Deutsche Briefmarke aus dem Jahre 2009: „2000 Jahre Varusschlacht“; neben der bei Kalkriese aufgefundenen römischen Gesichtsmaske, einer Statue von Octavian und dem Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald ist als Symbol auch der Wald auf der Briefmarke abgebildet.
Abb. Karte zur Varusschlacht; Gelb: Mögliche Orte der Varusschlacht (Karte aus: www.bunse-latein.de)
Karte mit freundlicher Genehmigung von Andreas Janda, http://www.varusschlacht-im-teutoburger-wald.de/
Abb. : „Hermann der Cherusker in der Schlacht im Teutoburger Wald“; heroisierende Darstellung aus dem 19. Jhdt.; (aus: https://gotthardheinrici.wordpress.com/2020/07/28/hermann-der-cherusker-und-die-schlacht-im-teutoburger-wald/)
Abb. Germanicus eroberte im Jahre 16 auch 2 der in der Varusschlacht verloren gegangen Legionsadler zurück. Sein Sohn Caligula (Kaiser von 37 bis 41) ließ Gedenkmünzen zu Ehren seines Vaters Germanicus prägen: Die Vorderseite zeigt Germanicus in der Triumphal-Quadriga, auf der Rückseite mit einem der Adler in der Hand. Die Aufschrift lautet: „SIGNIS RECEPT(is), DEVICTIS GERM(anis)“, „Die Feldzeichen sind zurückgegeben, die Germanen besiegt”. Abb. aus: https://www.muenzen-ritter.de/wissenswertes/numismatikbibliothek/historia-romana/varusschlacht)
ca. 15. September 9. n. Chr. - Varusschlacht
Die Varusschlacht und der Sieg des Arminius im Jahre 9. n. Chr. ist der vielleicht wirkmächtigste Mythos in der deutschen Geschichte.
Arminius (* ca. 18 v. Chr. – um 19 oder 21 n. Chr.) entstammte einer adligen Familie der Cherusker. Von 1 bis ca. 8 n. Chr. stand er in römischen Diensten, er führte germanische Hilfstruppen der römischen Armee. So lernte der junge germanische Offizier die römische Kriegstechnik und Strategie kennen. „Gaius Iulius Arminius“ besaß das römische Bürgerrecht und gehörte dem Ritterstand an. Bevor er im Jahre 8 nach Germanien zurückkehrte, wurde er bei der Bekämpfung des dalmatinischen Aufstandes eingesetzt.
Die Situation im rechtsrheinischen Germanien schien nach dem Feldzug des Tiberius 5/6 n. Chr. in der Sicht der Römer stabilisiert. Der Kriegsteilnehmer Velleius Paterculus beschrieb die Situation zu diesem Zeitpunkt folgendermaßen: „Nichts blieb mehr in Germanien, das hätte besiegt werden können, außer dem Stamm der Markomannen“ (Velleius Paterculus 2,108,1, a.a.O.). Das änderte sich jedoch rasch.
In die Heimat zurück gekehrt, wurde Arminius ein Haupt einer Verschwörung, die sich gegen die Errichtung einer römischen Provinz Germania magna zwischen Rhein, Elbe, Saale und Donau [1] richtete. An der Verschwörung waren Vertreter mehrerer germanischer Stämme beteiligt.
Bestärkt wurde die Verschwörung durch den Unwillen vieler Germanen, das von dem neuen Statthalter Publius Quinctilius Varus eingeführte römische Steuer- und Gerichtssystem zu akzeptieren.
Im Herbst 9. n. Chr. erlitt Varus mit 3 Legionen, Hilfstruppen, Tross und Reiterei (ca. 20 000 Mann) in unübersichtlichem, waldig–sumpfigen Gelände durch Soldaten der Verschwörer unter Führung des jungen Arminius eine totale Niederlage („Schlacht im Teutoburger Wald“). Varus selbst gab sich den Tod, die drei Legionsadler wurden von den aufständischen Germanen erbeutet.
Wo die „Schlacht im Teutoburger Wald“ (von den römischen Schriftstellern „clades Variana“, „Varusniederlage“ genannt) wirklich stattfand, ist bis heute umstritten, in der Literatur gibt es ca. 700 mögliche Schlachtorte [2] (vgl. Karte).
Eine ganze Reihe antiker Autoren thematisierte die Varusschlacht, so…
Ø Marcus Manilius, ein römischer Astronom und Astrologe des 1. Jhdts. n. Chr. verfasste noch zu Lebzeiten des Augustus, vor dem Jahr 14 n. Chr. ein astrologischen Lehrgedicht, „Astronomica“ (a.a.O.). Darin findet sich der früheste Hinweis der auf die Varusschlacht: „Auch Kriege verkünden die himmlischen Feuer und plötzlichen Aufruhr und in heimlicher Tücke gärende Waffenerhebung, bald bei fremden Völkern: So glühten damals, als nach Bruch des Bündnisses das wilde Germanien den Feldherrn Varus dahinraffte und mit dem Blute von drei Legionen die Gefilde rötete, überall in der ganzen Welt die drohenden Feuer“ (Manilius, 896-903, a.a.O.).
Schon Strabon selbst wies darauf hin, dass „… die Barbaren in unzugänglichen Sümpfen und Wäldern und in Einöden das Gelände für sich kämpfen“ ließen (Strabon, 1. Kap.17, a.a.O.)
Strabon erwähnte im Zusammenhang mit dem beschriebenen Triumphzug des Germanicus auch den Namen „Thusnelda“ (Strabon, 7, Kap.1/3-4, a.a.O. )
Velleius Ausführungen zur Varusschlacht (bezeichnet als „immensum bellum“, „gewaltigen Krieg“ gegen die germanischen Stämme) beginnen im 2. Buch …
Ø als die Nachricht der Niederlage des Varus mit drei Legionen, drei Reiter-Alen (von lat. „ala“ ≙ Flügel; ca. 500 – 1000 Reiter) und 6 Kohorten Rom erreicht (vgl. Velleius, II,117, 1, a.a.O.).
Ø Es folgt eine Charakterisierung des Varus, seinem Agieren als Statthalter in Germanien und eine Charakterisierung des Arminius und dessen Verschwörungsplan (vgl. Velleius, II,117, 2-118,1-4).
Ø Die anschließenden Ausführungen zur eigentlichen Schlacht bleiben kurz: Keine Details zum Ablauf, außer einer Zusammenfassung, dass die römischen Legionen durch eine List in morastige Waldgegend geführt und besiegt wurden (vgl. Velleius, II,119,1-5, a.a.O.).
Ø Dagegen beurteilt und wertet Paterculus das Verhalten der Protagonisten; Varus sah er aufgrund seines Selbstmordes als mutlosen Heerführer (vgl. Velleius, II, 119, 3, a.a.O.).
Ø Den Legaten des Varus Numonius Vala, der als Reiterkommandeur floh und auf der Flucht ums Leben kam, sah Velleius als schändlich an (vgl. Velleius, II, 119,4, a.a.O.).
Ø Den Neffen und Legaten des Varus, Lucius Asprenas charakterisiert Velleius als Held, wegen seiner sicheren Ankunft (mit der Legio I und V [3]) in dem Winterlager am Rhein (in Vetera beim heutigen Xanten) und der Sicherung der Rheingrenze (vgl. Velleius, II,120,3, a.a.O.).
Der Grund für die so kurz ausgefallene Beschreibung des Schlachtablaufs gibt Paterculus selbst. Er begründet die Kürze seiner Schlachtbeschreibung: Eine genaue Beschreibung sollte in einem eigenen Werk folgen (vgl. Velleius, II, 119,1). Es ist unbekannt, ob Velleius die Schrift je verfasst hat.
Velleius Schrift ist der knappe Bericht eines Augenzeugen, der durch eine stark tiberiusfreundliche Tendenz charakterisiert, entstellt (??) erscheint (vgl. Goetz/Welwei, Teil 1, S. 48, a.a.O.).
Publius Cornelius Tacitus (lat. „der Schweigsame“, um 55 n. Chr. – ca. 116/120) entstammte einer vornehmen römischen Familie und durchlief unter mehreren römischen Kaisern eine hohe militärische und administrative Laufbahn. Der Senator und Historiker verfasste v.a.
Tacitus eigener Grundsatz war es, »sine ira et studio« (d.h. »ohne Zorn und Eifer«, vgl. Annalen 1,1,3, a.a.O.) zu berichten. Er schilderte streng chronologisch die Ereignisse der Jahre 14-68, wobei leider einige Teile verloren gingen. Die Annalen sind eine wichtige Quelle zu dem Geschehen nach der Varusschlacht und den folgenden Konflikten des Arminius mit den führenden Cheruskern und Römern.
Tacitus Ausführungen zur Varusschlacht und den Folgen ….
Der für unseren Zusammenhang interessante Zeitraum vom Jahre 9 bis 54 n. Chr. ist in den nicht vollständig überlieferten Büchern 56 – 60 dargestellt und umfasst die allermeisten uns bekannten Ereignisse um die Varusschlacht (Cassius Dio, 56,18,3-22,2, a.a.O.).
Dio berichtet …
Trotz des großen zeitlichen Abstandes gilt das Werk des Cassius Dio generell als zuverlässige Quelle.
Mit Abstand am einflussreichste aber wurde für Jahrhunderte ein Werk des spätantik-christlichen Historikers und Theologen Paulus Orosius (ca. 385 – 418), der aus Hispanien stammte und ein Schüler Augustinus war. Orosius’ berühmtestes Werk, die „Historiae adversum Paganos“ (verfasst 416/17) wurde auf Augustinus’ Anregung hin begonnen, ihm ist die Schrift auch gewidmet. Die Schrift ist das früheste Beispiel eines systematischen Gebrauchs der Jahreszählung ab urbe condita.
Absicht des Werks war es, den „heidnischen“ Vorwürfen zu begegnen, der Abfall von der alten Religion sei die Ursache des zeitgenössischen Elends. Orosius führte als historischen Beweis „… dagegen, daß nämlich die Welt von jeher ein Jammerthal gewesen, worin Irrthum und Lasterhaftigkeit geherrscht, und daß es ohne das Christenthum mit der Welt noch weit schlimmer stehen würde“ (Herzog 1858, Bd. 10, S. 710, a.a.O.).
Orosius zeigte, dass die Römer auch in früherer Zeit von Katastrophen getroffen worden waren, z.B. eben die Varusschlacht. Varus selbst wird darin – wie bei Strabon - als „dux ferox“, als gescheiterter Feldherr, dargestellt, als wortwörtlich „äußerst hochmütig und habsüchtig“ beschrieben (Orosius VI, 21,26, a.a.O.). Die Vernichtung der drei Legionen nahm Augustus auch bei Orosius so schwer, dass er seinen Kopf gegen eine Wand stieß und rief: "O Quintilius Varus, gib mir meine Legionen zurück." (Orosius VI, 21,27, a.a.O.).
Die Schrift Orosius‘ ist eine Art Chronik der Menschheitskatastrophen bis zum Jahr 417, der erste Versuch, die Weltgeschichte aus dezidiert christlicher Sicht als Geschichte einer von Gott geleiteten Menschheit zu schreiben (vgl. Goetz 1980, S. 12 f., a.a.O.).
Der Historiker und bekennende „Heide“ Zosimos verfasste um 500 seine „Historia Nea“, in der der germanische Aufstand und Varus nicht erwähnt werden.
Es handelte sich bei der Varusschlacht um die schwerste militärische Niederlage der Römer in der Zeit des Kaisers Augustus, ca. ein Achtel des gesamten römischen Heeres wurde vernichtet: Nach den Kaiserbiographien des Sueton (a.a.O.) war es eine „ schwere, schimpfliche Niederlage“, die Varus erlitten hatte. Sie brachte „… das Reich fast an den Rand des Abgrundes, da drei Legionen mitsamt ihrem Feldherren, den Offizieren und Hilfstruppen gänzlich vernichtet wurden. Auf die Nachricht von dieser Niederlage hin ließ er (Augustus, C.M.) Rom durch Wachen besetzen, damit kein Aufruhr entstehe; auch verlängerte er das Kommando der Provinzialstatthalter, damit die Bundesgenossen durch erfahrene und ihnen bekannte Leute im Zaum gehalten würden. Er versprach auch feierlich große Spiele zu Ehren des Iuppiter Optimus Maximus, wenn die Staatsangelegenheiten eine Wendung zum Besseren genommen hätten, wie das schon im Krieg gegen die Cimbern und gegen die Marser gemacht worden war. Er soll so niedergeschlagen gewesen sein, dass er sich einige Monate lang Bart- und Haupthaar habe wachsen lassen und bisweilen den Kopf gegen die Türe gerannt habe und gerufen habe: ‚Quinctilius Varus, gib mir meine Legionen wieder’; und jedes Jahr soll er den Tag dieser Niederlage in Trauer und Niedergeschlagenheit begangen haben“ (vgl. Sueton, S. 101, a.a.O.). .
Weiterhin führte Sueton an, dass Kaiser Augustus nach der Varusschlacht „… die Germanen, die er … in seiner Leibgarde gehabt hatte, entlassen “(vgl. Sueton, S. 126, a.a.O.) und „Staatstrauer“ angeordnet habe (vgl. Sueton, S. 185, a.a.O.). Sueton nannte übrigens – allerdings mehr als 100 Jahre nach der Varusschlacht – weder den Tag der Schlacht und noch den Namen des Arminius.
Auf der germanischen Seite gab es zu dieser Zeit noch keine Schriftlichkeit.
In der Folge der Varusschlacht wurde das gesamte rechtsrheinische Germanien zunächst aufgegeben und auf weitere Eroberungspläne in der Region verzichtet. So verhinderte Arminius durch seinen Sieg in der Varusschlacht die Gründung einer wirklichen römischen Provinz „Germania“, deshalb war er später für Ulrich von Hutten der größte Feldherr der Antike.
In der Realität aber war vor seinem Tode schon Arminius politisch gescheitert. Denn zum einen erlitt er als eine Art Heerkönig der Cherusker in den Rachefeldzügen der Römer unter Germanicus (15 v. Chr. – 19 n. Chr.) Niederlagen.
Germanicus plante 15/16 eine Zangenbewegung von der Nordsee her mit einer mehr aus 1200 Schiffen umfassenden Invasionsflotte und vom Rhein her mit dem Landheer. Insgesamt sollen Germanicus ca. 100 000 Soldaten zur Verfügung gestanden haben.
Römische Truppen erreichten nun das Schlachtfeld des Varus und Germanicus ließ dort „…. die Überreste der in der Varusschlacht Gefallenen in einem gemeinsamen Grab“ beisetzen. Er selbst machte sich „… als erster daran, sie eigenhändig zu sammeln und zusammenzutragen“ (vgl. Sueton, S. 230, a.a.O.). Sofort nach dem Aufbruch der römischen Truppen wurde der Grabtumulus allerdings von Germanen zerstört.
Germanicus stieß bis zur Weser vor und schlug die Germanen im Jahre 16 unter Arminius bei Idistaviso [7] und am Angrivarierwall [8] zumindest zurück. Allerdings wurde Germanicus anschließend abberufen, da er den Oberbefehl im Orient übernehmen sollte, zudem waren die Kriegskosten zu hoch. Ca. ein Viertel von Germanicus Soldaten kam in den langwierigen blutigen Kämpfen ums Leben. Eine Reihe von aufgefundenen Massengräbern zeugen davon. Glanzlos und zermürbt zogen sich die Legionäre hinter den Rhein zurück – ein „antikes Vietnam“ („Frankfurter Allgemeine“).
Vor allem aber gelang es Arminius nicht, ein größeres Bündnis der (westlichen) Germanenstämme gegen Rom zu verwirklichen. Nach der Varusschlacht war sein Prestige bei einigen germanischen Stämmen gestiegen, sein Einfluss groß, aber insbesondere gelang es nicht, zu einem Bündnis mit Marbod und den Markomannen zu gelangen.
Marbod (ca. 30 v. Chr. – 37 n. Chr, im ravennatischen Exil) hatte die Markomannen nach Böhmen geführt, ein Bündnis mit den benachbarten Hermunduren und Langobarden erreicht und den Königstitel angenommen.
Nach der Varusschlacht 9 n. Chr. sandte Arminius das abgeschlagene Haupt des Publius Quinctilius Varus an Marbod und bot ein Bündnis gegen die Römer an. Der Markomannenherrscher lieferte den Kopf des Varus an Augustus aus ließ und schlug eine germanische Koalition aus.
Die Römer anerkannten Marbod jedoch nie als offiziell verbündeten Klientelherrscher, obwohl die Markomannen in den Germanicus–Kriegen 16 neutral blieben. In dem Krieg der Verbündeten des Arminius gegen Marbod im Jahre 17 versagte ihm Rom militärische Unterstützung. Der Kampf gegen Arminius und die erstarkende aristokratische Opposition innerhalb der Markomannen führten 19 n. Chr. zum Sturz Marbods. Er flüchtete ins Römische Reich, wurde in Ravenna interniert, wo er noch 18 Jahre lebte (vgl. Strabon, Geographika 7, 1, 3 p. 290C & Velleius Paterculus Historia Romana 2, 108–110; 2, 129 & Tacitus , Annalen 2, 44–46; 2, 62–63; 2, 88, a.a.O.).
Die Familie des Arminius war in dem Konflikt uneins, sein Schwiegervater bekämpfte ihn, und sein Bruder kämpfte auf der Seite der Römer. Der Überlieferung nach standen sich vor einer Schlacht Arminius und sein Bruder Flavus einmal an der Weser gegenüber. Beide versuchten über den Fluss hinweg vergeblich, den anderen von ihrer Meinung zu überzeugen.
Arminius aber wurde vermutlich wegen des Vorwurfs, er strebe nach der Alleinherrschaft, 19 oder 21 von Verwandten ermordet.
Die Varusschlacht ist nicht der Beginn eines Mythos, sondern einer Reihe von verschiedenen Mythen, so u.a. zu den Mythen …..
Hinsichtlich der germanischen „Einigkeit“ muss angemerkt werden, dass der Name „Germanen“ nie eine Selbstbezeichnung, immer nur Fremdbezeichnung, Sammelname in der römischen Literatur war. Die Germanen bezeichneten sich selbst immer nur mit den verschiedenen Stammesbezeichnungen, nie mit einem gemeinsamen Sammelnamen.
In Kleists „Hermannschlacht“ erklärt der Ubierfürst Aristan Hermann, er kenne kein Germanien, sondern nur Ubier. Hermann lässt ihm daraufhin den Kopf abschlagen (a.a.O.).
Eine dichotomische Gegenüberstellung hie Römer hie Germanen erscheint fragwürdig. Denn Kulturkontakte gab es auch in der Varus - Zeit zwischen Römern und „freien“ Germanen, so z.B. belegt durch das Grab von Zohor (West-Slowakei, 1./2. Jhdt. n. Chr.) im damaligen Stammesgebiet der Quaden: Grabbeigaben zeigen gegenseitige Beeinflussungen, zum Beispiel durch römische Importe bei den Beigaben. Bei dem Grab stellt sich die Frage, ob es sich dem Bestatteten um einen romanisierten Germanen oder einen germanisierten Römer handele.
Zum Selbstbild vieler Deutscher gehört jedoch bis heute die Vorstellung, die „Germanen“ seien die eigenen Vorfahren und Urahnen, was so nur bedingt stimmt. Denn zum einen sind es höchstens einige germanische Stämme die zu einer der ethnischen Grundlagen der Deutschen wurden, die zudem war das heutige Deutschland immer in seiner Geschichte Ziel verschiedenster Migrationen.
Das Geschichtswerk des Orosius fand im Mittelalter viel Anerkennung, war Jahrhunderte lang sehr einflussreich, wovon viele erhaltene Handschriften bis heute Zeugnis ablegen. Es wurde auch ins Arabische übertragen, die Übersetzung diente u.a. Ibn Khaldun als Quelle. Das gesamte Mittelalter kannte Arminius und den antirömischen Aufstand der Germanen nur aus den knappen Erwähnungen durch Orosius.
Erst 1515 erschienen die ersten 6 Bücher der „Annales“ von Tacitus im Druck, 1520 folgte die Darstellung des Velleius Paterculus.
[10] worden war. Schon Eneas Silvius Piccolomini (1405 – 1464; seit 1458 Papst Pius II.) benutzte die „Germania“ zu tagespolitischer Instrumentalisierung: damals seien die Germanen primitive Barbaren gewesen, nun – dank der Kirche – zivilisiert und wohlhabend. Schon im 15. Jhdt. gab es umgekehrt gegensätzliche Interessenlagen zwischen der katholischen Kirche (Peterspfennig) und den deutschen Fürsten.
Schon in frühen Tacitus–Kommentaren im dem damaligen Deutschland wurde das „Barbaren“–Bild verworfen, umgekehrt das Bild eines „Goldenen Zeitalters“ entworfen und die „deutschen Tugenden“ der Treue, Tapferkeit der Männer, Keuschheit der Frauen, Sittenreinheit, Redlichkeit, Aufrichtigkeit, Freiheitsliebe, Naturliebe. Einfachheit und ethnische Unvermischtheit lobten Dabei fand sich ein idealisiertes Germanenbild schon bei Tacitus selbst:
Germanischer Einfachheit wurde gegenübergestellt dem römischen Luxus, Germanische Freiheit dem römischen Machtstreben, Germanische Tugendhaftigkeit römischer Hinterhältigkeit und Tücke.
Dabei spielte die immer bekannter werdende Varusschlacht und ihr Held, Arminius, Armin, Hermann eine zentrale Rolle (vgl. Armin & Hermann).
Der Politikwissenschaftler von der HUB Herfried Münkler (* 1951) hält die Wiederentdeckung der „Germania“ für „… das entscheidende Ereignis für die Selbststilisierung der Deutschen als Nachfahren der Germanen“ (Münkler 2010, S. 149, a.a.O.).
Auch in der Reformation wurde der Mythos Varusschlacht instrumentalisiert: Martin Luther wurde mit Arminius identifiziert, der auch gegen Rom kämpfte, wie Luther selbst gegen den römischen Katholizismus. Luther wurde in der protestantischen Propaganda zu „Lutherus Cheruscus“, der das zeitgenössische Rom besiegt.
In der Walhalla an der Donau eröffnet eine Gedenktafel für Arminius – Hermann seit 1842 die Reihe der großen Deutschen.
Im 19. Jhdt. folgte der Bau des monumentalen Hermannsdenkmaös am Fuße des Teutoburger Waldes. Das sieben Meter lange und elf Zentner Schwert Hermanns trägt die Inschrift: „Deutsche Einigkeit meine Stärke – meine Stärke Deutschlands Macht“.
Der Maler Otto Geyer (1843 - 1914) ließ den Treppenhausfries zur deutschen Geschichte in der Berliner Alten Nationalgalerie 1870-75 mit einer Figur des Arminius beginnen.
Das Hermannsdenkmal, der Teutoburger Wald, die Externsteine und die Wawelsburg wurden in den letzten Jahrzehnten mehr als zu touristischen Zielen, eher zu Pilgerstätten für Esoteriker, alte und neue Rechte, alte und neue Nazis.
Seit den 70er Jahren des 20. Jhdts. kam eine neue Interpretation der Ereignisse auf. Mit den 1970 veröffentlichten „Arminius-Studien“ des (unterdessen emeritierten) Kieler Althistoriker Dieter Timpe (*1931) wurde eine neue Phase der Arminius-Forschung eingeleitet.
Timpe schlug vor, Arminius als einen römischen Soldaten zu betrachten, der für seine eigenen egoistischen Interessen kämpfte. Ursache des Krieges sei dann nicht ein „Volkskampf“ gewesen, sondern eine intern-römische militärische Revolte (vgl. Timpe, S. 49, a.a.O.).
Nach Timpe habe – entgegen Tacitus Bericht - der ‚germanische Freiheitskampf‘ gegen die römische Okkupation als ‚Meuterei‘ germanischer Auxiliareinheiten gegen die Legionen des Rheinheeres begonnen, der sich Teile weiteren germanischer Stämme anschlossen. Von einem einheitlichen germanischen ‚Volk‘ oder ‚nationalen Freiheitskampf‘ zu sprechen sei nicht möglich (vgl. Timpe: S. 38-49 a.a.O).
Timpe argumentiert dabei m.E. zutreffend, dass die frühen germanischen Völker keine kollektive Identität hatten und „Germanen“ nur als literarisches römisches Konstrukt vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. betrachtet werden könnten
Auch wird die These Timpes durch die Ausgrabungen am Kalkrieser Berg gestützt, bei denen keinerlei Waffen oder Trachtbestandteile germanischer Stammeskrieger gefunden wurden (vgl. Daumer, S. 97, a.a.O.).
Die Meuterei, dass die Rebellion aus dem römischen selbst Heeres kam, wurde nach Timpe von Kaiser Augustus verschwiegen. Leicht wäre sonst ein wichtiger Bestandteil der damaligen römischen Militärstrategie in Frage gestellt - die Nutzung größerer germanischer Auxiliartruppen.
So gesehen wäre Arminius - nach Timpe - ein "erfolgreichen Verräter und politischen Verbrecher". Er hält es für möglich, dass Beschreibungen von Arminius als germanischer Freiheitskämpfer von den Römern erfunden wurden, um Arminius Verrat sowie Roms Versagen und Inkompetenz zu kaschieren. Die Schlacht dürfte der Auftakt für einen jahrelangen Guerillakrieg gewesen sein.
Durch die Ausgrabungen in Kalkriese und die 2000jährige Wiederkehr der Varusschlacht und die Netflix-Produktion „Barbaren“ 2020/21 blieb Arminius bis heute in der Diskussion.
Die TAZ nannte Arminius den „deutschen Asterix“ und der Spiegel (11/2204, S. 152 f.) titelte: „Che Guevara im Nebelland“.
[1] Diese Grenze hätte den bedeutenden Vorteil einer strategischen Verkürzung der Außengrenze mit sich gebracht.
[2] Aufgrund neuerer Funde seit 1989 wird als ein wahrscheinlicher Schlachtort Kalkriese angeführt. Wahrscheinlicher scheint allerdings nach dortigen Münzfunden eine spätere Schlacht aus den Germanicus-Kriegen stattgefunden zu haben.
[3] In den letzten Jahren ist die Anwesenheit der Legio I am Fundort Kalkriese bei Bramsche/Osnabrück archäologisch nachgewiesen worden.
[4] Germanicus (15 v. Chr. – 19 n. Chr.), der Adoptivenkel des Augustus, Sohn des Drusus, Adoptivsohn der Tiberius, Vater des Caligula und Ehemann Agrippina der Älteren, hatte 9 Kinder. Bei den Soldaten und auch der römischen Bevölkerung scheint Germanicus sehr beliebt gewesen zu sein. Nach dem Tode des Kaisers Augustus wollten ihn die von ihm befehligten Truppen am Rhein anstelle von Tiberius zum Kaiser machen (vgl. Sueton, S. 191, a.a.O.).
[5] Gaius Suetonius Tranquillus (* ca. 70 - ca. 150 n. Chr.) entstammte einer eher armen römischen Ritter–Familie, genoss aber eine gute Bildung und wurde Advokat und Historiker. Er scheint ein zurückgezogen lebender Gelehrter gewesen zu sein, der es aber u.a. durch die Förderung von Plinius den Jüngeren bis zum Kanzleichef Kaiser Hadrians brachte. In dieser Zeit (bis 122 n. Chr.) hatte Sueton Zugang zu allen Archiven, für seine „Kaiserbiographien“ ein unschätzbarer Vorteil. Diese Biographien gehörten zu den meistgelesenen Büchern der Antike, allein zwischen 1470 und 1829 kam es zu mehr als 200 gedruckten Ausgaben (vgl. Sueton, Einleitung, S. 22, a.a.O.).
[6] Dort heißt es: „Bei der Niederlage des Varus hat das Glück viele Männer von hervorragender Geburt, die sich den Rang des Senators über den Kriegsdienst erhofften, niedergedrückt: Den einen von ihnen machte es zum Hirten, einen anderen zum Wächter einer Hütte; verachte nun den Menschen dieses Schicksals, in welches du hineingeraten kannst, noch während du ihn geringschätzt“(vgl. https://www.lateinheft.de/seneca/seneca-epistulae-morales-epistula-47-ubersetzung).
[7] Idistaviso, Ebene („Wiese“) östlich der Weser gelegen; die genaue Lage ist unbekannt. Vermutet wurde z.B. die Region um Bückeburg. Tacitus berichtet in den Annalen (II, 16) von der Schlacht. Die Germanen konnten sich dort anscheinend einer versuchten Einkesselung entziehen und sich beim Angrivarierwall neu formieren.
[8] Der Angrivarierwall soll einvernehmlich von den Cheruskern und Angrivariern aufgeschüttet wurden sein und sollte Grenzstreitigkeiten zwischen beiden Stämmen vermeiden helfen. Die Lage des Walls ist ungewiß, vermutet wird er zwischen dem Steinhuder Meer und der Weser. Auch das Ergebnis der dortigen Schlacht im Jahre 16 ist unklar. Tacitus berichtet in den Annalen (II, 19), Germanicus habe gesiegt. Sicher aber ist, die Römer zogen sich anschließend zurück und Kaiser Tiberius ging zu einer passiveren, defensiveren Politik über. Anscheinend waren die Verluste der Römer in dem Kriege zu groß.
[9] In der Bildenden Kunst schufen antike Künstler die Typen des „besiegten Barbaren“ und der „besiegten Barbarin“, die der Sieghaftigkeit Roms gegenübergestellt wurden. Der Typus des besiegten Barbaren ist schon sehr alt, so mit Besiegten aus den Keltenkriegen oder aus dem altorientalischen Babylon. Das Bildkonzept „besiegte Barbarin“ ist gekennzeichnet durch die demütige Haltung der Frau, ihre aufgelösten Haare, ihre Niedergeschlagenheit, ihre entblößte Brust etc.
Thusnelda, die Frau des Arminius und ihr Sohn Thumelicus, wurden am 26. Mai 17 n. Chr. im Triumphzug des Germanicus durch Rom geführt (erwähnt bei Tacitus und Strabo). Entgegen der üblichen Praxis und politischen Verpflichtungen dem Vater Thusneldas, Segestes, gegenüber, wurden beide nach dem Triumphzug nicht ermordet sondern kamen ins Exil nach Ravenna. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts überliefert
[10] Die einzige erhaltene mittelalterliche Abschrift der Taciteischen „Germania“ (der „Codex Aesinas“) war um 1450 von einem italienischen Humanisten in der Abtei Hersfeld entdeckt und nach Italien verbracht worden. Erst gegen 1500 kehrte die in Italien gedruckte „Germania“ mit der Kunde von dem germanischen Stammvater Tuisto (oder Tuiscon) nach Deutschland zurück. Der Codex Aesinas („DE ORIGINE ET MORIBUS GERMANORUM“) wird heute in Florenz aufbewahrt.
© Christian Meyer
Abb., oben: Der Caeliusstein (oder Gedenkstein des Marcus Caelius) ist der nach aktuellem Kenntnisstand älteste römische Grabstein in Deutschland. Der Stein wurde für den römischen Offizier Marcus Caelius, einen Centurio der Legio XVIII, errichtet, aufgestellt wurde er durch den Bruder des Verstorbenen. Die Leiche des Marcus Caelius konnte nicht geborgen und dort beerdigt werden, es handelt sich also um ein Kenotaph, ein Scheingrab.
Als Halbfigur dargestellt ist der Soldat Marcus Caelius in seiner Uniform und mit seinen zahlreichen militärischen Auszeichnungen: ordensartige Phalerae (von gr. „τὰ φάλαρα“- tà phálara ≙ „die Metallbuckel“), auf dem Brustpanzer, an den Schultern als militärische Auszeichnung verliehene Armreife („Armillae“), zwei ebenfalls ehrende Halsringe („Torques“) und auf dem Kopf die Bürgerkrone („corona civica“ [1]). In der Hand hält er den Stock (vitis), einen Stab aus Rebenholz, als Zeichen seines Centurio-Ranges. Der Centurio kam den Angaben in der Grabinschrift zufolge in Krieg des Varus („bello Variano“) ums Leben. Neben ihm abgebildet sind zwei seiner Freigelassenen, die auch in der Varusschlacht fielen.
Der lateinische Text (nach dem Leidener Klammersystem) lautet:
M(arco) Caelio T(iti) f(ilio) Lem(onia tribu) Bon(onia)
[I] o(rdini) leg(ionis) XIIX ann(orum) LIII s(emissis)
[ce]cidit bello Variano ossa
[i]nferre licebit P(ublius) Caelius T(iti) f(ilius)
Lem(onia tribu) frater fecit
Übersetzung der Inschrift ins Deutsche:
„Für Marcus Caelius, Sohn des Titus, aus der Tribus Lemonia, aus Bononia (i.e. Bologna, C.M.) Centurio 1. Ordnung der 18. Legion, (der) 53 Jahre und ein halbes alt (wurde). Er ist gefallen im Krieg des Varus. Gebeine dürfen hier eingelegt werden. Publius Caelius, Sohn des Titus, aus der Tribus Lemonia, sein Bruder, hat (den Grabstein) gemacht“ (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Caeliusstein).
Der Stein wurde in der frühen Neuzeit im Militärlager Vetera (in der Nähe von Xanten) aufgefunden Er gilt als die bislang einzige archäologisch-epigraphische Quelle für die Kämpfe in der „Germania magna“ im Jahr 9 n. Chr.. Seit 1893 befindet sich der Stein als Dauerleihgabe mit der Inventarnummer U 82 in dem Rheinischen Landesmuseum in Bonn.
[1] Die aus einem Kranz aus Eichenblättern ("quercea") bestehende Corona civica war eine der höchsten militärischen Auszeichnungen im Römischen Reich. Wer als römischer Bürger (civis) einem Mitbürger in der Schlacht das Leben gerettet hatte, wurde mit ihr ausgezeichnet. Der so Geehrte hatte besondere Privilegien: So saß er z.B. bei öffentlichen Spielen bei den Senatoren und alle Zuschauer mussten sich bei seinem Eintritt erheben.
„Relief eines knienden Barbaren“, Sandstein, 2. Jhdt. n. Chr. Mainz- Gonsenheim; Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Landesarchäologie, Außenstelle Mainz; ausgestellt auf der „Germanen“- Ausstellung im Berliner Neuen Museum, November 2020; Photo: Christian Meyer)
„Relief mit der Darstellung von Gefangenen“, Kalkstein, 2. Hälfte 1. Jhdt. n. Chr.; Mainz- Kästrich (< „Castrum“, wegen eines einstigen dortigen Legionslagers; z. B. nach 93 die Legio XXII Primigenia); Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Landesarchäologie, Außenstelle Mainz; ausgestellt auf der „Germanen“- Ausstellung im Berliner Neuen Museum, November 2020; Photo: Christian Meyer)
Abb. Seinen Höhepunkt erreichte der Hermann-Kult in der NS-Zeit. Der Text auf der obigen Postkarte mit SA-Männern, Hakenkreuzfahne und dem Hermannsdenkmal lautete:
„Wo einst der Führer der Germanen
Deutsches Land vom Feind befreit,
wehen Hitlers Siegesfahnen
machtvoll in die neue Zeit“.
(Abb. aus https://www.tracesofevil.com/1999/06/where-was-battle-of-teutoburg-forest.html)
Abb. : Das Hermannsdenkmal bei Detmold (Postkarte. um 2000)
Am Denkmal, in einer Sockelnische, befindet sich ein Bronzerelief Kaiser Wilhelm I, mit der Inschrift:
„Der lang getrennte Stämme vereint mit starker Hand,
Der welsche Macht und Tücke siegreich überwand,
Der längst verlorne Söhne heimführt zum Deutschen Reich,
Armin, dem Retter, ist er gleich“ (zit. n. Münkler 2010, S. 175, a.a.O.).
Abb.: Zur Enthüllung des Denkmals brachte die Zeitschrift „Kladderadatsch“ am 16. August 1875 ein Bild, das auf den damaligen „Kulturkampf“ anspielte: Das Herrmann, Luther in Worms und in dem Hintergrund die Kuppel des Petersdomes – Motto: „Gegen Rom - Ich habe gesiegt - Ich werde siegen“.