Ostasiatisches Neujahrsfest
„Chunjie“, das dreitägige chinesische Neujahrsfest (wird u.a. auch in Korea, in Vietnam
und Japan gefeiert, ist also ein ostasiatisches Neujahrsfest). An diesem Tag beginnt im Jahre 2021 das buddhistische Jahr 2565 (BE, seit dem Eingang des historischen Buddha ins Nirwana).
Für viele chinesische Bauern waren und sind die Neujahrstage quasi die einzigen Tage der Arbeitsruhe, bevor die Frühjahrsaussaat beginnt.
Dieses ist das wichtigste Fest, das von den meisten Chinesen in aller Welt gefeiert wird. Das Fest wird als große Familienfeier begangen, viele getrennt lebende
Familienmitglieder
– viele Millionen Menschen - reisen zum Fest in ihre Heimatorte zurück. Es kommt dabei zu einer der größten jährlichen „Völkerwanderungen“ überhaupt.
Wer es sich finanziell leisten kann kleidet sich zum Neujahrsfest neu ein. In Hongkong z.B. steigen die Preise vor dem Neujahrsfest stark an. In neuen Kleidern werden gegenseitige Neujahrsbesuche (bai nian) gemacht.
Die Wohnhäuser, Haus- und Wohnungstüren werden mit roten Papierstreifen mit glückbringenden Aufschriften („großes Glück“) oder Abbildungen von Glücks- und Reichtumsgöttern geschmückt. Kinder und Hausangestellte erhalten rote Päckchen mit Glücksgeld. Man wünscht sich (auf Mandarin): „Gung chi Fa Tsai“ = „Glück und Wohlstand (möge das Neue Jahr bringen)“. Chunjie ist ein fröhlich - lautes, kulinarisch genußreiches Fest mit Geschenken und Festessen. Der Lärm von u.a. unzähligen Knallkörpern soll die bösen Geister vertreiben. Schon Tage vor dem Fest zünden v.a. Jugendliche vielfach verfrüht eine Unmenge von Feuerwerkskörpern.
Kinder erhalten von Verwandten und Freunden der Familie mancherlei „hongbao“ [1] (wörtlich:„roter Umschlag“, mit Geld, heute meist die ebenfalls roten 100-Yuan-Banknoten, im Jahre 2012 ca. 12,- €) zum Kauf von Leckereien, Spielsachen etc.
Spezielle Neujahrsbilder (Nianhua) haben eine lange, bis ins 3. Jhdt. zurückreichende Wurzeln. Seit dem 11. Jhdt. sind handkolorierte Schwarzweiß - Drucke zu Neujahr belegt. Die Motive sind vielfältig: glückverheißende Schriftzeichen, Schutzgottheiten, Frühlingsmotive, Blumen, Landschaften etc. (ein Frühlingsfest ursprünglich?).
Eine weitverbreitete Form des Neujahrsschmuckes bilden Darstellungen von Türgöttern. Die beliebtesten dieser Türgötter sind das mythische Brüderpaar Yu Lü und Shen Shu, deren Darstellungen in reicher Militärtracht früher häufig die beiden Flügel der äußeren Haustür zum Neujahrsfest schmückten. Nach einer Legende aus der Zeit der Streitenden Reiche (475 – 221 v. Chr. sollen die Brüder das Tor zum Reich der Dämonen auf dem Dushuo – Gebirge am Ostmeer bewacht haben. Bereits der sagenumwobene Gelbe Kaiser soll die Menschen angewiesen haben, Konterfeis der beiden Wächtergottheiten zum Schutz des Hauses auf die Türen zu malen.
Zum Neujahrfest gibt es eine Reihe von speziellen chinesischen Musikkompositionen, so z.B. die in China berühmte „Musik zum Neujahrsabend“ von Liu Tian Hua (1895 – 1932).
Auch zum Neujahrsfest gibt (in Nicht-Corona-Zeiten) kilometerlange Umzüge von vielen Tausend Menschen, mit großen getragenen Drachenfiguren. Immer wieder kommt es dabei zu Unglücksfällen, da sich feiernde Menschen gegenseitig tottreten. Gefährlich sind die Umzüge auch wegen der gleichzeitig abgebrannten Feuerwerkskörper.
Auch zum Neujahrsfest werden vielfach Löwentänze aufgeführt, Löwen sollen Glück bringen Übel und Mißgeschick abweheren.
Der Besuch des US-Präsidenten Nixon vom 21. – 28. Februar 1972 fiel zusammen mit dem chinesischen Neujahrsfest. Zu seinem abschließenden Besuch in Shanghai versuchten so tausende von chinesischen Jugendlichen, die im Gefolge der „Kulturrevolution“ aufs Land verbannt worden waren, wie traditionell üblich, ihre Familien in der Stadt zu besuchen. Nun aber wurden Tausende dieser Jugendlichen „… wieder zurück ins Exil auf ihre Dörfer geschickt, eine Sicherheitsmaßnahme gegen die extrem unwahrscheinliche Möglichkeit, dass einige von ihnen versuchen könnten, sich beim Präsidenten zu beschweren“ (Chang, S. 758, a.a.O.).
An den ersten drei Neujahrstagen sind in China alle Geschäfte geschlossen, traditionell wurden sie erst wieder am 5. Tag des 1. Monats („Powuer“) geöffnet. Deshalb müssen vor dem Fest genügend Lebensmittel eingekauft werden. Speisen müssen ebenfalls vor dem Neujahrstag zubereitet werden, denn der Gebrauch eines Messers am Festtag gilt als unheilbringend. Insbesondere in Südchina war das Essenkochen am Neujahrstag tabuisiert.
Angeblich unheilbringende Worte wie „Sarg“, „Tod“ oder „Dämon“ sollen vermieden werden.
Heute gibt es jedoch in den Städten vielerlei Stände in den Straßen, an denen Speisen und Getränke, Süßigkeiten und Spielzeug verkauft wird. Gaukler, Löwentänzer etc. ziehen von Haus zu Haus und sammeln Geld ein.
Kinder (und Dichter) sollen einige Zeilen kalligraphisch auf Papier malen („Pinselstart“): jetzt gut denken und schreiben soll ein gutes Jahr bewirken.
Zum Lunarkalender-Neujahr am 25. Januar 2020 waren – wie jedes Jahr - viele ArbeiterInnen nach Hause zu ihren Familien gefahren, trotz der ansteigenden Corona-Pandemie. So drohten große Produktionsausfälle in den Fabriken, da die Rückkehr angesichts des Lockdowns immer schwieriger wurde. Mehrere 100.000 Menschen aus der ostchinesischen Provinz Zhejiang arbeiteten in Wuhan (dem Ursprungsort der Pandemie), viele von ihnen kamen zu den Neujahrsfeiertagen nach Hause und brachten die Infektion mit. Ende Januar kam es dann in Zhejiang zum Ausbruch der Pandemie. Über Teile der Provinz (mit ca. 57 Mio. Einwohnern) wurde am 3. Februar 2020 eine weitgehend isolierende Ausgangssperre verhängt.
So stand z.B. die Zhejiang Huayuan Automotive Parts Company in der Provinz Zhejiang vor großen Problemen und Ausfalltagen.
Mit Hilfe von staatlichen und Partei-Stellen gelng es dem Unternehmen Busse zu mieten und die verstreuten ArbeiterInnen zurück zur Fabrik zu holen. Passierscheine der Regierung erlaubten es den Bussen, die zahlreichen Kontrollpunkte unterwegs zu passieren.
So hatte das Unternehmen – das Autoteile v.a. für den Export produziert – nur insgesamt 17 Tage an Produktionsausfällen während des Lockdowns (vgl. Meyers, S. 4, a.a.O.).
Auf den gleichen Tag fällt das vietnamesische Neujahrsfest (vietn. „Tet Nguyen Dan“), das höchste buddhistisches Fest in Vietnam, in seiner Popularität mit Weihnachten vergleichbar. Es wird drei bis sieben Tage gefeiert; es wird Abschied von Dunkelheit und Kälte genommen: ein großes Feuerwerk wird veranstaltet, mit festlichem Blumenschmuck und mitternächtlichem Festessen. In einigen Regionen Vietnams wird der traditionelle Drachentanz aufgeführt.
Berühmt wurde das vietnamesische Fest durch die Tet-Offensive gegen die US- und die vebündete südvietnamesische Armee. Am 30. Januar 1968 – es begann ein „Jahr des Affen“ stürmten ca. 85 000 „Vietcong“ ungefähr 2/3 der Provinzhauptstädte Sod-Vietnams, so auch Hue und Saigon. Über der Zitadelle der alten Kaiserstadt Hue hissten die Angreifer ihre blau-rote Fahne mit dem gelben Stern. Allerdings bleibt auch der erhoffte Aufstand der Bevölkerung in den Städten weitgehend aus. Mit großen Verlusten können die Angreifer nach langen Kämpfen schließlich zurückgeschlagen werden, aber durch die Fernsehberichte wird immer mehr US-Amerikanern klar, dass sie den Krieg nicht gewinnen könne.
Chinesische Buddhisten betrachten das Neujahrsfest als Geburtstag Maitryeas, des Buddhas der Zukunft, der in ca. 30 000 Jahren erwartet wird. Die Gläubigen versuchen an dem Morgen so früh wie möglich im Tempel Lichter aufzustellen. Dies soll Glück im kommenden Jahr bringen.
Zugleich findet an diesem Tag das Koreanisches Neujahrsfest ("Seollal", von "seol" = Neujahrstag) statt.
Traditionell wird in Korea an diesem Tag vor den konfuzianischen Ahnenaltären der Familie ein besonderer Ritus, "sebae" (mit einer Verbeugung) durchgeführt, um die Vorfahren zum Neujahr zu ehren.
Gewöhnlich wird an diesem Tag in Korea "Heokguk" in den Familien gegessen, eine Reiskuchen - Suppe: man glaubte in Korea traditionell, dass niemand ein Jahr älter werden könne, ohne eine Schale "Heokguk" zum Neujahrstag gegessen zu haben.
Männer spielen Yut (ein dem „Mensch ärgere Dich nicht“ verwandtes Spiel; in Korea wird es oft zum Neujahr gespielt) oder lassen Papierdrachen steigen; Jungen drehen Kreisel, Frauen schaukeln auf der koreanischen Wippe.
(Auch in der VR China ist das Neujahrsfest variabel nach dem chinesischen Lunisolarkalender ; traditionell immer bei Neumond, am 1. Tag des 1. Monats, wenn die Sonne ins Sternbild Wassermann voranging; am 2. Neumond nach der Wintersonnenwende am 21. Dezember; deshalb liegt das chinesische Neujahrsfest nach dem Gregorianischen Kalender zwischen dem 21. Januar und dem 19. Februar)
© Christian Meyer
[1] Der Begriff „hongbao“ hat unterdessen allerdings einen zweideutigen Charakter erhalten, denn er bezeichnet auch Prämienzahlungen von Unternehmen und Bestechungsgelder. Große chinesische Unternehmen „schenkten“ ihren höheren Angestellten zum Neujahrsfest 2012 z.B. Smartphones oder iPods, die diesmal der Renner gewesen sein sollen. In dem Apple-Store an der Huaihai Straße in Schanghai wurden iPods gleich dutzendweise gekauft (vgl. „Le Monde“, 24. Januar 2012, S. 2).
Hongbao
Abb.: Straßensperre in der Provinz Zhejiang; die teilweise drakonischen Maßnahmen wurden nach 14 Tagen gelockert, der Wirtschaft wegen (Abb aus: South China Morning Post, 10. 2. 2020; https://www.scmp.com/economy/china-economy/article/3049821/coronavirus-chinese-province-orders-relaxation-excessive)