Die Jahrtausende lange Geschichte der alt-ägyptischen Kultur und Kalender ist auch für uns heute von besonderem Interesse, denn auch der Gregorianische Kalender ist ein direkter Abkömmling eines Alt-Ägyptischen.
Im alten Ägypten wurden mehrere Kalender verwendet, ein Landwirtschaftskalender, ein offizieller Ritualkalender, der Sothis-Sonnenkalender, der im Zusammenhang mit den Nil-Überschwemmungen und dem heliakischen Aufgang des Sirius (alt-ägypt. „Sopdet“, gr. „Sothis“) stand, sowie schließlich auch zwei Mondkalender.
Schon frühe Ägyptologen wie Heinrich Brugsch (1827–1894) und Ludwig Borchardt (1863–1938) vermuteten, der prä-dynastische ägyptische Kalender sei lunar und von dem heliakischen Aufgang des Sirius - Sothis reguliert gewesen. Auch der renommierte britische Ägyptologe Richard-Anthony Parker (1905–1993) ging davon aus, dass die ältesten verwendeten Kalender auch in Ägypten Mondkalender waren.
Die ältesten Belege für Mondkalender finden sich in Pyramidentexten schon ab ca. 2350 v. Chr. Es wird vermutet, dass zentrale Funktion der altägyptischen Mondkalender sich auf die Datierung von Himmelsfesten beschränkte.
Der Sothis-Kalender (vgl. Hundstage) - dessen verschiedene frühe Formen bis ins 3. Jahrtausend v. Chr. zurückführen - war ein bewegliches Sonnenjahr: 12 Monate zu je 30 Tagen (in drei Dekaden) sowie 5 Zusatztage, das Jahr hatte also eine Länge von 365 Tagen.
Diese fünf Schalttage wurden am Ende des Jahres, außerhalb der Monate hinzugefügt. Die Schalttage des ägyptischen Jahres nannten die antiken Griechen die „Epagomenen“ („die über dem Jahr befindlichen“). Sie veränderten im Laufe der langen alt-ägyptischen Geschichte ihre Bedeutung, spätestens vom Neune Reich an galten sie vielen Ägyptern als die Geburtstage der Götter Osiris, Horus, Seth, Isis und Nephthys und wurden mit verschiedenen feierlichen Zeremonien und Riten begangen. Einer Überlieferung nach soll der Gott Thot die 5 Zusatztage dem Mond beim Würfelspiel abgewonnen haben.
Der Sothis-Kalender dürfte einer der ältesten Sonnenkalender überhaupt gewesen sein. Wie auch die Mondkalender hatte der Sothis-Kalender astrologische und religiöse Bedeutung.
Datumsangaben erfolgten im Alten Ägypten immer in einer charakteristischen Form, so z. B. in dem Reisebericht des Wen - Amun: seine Abreise erfolgte im "Jahr 5, 4. Monat der Hitzezeit, Tag 16" (vgl. E. Blumenthal, S. 29, a.a.O.). Die Jahresangabe (1) bezieht auf die Regierungsjahre des jeweiligen Pharao, in unserem Fall auf Ramses XI. (1110 - 1080 v. Chr., aus der 20. Dynastie). Dann wird der jeweilige Monat der Jahreszeit angegeben: Im alten Ägypten kannte man drei Jahreszeiten, die mit den Zyklen des Nils korrespondierten: Die Überschwemmungszeit, die Wachstumszeit und die Hitzezeit. Abschließend folgte die Nummer des Tages innerhalb der dreißigtägigen Monate.
Die Überschwemmungszeit (ägypt. „akhet", auch „achet“) umfasste den Zeitraum von Mitte Juli bis Mitte November, die Zeit des Wachstums oder des Auftauchens (ägypt. „proyet", auch „peret") den Zeitraum von Mitte November bis Mitte März und der Sommer, die Zeit der Hitze (ägypt. „shomu" auch „schemu“) den Zeitraum von Mitte März bis Mitte Juli.
Jede der altägyptischen Jahreszeiten bestand aus vier Monaten oder 12 Dekaden, zehntägige Monatswochen. Jeder Monat bestand aus drei Dekaden, das Jahr aus 36. Jede Dekade wurde durch einen Dekan eingeleitet, durch das Erscheinen eines Sterns. Eine 7-Tage-Wocheneinteilung gab es nicht.
Je Monat gab es drei Wochen und somit drei Daten des Dekanbeginns; jeweils der 1., 11. und 21. Tag. Das ägyptische Jahr beinhaltete 36 Dekan-Wochen mit 360 Tagen und zusätzlich fünf Epagomenen-Tage der Jahreszeit Heriu-renpet.
Die Überschwemmungszeit wurde durch das Erscheinen des Sirius eingeleitet.
Das Neujahrsfest, der 1. Tag des Monats Thoth, fiel ursprünglich in den Juni. Denn die Nilschwemme erreichte (bis zum Bau des alten Assuan-Staudammes 1902) schon immer etwa zur der Sommersonnenwende (19. bis 23. Juni) das Nildelta; in Assuan traf sie sogar schon Anfang Juni ein. Die früher oft veröffentlichte Datum des Einsetzens der Nilschwemme um den 19. Juli widerspricht dem einstigen realen Ablauf.
Die altägyptischen Monatsnamen lauteten:
1.) Thoth (ca. Juni / Juli), Beginn der Nilschwelle, Anstieg des Wassers bis ca. Ende September
2.) Phaophi (ca. Juli / August)
3.) Athyr (ca. August / September)
4.) Choiak (ca. September / Oktober), historisch höchster Wasserstand des Nils
5.) Tybi / Tobi (ca. Oktober /November), Ende Oktober ca. Rückgang des Wassers, wenn die Sonne sich dem Sternbild der Waage näherte
6.) Mechir / Mehir (ca. November / Dezember)
7.) Phamenoth / Famenut (ca. Dezember / Januar)
8.) Pharmuti / Farmuti / Parmuti (ca. Januar / Februar)
9.) Pachon / Pachono (ca. Februar / März), Abreise vieler Zugvögel in den Norden
10.) Payni / Paoni ( ca. März / April)
11.) Epiphi /Epifi (ca. April / Mai), Beginn der Hitzeperiode
12.) Mesori / Misori (ca. Mai / Juni), tiefster Stand des Nilwassers
Das altägyptische Jahr war mit 365 Tagen etwas kürzer als das astronomische Sonnenjahr, alle vier Jahre um einen Tag. Deshalb bewegte sich der Beginn des alt - ägyptischen Kalenders langsam durch alle Jahreszeiten („ägyptisches Wanderjahr“, auch "Wandeljahr"). 1461 alt-ägyptische Jahre entsprechen 1460 Julianischen Jahren oder 532 365 Tagen. Die Ägypter nannten diesen Zeitraum „Sothisperiode“.
Nach 1457 Jahren erst fiel das ägyptische Neujahrsfest wieder mit dem heliakischen Aufgang des Sirius zusammen (vgl. Eduard Meyer, S. 15, a.a.O.).
Schon seit dem römische Autor Censorinus (3. Jhdt. n. Chr.) und den Veröffentlichungen des deutschen Ägyptologen Eduard Meyer (1855-1930) wurde der 19. Juli als Neujahrstag der alten Ägypter genannt, auf Grundlage des im Jahr 139 n. Chr. erfolgten heliakischen Aufgang des Sirius am 19./20. Juli im Nildelta.
Meyer übertrug den 19. Juli als Neujahrsdatum in den proleptischen Kalender, den er für seine alt-ägyptische Chronologie verwendete (vgl. E. Meyer 1904, S. 14/15, a.a.O.).
Die Ungenauigkeit ihres Sonnenjahres fiel den alt-ägyptischen Astronomen bereits frühzeitig auf, dennoch erlangte das Wanderjahr kultische Verbindlichkeit.
Erst Ptolemäus III. Euergetes (247 - 222 v. Chr.) erließ das 1866 aufgefundene Dekret von Kanopos, mit dem eine Kalenderrechnung mit einem alle 4 Jahre eingefügten Schalttag erlassen wurde. Die Jahreslänge betrug nun 365,25 Tage und näherte sich der Länge des wirklichen Sonnenjahres an (vgl. Kalenderproblem).
(1) Eine durchgängige Jahreszählung wurde im alten Ägypten nicht entwickelt. Der 1. Tag des Jahres 1 der in Babylon entwickelten Nabonassar-Zählung entspricht dem 26. Februar 747 v. Chr.
© Christian Meyer