schlamm.

Wegen ihrer „sündigen Fleischlichkeit“ sind Schildkröten in der christlichen Kunst kein häufiges Thema, spielen aber seit den Kirchenvätern in Erbauungspredigten eine beispielhafte Rolle.

Bei Ambrosius findet sich aber auch der Hinweis, dass aus ihrem Panzer ein Instrument verfertigt wird, „… das im Dienste einer herzerfreuenden Kunst in sieben Tönen rhythmische Melodien erklingen lässt“ (Ambrosius, Zit. n. Heinz-Mohr, S. 254, a.a.O.).  

 

Die heute vielleicht bekannteste Schildkröte ist Kassiopeia und spielt in MOMO, einem 1973 erschienener Roman von Michael Ende eine wichtige Rolle, denn sie unterstützt Momo in ihrem Kampf gegen die die Menschen um die Zeit betrügenden „grauen Herren“.

 

In einem (vielgestaltig überlieferten) Mythos der Irokesen [1] (ursprünglich im nordwestlichen Waldland des heutigen Staates New York und in Ontario) wurde die Großmutter der Menschen (die „Himmelsfrau“) schwanger, von ihrem Mann (dem Mond?) aus Eifersucht vom Himmel herab ins Meer gestürzt– Land gab es damals noch nicht. Die Schildkröte nahm die Großmutter auf ihrem Rücken auf, den die Bisamratte mit Schlick bedeckte, den sie vom Grund des Meeres emporholte. So wurde langsam auf dem Rücken der Schildkröte die erste Insel geformt, aus der schließlich das gesamte Land entstand.  

Auch die Entstehung der Menschen hing für die Irokesen in zwiefacher Hinsicht mit der Schildkröte zusammen. Die Tochter der Großmutter (gezeugt von der Schildkröte) wurde wundersam geschwängert (vom Westwind, einem jungen Mann??) und gebar antagonistische Zwillingshelden, die Schöpfer des Guten, Iosheka, und des Bösen, Tawiscara (vgl. Guirand, S. 522, a.a.O.). Der gute Heros Iosheka (i.e. „der Helle“) stürzte nach seiner Geburt in einen See, direkt vor der Hütte einer Schildkröte. Von dieser erhielt er u.a. Pfeil und Bogen, zwei Maiskolben, sowie reife Körner, um sie zu pflanzen (vgl. Chevalier, S. 957, a.a.O.).  

Der böse Zwillingsheros Tawiscara (i.e. „der Dunkle“)  tötete seine Mutter bei der Geburt, er versuchte alle guten Gaben seines Bruders zu schädigen.

Nach einer anderen Fassung der Legende wuchsen aus dem Grabe der Mutter eine Tabakspflanze, ein Bohnenbusch. eine Mais- und eine Kürbispflanze (vgl. Graymont, S. 17, a.a.O.). Die Irokesen waren ursprünglich Jäger und Sammler, gingen aber bereits vor der Ankunft der Europäer zum Feldbau über.

Für einige Gruppen (Phratrien, Clans, Gentes [2]) der Irokesen war die Schildkröte ein Totem-Tier [3] , das weder gejagt noch gegessen werden durfte [2a] (vgl. Findeisen, S. 50, a.a.O.).

Diese totemistische Tradition wird auch in dem lesenswerten Kinderbuch „Blauvogel“ von Anna Jürgen erwähnt (vgl. a.a.O.). Auch trug in dem „Blauvogel“ der Tomahawk eines Mannes der „Schildkrötenfamilie“ am Griff „… in roter Farbe das Bild einer Schildkröte: ein ovales Rund mit sechs Punkten am Rand für die Beine, den Kopf und den Schwanz“ (Jürgen, S. 9, a.a.O.).

Der US-amerikanische (evolutionistische) Ethnologe Lewis Henry Morgan (1818 - 1881) führte in seiner Schrift „Ancient society“ (erschienen 1877) für den Irokesenstamm der Seneca acht nach Tieren benannte Gentes an: 1. Wolf 2. Bär, 3. Schildkröte, 4. Biber, 5. Hirsch, 6. Schnepfe, 7. Reiher und 8. Falke (vgl. Morgan, S. 90, a.a.O.). Morgan führte zu den Irokesischen Gentes aus: „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, obwohl nie formuliert, waren die Grundprinzipien der Gens“ (Morgan, zit. n. Engels, 1960, S. 225, a.a.O.).  

Auch wurden damals die Angehörigen der jeweiligen Gentes getrennt begraben, zusätzlich noch nach Frauen und Männern getrennt (Morgan, S. 104, a.a.O.).

Besonders auffällig war die matrilineare gesellschaftliche Organisationsform der Irokesen, die sich zu einer 5- bzw. 6-Nationen-Föderation zusammengeschlossen hatten und  Elemente einer egalitären Konsensdemokratie (vgl. Thomas Wagner, a.a.O.) aufwies [4]. Die Stammesföderation hatte eine matrilineare Sozialstruktur und differenzierte Beratungs- und Entscheidungsgremien, von denen Elemente in die US-Verfassung eingegangen sein sollen.

In dem 1566 verfassten „Bericht aus Yucatán“ des franziskanischen Missionars und Bischofs Diego de Landa beschrieb dieser „…staunenerregend große Schildkröten“, von denen „… einige … weitaus größer (sind) als mächtige Rundschilde; sie sind schmackhaft und haben überaus viel Fleisch; die Eier, die sie legen, sind so groß wie Hühnereier, und sie legen hundertfünfzig oder zweihundert, wofür sie in Sand, außerhalb des Wassers, ein großes Loch schaufeln; danach decken sie die Eier mit Sand zu, und dort schlüpfen die kleinen Schildkröten aus. An Land, in den trockenen Waldgebieten und in den Lagunen gibt es verschiedene andere Schildkrötenarten“ (de Landa, S. 159, a.a.O.).    

 

Die pazifischen Galapagos – Inseln verdanken ihren Namen den Schildkröten (vgl. Neef, S. 368, a.a.O.)., span. „galapagos“ = „Waserschildkröten“.

Die Lage des vulkanischen Archipels – ca. 1000 km vom Festland entfernt -  wurde von den Spaniern lange geheim gehalten. William Dampier (1651 - 1715), der britische Freibeuter, Weltumsegler und Naturforscher, besuchte im Juli 1684 die Galapagos-Inseln. In dieser Zeit waren die Inseln zum Rückzugsort für Piraten geworden, die dort ihre Schätze versteckten.

Dampier beschrieb die Fauna und Flora des Archipels. Insbesondere sprach es von den damals noch zahlreichen bis zu 350 kg schweren Riesenschildkröten: sie seien so köstlich, „… daß kein jung Huhn besser schmecken kann“ (Dampier, zit. n. Glaubrecht, a.a.O.). Er führte an, dass er an einer Bucht über 3000 der Tiere zählen konnte. Die Seefahrer pflegten damals auf den Inseln  Schildkröten als lebende Konserven in die Vorratsräume zu laden, 

 

Darwin erreichte im September 1835 die Galapagos-Inseln. Der damalige Gouverneur der Inseln, Nicholas Lawson, erzählte Darwin, dass er schon an der Form der „Panzer“ erkennen können, von welcher der Inseln des Archipels die entsprechende Schildkröte stamme.

Charles Darwin beschreibt in seinem Reisetagebuch plastisch, wie die Schildkröten auf dem Archipel durch die Menschen dezimiert wurden. Auch Darwin lebte auf den Inseln überwiegend von Schildkrötenfleisch, fand es aber nur mäßig (vgl. Darwin).    

Jahrhundertlang, zumindest bis ins 17. Jhdt. gingen Schiffsärzte davon aus, dass die Skorbut eine Folge des Fleischmangels an Bord sei. Das Vitamin C wurde erst 1928 entdeckt. 

Da Schildkröten sehr lange ohne Essen und Trinken auskommen, man zudem glaubte, sie empfänden keine Schmerzen, weil sie keine Laute von sich geben, wurden viele der Tiere  im Schiff  tierquälerisch unter Deck zusammengepfercht. Durch die Seefahrer wurden die Schildkröten der Seychellen- und Galapagos-Inseln fast vollständig ausgerottet.

Auch die „Beagle“ führte bei der Abfahrt 30 der Schildkröten mit sich, die allesamt im weiteren Verlauf der Reise verspeist wurden, auch von Darwin selbst. Erst viele Jahre später, zurück in England, erkannte Darwin, dass die Schildkröten – als Beleg für die Veränderlichkeit der Arten - vielleicht die bedeutsamsten Fundstücke der Inseln gewesen wären. 

Seit 1959 sind die zu Ekuador gehörenden Inseln größtenteils ein Naturpark, aber völlig überlaufen und ökologisch gefährdet: Im Jahre 2018 besuchten ca. 275 000 Menschen die Inseln. Allerdings wird das Geld der Touristen z.T. für den Naturschutz verwendet.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte im Februar 2019 im Rahmen eines Staatsbsuchs auch die Galapsgos-Inseln. In der Schildkröten-Aufzuchtstation Santa Cruz – die seit 1964 von der Charles-Darwin-Stiftung betrieben wird - übernahm er die Patenschaft für eine junge Meeresschildkröte, Alejandra. In drei Jahren soll sie ausgewildert werden, denn Schildkröten sind auf den Inseln gefährdet, nicht nur durch Plastikmüll. Bei einer Aktion au den Küsten des Archipels wurden 22 t vorwiegend angeschwemmter Plastikmüll auch durch Sieben des Sandes eingesammelt (vgl. „Tagesspiegel“, 16. Februar 2019, S. 3). Und dabei gibt es seit einem 2014 eingeführten Plastiktütenverbot praktisch keine Plastiktüten mehr auf den Inseln, zudem wurde ein erfolgreiches Bildungs-, Mülltrennungs- und Recyclingprogramm u.a. von WWW initiiert.  

 

Das Schlüpfen der Schildkröten ist heute auf Heron Island für Reisende die Hauptattraktion. Die kleine Insel im Nordosten Australiens wurde 1843 entdeckt und nach den dort beobachteten Reihern (engl. heron) benannt.

1925 wurde auf der Insel eine Abfüllanlage für Schildkrötensuppe errichtet, die sich jedoch nach schon 2 Jahren nicht mehr rentierte, da die zuvor zahlreichen Tiere, die Grüne Meeresschildkröte und die Karettschildkröte rasch dezimiert wurden. In den Gebäuden der ehemaligen Fabrik wurde dann 1932 das erste touristische Ressort im Großen Barriere-Riff eingerichtet, 1943 wurde Heron Island zum Nationalpark. Heute darf in ihm nichts eingeschleppt, mitgenommen, verändert werden, in das Ökosystem der Insel darf nicht eingegriffen werden (vgl. Bisping, a.a.O.).

Ca. 4000 Schildkröten leben permanent um Heron Island, zudem ca. 200 000 Vögel. Zwischen Oktober und März kommen die weiblichen Schildkröten jeweils 4 – 5 Mal zur Eiablage an Land. 8 Wochen später, also zwischen Dezember und Mai schlüpfen nachts die jungen Schildkröten, kriechen aus ihren Nesthügeln, krabbeln vom Mondlicht geleitet dem rettenden Meer entgegen. Auch hier werden die allermeisten Baby-Schildkröten Opfer ihrer vielen Fressfeinde.   

 

Ästivation (vom lat. aestes  Sommer, Hitze) bezeichnet die Strategie mancher Tiere, hohen Temperaturen und starker Trockenheit auszuweichen, indem sie die Sommermonate weitgehend verschlafen. Solche Sommerruhe kommt bei einigen Insekten vor, aber auch bei einigen Reptilien, wie der Ägyptischen oder Tunesischen Landschildkröte (vgl. Vaas, S. 18, a.a.O.), oder der Spornschildkröte (s. Abb. unten)

 

Schon seit ca. 120 bis 150 Mio. Jahren leben Meeresschildkröten auf dem Planeten Erde, Gefahren drohen Schildkröten heute v.a. durch den Menschen. Seit Jahrzehnten gehen die Schildkröten-Populationen zu Lande und zu Wasser dramatisch zurück, viele sind akut vom Aussterben bedroht. Allein in Chinas Garküchen werden alljährlich um die 20 Millionen Schildkröten zu Suppe verkocht.

Gefährdet sind die Meeresschildkröten besonders durch den Menschen:

Ø  als Beifang der Fischer: „Einige Hunderttausend Schildkröten verenden pro Jahr an Haken der oft über 100 Kilometer langen Leinen. Andere werden in Fisch- oder Shrimpsnetzen gefangen“ (vgl. Berliner Zeitung, 26. September 2017, S. 18).

Ø  durch das Fangen bei der Eiablage und das Sammeln der Eier, was nicht nur an der mesoameikanischen Pazifikküste bis heute weit verbreitet ist. Schildkrötenarten landen noch immer hunderttausendfach im Kochtopf (vgl. Greenpeace-Magazin, 2/04). 

Ø  durch den Verlust von Lebensräumen, z.B. dem Bau von Hotels an Eiablagestränden: „Hell erleuchtete Hotels an Stränden etwa halten die Schildkröten-Weibchen vom Eierlegen ab und irritieren die frisch geschlüpften Babys, so dass sie den Weg zum lebenswichtigen Meer nicht finden“ (vgl. Berliner Zeitung, 26. September 2017, S. 18).

Ø  durch den Klimawandel (vgl. Tag der Umwelt) können Brutgebiete (ansteigender Meeresspiegel,  vgl. Tag des Meeres, Sturmfluten) überschwemmt oder vernichtet werden. Höhere Temperaturen des Sandes am Strand führen dazu, dass sich aus den abgelegten Eiern mehr Weibchen entwickeln: Die Folgen dieser Veränderung im Quantitativen Geschlechterverhältnis sind unklar. Zudem sterben viele Eier bei zu hohen Temperaturen ab- So wurden z.B. in Malaysia an einem Schildkrötenstrand Kokospalmen gefällt, ohne Schatten wurde es den Eiern zu heiß.

Ø  durch die Vermüllung der Meere: Bei einer wachsenden Zahl von Meeresschildkröten findet man Plastikstücke im Magen, durch die die Tiere sterben können (vgl. Tag des Meeres & Tag der Umwelt). Treibende Plastiktüten ähneln Quallen und Meeresschildkröten lieben Quallen. Wenn eines der Tiere ein Plastikobjekt frisst, kann das Material ihren Magen verstopfen, was es dann daran hindert, echte Nahrung herunter zu schlucken. „Manche der Reptilien bekommen eine ‚bubble butt‘ (engl. ‚Blasenhintern‘, C.M.), einen derart aufgeblähten Bauch von den Gasen, die bei der Plastikzersetzung frei werden, dass die Tiere nur an der Oberfläche treiben, aber nicht mehr abtauchen können. Die Folge: Die Schildkröten verhungern oder werden von Freßfeinden erbeutet“ (Bisping, S. 13, a.a.O.), z.B. Haien. Australische Forscher stellten bei der Untersuchung von 250 toten Meeresschildkröten fest, dass ….

       - jedes zweite Jungtier Plastikobjekte im Magen-Darmtrakt hatte

          - bei jugendlichen und ausgewachsenen Schildkröten es „nur“ jedes sechste Tier war

      - sich bei Schlüpflingen kein Plastik im Magen fand.

Jüngere Schildkröten – erklären die Forscher – scheinen eher dort zu fressen, wo sich mehr Plastik im Meer befindet – nahe den Küsten (vgl. „Tagesspiegel“, 18. September 2018, S. 25 und Abb. unten)     

 

Immer wieder sterben Meeresschildkröten durch gefressenen Plastikmüll oder verheddern sich in treibendem Müll. Forscher gingen davon aus, die Schildkröten verwechselten z.B. treibende Plastiktüten mit Quallen.

Eine Forschergruppe um Joseph B. Pfaller (Universität von Florida) beschäftigte sich mit dem Verhalten der Meeresschildkröten dem Plastikmüll gegenüber.

Sie vermutete, dass die Schildkröten nicht nur vom Aussehen, sondern auch von dem Geruch des Plastkmülls angelockt würden (vgl. Pfaller, S. 213, a.a.O.). Auf dem Plastikmüll siedeln sich im Meer jedoch rasch allerlei Mikroorganismen, Algen, Pflanzen und andere Lebewesen an.     

In einem Geruchsexperiment mit Unechten Karettschildkröten reagierten diese auf Futtergerüche (Fisch, Garnelen) genauso intensiv wie auf den Geruch von Plastik mit Ablagerungen (vgl. „Tagesspiegel“, 10. März 2020, S. 16).

Auf den Geruch von sauberem Plastik reagierten sie hingegen gar nicht mit Suchverhalten. Beim partiellen Absterben des Belags entsteht ein nahrungsähnlicher Geruch („Bio-fouling“), der die Tiere anlockt. Auch ist der Belag durchaus nahrhaft, wird allerdings oft zu einer tödlichen Falle (vgl. Pfaller, S. 213, a.a.O.). Unklar ist jedoch noch, welche chemischen Verbindungen von besiedeltem Plastik die Schildkröten anlocken.     

 

Eine Studie aus dem Jahre 2017 (von der Aristoteles Universität Thessaloniki) zu den Populationen von 7 Arten der Meeresschildkröten belegte eine leichte Erholung einiger der 299 Populationen weltweit: Bei 95 von ihnen stieg die Zahl der Schildkröten deutlich an, bei 35 Populationen sank sie deutlich ab. Bei den restlichen blieb sie in etwa gleich (vgl. Berliner Zeitung, 26. September 2017, S. 18).

  

Günstig auf die Schildkrötenpopulation wirkt der aktive Schutz der Brutgebiete und der Eiablagen, so z.B. in dem 25 km langen Schutzreservat Ras al-Dschinz in Oman, wo nun auch geführte Öko-Touristen vor allem von Juni bis zum November die Eiablage der Grünen Meeresschildkröte erleben können.

Schon 1983 wurde Archelon, ein Verein zum Schutz der Schildkröten in Griechenland (mit Sitz in Glyfada bei Athen) gegründet. Er kümmert sich seither um u.a. den Schutz der Nester der Unechten Karettschildkröte in Zakynthos, auf Kreta und dem Peleponnes.

Dennoch stehen sechs der sieben Meeresschildkrötenarten als gefährdet, sehr gefährdet oder vom Aussterben bedroht auf der Roten Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature, Weltnaturschutz –Union, (vgl. Berliner Zeitung, 26. September 2017, S. 18).

 

Weltweit gibt es unterdessen mehrere Institutionen, die sich um verletzte und erkrankte Schildkröten bemühen.

So z.B. das „Ontario Turtle Conservation Centre“ in Kanada, das jährlich Hunderte bei Unfällen verletzte Schildkröten rettet. Vor allem geht es darum, durch Autounfälle verletzte Panzer wieder zusammen zu fügen; oftmals sind es allein dort mehr als 20 Operationen täglich. Es handelt sich dabei um in Ontario heimische Arten, die auf der „Roten Liste“ als zumindest gefährdet stehen (vgl. „Tagesspiegel“, 14. 10 2017).

Schon 1986 wurde das „Turtle Hospital“ in Marathon/Florida gegründet, das bislang einige Tausend verletzte Schildkröten rettete und wieder ins Meer entließ.   

In der nicht-profitorientierten Tierrettungsstation „Carolina Waterfowl Rescue“(CWR) in Nord-Carolina werden jährlich hunderte von verletzten Schildkröten behandelt, v.a. Weibchen, die zur Eiablage an Lande gekommen sind: Viele werden von Autos angefahren, von Rasenmähern verletzt oder von Hunden gebissen.

Verletzungen am Panzer der Schildkröten müssen wieder zusammenwachsen, wie gebrochene Knochen. Dabei haben sich gespendete BH-Verschlüsse als Hilfe bewährt. Sie wurden an die Bruchstelle geklebt und dann mit Drähten so verbunden, dass der Riss zusammengehalten wird. Der Heilungsprozess kann Monate dauern, aber 70 % der dortigen Schildkröten-Patientinnen können durchschnittlich als geheilt wieder in die Freiheit entlassen werden.

Bei Schildkröten dauert es lange Jahre bis die Tiere geschlechtsreif sind. Die Weibchen legen zwar jedes Jahr viele Eier, ältere Schnappschildkröten bis zu 60 Stück. Aber weniger als ein Prozent der Eier führt zu einer erwachsenen Schildkröte. Es dauert rund 20 Jahre, bis eine Schildkröte selbst Eier legt. Besonders lang ist der Zyklus bei den Schnappschildkröten (Chelydra serpentina), die aus Nordamerika stammen und in Süßwasserseen und Flüssen leben: Ca. 1500 Eier und 59 Jahre werden benötigt,  um eine weibliche Schnappschildkröte in der Natur zu ersetzen.

 

Wie australische und US-Forscher jüngst feststellten, bedroht der globale Klimawandel die Existenz einer der größten Kolonien von Meeresschildkröten im nördlichen Great-Barriere-Riff: Da der Sand, in dem die Schildkröten ihre Eier vergraben, wärmer geworden ist, schlüpfen dort zu 99,1% nur noch weibliche Jungtiere (vgl. „Stern“, 18. Januar 2018, S. 20).

Meeresschildkröten sind – betonen Ökologen – ein guter Bioindikator für die Güte der jeweiligen Umwelt und die Biodiversität, - wenn die Umweltbedingungen sich verschlechtern, verschwinden sie. Zudem ernähren sie sich u.a. von Quallen, deren Gift z.T. auch tödlich für Menschen ist (vgl. Kouagheu, a.a.O.).

  

Besonders aktiv beim Schutz der Meeresschildkröten ist auch das Fischerdorf Ebodjè in Kamerun. Das Dorf hat knapp 1000 Einwohner, liegt am Atlantik, im Süden Kameruns, ca. 40 km von der Grenze zu Äquatorial-Guinea. Die Bewohner gehören überwiegend zu dem kleinen Volk der Yasa, deren Sprache zu den südlichen Bantusprachen gehört und in Kamerun, Äquatorial-Guinea und Gabun gesprochen wird. Es gibt ca. 2400 Yasa-Sprecher. 

An dem kilometerlangen Strand von Ebodjé kommen 4 der 5 im Golf von Guinea lebenden Meeresschildkröten zur Eiablage:

  • die Lederschildkröte (Dermochelys coriacea; frz. tortue luth; Vandelli, 1761): Sie ist die größte aller Meeresschildkröten; das größte bei der Eibalage in Ebodijé beobachtete Exemplar hatte eine Breite von ca. 2,1 m und eine Länge von ca. 2,4 m.  
  • die Oliv-Bastardschildkröte (Lepidochelys olivacea; frz. tortue olivâtre; Eschscholtz, 1829) 
  • die Echte Karettschildkröte (Eretmochelys imbricata; frz. tortue imbriquée; Linnaeus, 1766)  
  •  die Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas; frz.  tortue verte; Linnaeus, 1758 )

Im Jahre 2017/18 kamen ca. 150 Schildkröten zwischen September und April zur Eiablage an den Sandstrand des Dorfes.

In der Region ist die Naturschutz-Organisation „Tube Awu“ (auf Yasa  „Unser Ozean“) zum Schutz der Meeresschildkröten aktiv.

Denis Gnamabo, der Vorsitzende von Tube Awu, meinte: „Die Meeresschildkröte ist in unserem Emblem. Von Generation zu Generation ist sie Teil unseres Lebens. Sie zu schützen ist heute unsere größte Aufgabe“ (zit. n. Kouagheu, a.a.O.).

Früher allerdings machte er, wie auch seine Vorfahren und nahezu alle Dorfbewohner, Jagd auf die Schidlkröten, töteten sie und aßen ihre Eier und ihr Fleisch.

Erst Ende der 90er Jahre wurden die Dorfbewohner durch eine Forschergruppe (mit Teilnehmern auch aus Europa) auf die Bedeutung der Schildkröten und ihres Schutzes aufmerksam gemacht. Viele erkannten, dass die Tiere zu anderen Dingen dienen könnten als zur Nahrung.

Mit der Hilfe verschiedener Nicht-Regierungsorganisationen begann man in Ebodjé den Ökotourismus zu entwickeln, organisierte Unterkünfte, Speiseräume und Naturführungen. 99% der Besucher kamen wegen der Schildkröten,

Eine Schildkrötenaufzuchtstation wurde mit externer Unterstützung eingerichtet, in dem Schildkröteneier geschützt und die Schlüpflinge – vom ganzen Dorf begleitet – zum Meer gebracht werden. So wurde die Überlebensrate der Jungtiere deutlich erhöht.

Im Jahre 2001 Museum "La Maison de Ndiva" (auf Yasa: Ndiva  Lederschildkröte) eingerichtet, mit Informationstafeln und Bildern zum Leben und zur Anatomie der Tiere und allerlei Schilkrötenobjekte, so konservierte Eier der Meeresschildkröten oder Panzer von einst gejagten Tieren.

So hat sich die Zahl der Besucher deutlich erhöht: In den letzten Jahren kamen durchschnittlich mehr als 300 Besucher in das recht abgelegene Ebodjé.

Jedoch wird dort auch immer noch gewildert, es wurden 2017 und 2018 jährlich ca. 20 Meeresschildkröten erlegt, darunter auch Lederschildkröten.

Denn vom Ökotourismus profitieren nicht alle Dorfbewohner genügend. Geplant sind deshalb u.a. die Errichtung einer Kühlkammer für die gefangenen Fische und den Ausbau einer Kokusnussanbau- und Vertriebsgenossenschaft (vgl. Kouagheu, a.a.O.).

Zum Schutz der Meeresschildkröten stellten deshalb internationale Nicht-Regierunsgsorganisationen Gelder bereit. Jeder Fischer, dem zufällig eine Schildkröte ins Netz geht und der sie lebendig ins Dorf bringt, erhält als Kompensation 10 000 Francs CFA ( ca. 15,- €).

Die Mäzene finanzierten zudem den Besuch von Kindern des Dorfes auf höheren Schulen, so dass einige schon das Baccalauréat erreicht haben, - dank der Schildkröten!  

 

Auch die (ca. 270) Inseln in der Torres-Straße [5] (zwischen dem Kap York, der Nordspitze Australiens, und Neuguinea) drohen durch anthropogen ansteigenden Meeresspiegel, extreme Wetterereignisse und Erosion mit „Mann und Maus“ unterzugehen. Betroffen davon sind auch die dort nistenden Schildkröten, deren Nistplätze immer stärker zerstört werden (vgl. „Tagesspiegel“, 15. Mai 2021, S. 24).

Berühmt ist die kleine, heute unbewohnte Torres-Straßen-Insel Deliverance Island, auf Deutsch etwa „Erlösungsinsel, Befreiungsinsel“, in der indigenen Kala-Lagaw-Ya-Sprache [6] heißt sie Warul Kawa „Schildkröteninsel“. Sie liegt nur ca. 34 km südlich der Küste von Papua-Neuguinea, gehört aber zum australischen Bundesstaat Queensland. Die vollständig bewaldete (viele Kokosnuss-Palmen), vogelreiche Insel ist nur knapp 1,7 km lang, maximal 0,47 km breit und an den höchsten Stellen gerade 2 m hoch. Umgeben ist die Schildkröten-Insel von einem wattartigen Meeresgebiet, mit Seegras, Braunalgen und Grünalgen, aber nur geringem Korallenbewuchs. In der Inselregion und dem umliegenden Riff beheimatet sind zwei bedeutsame Populationen von Meeresschildkröten: Eine der größten Kolonien von Wallriff-Schildkröten (Natator depressus) und im Wattgebiet zahlreiche migrierende Suppenschildkröten (vgl. Enzyklopädie  site:at.wikiqube.net; https://at.wikiqube.net/wiki/Warul_Kawa_Indigenous_Protected_Area).

 

Der englische Schriftsteller William Somerset Maugham (1874 – 1965) erzählt in seinen Kurzgeschichten „Cosmopolitan“ (dtsch: Weltbürger“, 1965, List) von „German Harry“, einem Einsiedler auf der Torres-Insel Trebucket, es war die Deliverance-Insel. In der Realität soll es ein dänischer Seefahrer aus Langebæk gewesen sein, als Old Harry bekannt, tatsächlich aber Johannes Henrik Enevoldsen oder Henry Evolt  (1849/50 - 1928) hieß und von ca. 1888 bis zu seinem Tod ca. 30 Jahre lang als Einsiedler überwiegend allein auf der Insel lebte. Unter anderem ernährte er sich von Schildkröten und ihren Eiern (vgl. Enzyklopädie  site:at.wikiqube.net).  

 

(unveränderlich, nach dem Gregorianischen Kalender)

 

© Christian Meyer

 

[0] Das nhd. „Schildkröte“ ist bereits im mhd. als „schiltkrote“ nachgewiesen (vgl. Lexer, S. 183 & Pfeifer, Bd. III, S. 1518, a.a.O.). wobei sie überhaupt keine Kröte sondern ein Reptil ist, zudem die Herkunft des Begriffs „Kröte“ ungeklärt ist (vgl. Pfeifer, Bd. II, S. 937, a.a.O.). Eng verwandt sind die „schildpad“ im Niederländischen (wobei „pad“ der Frosch ist, wie im Plattdeutschen „die Padde“), die „skilpadde“ im Dänischen und Norwegischen, die „sköldpadda“ im Schwedischen (wobei „padda“ die Kröte ist) sowie schlißlich die „skjaldbaka“ im Isländischen. Im Altenglischen wurde der Begriff „byrdling“ für Schildkröte benutzt. Im heutigen Englischen werden die seit dem 17. Jhdt. aus dem Französischen („la tortue“) abgeleiteten „turtle“ und „tortoise“ benutzt. Vermutlich war es eine Verballbornung durch Seeleute, verbunden anfangs mit der Vorstellung von diabolischen Kreaturen (vgl. O’Kill, S. 259, a.a.O. & Baumgartner 785. A.a.O.).  Tortoise wird häufig für Meeresschildkröten verwendet.  

Hier einige weitere Sprachen; Schildköte heißt in Tschechischen „želva“, im Slowakischen „korytnačka“ (wohl von: „koryto“ „Trog, Flussbett“), im Kroatischen „kōrnjač“, im Polnischen „ żółw“, im Russischen und Ukrainischen „Черепáха“ (wohl von „Череп“ „Schädel, Hirnschale“  und „пáх“ „Leiste, Leistengegend“ anat.), im Ungarischen „teknösbeka“ (von beka „Kröte, Frosch“ und „teknö“ „Trog, Mulde“), im Altgriechischen „χελώνa“, im Neugriechischen „χέλυς oder χελώνη oder κλεμμύς oder ἀσπιδόεις“, im Türkischen „kaplumbağa, tosbağa“ (wobei „bağa“ Rückenschild), im Persischen „sängpûst, lakpûst“, im Arabischen „sulafat“, im Hebräischen צָב -  ẕáb , im Armenischen կրիա - kria,  im  Sanskrit „kurma“ und im Amharischen  ኤሊ - ēlī.  

Im Lateinischen wurde für Schildkröte (und Gewölbe, Schilddach) der Begriff „testudo“ verwendet (von „testa“ Ziegelstein, Schale, Geschirr).  Daher rührend gibt es im Esperanto „testudon“ und im Italienischen den Begriff „testuggine“ für Schildkröte. Viel produktiver und häufiger benutzt aber wurde im heutigen Italienisch „la tartaruga“.  Die Ähnlichkeit der italienischen und portugiesischen Wörter für Schildkröte „tartaruga“ mit dem altgriechischen Τάρταρος, tartaros, zeigen noch heute die Herkunft aus der Zeit, als die Schildkröte ein Höllentier war. Die Bewohner von Siena sagen „tartuca“ zu der Schildkröte, das  provenzalische lautet „tartugo“ und auf Spanisch ist  Tortuga“ die Schildkröte.

[1] Nach dem Berliner Ethnologen und Amerikanisten Walter Krickeberg (1885-1962) entstand der obige Mythos vermutlich unter den nördlicheren Algonkin.

[2] Unter „Gens“ (lat. sg.  Familie, Geschlecht, Völkerschaft; pl. „gentes“) verstand Morgan eine soziale Gruppe mit einer (realer oder angenommenen) gemeinsamen Abstammung, im Falle der Irokesen von einer gemeinsamen Stammesmutter (vgl. Engels, 1960, S. 222, a.a.O.). 

 

[2a] In dem Roman „Überleben“ von Tsitsi Dangaremba (*1959) werden die Erfahrungen der Shona-stämmigen Autorin aus Simbabwe mit Totemtieren angesprochen, die nicht gegessen werden dürfen, sondern gehegt und gepflegt werden müssen. „Würde das Totemtier gegessen, fielen einem unweigerlich die Zähne aus…heutzutage gehen die Leute zu Naturheilern, die ihnen eine Medizin geben, damit sie essen können, was sie wollen…Der Ausdruck für Inzest (bedeute C.M.) wörtlich übersetzt Totem essen“ (Dangaremba, S. 283, a. a. O.).


[3] Das Wort „Totem“ entstammt einem Idiom der Algonkin (vgl. Findeiesen, S. 42, a.a.O.).

[4] Auch Friedrich Engels beschäftigte sich in „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ (1884 veröffentlicht) aufbauend auf den Forschungen Morgans und Manuskripten von Marx im III. Teil mit den „Irokesischen Gens“. Von der damaligen Sozialstruktur der Irokesen-Föderation war Engels fasziniert, da bei ihnen…

  • Frauen und Männer gleichermaßen ihre Vertreter wählten, Entscheidungen wurden einstimmig gefällt
  • nur wenige, unbedeutende Faktoren des Alltagslebens in Privatbesitz waren (z.B. die Wirtschaftsgärten), überwiegend vorherrschend war der Gemeinbesitz
  • keinen Staat gab, sie lebten „…ohne Soldaten, Gendarmen oder Polizisten, ohne Adel, Könige, Statthalter, Präfekten oder Richter; ohne Gefängnis, ohne Prozesse … Arme und Bedürftige kann es nicht geben – die kommunistische Haushaltung und die Gens kennen ihre Verpflichtungen gegen Alte, Kranke und im Kriege Gelähmte. Alle sind frei und gleich – auch die Weiber“ (Engels, 1960, S. 231/232, a.a.O.).

Engels erkannte allerdings auch kritische Aspekte der Irokesen-Gesellschaft, so ihre Aggressivität und Grausamkeit nach Außen, die Blutrache, sowie die „äußerst unentwickelte Produktion“, - eine „Organisation, dem Untergang geweiht“ (Engels,1960, S. 233, a.a.O.). 

Der Irokesen-Föderation wurde 1794 in einem Vertrag zugesichert, die Unabhängigkeit und Selbständigkeit „… solange das Gras wächst und die Flüsse fließen“ zu erhalten (Jeier, S. 86, a.a.O.).

Zur Zeit George Catlins (1796 - 1872) waren die Irokesen „… fast ganz vertilgt“ (Catlin, Bd. II, S. 66, a.a.O.), z.T. durch Kriege, durch Krankheiten, Vertreibungen und Alkohol.

Die Zeitung „Awksesasne Notes“, 1968 von u.a. dem Mohawk Ernest Benedict (*1918) gegründet und v.a. von Irokesen der Mohawks getragen, entwickelte sich zu einem „panindianisches Sprachrohr“ (Jeier, S. 233, a.a.O.), und kämpfte für die gemeinsamen Interessen der Indianer in den USA, Kanada und auch Lateinamerika. 

Heute leben Irokesen v.a. in Kanada, Wisconsin und Oklahoma.

[5] Die Meeresstraße wurde 1606 von dem spanischen Seefahrer Luis Vaez de Torres entdeckt.

[6] Die Kala Lagaw Ya-Sprache gehört zu den australischen Sprachen und hatte im Jahre 2014 zwischen 1200 und 3000 Muttersprachler. Eine Bibelübersetzung in diese Sprache ist im Netz einsehbar. Junge regionale Indigene sprechen oft eine kreolische Sprache.  


[1x] Der Schriftsteller und Journalist Tilman Spengler (*1947) ist Sinologe und hat jahrelang in China gelebt.

[2x] Eigentlich handelt es sich um ein Fabelwesen, eine Kombination von Schildkröte und Schlange. Es wird auch „Schwarzer Krieger des Nordens“ (北方玄武, Běifāng Xuán Wǔ) genannt und ist auch in Vietnam, Korea und Japan unter einheimischen Namen  bekannt.  

 

 

Abb.: Einzelne fossile Panzerplatten der Lederschildkröte aus der Ur-Nordsee (Abb. aus https://museum-fuer-natur-und-umwelt.de/grabungen-in-gross-pampau)

In einer fossilienreichen Tongrube bei Groß-Pampau/Kreis Lauenburg wurden im Frühjahr 2020 erneut oberflächennah Überreste aus der Ur-Nordsee aufgefunden, u.a. Knochen und hunderte vieleckige Panzerplatten-Stücke von einer ca. 11 Mio. Jahre alten Lederschildkröte (Psephophorus polygonus). Das Reptil war mindestens 2 m lang.  Die Ur-Nordsee war einst im Miozän am Fundort ein maximal 50 m tiefes Schelfmeer. Da die Kadaver von toten Schildkröten meist rasch von Raubfischen gefressen werden, sind ihre Fossilien recht selten. Präpariert sollen die Funde im Lübecker Museum für Natur und Umwelt präsentiert werden (vgl. „Tagesspiegel“, 6. Juli 2020, S. 21).

Langhäuser aus Ulmenrinde, die traditionellen Wohnhäuser der Irokesen; die Schildkröte über dem Eingang weist auf die Clanzugehörigkeit der Bewohner hin (Abb. aus Graymont, S. 28, a.a.O.)

 

Abb. Zu Ehren von William Dampier veröffentlichte die Post von Ecuador eine Briefmarke.

 

Abbn. Geierschildkröte und Grafik zur Angeltechnik im Senckenberg-Museum in Frankfurt am Main; Photos: Karoline Schulz, November 2017)

 

Abb.  Schildkröten-Populationen (Abb. aus Berliner Zeitung, 26. September 2017, S. 18). Die zentralafrikanischen Spornschildkröten wurden in der Karte nicht berücksichtigt.

Abb.: Meeresschildkröte beim Eingraben der Eier (Abb. aus www-Magazin, H. 3/2018, S. 4)

 

Abb.: Schlüpfende Schildkröten auf Heron Island (Abb. aus Bisping, a.a.O.)

 

Abb.: Lebensgefahr durch Plastik (Abb. aus: „Tagesspiegel“, 18. September 2018, S. 24)

 

Abb.: Eine schwerverletzte Schildkröte im Maryland-Zoo von Baltimore, der durch ein stützendes LEGO-Gestell ein Panzerbruch kuriert wird (Abb. aus „Tagesspiegel“, 30. September 2018, S. 6).

 

Abb.: Eine Meeresschildkröte, die sich in einem Plastik-Fischernetz verfangen hatte, im Jahre 2018 am Strand von Ebodjé (Abb. aus Le monde, 7. Mai 2019, S. 8)

Abb.: Tube Awu  - Emblem der Organisation

Abb.: Erst im April 2020 wurde eine neue Schildkrötenspezies entdeckt und beschrieben, Chelus orinocensis, zu den Halswendeschildkröten gehörig, zur Gattung der Fransenschildkröten (Chelus). Forscher (unter Beteiligung von Uwe Fritz vom Museum für Tierkunde, Dresden) fanden die neue Art der Fransenschildkröten in Nebenflüssen des Orinoko in Französisch Guyana; sie sind gut getarnt, sie wirken wie algenüberwucherte Steine und sind nur schwer aufzuspüren.

Erst Erbgutanalysen bewiesen, dass es sich um eine neue Spezies handelte, die sich im späten Miozän (vor ca. 12,7 Mio. Jahren) von der häufigeren, lange bekannten Art Chelus fimbriata abspaltete (vgl. Genomic analyses reveal two species of the matamata (Testudines: Chelidae: Chelus spp.) and clarify their phylogeography”, in: Molecular Phylogenetics and EvolutionIn press, journal pre-proof Available online 9 April 2020Article 106823).     

Die neue Art nutzt eine besondere Jagdtechnik. Chelus orinocensis verfügt über einen rüsselsrtigen Kopffortsatz, durch den sie unter der Wasseroberfläche atmen kann. „Schwimmt ein Fisch an der Schildkröte vorbei, reißt sie ihr Maul urplötzlich auf, wodurch ein Sog entsteht, der das überraschte Opfer in den Schnabel des Jägers saugt“ (vgl. „Tagesspiegel“, 20. April 2020, S. 21. Photo von Fernando Trujillo; Abb. aus: https:// novataxa.blogspot.com/2020/04/chelus-orinocensis.html).

Schildkröten - Fußball 

"Strahlenschildkröte" aus dem Berliner Aquarium; 40-Pfennig-Briefmarke der Deutschen Bundespost Berlin 1977

Abb. oben: Schildkröte mit Scater (Abb. aus „Tagesspiegel“, 20. April 2021, S. 26)

Im Zoo von Gelsenkirchen lebt eine ca. 100 kg schwere Spornschildkröte namens Helmuth, die nach einer tierärztlichen Diagnose unter starken Schmerzen wegen eine Schulterarthritis leidet. Vermutlich ist dies – wie beim Menschen – Folge einer Fehlernährung. Sie erhielt früher Äpfel und Bananen in größeren Mengen und nahm so viel zu schnell zu. Jetzt erst sei die Ernährung artgerecht, hauptsächlich Heu und Kräuter. Helmuth kann sich so nur noch sehr mühsam in dem Außengelände bewegen. Das Tier kann  seinen Panzer nicht mehr richtig hochstemmen. Deshalb bekommt Helmuth jeden Morgen ein Schmerzmittel injiziert, zudem setzen zwei Mitarbeiter des Zoos die Schildkröte auf ein Brett mit vier Rollen. Nun kann Helmuth sich scatend bewegen, auf glattem Untergrund trainieren und so einem Muskelabbau vorbeugen.

Zukünftig wollen mehrere Orthopädie-Techniker für Helmuth eine Art Spezial-Rollator bauen, hoffentlich eine Dauerlösung (vgl. „Tagesspiegel“, 20. April 2021, S. 26).

Die Spornschildkröten (zool. Centrochelys sulcata) sind Landschildkröten, die in den Trockengebieten Zentralafrikas, der Sahelzone, beheimatet sind. In den heißen Trockenperioden der Region (bis zu maximal 50° C) ziehen  sie sich zum Schutz vor Austrocknung inaktiv in zum Teil selbst gegrabene Erdhöhlen zurück. Während dieser Sommerruhe werden, analog zur Winterstarre zum Beispiel von Bären - Stoffwechsel und Herzschlag stark heruntergefahren (Ästivation). Als bedrohte Art steht die Spornschildkröte auf der Roten Liste

 

Abb.: Schildkröten-Skulptur nahe der einstigen mongolischen Hauptstadt Karakorum (Photo: Christian Meyer, Juli 1997)

 

Nach der Vertreibung der Mongolen aus China 1368 blieb Karakorum (ca. = „Schwarze Berge, Schwarze Felsen“) im Orchon-Tal die Hauptstadt der „nördlichen Yuan-Dynastie“. Im Jahre 1388 zerstörten chinesische Armeen der Ming-Dynastie die Stadt weitgehend. Die Reste der Stadt wurden seit dem 16. Jhdt. zum Steinbruch des nahegelegenen buddhistischen Klosters Erdene Dsuu.

 

In der Nähe des Klosters fand man drei große steinerne Schildkröten. Kulturhistoriker gehen davon aus, dass die Schildkröte damals das Wahrzeichen von Karakorum war. In der chinesischen Tradition symbolisierte der gewölbte Panzer der Schildkröte das Himmelsgewölbe und die flache Bauchseite die Erde. Im mongolischen Mythos trägt eine goldene Schildkröte den zentralen Berg des Universums (vgl. Chevalier, S. 957, a.a.O.). Die Schildkröten-Skulpturen werden als Überreste des Khans-Palastes angesehen. Nach einer Legende sollen sie die Hauptsäulen des Palastes getragen haben

 

Abb.: „Der Schildkrötenerzieher” (trk. Kaplumbağa Terbiyecisi), Gemälde (1906) des osmanischen Archäologen, Malers und Museumsgründers Osman Hamdi bey (1842 – 1910); beide - nur geringfügig voneinander abweichende - Fassungen des Gemäldes sind Werke seiner letzten Schaffensperiode (vgl. Eldem, S. 341, a.a.O.) und befinden sich heute in Istanbul, die obige im Besitz des Pera-Museums/Istanbul. Das Gemälde wurde im Jahre 2004 von der Suna und Inan Kıraç Stiftung mit der Rekordversteigerungssumme von  3,5 Millionen US-$ für ihr privates Pera-Museum erworben.  Es ist das wohl bekannteste Gemälde von Osman Hamdi Bey, der Historiker Edhem Edlem  wies allerdings darauf hin, dass der Ruhm erst mit dem Geld gekommen sei. In dem letzten Jahrzehnt überschwemmte eine millionenfache Fülle von Reproduktionen das Land, von einem Gemälde zudem, das einige Rätsel aufgibt …

Bekannt ist, dass der Künstler, der sich zeitlebens mit dem zeitgenössischen Orientalismus in Westeuropa auseinandersetzte, Jahrzehnte vor der Schaffung der Gemälde in Frankreich in einer französischen Zeitschrift 1869 einen Bericht (samt Abbildung) las, in dem von einem Koreaner in Japan berichtet wurde, der (angeblich) Schildkröten durch Musik zu allerlei Kunststücken „beschwor“. Inspirierend dürfte diese Erinnerung gewesen sein (vgl. Edlem, S. 350, a.a.O.).  

Nach einer Auffassung geht das Motiv des Gemäldes auf nächtliche Vergnügungen in Parks zurück: Schildkröten trugen auf ihren Rücken angezündete Kerzen durch die Nacht, mit ihren langsamen Bewegungen und die so entstehenden Lichtspiele  ein reizvoller Anblick für die Zuschauer. Solche Vergnügungen gab es, aber ob und wie sie mit den Gemälden zusammenhängen, bleibt unklar.

In dem „Schildkrötenerzieher“ sieht man einen älteren Mann, der (anachronistischen) Kleidung nach einen Derwisch -  vermutet wurde immer wieder, der Schildkrötenerzieher sei auch ein Selbstporträt Osman Hamdi Beys. Er befindet sich wahrscheinlich in einem oberen Raum der Grünen Moschee zu Bursa [1]. Der Mann versuchte augenscheinlich die fünf Schildkröten durch Musik zu trainieren, zu dressieren, denn er hält eine Ney in der Hand und auf seinem Rücken sieht man eine  Naqareh, ein Schlaginstrument. Jedoch haben Schildkröten unter der Haut liegende, verborgene Ohren (ohne Außenohr), hören sehr schlecht und können nur sehr tiefe, dumpfe Töne von etwa 100 Hz bis 1000 Hz – etwa Schritte - wahrnehmen.  Große Pauken könnten Schildkröten hören, eine Ney nicht.

 

Um den Hals des Derwischs baumelt der gezinkte Schlagstock der Nakareh. Falls er versucht haben sollte, die Schildkröten durch Bestrafungen zu trainieren, scheiterte er auch. Denn die Schildkröten würden sich dann in ihren dicken Panzer zurückziehen. Deshalb wirkt der Derwisch müde und ratlos, ob er vielleicht - wie Hakan Güngör annimmt - ein Wunder erwartet ? (vgl. https://www.evrensel.net/daily/387474/deciphering-artist-osman-hamdi-bey)

 

Die US-amerikanische Kunsthistorikerin Wendy M. K. Shaw (z.Zt. Hochschullehrerin an der FUB) sah 1999 in dem „enigmatischen“ Bild die allegorische Auseinandersetzung des Gründers des Archäologischen Museums Istanbul mit einer trägen, desinteressiert-unkooperativen osmanischen Bürokratie (den Schildkröten), die die Bedeutung historisch-aufklärerischer Forschungen und Sammlungen für den Staat und sein Ansehen nicht zu würdigen verstanden (vgl. Eldem, S. 348, a.a.O.).   

 

Drei der dargestellten Schildkröten sind dabei, auf dem Boden vor ihnen verstreute Salatblätter zu fressen. Nach der Auffassung einiger Kunsthistoriker symbolisiert dies Bestechung. Die bestechlichen Bürokraten versammeln sich um den Bestechungen verteilenden. Die beiden hinteren Schildkröten, die keine Bestechungsblätter erhalten hatten, zogen sich zurück (vgl. https://www.evrensel.net/daily/387474/deciphering-artist-osman-hamdi-bey).

Bedenkt man den sozialen und politischen Kontext des Osmanischen Reiches zur Zeit der Entstehung der Gemälde 1905/06: Innen- und außenpolitische Krisen, Schwäche, Stagnation und Erstarrung unter dem autokratischen veränderungsfeindlichen Sultan Abdülhamid II. Dann könnten die Schildkröten  die zutiefst konservativen, jeden Wandel verhindernden Kreise der osmanischen Gesellschaft symbolisieren. Der Schildkrötenerzieher – Osman Hamdi selbst – strebt Veränderung und Aufklärung an, vielleicht will er auch Kerzen auf ihrem Rücken entzünden, scheitert aber an dem Unwillen, der Beharrlichkeit seiner Klientel.  

 

Nach Ansicht des türkischen Historikers Edhem Eldem (* 1960; Hochschullehrer an der Boğaziçi Üniversitesi) wird der „Schildkrötenerzieher“ heute in der Türkei je nach der politischen Ausrichtung des Interpreten verschieden verstanden: Konservative Traditionalisten sehen in dem Bild Schönheit und Würde des Osmanischen Reichs. Kemalisten  hingegen erkennen in dem Bild, dass die Schildkröten, die türkische Gesellschaft, zur Moderne gezwungen werden müsse; das Bild sei eine „Ikone des Stillstands“.

 

Einige Beobachter (vgl. Voss, 2013,  a.a.O.) glauben schließlich sogar, das Gemälde symbolisiere die prinzipielle Unmöglichkeit, die Türkei zu reformieren. Gefragt wird, wie eine Ikone des Stillstands das Lieblingsbild eines Landes im Umbruch sein kann?

 

Edhem Eldem wies zudem darauf hin, es gäbe bei bei einigen Bildern Hamdis Missbenennungen (Eldem, S. 340.a.a.O.). So auch bei unserem Gemälde: Anfangs (bei seiner Ausstellung in Paris) firmierte es nur als  „Mann mit Schildkröten“ und auch bei der ersten Ausstellung in Istanbul hieß  es „Kaplumbağa Mürebbesi“. Das osmanische „mürebbe“ bedeutete aber nicht „Erzieher, Trainer“ sondern eher „Hüter, Fütterer“. Erst 1915 – fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers erschien das Bild erstmals als „Schildkrötenerzieher“ (vgl. Eldem, S. 350, a.a.O.). Ist alles eine mystifizierende Überinterpretation??    

Osman Hamdi bey war nach dem Umsturz ein leidenschaftlicher Unterstützer der Jungtürken und scheint in der kurzen Zeit bis zu seinem Tod 1910 keine „orientalischen“ Bilder mehr gemalt zu haben, aber ein großes signiertes Porträt von Enver bey (vgl. Eldem, S. 377 a.a.O.).


[1] Der Giebelbereich über dem Fenster trägt die arabische Inschrift: "Şifa'al-kulûp lika'al Mahbub"; das bedeutet auf Deutsch: Die Nähe zu dem Geliebten (gemeint ist der Prophet Muhammad) bringt dem Herzen Heilung. Die Sentenz stammt von dem ägyptischen Gelehrten Jalal ad-Din al-Sujuti (1445 . 1505), wurde aber z.B. auch in „1001 Nacht“ verwendet (vgl. Edlem, S. 381, a.a.O.).  

 

Abb.: Der römische Kaiser Titus als Pharao beim Erstechen einer Schildkröte vor der löwenköpfigen Göttin Sachmet mit Sonnenscheibe und Uräus-Schlange;    Relief an der südöstlichen Außenwand im Esna-Tempel (auch: Isna, gelegen zwischen Luxor und Assuan), der dem widderköpfigen Schöpfergott Chnum geweiht war; die erhaltene Vorhalle des Tempels stammt aus ptolemäischer und römischer Zeit (Abb. au https://www.testudowelt.de/?p=4369s:)  

 

Seit dem Neuen Reich (1550 - 1070 v. Chr. ) wurde die Schildkröte als ein Feind des Sonnengottes Re angesehen. Auf dessen nächtlicher Reise durch die Unterwelt zur morgendlichen Wiedergeburt ist der Sonnengott in ständiger Gefahr von den Wesen der Unterwelt angegriffen zu werden. Insbesondere der Gott Apophis, der Verkörperung von Finsternis und Chaos, war ein Gegner auf Res nächtlicher Reise. Dargestellt wurde als riesige Schlange oder (seltener) als Schildkröte.

 

 

Abb.: Ein Hahn (als Verkünder des Lichts) kämpft gegen eine chthonische  Schildkröte ( die Dunkelheit symbolisierend): Spätrömisches Mosaik (4. Jhdt.) aus der Patriarch-Theodoros-Basilika/Aquileia (UNESCO-Weltkulturerbe). Die Deutung der dortigen zweimaligen Darstellung als der „ewige Kampf“ von Gut und Böse ist aber umstritten (Abb. aus:https://it.wikipedia.org/wiki/File:Basilica_di_aquilieia,_museo_e_scavi_,_mosaici_aula_teodoriana_17_gallo_vs_tartaruga.JPG).  Das italienische und portugiesische tartaruga = Schildkröte wurde abgeleitet vom Spätgriechischen “ταρταροχος“, dem Namen eines als „unrein“ angesehenen Geistes (zusammengesetzt aus „Τάρταρος“ - Tartaros und „ἔχω“ - leben, wohnen = Tartarosbewohner): vermutlich über vulgärlat. „tartaruca“ und spätlat. „tartarucha“, der weiblichen Form von „tartaruchus“ = Bewohner der Unterwelt, des gr. „tartaros“ (vgl. Baumgartner, S. 785, a.a.O.).  

In einer einfachen christlichen Symbolik repräsentierte die Schildkröte - la tartaruga – den Geist des Bösen. So wurde seit der späten Antike die Schildkröte zum Tier der Unterwelt, zu einem Höllentier.

 

(Fortsetzung Schildkröte 2)