„Fragaria chileoensis“, Tafel 11 aus dem Reisebericht von Frézier aus dem Jahre 1716 (Abb. aus http://www.oakspring. org/frezier.html)
Erdbeeren - Detail aus Lucas Cranachs Altarbild in der Weimarer Herderkirche
Erdbeeren – Detail aus Rogier van der Weydens „Heimsuchung“
Zur Symbolik der Erdbeere
Die Gattung Erdbeeren (Fragaria [1] ) gehören zu der Familie der Rosengewächse (Rosaceae). Trotz des Namens ist die Erdbeere (botanisch) keine Beere, sondern gehört zu den Sammelnussfrüchten. Der Fruchtboden bildet aus dem fleischig gewordenen Stempelträger eine Scheinbeere. Die eigentlichen „Früchte", die Samen der Erdbeere sind die kleinen gelben Nüsschen außen, an der Oberfläche.
Erdbeeren umfassen ca. 20 Arten, die bis auf die chilenische Fragaria chiloensis in den gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel beheimatet sind.
Die kleine Walderdbeere (auch: Knickbeere; bot. Fragaria vesca L.) spielte schon zumindest seit der Steinzeit eine Rolle in der menschlichen Ernährung, wie archäologische Funde belegen. Walderdbeeren können sich auch vegetativ durch Sprossung vermehren.
Französische Gärtner begannen im 14. Jhdt. Walderdbeeren systematisch anzubauen. Der französische König Karl V. („der Weise“, reg. 1364-1380) soll bereits ca. 1200 Erdbeerpflanzen in dem königlichen Garten sein eigen genannt haben. Im frühen 15. Jhdt. verzierten Mönche ihre Manuskripte mit Erdbeeren, sie tauchen in der Kunst Frankreichs, Italiens, Flanderns, Deutschlands und Englands auf.
In Nordamerika entdeckten französische Siedler am St.-Lorenz-Strom eine wilde Erdbeerart mit größeren Früchten. Sie wurde als „amerikanische Scharlach-Erdbeere“ (Fragaria virginiana) im 18. Jhdt. nach Europa eingeführt, zuerst jedoch nur in Botanischen Gärten angepflanzt.
Im Jahre 1714 fand der französische Ingenieur, Mathematiker, Botaniker und Enzyklopädie-Autor Amédée-François Frézier [2] (1682–1773) auf einer Forschungs- (und Spionage-) Reise nach Südamerika die zweihäusige (weißlich-rote) Chile-Erdbeere(„Blanche du Chili“; Fragaria chiloensis oder Küstenerdbeer), die dort bereits kultiviert wurde. Sie hat ledrig-blaugrüne Blätter, große Früchte und rein männlich und rein weiblich blühende Pflanzen. In seinem erstmals 1716 veröffentlichten Reisebericht schrieb Frézier, dass die chilenische Erdbeere dort großflächig angebaut würde, sie weniger duften würden als die europäische Walderdbeere und ihre Früchte fleischiger, flauschiger, runder und nussartig größer wären, manchmal von der Größe eines Hühnereis. Allerdings wäre sie auch nicht so delikat wie die europäischen Walderdbeeren (http://www.oakspring.org/frezier.html).
Frézier brachte aus Concepción (zwischen Santiago und Valdivia) fünf dieser Pflanzen zurück nach Europa. Die Pflanzen wurden auf dem Handelsschiff, mit dem Frézier nach Marseille zurückkehrte täglich mit Süßwasser gegossen, - auf dem Schiff ein kostbares Gut. So schenkte er den Schiffsverant-wortlichen zwei der Pflanzen.
Eine der restlichen Pflanzen erhielt der Botaniker und Mediziner Antoine de Jussieu(1686 – 1758) für Jardin Royal in Paris, eine weitere der einflussreiche Generaldirektor der französischen Befestigungs- anlagen, Michel Lepelletier de Souzy (1640–1728) und die letzte pflanzte Frézier in seinem eigenen Garten in Plougastel (bei Brest). Da die fünf nach Europa gebrachten chilenischen Erdbeerpflanzen jedoch alles männliche Pflanzen waren, scheiterte die Vermehrung, die Pflanzen trugen keine Früchte. Es kam nur zu einigen spontanen Kreuzungen.
Erst dem Agronomen und Botaniker Antoine Nicolas Duchesne(1747–1827), der im Botanischen Garten des Trianon über eine größere Anzahl verschiedener Erdbeerpflanzen verfügte, gelang eine erfolgreiche Kreuzung mit Fragaria virginiana.
Mit der Einführung verschiedener amerikanischen Arten und ihrer Kreuzung mit der europäischen Walderdbeere wurde um 1750 in den Niederlanden die Gartenerdbeere (Fragaria × ananassa) mit deutlich größeren Früchten gezüchtet.
Die meisten Gartenerdbeeren sind selbstfruchtbar. Es gibt aber auch Sorten (wie z.B. Mieze Schindler [3]), die ganz überwiegend nur weibliche Blüten ausbilden und deshalb vom Blütenstaub anderer Sorten befruchtet werden müsse (vgl. Enzmann et al., S. 243, a.a.O.).
Unterdessen gibt es über 1000 Erdbeersorten und jährlich kommen neue hinzu.
Das neuhochdeutsche Substantiv „Erdbeere“ entwickelte sich etymologisch aus dem Mittelhoch-deutschen „ertber“und dieses aus dem Althochdeutschen „ertberi“.
In deutschen Dialekten werden abweichend bis heute verwendet: im Fränkischen: Bresdler; im Schwäbischen: Prestling, Brästling; auch: Bräschtleng, Bräschdling, Breschdleng. Alle diese Bezeichnungen sollen auf die Ähnlichkeiten der Erdbeere mit einer weiblichen Brustwarze verweisen.
In Teilen Süddeutschlands, auch in Münchenund im Österreichischen in Wien und dem Burgenland wird bis heute die großfruchtige Gartenerdbeere „Ananas“ genannt und so von der Walderdbeere unterschieden. Die richtige Ananas hingegen wird im Zuge dessen als Hawaii-Ananas genannt.
Auf die gleichen Wortwurzeln wie „Erdbeere“ gehen auch das Dänische und Norwegische „jordbær” zurück, sowie das Schwedische „jordgubbe”, das Isländische „jarðarber“, das Niederländische „aardbei” und das Afrikaans „aarbei”.
Im Altenglischen gab es noch die Bezeichnung „eorðberge“, daneben aber auch zusammengesetzt aus strēaw „Stroh“ + beriġe „Beere“; altenglisch „strēawberiġe“, aus dem das heutige Englische „straw-berry“ entstand.
Im Latein heißt Erdbeere „fragum“ [4], imItalienischen „fragola”, imFranzösischen „fraise“, im Spani-schen „fresa”(regionalauch „frutilla”, im Griechischen „φράουλα“ (fraoula), im Neugriechischen auch „Χαμοχερασον“ (khamokherason).
„Erdbeere“ heißt im …
… Russischen „земляника“ (semlǎníka), „клубника“ (klubníka)
… Serbischen „јагода“(jagoda)
… Slowenischen „jagoda“ und im Tschechischen „jahoda“
… Finnischen „mansikka“,
… Türkischen „çilek”,
... im Azeri „ çiyələk“
... Chinesischen 草莓(cǎoméi; 草 , cǎo≙ “Gras, Kräuter”; 莓, méi, ≙ “Essbare Beere”)
… Japanischen „莓“(いちご, ichigo)
Der Gattungsname „Fragaria" für die Erdbeeren ist zuerst bei dem Mediziner und Botaniker Matthaeus Sylvaticus (1285-1342) um 1329 belegt. Der Artname „vesca" wurde von Linné vergeben und gedeutet als vescus ≙ zehrend, abgezehrt oder vesci ≙ sich ernähren, verzehren.
Eine Reihe von „Schädlingen“ sind auf Erdbeerpflanzen spezialisiert, so der Rüsselkäfer Erdbeerblütenstecher (Anthonomus rubi), die Erdbeermilbe (Tarsonemus pallidus) oder der Rüsselkäfer Erdbeerstangenstecher (Coenorhinus germanicus, vgl. Enzmann et al., S. 435 f., a.a.O.).
Erdbeeren wurden in der antiken medizinischen Literatur zu verschiedensten Therapien herangezogen.
So wurden sie wegen ihrer (angeblich) heilenden Wirkung bei Leber- und Gallenleiden geschätzt. Bei Dichtern gilt sie Sinnbild der erotischen Liebe und bei Moralisten als Symbol unzüchtiger Gedanken.
Hildegard von Bingen (1098-1179) meinte: „Die Erdbeeren verursachen einem Schleim im Menschen und sie taugen weder für Gesunde noch für Kranke zum Essen, weil sie nahe an der Erde und in fauliger Luft wachsen."
Dennoch wurde die Erdbeerpflanze im Mittelalter z.B. zur Behandlung von Depressionen benutzt.
Der englische König Richard III (1483-1485) soll nach dem Genuss von Walderdbeeren einen Ausschlag im Gesicht bekommen haben. Da er sofort einen Giftanschlag befürchtete ließ er den Spender der Erdbeeren exekutieren.
Heute vermuten Mediziner anhand der überlieferten Symptome (Hautausschlag, kleine Bläschen um den Mund, geschwollene Lippen, Atembeschwerden oder Kopfschmerzen), dass es sich um eine Erdbeerallergie handelte, - was dem Hingerichteten aber nichts mehr nützt.
Bis heute behandeln manche Ojibwa Magenschmerzen, indem sie Erdbeerwurzeln kochen und essen (vgl. http://www.everyculture.com/multi/Le-Pa/Ojibwa.html#ixzz35vZjfCcS).
Erdbeerblättertee gilt bis heute als „blutreinigend“ und hilfreich gegen Gicht und Nachtschweiß (vgl. Enzmann et al. S, 346, a.a.O.).
„Rot wie die Liebe, süß wie die Sünde“ - um Erdbeeren ranken sich allerlei erotische Vorstellungen. Die Erdbeere war Attribut von vielen antiken Liebesgöttinnen, von Frigg/Freya bis zu Venus. Im Volksglauben waren Erdbeeren von daher oft Symbol der sexuellen Lust, Ausdruck von Sinnlichkeit und dadurch auch Verlockung zur „Sünde“ (vgl. Heinz-Mohr, S. 91, a.a.O.).
Die noch kleine harte grüne Erdbeere, die reifend süß, weich und rot wird, galt als Sinnbild der Geschlechtsreife und Liebesbereitschaft. Die Früchte haben ihre Reifezeit im Frühsommer und werden als besonders sinnliche Frucht angesehen, auch wegen der Assoziationen zur weiblichen Brustwarze.
Vergil (70-19 v. Chr.) berichtet über die Erdbeere in seiner
Schrift vom Landbau "Georgica".
In Ovids „Metamorphosen“ heißt es, dass die Erdbeeren, „fragum", die Speise der Menschen im Goldenen Zeitalter gewesen seien:
„Und die Menschen, zufrieden mit zwanglos gewachsenen Speisen,
sammelten Früchte des Erdbeerbaums, Erdbeeren der Berge,
Kornelkirschen, in stachligen Brombeersträuchern die Früchte
und die Eicheln, die Jupiters Baum, der breite, gespendet“ (Ovid, 1.104, S. 26, a.a.O.)
Sie wären die Speise der Seligen, vor allem der verstorbenen Kinder. Das Goldene Zeitalter wurde in der Renaissance mit dem Paradies gleichgesetzt.
Die Erdbeeren deuten in der Kunst vielfach auf einen ehrlichen Menschen hin, dessen Frucht die guten Werke sind. In England sind die Erdbeerblätter traditionell ein Zeichen von Rang. Englische Herzogskronen (hier die des Herzogs von Kent) sind mit acht Erdbeerblättern verziert.
Für die Ojibwa-Indianer (im Südosten Ontarios) waren die regionalen wilden Erdbeeren im Sommer ein wichtiger Ernährungsfaktor, das Symbol für ein gutes Jahr. Nach der (einstigen) Vorstellung der Ojibwa behielten die Seelen Verstorbener anfangs ihr Bewusstsein. Auf dem Wege zum Lande der Toten gelangten sie dann in eine Region mit riesengroßen Erdbeeren. Wenn sie von den Erdbeeren aßen, vergaßen sie die Welt der Lebenden und konnten nicht mehr versuchen, zurückzukehren. Nur die Seelen, die nicht die Erdbeeren kosteten, können in die Welt der Lebenden zurückkommen (vgl. Chevalier, S. 483, a.a.O.).
Erdbeeren als Symbole Christi
Vielfach wird die Erdbeere (hebr. שדה-תות, tut-sadäh ≙ „Maulbeere [5] des Feldes“) mit der Frucht (hebr. peri ha’ez ≙ Frucht des Baumes) assoziiert, mit der Eva den Adam verführt habe. In der Bibel aber kommt die Erdbeere nicht vor.
Schon auf den römischen Gräberfeldern früher Christen soll man Erdbeeren haben wachsen lassen. Denn sie galten nichts nur als Symbol für das Goldene Zeitalter sondern auch für das Paradies. Erdbeeren wuchsen sozusagen als Vorgeschmack des Paradieses auf den Gräbern.
Wegen ihrer roten Früchte symbolisiert die Erdbeere die Passion Christi, die dreiteiligen Blätter sollen hingegen auf die Trinität aus Gott Vater, Sohn und heiligem Geist verweisen. Zudem galt ihr niederer Wuchs als Sinnbild edler Demut Zurückhaltung, Schweigen und Bescheidenheit.
Gedeutet wurde die Erdbeere aber auch symbolisch für die Vergänglichkeit, denn die Frucht verdirbt schnell. So wurde sie seit dem hohen Mittelalter auch als Zeichen für Traurigkeit, Melancholie und Tod gesehen. Deshalb vermutlich meinte Hildegard von Bingen, man sollte Erdbeeren als „traurigmachend" meiden.
Bei vielen mittelalterlichen Malern wandeln die Heiligen, Jesus oder Maria auf Tafelbildern über mit Erdbeeren geschmückte Rasenteppiche. So z.B. in dem Mittelbild des Altars der evangelischen Stadtkirche St. Peter und Paul (der Herderkirche) zu Weimar, gemalt von Lucas Cranach dem Älteren. Dort findet sich unten rechts, zu Füßen Martin Luthers, die Darstellung einer Walderdbeere (vgl. Abb. oben): Das dreigeteilte Blatt soll die Dreieinigkeit (vgl. Heinz-Mohr, S. 91, a.a.O.) symbolisieren, die roten Früchte selbst die Blutstropfen Jesu und die fünf Blütenblätter die fünf Wunden Christi (die Wundmale, drei Nagelwunden, die Dornen-krone und der Lanzenstich).
Eine Reihe von Pflanzen sind in der (christlichen) Bildenden Kunst marianische Symbole, so u.a. Maiglöckchen, Veilchen, Gänseblümchen, Akelei und eben die Erdbeeren. Sie gelten wegen ihrer Eigenschaft, gleichzeitig zu blühen und zu fruchten, als ein Symbol der Jungfräulichkeit Mariens, ihrerjungfräulichen Mutterschaft.
In der christlichen Kunst Europas wurde das Thema „Heimsuchung“ vor allem im Mittelalter und der frühen Neuzeit oft dargestellt. Ein berühmtes Beispiel für dieses Motiv ist die „Heimsuchung“ von Rogier van der Weyden (ca. 1398–1464), die er ca. 1435/40 malte und die sich heute im Museum für Bildende Künste in Leipzig befindet (vgl. Abb. oben).
Im Vordergrund des Bildes sieht man einen kleinen Garten mit u.a. Veilchen, Erdbeeren und Löwenzahn, Pflanzen also, die nach mittelalterlicher Vorstellung mit Maria in Verbindung standen: Veilchen symbolisierten die Demut, die Erdbeeren standen „.. für die Süßigkeit der Frucht ihres Leibes“, der Löwenzahn kennzeichnete Marias Barmherzigkeit und Gerechtigkeit (vgl. Nicolaisen, 2004, S. 3, a.a.O.).
Die reife Erdbeerfrucht konnte auf die Reifung junger Frauen zu Ehe und Mutterschaft gedeutet werden, aber auch als Sinnbild der „Weltlust“.
Im Christentum wurde die Erdbeere, Pflanze und Früchte von daher als ambivalent angesehen: einerseits konnte sie Demut, Bescheidenheit, bescheidene Schönheit und das vergossene Blut Christi symbolisieren, andererseits aber auch durch ihre sinnliche Wirkung Verführung zu Sünde und ewiger Verdammnis.
Hieronymus Bosch (ca. 1450 – 1516) malte unzählige z.T. überdimensionierte Erdbeeren als Ausdruck von Sinnlichkeit, Begehren und erotisch- sexuellen Aspekten in z.B. seinen „Garten der Lüste", um 1500 entstanden (heute im Prado zu Madrid).
Schon José de Siguenza (+ 1606), Prediger am Hofe Philipp II. im Escorial interpretierte u.a. Boschs „Garten der Lüste“ allegorisch: Insbesondere das vielfach auftauchende Motiv der Erdbeere (oder des Erdbeerbaumes) deutete er als Zeichen der Vergänglichkeit und Unbeständigkeit alles Irdischen (vgl. Fischer, 2009, S. 146, a.a.O.). Die riesige Erdbeere könnte für die im Kreis sitzenden Personen – interpretieren Kunsthistoriker - einen Überfluss an irdischen Genüssen versinnbildlichen, vielleicht eine Warnung vor Todsünden wie Wollust und Völlerei?
Der Kunsthistoriker Dirk Bax (Bax, S. 47, a.a.O.) deutete dieses Detail als ein homosexuelles Männerpaar: Ein Mann überreicht einem anderen Blumen. Auffällig an diesem ist das Objekt auf seinem Rücken: eine wie ein Käfer aussehende Erdbeere, die eine sexuelle Konnotation haben könnte. Bax wies zudem auf den Schwanz dieses Erdbeerkäfers hin, der (zufällig?) genau auf den Hintern des Mannes ziele. Insgesamt wäre so eine Darstellung von Analverkehr, „durch die Blume“ zu interpretieren. Dazu passte auch der Griff des Mannes zum Dornenzweig, der sich nicht nur als Verweis auf Jesu Dornenkrone, sondern auch als Penis deuten ließe (vgl. Abbn unten).
Der französische Dichter Francois Villon (1431-1464) seufzte auf Klaus Kinskis berühmter Sprechplatte „Villon“ in „Eine verliebte Ballade für ein Mädchen namens Yssabeau: „Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund, ich schrie mir schon die Lungen wund, nach deinem weißen Leib, du Weib" (vgl. Zech, a.a.O.). Tatsächlich aber ist das Gedicht nicht von Villon, sondern eine gelungene Nachdichtung des deutschen Dichters Paul Zech (1881-1946 ) entstanden um 1930 im Stile Villons.
Im Grimmschen Märchen „Die drei Männlein im Walde" (Brüder Grimm, S. 86, a.a.O.) wird die Protagonistin von der Stiefmutter in einem Papierkleid in den Wald geschickt, um im tiefsten Winter nach Erdbeeren zu suchen. Diese findet sie jedoch - unerwartet- , als sie den drei Zwergen den Schnee hinter ihrem Haus wegfegt: Die süßen, roten Früchte werden als Eros-Aspekte verstanden, die die Heldin innerseelisch entwickeln kann und zudem zu ihrem irdischen Glück führen.
Im Märchen „Großmütterchen Immergrün" sind Erdbeeren heilende Früchte, die die Kinder für ihre kranke Mutter suchen (Colshorn, S. 17/18, a.a.O.)
Im Jahre 1859 beschrieb der Germanist und Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), Verfasser des „Liedes der Deutschen", in seinen „Kinderliedern“ die Erdbeersuche als beglückendes Ereignis, In „Erdbeerlese“ heißt es u.a.: „Welch Entzücken! Erdbeer'n suchen/ Und im Schatten bei den Buchen/ Auf den Matten Erdbeer'n pflücken!/ Wollt's uns glücken! welch Entzücken!" (Hoffmann von Fallersleben, S. 84, a.a.O.).
In Thomas Manns Erzählung „Der Tod in Venedig“ spielen Erdbeeren eine symbolische Rolle. Die Hauptfigur, der alternde Künstler Aschenbach hat sich in den jünglingshaft-schönen Tadzio unglücklich verliebt. In Aschenbach entsteht ein Todeswunsch. Er hatte erfahren, dass in Venedig die indische Cholera ausgebrochen war und die ersten Todesfälle geheim gehalten wurden: „Wahrscheinlich waren Nahrungsmittel infiziert worden, Gemüse, Fleisch oder Milch.“ Dennoch kauft Aschenbach „in der kranken Stadt“ in einem kleinen Gemüseladen „einige Früchte, Erdbeeren, überreife und weiche Ware und aß im Gehen davon“ (Mann, S. 258/259, a.a.O.).
Neben vom hohen Infektionsrisiko hatte sich Aschenbach bereits soweit aufgegeben, seine Selbstachtung verloren, dass er – horribile dictu - in der Öffentlichkeit im Gehen aus einer Tüte aß, – vor dem 1. Weltkrieg für einen „Herrn“ eine massive Anstandslosigkeit: Ein flanierender „Herr“ ging mit Hut, Spazierstock und Handschuhen, alles andere gehörte sich nicht.
In der Schlussszene stirbt Aschenbach an der Cholera, infiziert durch überreife Erdbeeren, die hier die verbotene homosexuelle Liebe symbolisieren.
Sterbend beobachtete Aschenbach aus seinem Liegestuhl Tadzio ein letztes Mal am Strand. Es erscheint es dem Sterbenden, als lächle und winke der Knabe ihm von weitem zu und deute mit der anderen Hand hinaus aufs offene Meer. „Und, wie so oft, machte er sich auf, ihm zu folgen“ (Mann, S. 262, a.a.O.)
In Ingmar Bergmanns Schwarzweiß-Film „Wilde Erdbeeren" (1957) erinnern die Erdbeeren die männliche Hauptperson, die einen Lebensrückblick vornimmt, an die Süße der vergangenen, vergeudeten Jugend.
Die Beatles besangen mit ihrem von John Lennon komponierten 1967 erschienenen Lied „Strawberry Fields forever" nicht die Früchte, sondern einen melancholischen Drogentraum[6]. „Strawberry Field“ war zudem der Name eines Waisenhauses in Liverpool, in dessen Nähe Lennon aufwuchs:
“Let me take you down
'Cause I'm going to Strawberry Fields
Nothing is real
And nothing to get hung about
Strawberry Fields forever“
Noch 1890 klagten die Autoren von Meyers Konversations-Lexikon: „Erdbeeren verdienen viel mehr, als bisher bei uns geschehen, im großen kultiviert zu werden“ (Bibliographisches Institut, Bd. 5, S. 738, a.a.O.). Unterdessen sindErdbeeren statistisch jeweils im Juni die beliebtesten Früchte der Deutschen. 2,4 kg frische Früchte verspeist jeder Deutsche im Durchschnitt pro Jahr und Deutschland ist einer der großen Erdbeerproduzenten:
Welt Erdbeerproduktion in Tonnen |
|||||||
Rang |
Land |
2006 |
2007 |
2008 |
2009 |
2010 |
2011 |
1 |
USA |
1,090,436 |
1,109,215 |
1,148,350 |
1,270,640 |
1,294,180 |
1,312,960 |
2 |
Türkei |
211,127 |
250,316 |
261,078 |
291,996 |
299,940 |
302,416 |
3 |
330,485 |
269,139 |
281,240 |
266,772 |
275,355 |
262,730 |
|
4 |
Ägypten |
128,349 |
174,414 |
200,254 |
242,776 |
238,432 |
240,284 |
5 |
191,843 |
176,396 |
207,485 |
233,041 |
226,657 |
228,900 |
|
6 |
Russland |
227,000 |
230,400 |
180,000 |
185,000 |
165,000 |
184,000 |
7 |
190,700 |
191,400 |
190,700 |
184,700 |
177,500 |
177,300 |
|
8 |
205,307 |
203,227 |
192,296 |
203,772 |
231,803 |
171,519 |
|
9 |
Polen |
193,666 |
174,578 |
200,723 |
198,907 |
153,410 |
166,159 |
10 |
Deutschl. |
173,230 |
158,658 |
150,854 |
158,563 |
156,911 |
154,418 |
11 |
Italien |
143,315 |
160,558 |
155,583 |
163,044 |
153,875 |
150,000 |
Welt |
3,973,243 |
4,001,721 |
4,136,802 |
4,596,614 |
4,366,889 |
4,594,539 |
Obwohl keine offiziellen Zahlen vorliegen, wird die Erdbeerproduktion Chinas für das Jahr 2011/12 auf ca. 2,100,000 Tonnen geschätzt.
Sigmund Freud (1856 – 1939) beobachtete einstmals: „Wenn jemand zu uns kommt und uns erzählt, auf dem Mond wachsen Erdbeeren, beginnen wir sofort, ihn davon zu überzeugen, dass dies doch nicht möglich sei, anstatt uns zu fragen, warum ihm solch absonderliches einfiele, unsere Aufmerksamkeit zu erlangen.“
© Christian Meyer
[1] Der Name „fragaria“ rührt vermutlich von lat. „fragantia“ ≙ „Wohlgeruch“ her. Die Erdbeere sei - Wie das Veilchen – ein Symbol des Edlen, verbunden mit Bescheidenheit. Sie zeichne sich durch Duft und Farbe aus, beuge sich aber – demütig - zur Erde.
Wenn Walderdbeeren früh am Tage gesammelt werden, duften sie angenehm. Der Duft verliert sich allerdings im Laufe des Tages (vgl. Enzmann et al., S. 346, a.a.O.).
[2] Der Familienname Frézier ist originellerweise eine verballhornte Form des französischen Wortes «fraisier». Julius de Berry, ein fränkischer Landadliger und einer der Vorfahren von Amadée Francois Frézier, soll der legendären Überlieferung nach, zum Abschluss eines Banketts in Antwerpen dem westfränkischen, französischen König Karl III., dem Einfältige (ein Karolinger, 879 – 929), ein Schale mit Walderdbeeren angeboten haben. Der König soll so angetan von den wohlschmeckenden „Scheinfrüchten“ gewesen sein, dass er dem Spender den nobilitierenden Namen „de Fraisier“ (frz. Erdbeerpflanze) gab. Bei einer späteren Emigration der Familie nach England wurde der Name anglisiert zu „Frazer“, bei der noch späteren Rückkehr nach Frankreich zu „Frézier“ rückfranzösisiert.
[3] Die Gartenerdbeersorte Mieze Schindler (auch Himbeererdbeere) wurde 1925 von Otto Schindler aus Pillnitz gezüchtet und nach dem Kosenamen seiner Frau Emilie benannt. Die Sorte erwies sich als sehr wohlschmeckend und verbreitete sich rasch. Da Mieze-Schindler-Erdbeeren jedoch nur beschränkt lager- und transportfähig sind, setzten sich später im Massenanbau andere Sorten durch. Mieze Schindler wird heute fast nur noch in Hausgärten angebaut.
Detail aus Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“
Detail aus Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“
Detail aus Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“