Sowjetische Wernadsky – Briefmarke
Zum geologischen Epochenbegriff Anthropozän
Der US-amerikanische Philologe und Diplomat George Perkins Marsh (1801–1882) kann als einer der ersten Umweltschützer betrachtet werden, denn er erkannte die irreversiblen Einflüsse menschlichen Handelns auf die Erde, war ein Vorläufer des Nachhaltigkeitskonzepts.
Schon im Jahre 1847 vertrat Marsh in einem Vortrag vor der Agrarwissenschaftlichen Gesellschaft von Vermont als einer der ersten modernen Denker die Theorie, dass die menschlichen Aktivitäten das Klima beeinflussen würden – ohne jedoch das Kohlendioxid zu erwähnen. Er führte aus, die Trockenlegung der Sümpfe und Abholzung der Wälder führten zu einer verstärkten Verdunstung und einer Veränderung des Wasserhaushaltes. Zudem würden die Veränderungen an der Erdoberfläche bewirken, dass die Sonnenstrahlung anders absorbiert würde und die Winde dadurch beeinflusst würden. Das Mittelmeergebiet sei seit der Antike durch menschliches Verschulden von einer üppigen Vegetationszone in eine z.T. Mondlandschaft verwandelt worden.
Jede Ressorcenknappheit sei immer eine Folge von ungleichgewichtigem Missmanagement der Menschen. Das müsse zukünftig geändert werden.
Schließlich führte Marsh an, dass durch die häuslichen Herde etc. in den Städten die Temperaturen anstiegen: Die mittelren Temperaturen in London seien ca. 2° höher als in dem umgebenden Land. Pallas hätte das gleiche bereits für das deutlich dünner besiedelte Russland bemerkt.
In seinem 1864 veröffentlichten Buch “Man and Nature” führte Marsh seine Vorstellungen genauer aus. Das Werk wurde 1872 auch ins Italienische übersetzt, der italienische Geowissenschaftler Antonio Stoppani kannte es, sicher beeinflusste es seine Vorstellungen.
Schon im Jahre 1873 erkannte Antonio Stoppani (1828 - 1891) den wachsenden Einfluss des Menschen auf die Umwelt und sprach von der „anthropozoischen Ära“ (vgl. „Die Zeit“, Nr. 5/2020, S. 36). beziehungsweise vom „Anthropozoikum“
Friedrich Engels meinte klarsichtig bereits in der unvollendet gebliebenen „Dialektik der Natur“: „Nur der Mensch hat es fertiggebracht. der Natur seinen Stempel aufzudrücken, indem er nicht nur Pflanzen und Tiere versetzte, sondern auch … das Klima seines Wohnorts, ja die Tiere und Pflanzen selbst so veränderte, dass die Folgen seiner Tätigkeit nur mit dem allgemeinen Absterben des Erdballs verschwinden können“ (Engels, 1971, S. 23, a.a.O.).
Der russisch-ukrainische Geochemiker Wladimir Iwanowitsch Wernadsky (1863–1945) erkannte 1926 die wachsende Bedeutung des Menschen für die Entwicklung der Natur und Umgebung, insbesondere durch seine geistigen, intellektuellen Fähigkeiten.
Er popularisierte die Vorstellung einer Noosphäre [1], derjenige Bereich der Umwelt, der durch den Verstand des Menschen gesteuert wird. 1938 bezeichnete Wernadsky die Wissenschaft als geologische Kraft. Innerhalb der letzten beiden Jahrhunderte sei die Menschheit so zu großer Bedeutung für die Geologie gelangt, da sie insgesamt mehr Erdmasse bewegte als die Prozesse der sonstigen Biosphäre.
Die erstmalige Verwendung von Noosphäre ist aber umstritten.
Vielleicht hat der französische Paläontologe, Schriftsteller, Jesuit und christliche Mystiker Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) den Begriff „Noosphäre“ 1925 als erster in einem Aufsatz „La vision du passé“ im Sinne einer Umgestaltung der Zukunft und der Umwelt durch den Menschen verwendet. In seiner (von der katholischen Kirche verbotenen) Schrift „Die Zukunft des Menschen“ (1940) wurde Noosphäre der zentrale Begriff für die von ihm angenommene Zukunftsevolution der Menschheit. In ihr werde „… vom Menschen … durch Land-, Wasser-, Forstwirtschaft, durch Industrie und Technik … das Antlitz der Erde“ umgeprägt (Hemleben, S. 133, a.a.O.). Wörtlich führte Teilhard de Chardin 1940 aus: „Wir bilden uns vielleicht ein, wir stünden ein Gewitter durch. In Wirklichkeit sind wir dabei, das Klima zu wechseln“ (in „Die Zukunft des Menschen“, zit. n. Hemleben, S. 10, a.a.O.).
Allerdings mündet die Noosphäre bei Teilhard de Chardin in einen christlich visionären Mystizismus, eine „unerhörte Mischung von Wissenschaft und Phantasie“ wie der (allerdings NS-belastete) deutsche Anthropologe Gerhard Heberer (1901-1973) urteilte (vgl. Hemleben, S. 171, a.a.O.).
Der US-amerikanische Biologe Eugene F. Stoermer (1934–2012) benutzte schon in den 80er Jahren den Begriff Anthropozän, um den Einfluss menschlicher Aktivität auf den Planeten Erde zu kennzeichnen.
Im Jahre 2000 schlugen der niederländische Chemie-Nobelpreisträger des Jahres 1995 Paul J. Crutzen (*1933) und Eugene F. Stoermer für die geologische Gegenwart den Epochenbegriff Anthropozän vor.
Crutzen veröffentlichte im Januar 2002 in der „Nature“ den kurzen Aufsatz „Geology of mankind” - Geologie der Menschheit - und argumentierte, der Mensch präge seit der zweiten Hälfte des 18. Jhdts. diese neue geologische Epoche (Crutzen, a.a.O.). Auch wies Crutzen auf seine „Vorläufer“ von Marsh und Stoppani bis Vernadsy und Teilhard de Chardin hin. Crutzen resümierte, es läge vor den Wissenschaftlern und Ingenieuren die entmutigende Aufgabe, einen Weg in eine ökologisch nachhaltige Zukunft des Anthropozäns zu weisen (vgl. Crutzen, S. 23, a.a.O.).
Im Jahre 2014 widmete das Deutsche Museum in München dem Anthropozän die weltweit erste große Ausstellung „Die Welt in unserer Hand“.
2016 bestätigte die Arbeitsgruppe „Anthropocene Working Group“, dass sich das Anthropozän fundamental vom Holozän unterscheidet. Im August des Jahres 2016 postulierte die „Internationale Geologische Vereinigung“ das Ende der (seit ca. 12 000 Jahren andauernden Warmzeit) Holozän und stellte den Anbruch des Anthropozän fest, des vom Menschen gestalteten, geformten Erdzeitalters.
In den letzten Jahren wird Mikroplastik immer mehr ein charakteristischer Marker des Anthropozän.
„Seit kurzem entstehen Bakterien und Pilze, die sich davon (von Plastikmüll, C.M.) ernähren, – Evolution live. Immer wieder findet das Leben an verschiedenen Orten der Erde ähnliche Lösungen, wenn gleiche Problemstellungen zu bewältigen sind“ (Schneider 2023, S. 24, a.a.O.).
Allerdings verlaufen die bisher entdeckten mikroorganismischen Abbauprozesse für Plastikmüll sehr langsam und sind jeweils nur auf spezielle Plastikarten beschränkt, sodass bislang durch Pilze und Bakterien die Mikroplastik-Katastrophe nicht etwa ernsthaft entschärft werden kann und sogar die interessierte Industrie zur Plastikvermeidung aufruft.
Mikroplastik auch im Boden ist ein idealer Lebensraum für pathogene Pilzarten (wie zum Beispiel bestimmte Schwärze- und Hefepilze), wie Gerasimos Gkoutselis von der Abteilung Mykologie der Universität Bayreuth im Jahre 2021 feststellte: Im Boden entstehe eine besondere ökologische Nische, eine „Plastiksphäre“. Eine ganze Reihe krankmachender Pilzarten reicherten sich dort der Untersuchung nach zumindest in Kenia auf Mikroplastik besonders intensiv an (vgl. Gkoutselis et al., a.a.O.).
Schon 1975 entdeckten japanische Biologen in dem Abwasser einer Nylonfabrik ein Bakterium, das Nylon 6-Abfallprodukte für seinen Stoffwechsel nutzte, abbaute. Mit Hilfe spezieller Enzyme gelang es „Paenarthrobacter ureafaciens KI72“ (umgangssprachlich auch „Nylonfresser-Bakterium“) die synthetischen Chemikalien der ältesten komplett synthetischen Fasern zu verdauen (vgl. Freistetter, S. 215/216, a.a.O.).
Das nylonverdauende Bakterium gilt als gutes Beispiel zur Veranschaulichung der Evolution: In wenigen Jahrzehnten führte das Vorhandensein von Nylon in der Umwelt zu Mutationen in Mikroorganismen, die Nylon für ihren Stoffwechsel nutzbar machen konnten.
Unterdessen sind eine Reihe weiterer Mikroorganismen bekannt, die über ähnliche Fähigkeiten verfügen.
Im Jahre 2019 fand Marie Therese Kettner (vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, IGB, am Müggelsee), dass sich das Geißeltierchen Pfisteria piscicidia (ein einzelliger Plankton-Organismus) ganz besonders oft auf Mikroplastik ansiedelt: „Auf den untersuchten Partikeln war die Pfisteria-Dichte bis zu 50 Mal höher als im Wasser der Umgebung und immer noch bis zu drei Mal höher als auf vergleichbare großen Holzteilchen“ (vgl. Freistetter, S. 50, a.a.O.).
Schon 1988 hatten US-amerikanische Forscher festgestellt, dass Pfisteria piscicidia „ein sehr effektives Gift“ produzieren kann, das zu großen Fischsterben (daher der Name „Fischtöter“) führen kann. Auch für Menschen ist das Gift schädlich, es kann zu Schmerzen, Erbrechen, Durchfall oder auch Sehstörungen, Verwirrtheit und Gedächtnisverlust führen (vgl. Freistetter, S. 48, a.a.O.).
Mikroplastik ist aus „… vielen Gründen schädlich“, die Besiedlung (von Mikroplastik, C.M.) durch potentiell auch für Menschen giftige Mikroorganismen“ (vgl. Freistetter, S. 50, a.a.O.) sollte für uns ein Grund mehr sein, Mikroplastik zu bekämpfen oder zumindest zu vermeiden (vgl. zu Mikroplastik auch Tag der Umwelt)
Elmar Altvater – der eremitierte Politologe des OSI der FU Berlin – fragte 2017 dazu, ob wirklich Anthropos herrsche und schlug – aus „wissenschaftlicher Redlichkeit“ vor das neue Zeitalter „Kapitalozän“ zu nennen (vgl. Altvater, S. 108, a.a.O.). M. E. mit Recht wies Altvater daraufhin, dass bereits zumindest seit der neolithischen Revolution die Menschheit die Erde umgestalte, ein Prozess jedoch, der sich seit der industriellen Revolution und der Globalisierung des Kapitalismus beschleunigte.
Für das Jahr 2021 plant eine Gruppe von Geologen einen detaillierten Vorschlag zu Definition und Startpunkt der neuen geologischen Epoche vorzulegen.
© Christian Meyer
[1] Der Begriff Noosphäre (vom gr. νοῦς –nous - ≙ „Geist“, Verstand“), also die „Sphäre des menschlichen Geistes/Verstandes“) stammt aus der Philosophie und wurde in die Naturwissenschaften übernommen.