Todestag Hassan al-Bannas

 

Um gleich Missverständnissen vorzubeugen: al-Bannas wird hier nicht gedacht, weil er eine derart sympathische Person war, oder seine Gedanken und Vorstellungen m.E. zutreffend oder zur Lösung heutiger Fragestellungen hilfreich wären. Aber Hassan al–Banna (1906–1949) gilt als der erste Islamist [1] der Moderne und ist von daher von hoher Relevanz für eine Vielzahl von heutigen Konflikten. Al - Banna kämpfte bereits – wie heute Osama bin Laden – gegen die „modernen Kreuzfahrer“, für ihn – wie für viele Ägypter seiner Zeit – waren dies die britischen Kolonialherren, die ab 1882 mit Hilfe der korrupten einheimischen Elite ein Protektorat über Ägypten errichtet hatten.

 

Es muss deutlich unterschieden werden zwischen islamischem Traditionalismus und islamistischen Haltungen. Während die Traditionalisten gegenüber der westlichen Naturwissenschaft und Technik misstrauisch und zurückhaltend sind, und hinsichtlich des Korans auf einer traditionellen Interpretation im Buchstabensinne beharren, gehen Islamisten häufig „… mit einer Mischung aus Naivität und wissenschaftlicher Neugier an Technik und moderne Naturwissenschaften heran“ (Hartmann, S. 5, a.a.O.). Sehr zum Unwillen vieler Traditionalisten bestehen Islamisten oft auf einer veränderten Auslegung von Koran und Hadithen, sie stellen dabei den „iğtihad[2] in den Vordergrund, die persönliche Meinungsfindung durch eigenes Bemühen.

 

Hassan al – Banna (+ 1906) war Volksschullehrer in der ägyptischen Provinz. Seine Ausbildung beendete er an der Dâr al – ulûm in Kairo. Er galt als eloquenter Redner und leidenschaftlicher Prediger, als direkter, klarer und präziser Schriftsteller (vgl. Laoust, S. 375, a.a.O.).  Er predigte einen „Aufbruch zum Licht“ [3] durch die Rückkehr zu der „islamischen Idealzeit“, dem medinensischen Staat des Propheten. 

1928 entstanden initiiert durch al - Banna  im ägyptischen Ismailiya (am Suezkanal) erste Organisationskerne der Muslimbrüderschaft (ar. „Ğamiyat al – ihwan al – muslimin“), die bald Hunderttausende Anhänger in vielen arabischen und muslimischen Ländern hatte und bis heute die einflussreichste islamistische (religiöse und politische) Organisation geblieben ist. Die offizielle Gründung erfolgte am 11. April 1929 in Kairo. 1933 ließ sich Hassan al – Banna in Kairo nieder, 1936 gab es seine Tätigkeit als Lehrer auf und widmete sich völlig dem Aufbau der neuen Bruderschaft. Am 5. März 1936 erschien das erste Exemplar der Zeitschrift der Bruderschaft „an – Nadir“ (ar. „Der Warner“).

Bei Hasan al – Banna findet sich ein interessantes Beispiel für einen iğtihad durch Islamisten: Die hadithische Aussage des Propheten Muhammad „Wer abends müde ist von seiner Hände Arbeit, dem wird vergeben“ (ar. „Man amsa kallan min ’amali yahidi, amsa mag furan laha“) wird von der traditionellen Orthodoxie interpretiert als Hinweis auf die jenseitige Belohnung der Gläubigen. In Hasan al – Bannas Sicht wendete sich die Hadith gegen jede Form von Fatalismus, für diesseitige Tätigkeit und Aktivität: „Gott liebt den berufstätigen Gläubigen“ (ar. „Inna ’elaha yuhibbu ’l – mu’min el – muhtarif“). In ihrer Agitation verwenden die Muslimbrüder diese Hadith oft auch gegen die z. T. geduldete und legitimierte hohe Arbeitslosigkeit in Ägypten (vgl. A. Hartmann, S. 5, a.a.O.).

 

In Syrien wurde die Muslimbrüderschaft schon 1944 in Aleppo gegründet. Sie beteiligte sich am antikolonialen Kampf und nahm mit Erfolg an den Parlamentswahlen von 1947 teil (vgl. Rathmann, Bd. 6, S. 10, a.a.O.).

 

Im Sudan wurde die Muslimbrüderschaft zwar erst 1952 gegründet, jedoch gelangte sie dort zu großem politischen Einfluss, mit z.T. nahezu rechtsextremen Positionen. At – Turabi ist einer der Führer der sudanischen Muslimbrüder.

Vorstellungen der Muslimbrüder sollen auch den libyschen Staatschef Muammar al – Qaddafi beeinflusst haben (vgl. Rathmann, Bd. 6, S. 183, a.a.O.).

 

Unter einer autoritären Leitung (murshid) breitete sich die netzartig organisierte Bruderschaft [4] rasch in mehrere Länder aus. Die Bruderschaft hatte eine breite, jedoch heterogene soziale Basis, arme Handwerker, Kleinbauern sowie die Stadt- und Landarmut (vgl. Rathmann, Bd. 5, S. 31, a.a.O.).  Die Bruderschaft war gegen sowohl die „gottlosen“ Kommunisten und arabischen Nationalisten als auch gegen den „Westen“ eingestellt und folgte einem „islamischen Internationalismus“. Al – Banna forderte u.a. eine “Schließung der Ballsäle, Verbot von Tanz”, eine “gesunde Orientierung der Presse” sowie eine Erziehung der Frauen, die “flirt- und gefallsüchtiges Verhalten” unterbinden wollte (vgl. „Spiegel“, 41/2001, S. 176). Die Durchsetzung einer „at – tarbiya al – islamiya“ (islamischen Erziehung) wurde angestrebt sowie die Schaffung islamischer Banken und Genossenschaften.

 

In den Anfangsjahren betonten die Muslimbrüder (al Ikhwan al Muslimun) eine islamisch orientierte Erziehung breiter Volksschichten. Peter Heine bezeichnete diese Tendenz als „Volkshochschulbewegung“, bei der moderne, westliche Wissenschaften durchaus in den zu vermittelnden Fächerkanon einbezogen wurden (Peter Heine, S. 27, a.a.O.).

 

Die Gesetzgebung sollte schariakonform sein.  Eine massenwirksame Losung der Muslimbrüderschaft war: „Allah ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Heilige Krieg unser Weg, der Koran unsere Verfassung“ (vgl. Rathmann, Bd. 5, S. 32, a.a.O.).

 

Nach Zohurul Bari war die Muslimbrüderschaft noch Anfang der 40er Jahren v.a. eine Vereinigung von religiösen Predigern und Sozialreformern, die sich gegen die weitverbreitete Korruption im Staate, die Ausbeutung des gemeinen Mannes wandte und im 2. Weltkrieg politisiert wurde.

 

In den Schriften Hassan al – Bannas war weder von Morden noch gar von Selbstmordattentaten die Rede. Nach Kriegsende 1945 kam es zu einer Militarisierung von Teilen der Muslimbrüder. Die Bruderschaften begannen nun in Ägypten paramilitärische Einheiten aufzubauen, angeblich mit bis zu 20000 Mitgliedern. Während des Palästinakrieges 1948/49 kam es nicht nur zu schweren innenpolitischen Spannungen,  Muslimbrüder nahmen „…. mit eigenen Einheiten“ an dem Krieg teil (vgl. Peter Heine, 1992, S. 27, a.a.O.).

 

Die Muslimbrüderschaft praktizierte nun terroristische Aktionen gegen ihre linken und rechten Gegner und versuchte – so wurde ihr vorgeworfen – durch ihre paramilitärischen Einheiten ihre Machtübernahme vorzubereiten. Muslimbrüder sollen Bomben in Geschäfte jüdischer Bürger geworfen haben oder – im März 1948 – den Rechtsanwalt Ahmad al – Hazindar ermordet haben.

 

Durch ein Dekret ließ die ägyptische Regierung am 8. Dezember 1948 die Muslimbrüderschaft auflösen. Am 28. Dezember 1948 wurde daraufhin der Ministerpräsident an – Nugraši durch muslimisch – orientierte Attentäter ermordet. Vermutlich im Gegenschlag ließ König Faruk Hassan al-Banna am 12. Februar 1949 von seiner Geheimpolizei ermorden.

 

Im Jahre 1953 wurde in Jerusalem eine islamische Generalkonferenz einberufen, in der eine Allianz der mit den Muslimbrüderschaften sympathisierenden islamischen Gruppen geschaffen wurde (vgl. Nirumand, S. 28, a.a.O.).

 

Die Machtergreifung Nassers 1952 wurde anfangs von den Muslimbrüdern – die damals in Ägypten mehr als eine Million Anhänger hatten (Kepel, 1994, S. 37, a.a.O.) - begrüßt. Nasser selbst und auch sein Nachfolger Sadat erlernten von den Muslimbrüdern die Grundlagen ihrer Weltsicht (vgl. Kepel, 1994, S. 26, a.a.O.). Im Verlaufe der „ägyptischen Revolution“ 1952 geriet die Muslimbrüderschaft in immer größeren Gegensatz zu den „freien Offizieren“. Mit der Losung „Die Militärbewegung gefährdet die ethischen Grundsätze des Koran“ soll die Muslimbrüderschaft Geheimzellen in Armee und Polizei organisiert haben und Kontakte zum britischen und US – Geheimdienst gesucht haben (vgl. Rathmann, Bd. 6, S. 84, a.a.O.). Nach Gilles Kepel bekämpfte Nasser die Muslimbrüderschaft in Ägypten v.a., „… weil sie das letzte Hindernis auf dem Wege zu seiner unumschränkten Alleinherrschaft war“ (Kepel, 1994, S, 26, a.a.O.).

 

Am 14. Januar 1954 schließlich wurde die Muslimbrüderschaft als „konterrevolutionäre Organisation“ verboten und ihr Vermögen beschlagnahmt. Die Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Muslimbrüder unter Nasser überstiegen „… in ihrer Brutalität noch bei weitem die gewalttätigen Übergriffe der Besatzungsarmeen in der Kolonialzeit. ... Bis Mitte der sechziger Jahre waren die Muslimbrüder von der Bildfläche verschwunden: Die Anführer, die nicht gehängt oder eingekerkert worden waren, hatten in den Erdölmonarchien der arabischen Halbinsel Zuflucht gefunden“ (Kepel, 1994, S. 38, a.a.O.).

Die intensive Verfolgung und Unterdrückung bewirkte einerseits, dass „… die Militanz der Ikhwan … deutlich gemildert“ wurde (vgl. Peter Heine, 1992, S. 27, a.a.O.).

 

Eine Radikalisierung der islamistischen Ideologie der Muslimbrüder erfolgte in den 50er Jahren u.a. durch die Schriften von Abul Aala Maududi, dem Gründer und ideologischen Kopf der „Jamaat-e Islami“ [5] in Pakistan und einer der angesehensten Autoritäten des Islamismus. 

Abul Aala Maududi (1903 – 1979) stammte aus Aurangabad im Staate Haiderabad im damaligen Britisch – Indien. Anfang der 40er Jahre entwickelte Maududi dort seine ideologischen Grundlagen, die er u.a. 1945 in der Monographie „Quran Ki Char Bunjadi Istilahayn“ („Vier grundlegende Begriffe des Koran“) zusammenfasste. Maududi interpretierte hier die Begriffe „ilah“, „rab“, „din“ ( = Glaube, Religion) und „ibadah“( = der Kult) neu.

In seiner Schrift „Islam aur Jahiliyat“ (Islam und Jahiliya) unterteilte Maududi menschliche Gesellschaften grundsätzlich in islamische und Jahili – Gesellschaften, - eine verführerische, manichäisch - dichotomische Vereinfachung.

 

Der Begriff Jahiliyat (auch „Jahiliyya“, ar. „Unwissenheit, Ignoranz“, „Barbarei“) wurde traditionell in der islamischen Literatur immer auf die „Zeit der Unwissenheit“, das vor – islamische Arabien mit seinen soziokulturellen Normen und Werten bezogen. Maududi hingegen bezog sich mit seiner Uminterpretation des Begriffs Jahiliyat auf die Gegenwart, eine Jahiliyat - Gesellschft war für ihn dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht an einen Gott und das geoffenbarte Gesetz Gottes glaubte, - wie die islamischen Gesellschaften.

Die moderne Jahiliyat hat sich nach Maududi vom Westen aus auch in die Welt des Islams ausgebreitet, Muslime und islamisch dominierte Staaten werden so zu Vertretern der Jahiliyat. Maududi selbst legte dar, dass die westliche moderne Zivilisation ihre Ursprünge im „Götzendienst der alten Griechen“ habe (zit. n. Tibi, 1996, S. 360, a.a.O.).

Maududi entwickelte das Konzept der „Hakimiyyat Allah[6] (Gottesherrschaft), das er als Alternative zur Demokratie ansieht, und das dem Grundgesetz wie auch der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte widerspricht. In seiner programmatischen Schrift „Der Islam und die Moderne“ (….) bestätigt Maududi eindeutig den undemokratischen Charakter seiner „Hakimiyyat Allah“: „Ich sage es Euch Muslimen in aller Offenheit, dass die säkulare Demokratie in jeder Hinsicht in Widerspruch zu Eurer Religion und zu Eurem Glauben steht…. Selbst in Bagatellangelegenheiten kann es keine Übereinstimmung zwischen Islam und Demokratie geben, weil sie einander diametral widersprechen. Dort, wo das politische System der Demokratie und des säkularen Nationalstaates dominiert, gibt es keinen Islam. Dort, wo der Islam vorherrscht, darf es jenes System nicht geben“ (Maududi, zit.n. Tibi, 1996, S. 354, a.a.O.).

Schon eine Grundvorstellung der Demokratie, Menschen könnten die Welt verändern, gilt als „tatil“, als „Aussetzung“ der Herrschaft Gottes und Anmaßung des Menschen gegenüber Gott.

Für Maududi (wie auch für Qutb, s.u.) war die Vorstellung einer „Volkssouveränität“ Teil der verwerflich – unislamischen Jahiliyat – Ideologie, „Kufr“ ( = Unglaube), eine unzulässige Einschränkung von Gottes Allmacht. Die Herrschaft Gottes würde durch die des Volkes ersetzt. Aber: „Alle Attribute und die Macht der Souveränität sind einzig göttliche Hoheitsrechte…. Allah ist die oberste Autorität, alles ist Ihm freiwillig oder unfreiwillig untergeordnet und Ihm alleine gehören alle Machtbefugnisse“ (Maududi, zit. n. Tibi, 1996, S. 109, a.a.O.). Die Scharia – die als Gesetz Gottes angesehen wird – gilt nach Auffassung vieler Islamisten unabhängig von zufälligen, säkularen Grenzen auf der ganzen Erde und muss natürlich vor den jeweiligen nationalen „Kufr – Gesetzen“ befolgt werden.

 

Prononciert war für Maududi jeder Staat, in dem menschliche Wesen als Gesetzgeber auftreten, ein Jahaliyat – Staat (vgl. Bari, S. 56, a.a.O.). Als islamisch anzusehen sei einzig die Methode der Ableitung von den Lösungen, die im Koran und in den Hadithen angeboten werden.

 

Aber selbst Maududi räumte ein: „Der Koran vermittelt keine direkt und genau beschriebenen Regeln darüber, wie zu regieren ist. Er enthält nur breit angelegte Prinzipien und läßt das Problem ihrer praktischen Anwendung offen“ (Maududi, zit. n. Tibi, 1996, S. 108, a.a.O.).

 

Maududis Vorstellungen gelangten jedoch erst Anfang der 50er Jahre des 20. Jhdts. nach Ägypten, seine Schriften wurden ins Arabische übersetzt, publiziert und z.B. in ägyptische Gefängnisse geschmuggelt. Bei vielen inhaftierten Muslimbrüdern fanden Maududis Schriften begeisterte Aufnahme.

 

1965 wurde der ideologische Führer der ägyptischen Muslimbrüder, Sayyid Qutb (er hatte im ägyptischen Konzentrationslager eine radikale islamistische Kritik des Nasserismus verfasst), wegen einer angeblichen regimefeindlichen Verschwörung hingerichtet.

Bis heute haben die Schriften und Thesen von Sayyid Qutb in der ganzen islamischen welt eine ungeheure Resonanz und Popularität. Nach Auffassung Qutbs (wie Maudidis) gebe es heute keine islamischen Gesellschaften mehr, alle gehörten zur Jahiliyya. Die wahren Muslime müssten radikal mit der heutigen Jahiliyya brechen, um zum idealen Islam der Urgemeinde von Medina zurückzukehren. „Dieses Ideal läßt sich aber nur verwirklichen, wenn eine Elite von Gläubigen die Gesellschaft, mit der sie zuvor gebrochen hatte, zurückerobert“ (Kepel, 1994, S. 40, a.a.O.).

 

Die Muslimbrüder im Untergrund wurden immer wieder beschuldigt, terroristische Aktionen (so z.B. zwischen dem Mai und September 1965) in Ägypten durchzuführen, auch angeblich im Verein mit „imperialistischen Kräften“ (vgl. Rathmann, Bd. 6, S. 177, a.a.O.).

Erst in den 70er Jahren wurde es den Aktivisten der Muslimbrüderschaft in Ägypten wieder ermöglicht, in den Staatsdienst einzutreten, exilierte Politiker der Brüderschaft durften heimkehren. In dieser Zeit wurden die Schriften Qutbs für viele Islamisten in der ganzen arabischen Welt zu einer wichtigen Quelle der Inspiration.

 

Seit der Mitte der 70er Jahre förderten die Machthaber der regierenden FNL in Algerien islamistisch - orientierte Studentengruppen, die im Mittleren Osten mit den Muslimbrüdern in Kontakt getreten waren, um die marxistischen Gruppen zu schwächen (vgl. Kepel, 1994, S. 35, a.a.O.).

 

Im Februar 1982 kam es im syrischen Hama zu einem von Muslimbrüdern inspirierten und angeleiteten Aufstand, der von der syrischen Armee und Luftwaffe mit vielen Toten niedergeschlagen wurde.

Bis heute sind die Muslimbrüder bzw. auch ihre Programmatik in vielen muslimischen Ländern sehr erfolgreich. Ein Beispiel dafür ist die 1989 in Algerien gegründete „Ligue de la Da’wa Islamique“.

 

Nicolas Sarkozy arbeitete als französischer Innenminster eng mit der „Union des organisations islamiques de France“ (UOIF) zusammen, sie waren seine „privilegierten Ansprechpartner“; die Organisation stand den internationalen Muslimbrüdern nahe und stellte die zweitstärkste Fraktion im 2003 geschaffenen Repräsentativrat der französischen Muslime (CMCF, vgl. Schmid, 2005, S. 393, a.a.O.).

 

In die Bundesrepublik kamen die ersten Muslimbrüder (vermutlich) in den siebziger Jahren als politische Flüchtlinge. „Sie verhielten sich … sehr zurückhaltend. Dies taten sie nicht zuletzt, um ihren Status als politische Flüchtlinge nicht zu gefährden“ (zit. n. Nirumand, S. 105, a.a.O.).

Unterdessen ist jedoch eine andere Gruppe für die Muslimbrüder in der BRD wichtiger geworden: ehemalige arabische Studenten (v.a. naturwissenschaftliche und medizinische Fachrichtungen), die wegen der Repression in ihren Heimatländern in Deutschland blieben, häufig etabliert sind (und mit deutschen, zum Islam konvertierten Frauen verheiratet sind) und deutsche Staatsbürger wurden. Diese „neue Generation“ von deutschen Muslimbrüdern wendet sich u.a. gegen

  •       nicht – muslimische Orientwissenschaftler
  •      Vertreter mystisch – heterodoxer und volksislamischer Richtungen.

Bei den von ihnen organisierten arabischen Korankursen werden von den Lehrern „…. Beträchtliche Qualifikationen“ verlangt, „… denen türkische Koran – Schullehrer nicht annähernd nachkommen könnten“ (zit. n. Nirumand, S. 106, a.a.O.). Entsprechend hoch sind auch die gezahlten Honorare.

 

In der BRD haben die Muslimbrüder einen nur sehr kleinen Anhängerkreis, der zum guten Teil einer oberen Mittelschicht angehört und ein „deutliches Elite – Bewusstsein“ aufweist (vgl. Nirumand, S. 107, a.a.O.). Das zeigt sich u.a. darin, dass die arabisch – stämmigen Muslimbrüder nur sehr wenige Kontakte zu den türkischstämmigen muslimischen Arbeitsimmigranten aufgenommen haben.  

 

Die Geschichte der ägyptischen Muslimbrüder zeigt deutlich, dass Islamismus und Gewalt „…. sich nicht zwangsläufig bedingen. Schon vor langer Zeit hat die Organisation der Gewalt zur Erreichung ihrer politischen Ziele abgeschworen und plädiert für die friedliche Etablierung einer ‚islamischen Gesellschaft’“ (Fürtig, S. 25, a.a.O.). Bis heute allerdings lehnen die ägyptischen Muslimbrüder sehr deutlich die Einflüsse „des Westens“ ab. Jihadistische und gewalttätige Abspaltungen der ägyptischen Muslimbrüder (wie die „Jama’a islamiyye“ – Islamische Gemeinschaft, oder der „Jihad al – islami“ – Islamischer Heiliger Krieg) bekämpfen schon seit den 80er Jahren in z.T. gewaltsamen Aktionen die Muslimbrüder (wie auch die renommierte Al – Azhar – Moschee und Universität), denen sie Verrrat und Kapitulantentum vorwerfen (vgl. Fürtig, S. 28, a.a.O.).   

 

(variabel nach dem muslimischen Mondkalender, jeweils am 14. Tag des 4. Mondmonats, Rabi II. )

In das Jahr 2018 fiel des kürzeren Mondjahres wegen das Datum zweimal, am 2. Januar (im islam. Jahr 1439) und am 23. Dezember 2018 (im islam. Jahr 1440)

 © Christian Meyer

 


[1] Religiös - politische Erneuerungsbewegungen – wie der Islamismus – sind seit den 70er Jahren des 20. Jhdts. ein weltweites Phänomen in vielen Religionen. Gilles Kepel bringt sie in Zusammenhang mit der vielfach diagnostizierten „Krise der Moderne“, der „inneren Auflösung der Gesellschaft, ihrer Anomie, dem Fehlen einer übergreifenden Perspektive“ (Kepel, 1994, S.18, a.a.O.). Die Krise offenbare – meinen die jeweiligen „Fundamentalisten“ – die „… Substanzlosigkeit säkularer Utopien“, welchen Zuschnitts auch immer: Im Westen zeige sie sich als Konsumegoismus; zudem wurden in den 70er Jahren die anscheinenden Grenzen der Sozialpolitik deutlich. In den sich sozialistisch nennenden Staaten und der III. Welt zeigte sich die Krise „… als repressive Verwaltung der Armut und als Vernachlässigung einer humanen Gesellschaft“ (Kepel, 1994, S. 18, a.a.O.).  

[2] Nach lebendigen und durchaus widersprüchlichen theologisch – philosophischen Diskussionen in den ersten Jahrhunderten islamischer Geschichte wurde um 900 das „Tor des persönlichen Bemühens“ (ar. „Bab al - iğtihad“) offiziell geschlossen, eine Periode der Erstarrung und Stagnation setzte ein: nicht der iğtihad wurde zugelassen, sondern es herrschte „Schulzwang“; man folgte den Auslegungen einer der traditionellen Rechtsschulen. Jedoch wurde immer wieder das „Tor des iğtihad“ geöffnet, so 1964 von Al – Azhar – Gelehrten und Muslimbrüdern in Kairo oder 1985 – unter islamistischem Druck – durch die Rechtsakademie der Islamischen Liga. Insbesondere die „….. Ideologie der Muslimbrüderschaft ist ohne die Zulassung des iğtihad schlechterdings nicht möglich“ (A. Hartmann, S. 8, a.a.O.). 

[3] Die gegenwärtige in Kairo erscheinende Wochenzeitschrift der ägyptischen Muslimbrüderschaft heißt „An – Nur“ (ar. „Das Licht“).

[4] Mehrfach in der Vergangenheit bahnten islamische Bruderschaften den Weg für bedeutende Dynastien und mächtige Staaten, wie z.B. die persischen Safawiden im 16. Jhdt.

[5] Obwohl die Muslimbrüder älter waren als die Jamaat-e Islami gelang es den Muslimen in Indien – deren politischer Arm die Muslim – Liga war – stärker, sich der ideologischen Ausformung des entstehenden modernen Islamismus zu widmen (vgl. Bari, S. 54, a.a.O.). 

[6] Die Formel von der „Hakimiyyat Allah“ ist weder im Koran noch in den Hadithen zu finden und kann von daher als „neoislamisch“ angesehen werden.