Basilika A: Blick aus dem südlichen Seitenschiff nach Nordosten; auffällig ist, dass nach einem Erdbeben aus Gründen der Statik die früheren Weitarkaden durch kleinere Doppelarkaden unterfangen wurden.
Mosaik im Baptisterium der Basilika A (Abb. aus Ulbert, S. 120, a.a.O.).
Rekonstruktion des Martyrionsraumes mit dem Sergiossarkophag in der Basilika A (Abb. aus Ulbert, S. 121, a.a.O.).
7. Oktober: Gedenktag der christlichen Hll. Bakchos und Sergios
Der Überlieferung nach waren beide römische Offiziere in Syrien, die nach einer Denunziation um ihres Glaubens willen um 303 während der diokletainischen Verfolgungen den Märtyrertod erlitten haben sollen. Bakchos (auch: Bacchus) soll zu Tode gepeitscht worden sein. Sergios (auch: Sergius) hingegen soll die Folterungen überlebt haben und enthauptet worden sein.
Vermulich dienten beide in dem Kastell Resafa – der Name egeht auf eine altsyrische Wurzel zurück [1] - an der (ca. 1500 km langen) Verteidigungslinie Limes orientalis und wurden dort auch beerdigt. Das Märtyrergrab lag wohl ursprünglich „extra muros“, außerhalb des Kastells (vgl. Ulbert, S. 112, a.a.O.).
Um das Grab insbesondere Sergios entstand nach Wundergeschehnissen rasch Heiligenverehrung, ein Kultus und Pilgerfahrten entwickelten sich. Vermutlich Ende des 4. Jhdts. erfolgte die Translation der Reliquien in eine Kirche - wahrscheinlich zuerst in die Basilika B - innerhalb der entstehenden Stadt. Durch die Wallfahrten zu dem Grab, durch Stiftungen und Votivgaben wurde der Ort rasch wohlhabender, die Bautätigkeit nahm zu. Errichtet wurden vier monumentale Basiliken (so die heutige Basilika A), viele Kapellen, Klosteranlagen und Pilgerherbergen. Die Reliquien in einem kostbar geschmückten Sarkophag wurden in die erheblich größere Basilika A überführt. Die Stadt wurde nach dem hauptsächlich verehrten Heiligen Sergiupolis genannt. Im Jahre 434 wurde die Stadt von dem Patriarchen von Antiochia zum Bischofssitz erhoben (vgl. Odenthal, S. 283, a.a.O.). Der Bischof der Stadt wurde später Metropolit eines Kirchenbezirks.
Die Basilika A war vermutlich zuerst dem Hl. Kreuz (vgl. dort) geweiht. Bei Grabungen in der Basilika fanden Archäologen eine Vielzahl von Überresten der einstigen liturgischen Abläufe, so das Prsbyterium, das Baptisterium und das Bema, einen zentralen, erhöhten Bereich, mit dem Bischofsthron und einem Tischaltar unter einem Baldachin (vgl. Ulbert, S. 117, a.a.O.).
Das Baptisterium, ein Nebengebäude des Basilika, enthielt einen wertvollen Mosaikfußboden, mit einer Paradiesdarstellung, mit Tieren, Zypressen und Granatapfelbäumen.
Wahrscheinlich erfolgten im Verlaufe der einstigen Wallfahrten oft Taufen in dem weitläufig angelegten und kostbar ausgestatteten Baptisterium.
Im Apsisboden hinter dem mittelren Schrankendurchgang wurde eine griechische Marmorinschrift entdeckt: „Abraamios, durch die Barmherzigkeit Gottes Bischof von Sergiopolis, erbaute (diese Kirche) zur Verehrung des Heiligen Kreuzes, damit er der Barmherzigkeit Gottes gewürdigt werde. Es ist dies geschehen im Monat Artemision in der 7. Indikation, im Jahre 870“ [2] (zit. n. Odenthal, S. 287, a.a.O.).
In der nördlichen Kapelle neben der Apsis der Basilika A befand sich das Martyrion, ursprünglich kostbar mit Gold und Silber geschmückt – von dem nicht erhalten blieb. Das Martyrion war durch ein hohes eisernes Gitter vom KIrchenschiff abgetrennt: Die Pilger konnten den Schrein zwar sehen, aber nicht ihn berühren. „In der Märtyrerbasilika der Sergiosstadt konnte man das Martyrion durch einen Außeneingang betreten, wobei die bunte Fensterverglasung des mosaikgeschmückten Raums im Verein mit den brennenden kostbaren Öllampen über dem Sarkophag aus Edelmetall den Pilger in die mystische Sphäre des heiligen Ortes einstimmten. Er trat von der Rückseite her an den Sarkophag heran und nahm dort in der Regel eine kleine Flasche mit Öl in Empfang, dass Mönche aus einem rotmarmornen Becken schöpften. Hier stoßen wir wieder auf einen dem christlichen Orient vorbehaltenen Brauch. Jeder Reliquiensarkophag, mag er auch noch so klein sein, besaß am Deckel eine Einfüllöffnung und unten eine Ausflussöffnung für Öl, dass die eigentliche Reliquie im Innern berührte und dadurch heilbringende Wirkung erlangt hatte. Im Falle der Sergiosmemoria war diese Anordnung der Bedeutung des Heiligen entsprechend aufwändig gestaltet. Davon zeugt das in situ erhaltene Marmorbecken, das seinerseits noch eine eigene Verschlussvorrichtung gegen Missbrauch aufwies. Zahlreiche, während unserer Grabung entdeckte Fragmente von kleinen gläsernen Pilgerfläschchen, welche auf dem Boden um die Sarkophagstelle verstreut lagen, beweisen, dass dieser Brauch hier noch bis ins hohe Mittelalter weiter geübt wurde“ (vgl. Ulbert, S. 120/121, a.a.O.).
Alljährlich am 6. Oktober, dem Todestag des Heiligen Sergios, wurde der Sarkophag aus dem Inneren des Martyrions in fierlicher Prozession in den Pilgerhof der Basilika herausgetragen, zu Gedenkveranstaltungen und Märtyrerverehrung.
Sergiupolis - Resafa verfügte über vier ausgedehnte unterirdische Zisternen zur Wasserversorgung, die von den Niederschlägen der Winter- und Frühjahrsregen gespeist wurden. Denn es gab dort kein fließendes Wasser, keine Quellen und keine hinreichenden Brunnen für den Bedarf einer Stadt und der wachsenden Pilgerschar.
Die große Zisterne (65m lang und 22m breit) konnte allein 14 600 m3 Wasser fassen (vgl. Ulbert, S. 115, a.a.O.).
Prokopios von Caeseraea (ca. 500 – ca. 562), der letzte große antike Geschichtsschreiber, beschrieb die Stadt in seinem sechsbändigen Werk „De Aedificiis“ („Bauten“; verfasst wohl zwischen 553 und 561) im Band II 9, 3-8:
„In der spätantiken Provinz Euphratesia gibt es eine Kirche, welche dem Sergios, einem berühmten Heiligen, geweiht ist. Die frühen Einwohner nannten aus Verehrung und Ergebenheit den Ort Sergiupolis und hatten ihn auch mit einer ganz bescheidenen Befestigung umgeben, die gerade eine Eroberung im Handstreich durch die dortigen Sarazenen verhindern konnten… Späterhin aber wurde das erwähnte Heiligtum durch Schenkung von Kostbarkeiten reich und Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Mit Rücksicht darauf wandte Kaiser Justinian der Angelegenheit sogleich seine Fürsorge zu: Er umgab den Platz mit einer außerordentlich starken Mauer und verschaffte durch Anlage von Speichern den Einwohnern Wasser in Fülle. Dazu fügte er noch Häuser, Wandelhallen und die sonstigen Bauten, was eben gewöhnlich einer Stadt zum Schmuck dient. Auch eine Besatzung zur Verteidigung der Ringmauer im Notfall legte er dort hin“ (vgl. Prokopios, S. 159, a.a.O.).
Die Stadtmauer hat eine durchschnittliche Höhe von 15m und verfügt über 50 Wehrtürme mit zwei übereinander liegenden Wehrgängen und Schießscharten (vgl. Odenthal, S. 284, a.a.O.). Besonders geschmückt war das Nordtor der Stadtmauer. Die Sakralbauten in Sergiupolis scheinen von der Stadt selbst finanziert worden zu sein, sonst hätte Prokopios dies in seinem Bericht erwähnt.
Wie Peter Kawerau betonte, war Sergios im frühen Mittelalter in Syrien Namenspatron vieler Kirchen und christlicher Stiftungen. „Sein Name war in Syrien in so ausgebreitetem Maße christlicher Taufname, dass mit ihm nur Menas in Ägypten und Martin im Frankenlande verglichen werden können“ (vgl. Kawerau, S. 117, a.a.O.). Der Name Sergios, Sergej, Serge oder Sarkis ist bis heute in vielen Regionen weit verbreitet.
Die Verehrung der Hll. Bakchos und Sergios breitete sich seit dem 5. Jahrhundert im gesamten Mittelmeergebiet aus, viele Ki rchen wurden ihnen geweiht, so z.B. in Konstantinopel zwischen 527 und 536 die Kirche Sergios und Bakchos, die sog. Kleine Hagia Sophia (seit 1504 Moschee).
Im 5./6. Jhdt. war das Grab Sergios eine der wichtigsten christlichen Pilgerstätten im östlichen Mittelmeerraum.
Die Popularität des volkstümlichen Hl. Sergios auch unter den ärmeren lokalen Nomaden zeigte sich an der Vielzahl von Votivgaben, die sich unter dem Fußboden des eigentlichen Reliquienraumes in der Basilika A erhalten haben, „… unzählige kleine Kupfermünzen und zerbrochener, billigster Schmuck in Form von gläsernen, beinernen und kupfernen Arm-, Finger-und Ohrringen, Gegenständen, wie sie von den ärmeren Beduinen noch bis in unsere heutigen Tage getragen wurden. Ob dieser einfachen Votivgeschenke, die für weiteren Gebrauch durch Zerbrechen untauglich gemacht worden waren, nun immer von christlichen Nomaden stammten oder auch von nicht christianisierten, mag dahingestellt bleiben. Sie sprechen jedoch eine deutliche Sprache von der Volkstümlichkeit des Heiligen“ (Ulbert, S.116/117, a.a.O.).
Aufgefunden wurden jedoch auch eine Reihe von kostbaren Weihegeschenken, viele wohlhabende Pilger reisten von ferne nach Sergiupolis, eine ganze Reihe von Pilgern haben sich zudem – wie heute – durch Graffiti zu verewigen versucht.
Nach der Eroberung durch die Muslime 636 wurde die Stadt wieder Resafa genannt. Der zehnte omajadische Kalif Hisham Abd al-Malik bin Marwan (reg. 724 – 743) machte Resafa zu einer Lieblingsresidenz und ließ dort einige Paläste und eine große, rechteckige, dreischiffige Moschee errichten, die direkt an die Basilika A angebaut war, eine Baueinheit mit ihr bildete: Ein Teil der Säulenumgangs des Pilgerhofs der Kirche wurde zum südlichsten Schiff der Moschee. Zudem gab es zwei Durchgänge zwischen Kirche und Moschee. „Auf diese Weise entstand eine architektonische Einheit von christlicher Kathedrale und islamischer Hauptmoschee, welche in dieser Eindringlichkeit bisher wohl nirgendwo sonst archäologisch nachgewiesen ist. Der Grund für dieses erstaunliche Phänomen darf zum einen in der Toleranz der Umayjaden in dieser Frühzeit gesucht werden, zum anderen jedoch, und sicher hauptsächlich, in der fortdauernden Verehrung des Sergios, der, wie wir gehört haben, gerade für die nomadische Bevölkerung des Landes nach wie vor verehrungswürdig war“ (vgl. Ulbert, S. 124, a.a.O.).
Mongolische Heere scheinen in den Jahren 1258/59 auch Resafa-Sergiupolis erobert und geplündert zu haben. Dabei gingen auch der Sarkophag und die Reliquien des Heiligen Sergios verloren.
Die Moschee und die christliche Basilika wurden gleichzeitig genutzt bis zum Jahre 1269, als die Stadt im Gefolge der Mongoleneinfälle aufgegeben wurde. Eine spätere Siedlungstätigkeit scheint es nicht gegeben zu haben.
Erst 1691 entdeckten englische Kaufleute die Überreste der Stadt Resafa wieder, mit Resten der Stadtbefestigung, christlicher Kirchen, der Moschee und der Kalifenresidenz [3]. Die heutige Ruinenstätte im Norden Syriens liegt ca. 25km südlich des Euphrat, d.h. etwa eine antike Tagesreise südlich des Euphrat in der syrischen Wüstensteppe.
Im Jahre 1907 begannen deutsche Archäologen mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Ruinenstätte, einer der bedeutendsten in Syrien. Die Forschungen und Sicherungsarbeiten wurden von der TUB, dem DAI in Kooperation mit syrischen Partnern bis zum Beginn des Bürgerkrieges fortgesetzt. U.a. wurde dabei die Reliquienkapelle des hl. Sergios konsolidiert.
Der Legende nach war Sergius als Offizier zunächst in Triest (Tergeste) stationiert und hattte zu den dortigen Christen freundschaftliche Beziehungen. Als er nach Syrien versetzt werden sollte, versprach er den Christen Triests, ein Zeichen zu senden, falls er den Märtyrertod erleiden sollte. Tatsächlich soll nach seinem Tod seine nicht rostende vergoldete Hellebarde auf den Hauptplatz der Stadt gestürzt sein. Die wundersam gereiste Hellebarde wird bis heute in der Schatzkammer der Kathedrale San Giusto zu Triest aufbewahrt. Die Hellebarde wurde zum Wahrzeichen und Wappen Triests, - der Hl. Sergius wird dort bis heute besonders verehrt (vgl. Joachim Schäfer, Artikel Sergius, aus dem Ökumenischen Heiligenlexikon: https://www.heiligenlexikon.de/BiographienS/Sergius.html, abgerufen am 22. 4. 2015)
Der US-Historiker und wichtige Vertreter der „Gay and Lesbian Studies“ John Boswell (1947–1994) sah in männlicher Heiligenpaaren wie Sergius und Bakchos Beipiele dafür, dass in den ersten Jahrhunderten des Christentums Homosexualität nicht immer feindselig abgelehnt wurde. Dieser These wurde jedoch vielfach widersprochen.
[1] Schon im 9. Jhdt. v. Chr. war Resafa ein assyrischer Verwaltungsort (vgl. Odenthal, S. 283, a.a.O.).
[2] Die Angabe entspricht ca. dem Mai des Jahres 559 n. Chr. Die in der Inschrift angegebene Jahreszahl 879 bezieht sich auf die damals weit verbreitete Seleukidische Ära, die Jahreszählung nach Christi Geburt war ja gerade erst einige Jahrzehnte zuvor, 525 durch Dionysius Exiguus in Rom abgeleitet worden.
Kaiser Justinian führte im Jahre 537 durch die Novella 47 verpflichtend ein, alle offiziellen Datierungen auch mit dem Indiktionsjahr anzugeben. Schon Diokletian hatte das Indiktionssystem eingeführt, dass in einem 15-Jahres-Zykus die Steuern festlegten. Bei der Datierung wurden dazu die Jahre IND I – XIV angegeben, bei Jahr Null ohne eine römische Ziffer.
Das Reichskammergericht verwendete die Indiktion bis zu seiner Auflösung 1806.
[3] Wegen der verwendeten Lehmziegel sind die Überreste der Residenz äußerst dürftig.
© Christian Meyer
Übersichtsplan von Resafa-Sergiupolis (Abb. aus Ulbert, S. 115, a.a.O.).
Rekonstruktionszeichnung der Basilika A mit Pilgerhof, im 6. Jhdt. (Abb aus Ulbert, S. 123, a.a.O.).
Die Hellebarde des Hl. Sergios im Wappen der Stadt Triest