Zur Bilderverehrung

 

Bis heute ist die Bilderverehrung einer der auffälligsten Unterschiede zwischen dem westlichen und dem östlichen Christentum: Die „… Ikonenverehrung findet nicht nur im Kirchenraum, sondern auch in der Wohnung statt. Jede orthodoxe Familie hat in der Ostecke, der sogenannten ‚schönen Ecke‘, ihres Wohn- und Schlafzimmers, eine Ikone zu hängen. In orthodoxen Ländern ist es Sitte, dass der Gast beim Betreten eines Zimmers zuerst die Ikone begrüßt, indem er sich vor ihr bekreuzigt und verneigt, und erst dann den Wirt“ (Benz, S. 8, a.a.O.).

Der orthodoxen Ikonenmalerei liegt (bis heute) eine andere Bildidee zugrunde, als der neuzeitlichen westeuropäischen Malerei.

Viele Ikonen werden von den Gläubigen und der Kirche überhaupt nicht als Menschenwerk verstanden, sondern als Erscheinung eines himmlischen Urbildes (vgl. Benz, S. 10, a.a.O.). Nach legendären Auffassungen seien viele Ikonen von Engeln, Heiligen oder insbesondere dem als Maler geltenden Evanglisten Lukas gemalt oder auf allerlei Wegen aufgefunden worden. „Das auf der Ikone erscheinende Antlitz Christi, der Gottesmutter, der Heiligen ist also echte Erscheinung, Selbstabbildung, Selbstabdruck des himmlischen Urbildes …“ (Benz, S. 11, a.a.O.). In dieser Sicht erschiene ein individuelles künstlerisches Vorgehen als eine Entstellung des Urbildes der Ikone, quasi als Häresie.

Ziel der Ikonenmalerei, einem als heilig angesehenen im Kloster betriebenen „Handwerk“ war es zuvörderst einen bestimmten traditionell festgelegten Idealtypus der jeweiligen Ikone zu reproduzieren. Geschätzt und erwünscht wurde so weniger schöpferische Originalität als die genaue Wiedergabe eines Urbildes: Das Malen von Ikonen wird als liturgischer Akt verstanden, ihre Weihe erfolgt in einer feierlichen Zeremonie.

Für die heutigen orthodoxen Gläubigen sind Ikonen keine Kunstwerke im westlichen Sinne, sondern  liturgische Objekte der Verehrung.

Im 8./9. Jhdt kam es im damaligen Byzantinischen Reich zu einem folgenreichen Konflikt um die Ikonenverehrung, dem Bilderstreit.

Das frühe Christentum hatte sich intensiv gegen das sogenannte Heidentum und damit auch gegen den dort weit verbreiteten Kult um Bilder und Statuen gwandt. Begründet wurde die Ablehnung mit dem Bilderverbot innerhalb des Dekalogs (dem vermutlich aus dem 7. Jhdt. v. Chr. stammenden 2. Gebot): „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied ...“ (2. Mose 20, 4-5, sowie 5. Mose 5, 8 - 9). Trotz dieser bilderfeindlichen Haltung wurde mit der Entwicklung des Christentums zur römischen Staatsreligion auch der Kult um die Bilder v.a. im Osten der Christenheit immer populärer. Leo III.,“der Isaurier“ (auch: „der Syrer“), byzantinischer Kaiser (reg. 717 - 741) verbot (vermutlich) im Jahre 726 jeden Bilderdienst und die Bilderverehrung in Kirchen und Klöstern. Um 730 soll er sogar die Zerstörung / Vernichtung der Bilder in Kirchen und Klöstern angeordnet haben. Viele Ikonen wurden verbrannt, „Bilderfreunde“ wurden eingekerkert oder verbannt.

Tatsächlich verschwand nach 726 die freie Plastik in der byzantinischen Kunst, erhalten blieb die Reliefkunst (z.B. Elfenbeinreliefs).  

Diese ikonoklastische Entscheidung war jedoch auch eine politische, denn der Kaiser wollte – vermutlich – auch den Einfluss und die Macht des Mönchstums und der Klöster einschränken. Das byzantinische Mönchstum förderte die Verehrung der Heiligenbilder, zudem entstanden die Ikonen auch allermeist in den Klöstern. Die Klöster besaßen große Teile des landwirtschaftlich genutzten Bodens. Auch wurde durch das Mönchstum viele Menschen dem Wirtschaftsprozess und dem Militärdienst entzogen. Vermutlich war die Bilderfeindlichkeit auch auf den Einfluss der gleichzeitigen islamischen Aufklärung zurückzuführen.

Zeitweise wurden in Byzanz „ikonophile“ Mönche staatlicherseits verfolgt, - jedoch langfristig ohne Erfolg. Die Synode von Hiereia (im heutigen Fenerbahçe / Istanbul, ohne westliche Vertreter und ohne viele orientalische Bischöfe) verdammte 754 die Bilderverehrung, sie führe angeblich zum Götzenkult.

Auch die Kaiser Konstantin V. (+ 775, von seinen bilderfreundlichen Gegnern mit dem Schimpfnamen „Kopronymos“, der Mistnamige bezeichnet) und Leo V. (der Armenier, + 820) wandten sich gegen den Bilderdienst und erneuerten das Bilderverbot.

Die byzantinische Kaiserin Irene (752 – 803, eine orthodoxe Heilige) differenzierte auf dem 2. Konzil von Nicäa (dem heutigen Iznik in der Türkei) 787: Die Bilder würden verehrt, aber nicht angebetet. Die Verehrung aber gelte der dargestellten Person, nicht dem Bild. Wer das Bild verehre, verehre den, den das Bild darstelle.

Erst 843/44 endete der byzantinische Bilderstreit durch Kaiserin Theodora II. (die Jüngere, + 11. Februar 867; der 11. Februar ist der Gedenktag der orthodoxen und katholischen Heiligen) mit einem Sieg der Bilderverehrung. Es wurde der „Sonntag  der Orthodoxie“ eingeführt, an dem bis heute alljährlich an den Sieg der Bilderfreunde über den staatlichen Ikonoklasmus erinnert wird (vgl. Sonntag der Orthodoxie).

Schon Papst Gregor II. (Pont. 715 – 731) bekämpfte das byzantinische Bilderverbot. Im Jahre 794 verwarf eine Synode zu Frankfurt am Main sowohl die Bildrverehrung als die Bilderzerstörung und wandte sich gegen das 2. Konzil von Nicäa. 

Im 9. Jhdt. entschied Kaiser Karl d. Große, dass die Bilder Kirchen schmücken sollten, aber nicht zur Verehrung bestimmt seien. Diese Entscheidung vertiefte die Kluft zwischen Rom und Byzanz, zwischen westlicher und östlicher Kirche.

In dem altrussischen Hausbuch „Domostroi“ wird ausführlich darauf eingegangen, wie man sein Haus „... mit heiligen Bildern schmücken soll … Jeder Christ stelle an den Wänden jedweder Stube in seinem Hause heilige und ehrwürdige Bilder auf, die dem Wesen getreu gemalt seien. … Verhülle die Bilder um der Sauberkeit willen. … Die Ikonenstube halte stets sauber. Die heiligen Bilder darf nur berühren, wer dessen würdig und reinen Gewissens ist. … Die heiligen Bilder stelle dem Rang nach auf, und die, welchen die größte Verehrung gebührt, seien zuerst genannt“ (Domostroi, S. 19, a.a.O.). 

Gerd Ledig (1921 – 1999), der selbst 1942 an der Front bei Leningrad eingesetzt war, beschreibt in seinem Roman „Die Stalinorgel“ (1955) die Fieberphantasien eines schwer verwundeten russischen Offiziers im Graben der Hauptkampflinie. Er sieht im tödlichen Fieber eine Ikone: „Er kniete nieder, wie er’s als Kind gelernt hatte. ‚Herr, gib mir ein Zeichen’, betete er, ‚ein winziges Zeichen, dass du Wirklichkeit bist. Um dich ist Geheimnis und Unendlichkeit. Lass’ etwas geschehen. Verzeih’ meine Zweifel’. Er faltete die Hände, blickte auf sie hinunter … Kein Zeichen geschah. Die Ikone bewegte sich nicht. … Der Posten kam Schritt für Schritt den Gang herauf. …  Als es klopfte, stockte sein Herz. Er wagte sich nicht zu rühren. Kniete wie gelähmt. ‚Warum gibt’s Du keine Antwort?’ fragte die Stimme des Kommissars, und nicht der Posten! … Der Kommissar rüttelte an der Klinke. ‚Lass’ jetzt ein Wunder geschehen’, betete er. Sein Blick irrte durch’s Zimmer. Er suchte nach einem Versteck für die Ikone. Es war hoffnungslos. Der Schrank hatte eine Tür. … Vier rechte Wände. Kein Versteck für Gott. … Er musste öffnen … Die Tür sprang mit voller Wucht auf. ‚Oh’, rief der Kommissar, ‚eine Ikone’. Kerzenflammen spielten auf seinem Ledermantel. Er erwartete den Zusammenstoß zweier Welten. ‚Eine Ikone’, wiederholte der Kommissar fast ungläubig und zog leise die Tür hinter sich zu. Es war, als teilten sie ein Geheimnis miteinander. Der Kommissar schob die Mütze aus dem Gesicht: ‚Darf ich’s anfassen?’. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Er hatte Schimpf und Hohn erwartet! ‚Wir hatten auch eine’ sagte der Kommissar voller Ehrfurcht und streichelte das Bild“ (Ledig, S. 152 /153, a.a.O.).

Valentin Rasputin erwähnte in seinem 1970 veröffentlichten Roman „Die letzte Frist“ mehrfach die Ikonenecken, die in den alten sibirischen Bauernhäusern immer noch deutlich identifizierbar waren: „Auf der Ikonenkonsole in der rechten Ecke stand jetzt eine Lampe …“, vor der sich die Großmutter „… bekreuzigte ohne aufzublicken“ (Rasputin, S. 45, a.a.O.).

 

Ikonoklasmus – Bilderzerstörung ist eine Erscheinung, die sich in vielen Religionen und Regionen weltweit immer wieder beobachten ließ.

Auch während der Französischen Revolution wurden eine Vielzahl christlicher Bildwerke zerstört.

Friedrich Christian Laukhard beschreibt in seiner Autobiographie (a.a.O.) die Geschehnisse um die Pfarrkirche von dem damals französischen Landau in der Pfalz, während der Belagerung der Stadt 1793 durch preußische Truppen. „Die Kirche war völlig leer, und die Bilder, welche ehemals zur öffentlichen Verehrung gedient hatten, waren alle in die Sakristei gebracht worden. Die (französischen) Volontärs … witterten die Heiligenbilder aus und warfen sie nach und nach ins Feuer, welches sie wegen der Kälte in der Kirche Tag und Nacht unterhielten. Da wurde denn der heilige Stephan, der heilige Joseph, eine Mutter Gottes und einige heilige Engel zum großen Ärgernis einiger katholischer Deserteure dem Vulkan aufgeopfert. Die Volontäre machten jedesmal die spöttischsten Anmerkungen, wenn so ein Heiligenklotz zu brennen anfing. Die kaiserlichen Deserteure vergaßen dabei nicht, zu bemerken, daß der liebe Gott unmöglich einem Volk Glück und Segen bringen könne, das so der Heiligen spotte und ihre geweihten Bilder zu beschimpfe und zerstöre.

Überhaupt müssen die gutkatholischen, auch manche gutprotestantischen Christen, an der göttlichen Regierung bei der neueren französischen Geschichte ganz irre geworden sein. Sonst tat der leibe Gott, und besonders seine Heiligen, unzählige Wunder; ja, Himmel und Erde wurden oft um einer nichtswürdigen Kleinigkeit willen in Bewegung gesetzt. Ein Prophet wurde von losen Buben Kahlkopf gescholten: flugs kommen zwei Bären zerreissen zweiundvierzig von diesen Spöttern. Jerobeam, der König, wollte einen fanatischen Propheten einstecken lassen, aber seine Hand verdorrte plötzlich. Wegen einer kleinen Lüge fielen Ananais und sein Weib tot danieder; ja eine ganze Stadt ging in Indien unter, weil die Einwohner dem heiligen Xaverius den Eingang verwehrt hatten.

Aber in Frankreich – du liebe Gott! da wurden die lieben Heiligen aufs ärgste gemißhandelt. Ihre Lieblinge, die Mönche und Nonnen, wurden fortgejagt, ihre Kirchen wurden zerstört, ihre Bilder, sogar die, wobei sie sonst vorzüglich Wunder getan hatten, wurden zerschlagen, und sie – sie saßen im Himmel ruhig und konnten das Unwesen so unbekümmert mit ansehen, ohne Feuer, Pech und Schwefel auf die Gottesschänder herabzuschleudern! Da nun doch wohl keine Revolution im Himmel vorgefallen sein wird, wonach der bisherige Schlendrian darin abgeändert sein möchte, so muss jeder gute Christ stutzen und an seiner eigenen Religion zu zweifeln anfangen“ (Laukhard, S. 388-90, a.a.O.).

 

Auch das Straßburger Münster wurde während der Französischen Revolution aller Heiligenbilder, Altäre etc. entleert und zu einem „Tempel der Vernunft“ gemacht, in dem man zusammenkam, um republikanische Reden etc. anzuhören (vgl. Laukhard, S. 403, a.a.O.).

 

© Christian Meyer