Altgriechische Kalender
Im antiken Griechenland herrschte ein überraschender Kalenderwirrwarr: praktisch jede Poleis hatte ihren eigenen Kalender und zählte die Jahre nach einem eigenen Standard. Bekannt sind knapp hundert verschiedene altgriechische Kalender, mehrere hundert Monatsnamen, es gab aber kein einheitliches System von Schaltungen (vgl. Paulsen in Geerlings, S.33, a.a.O.). Durchgängig handelte es sich aber um Lunisolarkalender, also um Mondkalender, die durch geeignete Einschaltungen an das Sonnenjahr und die Jahreszeiten angebunden wurden. Denn ein Mondjahr mit zwölf Mondmonaten hat durchschnittlich nur eine Länge von etwas mehr als 354 Tagen.
Die Monate waren echte Mondmonate, sie begannen jeweils mit dem Auftauchen der „neuen“ Mondsichel am Tag nach dem Neumond. Der letzte Tag der 29 oder 30 Tage zählenden Monate war der Neumondtag. Ein „hohler" Monat hatte 29 Tage, ein „voller" Monat 30 Tage. Der jeweilige „bürgerliche“ Monat und der des Festkalenders fielen zusammen.
Der 1. Tag eines Monats wurde „νουμήνία“, „Noumenia“ (Neumond) genannt, weil der Mond wieder sichtbar wurde.
Der letzte Monatstag, unser Neumondtag, wurde auch „ένή και νέα“, Enikainea genannt, der „Alte und Neue" (Tag). Anderswo hieß der Tag „triakás“ („der Dreißigste“ [1]), auch wenn es nur der 29. Tag war (vgl. Holford-Strevens, S. 129, a.a.O.). Der Vollmond (gr. „διχομηνία“; dikhomenia, von: „dikhiazo“ ≙ „ich teile, halbiere“) fiel immer auf den 14. oder 15. des Mondmonats.
Allerdings stimmten zuweilen selbst die Monatstage zwischen den verschiedenen Poleis-Kalendern nicht überein: Aristoxenos (ein Musiktheoretiker und Schüler des Aristoteles) bemerkte, dass Tonleitern so umstritten seien, wie griechische Kalender: „Der zehnte Tag des Monats in Korinth ist der fünfte in Athen und anderswo der achte“ (zit. n. Dilke, S. 85, a.a.O.). Im Jahre 497 v. Chr. (als Archias namensgebender Archon war) entsprach „… der athenische 4. Boedromion dem 27. Panamos in Boiotien“ (vgl. Holford-Strevens, S. 130, a.a.O.) – wie dies zustande kam, wissen (vielleicht) die Götter!
Die Tage begannen jeweils nach dem Sonnenuntergang. Das Jahr umfasste 12 Mondmonate sowie ggf. Schaltmonate bzw. –tage.
Schaltungen von Tagen oder Monaten erfolgten vermutlich seit dem 7. Jhdt. Herodot erwähnt die Überlegenheit des zeitgenössischen äyptischen Kalenders gegenüber denen der Griechen, die „… alle zwei Jahre einen Monat einschalten“ (Herodot, 2,4,2; S. 122, a.a.O.).
Eine weitere einfache, frühe Art der Schaltung war der Achtjahreszyklus Oktaeteris (όκταετηρίς): 8 reine Mondjahre zu je 354 Tagen ergeben zusammen 2832 Tage, und 8 Sonnenjahre zu 365,25 Tagen ergeben zusammen 2922 Tage. Zwischen beiden ergibt sich eine Differenz von 90 Tagen. Diese können mit 3 Mondmonaten zu je 30 Tagen ausgeglichen werden (99 Mondmonate ≙ 8 Sonnenjahre).
Da jedoch der Mondmonat ca. 44 min länger ist als 29,5 Tage (in 8 Jahren summiert sich die Differenz auf ca. 3 Tage), wurde die Schaltung genauer gestaltet, nach dem Metonschen Zyklus. Der Athener Astronom Meton stellte diesen 19-Jahreszyklus auf, der von den altgriechischen Astronomen übernommen und angewendet wurde.
Der wichtigste und der am genauesten überlieferte der altgriechischen Kalender war der Attische Kalender. Er war der im antiken Athen gebräuchliche Lunisolarkalender.
Die Tage eines Monats wurden zu drei Dekaden von zehn Tagen gezählt. In Monaten mit 29 Tagen wurde in der dritten Dekade ein Tag ausgelassen. Der letzte Tag wurde immer – auch in Monaten mit 29 Tagen – der dreißigste genannt. In der 3. Dekade wurden die Tage manchmal auch rückwärts gezählt.
Die verschiedenen Tage des Monats waren Gottheiten geweiht: der 1. Tag (wenn der Neumond sichtbar wurde) der Selene, der 2. Tag dem Agathos Daimon (dem
„guten Geist“, vielleicht ein alter Beiname des Zeus), der 3. Tag der Athena, der 4. Tag Aphrodite und Hermes (zuweilen auch Herakles), der 6. Tag der Artemis, der 7. Tag dem Apollon, der 8. Tag
dem Poseidon und (vor allem in Athen) auch dem Theseus.
Die letzten drei Tage des Monats sind chthonischen Gottheiten gweiht, der letzte Tag, der 29. oder der 30. insbesondere der Hekate.
Bei den attischen Monatsnamen handelte es sich meist um „sprechende Namen“, denn die Monate wurden oft nach einem in ihnen stattfindenden religiösen Fest benannt, wobei dieses i. d. R. nach dem Epitheton der verehrten Gottheit hieß. Der 1. Monat im Attischen Jahr war der Hekatombaion, er entsprach …
Die Monatsnamen beim attischen Kalender lauteten:
10. Munichion auch Munychion (Μουνυχιών, 29 Tage, im April–Mai); benannt nach dem Fest der Munychien das am 16. des Monats zu Ehren der Artemis begangen wudre ; besonders festlich waren die Feierlichkeiten in Munychia, einem der drei antiken Häfen von Athen.
Es gab im Attischen Kalender auch Jahre, in denen ein Schaltmonat an anderer Stelle, nicht beim Poseideon, eingefügt wurde. Auch wurden zuweilen einzelne Schalttage eingefügt, um vorher entstandene Abweichungen des Kalenders auszugleichen. Der altgriechisch-attische Kalender wurde mehrfach – durch genauere astronomische Berechnungen – verbessert, so durch Solon (594), durch Meton (432) , durch Kallippos (320) und durch Hipparchos von Nikaia [1] (vgl. Irmscher, S. 267, a.a.O.).
Der makedonische Kalender hingegen scheint mit dem Herbstmonat Dios, mit dem „Neulicht“ nach der Herbsttagundnachtgleiche begonnen zu haben (vgl. Holford-Strevens, S. 131, a.a.O.).
Die attischen Jahre wurden nach den Namen der Archonten angegeben, denn in Athen trat am 1. Hekatombaion, dem attischen Neujahrstag, der ranghöchste Beamte der Stadt sein Amt an. Nach diesem „αρχων έπώνυμος“ (namensgebenden Archon) wurde das Jahr bezeichnet.
In der römischen Zeit übernahmen viele griechische Städte den Julianischen Kalender, verwendeten
allerdings oft die traditionellen griechischen Monatsnamen weiter (vgl. Holford-Strevens, S. 132, a.a.O.).
Der erste Grieche, der die Olympischen Spiele, die Archonten von Athen und die Ephoren von Sparta einander zeitlich zuordnete und aus den Olympiadenjahren eine erste panhellenische Chronologie ableitete, war der Historiker Timaios von Tauromenion (dem heutigen Taormina; ca. 350 - 255 v. Chr.). Als Ausgangspunkt der Jahreszählung wählte Timiaos die Olympischen Spiele des (gregorianischen) Jahres 776 v. Chr., keineswegs die frühesten, aber die ersten Spiele, von denen ein Sieger – Koroibos aus Elis, im Stadionlauf - namentlich bekannt war (Hahn, S. 91, a.a.O.). Die Spiele selbst bezeichneten die antiken Griechen als Olympia, den vierjährigen Zeitraum zwischen den Spielen als Olympiade.
Die Olympiadenchronologie wurde später v. a. von Eratosthenes von Alexandria (275-195 v. Chr.) systematisiert. Er bezeichnete das Jahr der ersten Olympischen Spiele (d.h. 776 v. Chr.) als Jahr 1 der 1. Olympiade, die folgenden Jahre Ol 1,2 ≙ 775 v. Chr., Ol 1,3 ≙ 774 v. Chr. usw. Das Jahr seiner 772 v. Chr. wurde so zum 1. Jahr der 2. Olympiade (Ol 2,1).
In der antiken Geschichtsschreibung setzte sich in der Folge die Jahreszählung nach Olympiaden weitgehend durch. „Die Olympischen Spiele wurden im Abstand von 49 oder 50 Monaten veranstaltet – zwischen drei Spielen lagen also insgesamt 8 Sonnenjahre, die 99 Mondmonaten entsprachen“ (Hahn, S. 41, a.a.O.).
Die letzten antiken Olympischen Spiele wurden 393 n. Chr. (d.h. 293,1 - 293. Olympiade 1. Jahr) durchgeführt, im Folgejahr verbot sie Kaiser Theodosius als „heidnischen Brauch“ (Hahn, S. 92, a.a.O.).
Die modernen Olympischen Spiele führten zwar den vierjährigen Turnus, nicht aber die antike Zählung fort. Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit wurden 1896 durchgeführt, im Sommer des gregorianischen Jahres 1897 begann - extrapoliert - die 669. antike Olympiade.
Im Sommer des Jahres 2015 beginnt das 3. Jahr der 698. Olympiade (Ol 698,3).
Die Olympiadenjahre begannen mit dem Monatsbeginn nach der Sommersonnenwende (der nördlichen Hemisphäre), wie die attischen Jahre auch (meist also im gregorianischen Juli).
Umrechnungen:
Bei der Umrechnung von Jahren vor der Zeitenwende der Gregorianischen Jahreszählung (G) muss man die Zahl der Olympiaden (O) mit 4 multiplizieren und das Produkt von 780 (d.h. der „ nullten“ Olympiade) subtrahieren:
G = 780 – O * 4 oder O = (780 – G) : 4
Bei der Umrechnung von Jahren nach der Zeitenwende der Gregorianischen Jahreszählung (G) muss man vom vierfachen der Olympiadenzahl (O) die Zahl 779 (wegen des nicht existierenden gregorianischen Jahres Null) subtrahieren: G = 4 * O – 779 oder O = (G + 779) : 4
Hier als ein Beispiel, die Errechnung des Olympiadenjahres für das Gregorianische Jahr 2015:
O = (G + 779) : 4
O = (2015 + 779) : 4
O = 2794 : 4
O = 698, 5 [2]
Das Jahr 2015 (vom Juli an) entspricht folglich dem 3. Jahr der 698. Olympiade. Der erste Teil des Jahres (bis zum Juli) entspricht hingegen noch dem Jahr Ol 698,2.
© Christian Meyer
[1] Hipparchos von Nikaia (dem heutigen Iznik in der nordwestlichen Türkei) lebte von ca. 190 – 125 v. Chr. und war einer der bedeutendsten antiken Astronomen, dem ersten vermutlich, er auf „solide“ beobachtungen Wert legte. Er nutzte zudem viele astronomische Erkenntnisse aus Babylon. Hipparchos errechnete u.a.:
[2] Der Begriff „triakas“ bezeichente auch eine altgriechische militärische Einheit.
[3] Die Dezimalstellen der errechneten Ergenisse entsprechen dabei immer den jeweiligen Jahren der Olympiade:
Gregorianisches Jahr Errechenbarer Wert Olympiaden-Jahr
2012 – 2. Jahreshälfte |
697, 75 |
Ol 697,4 |
2013 – 1. Jahreshälfte |
|
Ol 697,4 |
2013 – 2. Jahreshälfte |
698 |
Ol 698,1 |
2014 – 1. Jahreshälfte |
|
Ol 698,1 |
2014 – 2. Jahreshälfte |
698, 25 |
Ol 698,2 |
2015 – 1. Jahreshälfte |
|
Ol 698,2 |
2015 – 2. Jahreshälfte |
698, 5 |
Ol 698,3 |
2016 – 1. Jahreshälfte |
|
Ol 698,3 |
2016 – 2. Jahreshälfte |
698, 75 |
Ol 698,4 |
2017 – 1. Jahreshälfte |
|
Ol 698,4 |
2017 – 2. Jahreshälfte |
699 |
Ol 699,1 |