Zum Begriff Askese

 

Der Begriff Askese mit der Bedeutung „enthaltsame Lebensweise, Entsagung“ ist - wie das französische „ascèse“ – im Deutschen erst in der 1. Hälfte des 19. Jhdts. nachweisbar.

Abgeleitet wurde der Begriff von gr.  „askesis“ („άσκησις“) = körperliche und geistige Übung, Pflege; ursprünglich sportlich – militärisches Training. Abgeleitet wurde der Begriff vom gr. Verb „askein“ („άσκείν“) = sich befleißigen, sorgfältig tun, üben“. Daher war der altgriechische Asket, „asketes“ („άσκητής“) derjenige, der sich einer Sache befleißigt, der sich übende Athlet. Askese in diesem Sinne war im frühen Griechenland Element eines aristokratischen Erziehungsideals und Lebensstils.

In unserem Zusammenhang sind die antiken Kyniker (seit dem 5. Jhdt. v. Chr.) besonders interessant. Antisthenes (ca. 444 – ca. 36 6v. Chr.) – ein Schüler des Sokrates – gilt als Begründer der Kyniker. Der Name leitet sich entweder von gr. „kyon“ = Hund ab, oder von dem Gymnasion kynasarges (γυμνάσιον Κυνόσαργες) in Athen, wo Antisthenes lehrte.

Antisthenes oder der berühmte Diogenes (von Sinope) verachteten Reichtum und Macht, sie vertraten einen extremen Individualismus samt einer radikalen Bedürfnislosigkeit und sollen z.T. nur Mantel, Knotenstock und Ranzen besessen haben. Sie negierten jede Bindung, Kultur, Kunst, Wissenschaft genauso wie Familie und Stand.Allerdings scheinen sie zuweilen auch mit ihrer Ärmlichkeit „geprunkt“ zu haben (vgl. Mewaldt, in Epikur, S. 13, a.a.O.).

Ernst Bloch führt in dem Kapitel „Soziale Wunschbilder der Vergangenheit“ des „Prinzip Hoffnung“ auch die Kyniker, die „musterhaften Bettler“ an. Diogenes lebte für alle den Wunsch vor, auf den Hund zu kommen; denn der Mensch und die Gruppe, die er bildet, sind das falsche, künstlich gewordene, Umwege machende Tier. Antisthenes, der Kopf der Kyniker, lehrte die rechte Gemeinschaft von vornherein als eine wie unter Hunden, die zu betteln verstehen und sich nicht genieren; eine freie, sich einfach befriedigende Herde… Geld ist abgeschafft, auch Ehe und Hauswesen, äußerste Bedürfnislosigkeit (welche den Hunden freilich nicht eignet) macht die Menschen voneinander und von der Umgebung frei…… So hat Diogenes aus dem Fass unter anderem öffentlich onaniert, auch nur bedauert, dass er sich den Hunger nicht ebenso einfach vertreiben könne. Krates und Hipparchia, ein Mädchen aus reichem Haus, das mit dem Kyniker das Bettlerleben annahm, haben ihr Beilager in einer Säulenhalle öffentlich vollzogen“ (Ernst Bloch, „Prinzip Hoffnung“, Bd. II., S. 559, a.a.O.).

 

Epikur (341 – 270 v. Chr.) und seine Schule setzten sich deutlich ab von den Hedonikern um Aristippos, die die Lust als letzten Lebenszweck postulierten. Dagegen kann Epikur – entgegen seinem Ruf – als ein Philosoph der Freude (gr. „ήδόνή“, hedone) angesehen werden, keineswegs war ein „Epikuräer ein Genießer und Prasser…, ein Wollüstling und raffinierter Egoist“ (vgl. Mewaldt, in Epikur, S. 19, a.a.O.).

Überraschenderweise lassen sich in den Schriften Epikurs eine ganze Reihe von asketisch – enthaltsamen Vorstellungen finden. Interessante Quellen zu Epikurs Philosophie wurden unter den in Herkulaneums „Villa die Papiri“ verkohlt aufgefundenen ca. 1800 Schriften entdeckt und z.T. wieder lesbar gemacht.

Schon Diogenes Laertios charakterisierte das Zusammenleben in Epikurs Schule „im Garten“ als eines „… in sparsamster und einfachster Lebensweise“ (zit. n. Mewaldt, in Epikur, S, 20, a.a.O.). Epikur verwendete nicht den Begriff Askese, sondern den der Autarkie, worunter er die „… die Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit mit Einschluss aller der äußeren und inneren Güter (verstand), die zuverlässig und dauernd wertvoll sind, weil sie die stete Heiterkeit des Gemütes verbürgen und unser eigenes Menschentum veredeln und erhöhen“ (zit. n. Mewaldt, in Epikur, S, 30, a.a.O.).

Ein bewußtes Entsagen oder Ertragen von selbstgewählten Mühsalen – wie bei einigen Kynikern – lehnte Epikur ab. Für ihn war „…. die Freude das A und O des glückselig gestalteten Lebens“ (Epikur, Brief an Menoikus, 129, S. 42, a.a.O.), die „… Selbstgenügsamkeit (hielt er) … für ein großes Gut“. Epikur meinte, „… dass … die schlichten Genüsse ebenso viel Freude bereiten wie der größte Luxus, wenn nur das Schmerzgefühl des Entbehrens nicht aufkommt“ (Epikur, Brief an Menoikus, 130, S. 43/44, a.a.O.)  

Die „… Gewöhnung an eine einfache, nicht üppige Lebensweise … läßt uns die reicheren Genüsse, die uns dann und wann einmal geboten werden, um so stärker empfinden und unterstützt unsere Furchtlosugkeit gegenüber dem Zufall“ (Epikur, Brief an Menoikus, 131, S. 44, a.a.O.).

Epikur sah in der „… Freude unser Lebensziel“, meinte dabei allerdings „…. nicht die Freuden der Prasser, denen es ums Genießen schlechthin zu tun ist. Das meinen die Unwissenden oder Leute, die unsere Lehre nicht verstehen oder sie böswillig mißverstehen“ (Epikur, Brief an Menoikus, 131, S. 44, a.a.O.).

Weiter meinte Epikur ausdrücklich: „Denn nicht eine endlose Reihe von Trinkgelagen und Festschmäusen, nicht das Genießen schöner Knaben und Frauen, auch nicht der Genuß von leckeren Fischen und was ein reichbesetzter Tisch sonst zu bieten vermag, schafft ein freudevolles Leben, veilmehr allein das klare Denken, das allem Verlangen und allem Meiden auf den Grund geht und den Wahn vertreibt, der wie ein Wirbelsturm die Seelen erschüttert“ (Epikur, Brief an Menoikus, 132, S. 44 / 45, a.a.O.).

In seinen „Hauptlehrsätzen“ (gr. „κύριάι δόξάι“) führte Epikur aus, dass man „… ohne Naturerkenntnis …. Keine Freude vollkommen genießen“ könne (Epikur, Hauptlehrsätze, 143, S. 55, a.a.O.). Und weiter: „Der Reichtum, den die Natur verlangt, ist begrenzt und elicht zu beschaffen, der dagegen, nach dem wir in törichtem Verlangen streben, geht ins Ungemessene“  (Epikur, Hauptlehrsätze, 144, S. 55, a.a.O.). Ganz ähnlich formulierte Epikur in den seinen „Aphorismen“: „Man soll nicht aus Gier nach fernen Gütern die nahen gering achten, sondern bedenken, dass auch diese einmal zu den sehnlich erwünschten gehört haben“ (Epikur, Aphorismen, 10, S. 69, a.a.O.). Weiter heißt es in den „Aphorismen“: „“Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug“  (Epikur, Aphorismen, 21, S. 71, a.a.O.). Und: „Die schönste Frucht der Selbstgenügsamkeit ist Freiheit“ (Epikur, Aphorismen, 26, S. 72, a.a.O.).

In seinen „Aphorismen“ setzte sich Epikur auch mit der Sexualität (senza parole) auseinander: „Ich habe vernommen, dass dich der Kitzel in deinem Fleische übermäßig zum Geschlechtsverkehr treibt. Folge ihm, wie du magst, aber sorge dafür, dass du dabei nicht die Gesetze übertrittst, nicht den Anstand verletzt, keinen nahestehenden Menschen kränkst, deine Gesundheit nicht zerrüttest und dein Vermögen nicht vergeudest. Es ist jedoch schwer, sich nicht wenigstens in eine der genannten Schwierigkeiten zu verstricken. Denn der Liebesgenuß bringt keinen Nutzen, man kann sogar froh sein, wenn er nicht schadet“ (Epikur, Aphorismen, 13, S. 70, a.a.O.).

 Hinsichtlich des Menschen als geselliges Wesen zeigt Epikur die Ambivalenz auf. Einerseits: „Die Natur hat uns zur Gemeinschaft geschaffen“ (Epikur, Fragmente, 35, S. 74, a.a.O.), andererseits: „Lebe zurückgezogen“ (Epikur, Fragmente, 38, S. 74, a.a.O.).

 

Erst in der späten Antike, z.B. im spätlat. „ascetes“ erhält der Begriff Askese die Bedeutung von „Wer sich entsagungsvoll in Frömmigkeit und Tugend übt“, erhält den Inhalt „Eremit“ (vgl. Pfeifer, Bd. I, S. 81, a.a.O.).

Allerdings bedeutete schon bei den Pythagoreern (seit dem 6. Jhdt. v. Chr.) Askese Enthaltsamkeit gegenüber bestimmten Dingen, z.B. gegenüber Speisen ( = Fasten) oder sexueller Aktivität ( = Keuschheit).

Vor allem die Gnosis (vom gr. „Wissen. Erkenntnis“), die spätantike, vorchristliche religiöse Bewegung, wertete alles „Weltliche“ ab, dämonisierte alles Irdische radikal und vertrat hinsichtlich der Ethik eine asketische (oder libertinistische) Einstellung.

In der „Divina Commedia“ beschreibt Dante auf dem „Läuterungsberg“ einen wundersamen sprechenden Baum, der die Mäßigkeit lobte und Beispiele von Mäßigkeit anführte:

                               „Die Römerinnen haben sich beflissen

                               In alter Zeit des Wassers! Daniel

                               Verschmähte Speise und erwarb sich Wissen!

 

                               Das erste Alter, schönen Goldes hell,

                               Ließ sich durch Hunger selbst die Eicheln schmecken,

                               Und Nektar schien durch Durst ein jeder Quell!

 

                               Als Speise haben Honig und Heuschrecken

                               Dem Täufer in der Wüste einst behagt

                               Drum ist er groß, sein Ruhm ganz ohne Flecken,

 

                               Wie es das Evangelium besagt“  (Dante, Läuterungsberg, XXII, S. 257, a.a.O.)                

 

Die allermeisten Religionen weltweit kannten asketische, weltentsagende Forderungen, eine Reihe von Religionen forderte auch direkte körperliche Selbst - Kasteiungen.

Bei den mesoamerikanischen Azteken z.B. war die die Vorstellung weit verbreitet, Menschen müssten durch rituelle Reinigung (durch Fasten, Keuschheit oder Selbstkasteiungen) den Zorn der Götter abwenden.

Priester lebten nicht nur in klosterähnlichen Institutionen, sondern sie mussten sich oft rituellen Kasteiungen unterziehen, z.B. der Entnahme von Blut aus der Zunge oder den Ohren.  

Heute gibt es meines Erachtens einen neuen Begründungszusammenhang für ein asketisches Verhalten in vielen Beziehungen, nämlich die Ökologie. Die Ressourcenknappheit wie auch der anwachsende Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre nötigen uns einen Lebens- und Konsumstil auf, der möglichst nachhaltig ist und mit den irdischen Ressourcen nicht mehr verschwenderisch umgeht. Dies gilt sowohl für die Nahrungsmittel, für Wasser, Energie, Kleidung, Wohnungen, als auch für die Mobilität, generell für alle Konsumbereiche.

Gilt dies auch für alle weiteren Formen des Lustgewinns?? 

Von einem Beispiel einer besonderen Form von Askese berichtete Erich Fromm in seinem Werk „Anatomie der menschlichen Destruktivität“.  Fromm sah einen Zusammenhang zwischen dem Selbstmord von Hitlers Nichte und Geliebten Geli Raubal und seinerm Vegetariertum von dieser Zeit an: „Sein ganzes damaliges Verhalten zeigt, dass er sich an ihrem Selbstmord stark mitschuldig fühlte. ….. Mit seiner Fleischabstinenz sühnte er seine Schuld und bewies sich, dass er nicht fähig war zu töten“ (Fromm, S. 367, a.a.O.). 

 
© Christian Meyer