Wappen von Neukölln

Briefmarke der Deutschen Bundespost Berlin von 1956

 Abb. Postkarte von ca. 1935

Abb. "Säuberungen" im Rathaus Neukölln im März 1933

 

Christian Meyer                                                                                                                          September 2019

 

Stadtspaziergänge durch Rixdorf – Neukölln

 

0. Allgemeines


Daten & Fakten

 

Neukölln ist seit 1920 ein Stadtbezirk von Groß-Berlin. Er hat eine Fläche von 4495 ha und 2017 ca. 328 000 Einwohner. Der Bezirk besteht aus den Ortsteilen (Nord-)Neukölln, Britz, Gropiusstadt, Buckow und Rudow. Bis 1912 hieß Neukölln Rixdorf. Ca. ein Drittel der Bevölkerung Neukölln lebte im März 2018 von Hartz IV, die Arbeitslosenquote lag bei 11,7%. Ca. 40 000 Neuköllner sind Langzeitarbeitslose (d.h. sie beziehen länger als 21 Monate Leistungen). Das Estrel Hotel an der Sonnenallee ist mit mehr als 1100 Zimmern und 2016 einem Umsatz von ca. 70 Mio. € im Jahr Deutschlands größtes und umsatzstärkstes Hotel. Neukölln ist gemeinsamer Lebensraum für Menschen aus mehr als 150 Ländern, ein multikultureller Bezirk mit vielen Religionsgemeinschaften, von Hindus über Bahai bis zu Zeugen Jehovas. Neben vielen protestantischen Kirchen liegt mit der Johannes - Basilika auch die größte katholische Kirche Berlins in dem Bezirk. Zusätzlich zu vielen sunnitischen „Hinterhof-Moscheen“ gibt es auch die repräsentative Şehitlik-Moschee mit zwei Minaretten, Kuppel und einem Friedhof an dem Columbia-Damm. Aleviten sind mit mehreren Zentren vertreten, zudem verfügen sie seit 2016 über eine Begräbnisstätte auf den Thomas-Friedhof in der Hermannstraße. Bis zur Zerstörung 1938 gab es auch eine Synagoge in der Neuköllner Isarstraße.

Seit 2017 ist praktisch ganz Nord-Neukölln Milieuschutzgebiet.

 

Geographische Lage: Südöstlich der mittelalterlichen Städten Berlin und Cölln; entstand zwischen den Rollbergen (um die 50m über NN) im Westen und den sumpfigen Cöllnischen Wiesen im Norden und Osten. Die Wiesen waren Teil des Berliner Urstromtales, das sich beim Abtauen der Weichselglazial-Gletscher bildete. Die Rollberge sind Teil der glazialen Moränenplatten des Teltows im Süden Berlins. Auf den später teilweise als Baumaterial abgetragenen Rollbergen standen einst bis zu 16 Windmühlen.
Rixdorf entstand an der alten Straße in Richtung Mittenwald. Der Handelsweg in Richtung Dresden verlief westlich davon (nahe der heutigen Hermannstraße).

 

Zum Stadtwappen (seit 1903; vgl. Abb. oben)

 

Das Wappen zeigt oben eine rote dreitürmige Mauerkrone, deren mittlerer Turm mit einem kleinen Berliner Bären belegt ist; die Mauerkrone soll das Stadtrecht symbolisieren. Darunter befindet sich ein halbgespaltener und geteilter Schild, der die Landesfarben des Deutschen Kaiserreiches, Schwarz-Weiß-Rot ergibt. Unter der Mauerkrone links, im ersten, schwarzen Feld zeigt das Wappen einen silbernen Abendmahlskelch, der Kelch der Hussiten für das Böhmische Dorf. Daneben steht im weißen Feld der brandenburgische goldenbewehrte Rote Adler für Deutsch-Rixdorf. Die Flügel des Adlers sind mit goldenen Kleestengeln belegt. Im unteren dritten, roten Felde befindet sich ein silbernes achtspitziges Kreuz, das Johanniter–Kreuz für die Zeit der Johanniter, nach der Gründung durch den Templer-Orden.


1. Spaziergangsziele

 

„Bei uns in Neukölln heißt Neukölln Rixdorf“. Ich entsann mich dunkel, es schon einmal gehört zu haben, aber ich habe wohl niemals irgendeine Vorstellung damit verbunden. „Böhmisch-Rixdorf“, belehrte mich Anna, „so hieß es früher“ (Alfred Andersch).

Rathaus Neukölln


Bis zum Stadtrecht 1899 hatte Rixdorf - das größte Dorf Deutschlands - kein Rathaus, es befand sich aber auf dem heutigen Vorplatz ein Amtshaus. Am 3. Dezember 1908 wurde das neue Rathaus in der Berliner Straße (heute Teil der Karl-Marx-Straße), entworfen von Stadtbaurat Reinhold Kiehl (1), eingeweiht. An den Arbeiten waren auch einige junge talentierte Architekten, als Mitarbeiter Kiehls beteiligt, die später berühmter wurden als Kiehl selbst, nämlich Ludwig Mies (ab 1920 nannte er sich Ludwig Mies van der Rohe, 1886-1969) und die Brüder Max Taut (1884-1967) und Bruno Taut (1880-1938). Max Taut übernahm Fassadenentwürfe. Mies van der Rohe unterstützte Kiehl bei der Vertäfelung des Plenarsaals.

 

Der weithin sichtbare Turm des Rathauses ist 58 m hoch, auf seiner Spitze steht eine 2,20 m hohe Kupferstatue der Glücksgöttin Fortuna, ein Werk des Bildhauers Josef Rauch (1868-1921), der auch den ursprünglichen plastischen Schmuck des Rathauses erstellte. Die fünfgeschossige Frontseite hat die Gestalt eines historisierenden Renaissancegiebels. Als neuartig galt damals am Rathaus die räumliche Trennung von Repräsentations- und Verwaltungsbereiches.
Der ursprüngliche Eingang zum Rathaus lag unterhalb des Turmes, zur heutigen Karl-Marx-Str. hin. Die große Freitreppe und die Grünanlage mit dem Springbrunnen wurden erst nach der Zerstörung des Amtshauses 1945 errichtet. In dem alten Eingangsbereich des Rathauses befindet sich heute (2018) die Touristeninformation. Die Decke des Raumes ist mit Mosaiken der Neuköllner Fa. Pohl & Wagner (s.u.) geschmückt. Bald reichte der Raum im Rathaus nicht mehr für die wachsende Stadt aus, schon 1911 wurde ein Erweiterungsbau begonnen.

 

Am 5. März 1933 hisste eine Trupp der SA auf dem Rathaus gegen den Widerstand des sozialdemokratische Bürgermeisters Alfred Scholz  die Hakenkreuzfahne. Die Polizei verweigert die Durchsetzung des Hausrechtes. Bald darauf wird der Bürgermeister abgesetzt.

 

Am 30. März 1933 werden bei „Säuberungen“ im Bezirksamt Neukölln (vgl. Abb. oben) 139 Personen entlassen.  

In der NS-Zeit befand sich beim Rathaus ein Kasten des „Schwarzen Korps“ (vgl. Kolland, S. 360, a.a.O.).

 

Waffen-SS- und HJ-Einheiten verschanzten sich im April 1945 im Rathaus und leisteten der Roten Armee erbitterten Widerstand. Im Zuge des „Endkampfs um Berlin“ soll zudem der NS-Kreisleiter und MdR Karl Wollenberg (1903-Todesdatum unbekannt) das Rathaus haben anzünden lassen, um nur verbrannte Erde zurück zu lassen.
Am Ende des 2. Weltkriegs war das Gebäude schwer zerstört, das Amtshaus wurde gänzlich abgerissen, der Vorplatz gestaltet. Erst mit einem weiteren Anbau 1955 wurde ein hinreichender Raum erreicht. Der Berliner Heimatforscher Kurt Pomplun (1910-1977) meinte: „Von allen Rathäusern der aufstrebenden, bis 1920 selbstständigen Vorortgemeinden Groß-Berlins, die sich – wie Charlottenburg, Schöneberg, Spandau, Steglitz oder Wittenau – in ihren Verwaltungszentren zu übertreffen suchten, ist das Neuköllner wohl das ansprechendste“ (vgl. Pomplun, a.a.O.). (vgl. Chronologie 1879, 1919, 1945, 1963 und 2017)

 

Das Amtsgericht ist nach den Plänen von Reinhold Kiehl errichtet worden. Im April 1945 wurde hier die Kommandantur der Roten Armee eingerichtet.
In einem Seitenflügel gab es bis 1991 eine Vollzugsanstalt. Unter Neuköllner Jugendlichen trug es den Namen „Café Schönstedt“ "(2).

 

An der Ecke Donaustr./Schönstedtstr. befindet sich alter Nebeneingang zum Rathaus. In den dortigen Räumen arbeitete 1963 die erste Neuköllner Passierscheinstelle zum Besuch in Ost-Berlin.
Wenige Häuser weiter auf der linken Seite in Richtung Sonnenallee befindet sich das Gebäude des ehemaligen Finanzamtes.

 

Boddinstraße 9

 

Der jüdischstämmige Neuköllner Jaques Abraham war Gewerkschafter und Betriebsrat, er arbeitete bei einem großen Kaufhauskonzern. Als Jude wurde er 1933 entlassen. Verheiratet mit einer „arischen“ Frau war er in seiner „privilegierten Mischehe“ relativ geschützt. Nach Kriegsbeginn wurde er mehrfach verhaftet und zu Zwangsarbeit verpflichtet. Im Januar 1945 wurde er wegen „Führerbeleidigung“ und „Defaitismus“ verhaftet, ihm drohte die Todesstrafe. Ein befreundeter Unternehmer, Erich Scheffler, kaufte ihn der Polizei mit mehreren Tausend Zigaretten einigen Flaschen Sekt und Cognac frei. Im Keller seines Wohnhauses in der Boddinstraße 9 wurde er bis zu seiner Befreiung im April 1945 versteckt (vgl. Sandvoß, S. 254, a.a.O.).     

 

Neckarstraße

 

In der Neckarstr. 3 & 4 befanden sich die Neuköllner Parteilokale der MSPD und der USPD, direkt nebeneinander. In dem Lokal der USPD wurde der Neuköllner AuSR gegründet, der von dort aus ins Rathaus zog, um die Macht zu übernehmen. Der Arbeiter- und Soldatenrat hatte nur eine Frau als Mitglied.

An dem "Knick" zur Isarstr.Nr. 8 befand sich bis 1938 die Neuköllner Synagoge

 

Fuldastr. / Ecke Weserstraße

 

An dieser Ecke befand sich bis 1833 das „Reichsbanner“-Lokal „Düben“. Am 2. Februar 1933 wurde das Lokal von der SA überfallen, der Gastwirt ließ die Jalousien herunter und alarmierte das Überfallkommando der Polizei. Freunde und Sympathisanten des Lokals, auch Kommunisten, wollten - unbewaffnet - dem „Düben“ zu Hilfe kommen. Dabei wurde ein junger Kommunist, Erwin Berner, von einem SA-Mann in Zivil mit einer Pistole erschossen. Berner brach vor dem Haus Fuldastr. 19/20 zusammen. Der Mordschütze wurde zwar festgenommen aber nach kurzer Untersuchungshaft und einer Amnestie freigelassen. 

Protest und Trauerkundgebungen wurden in der Folge von der Polizei aufgelöst.  

 

 

Am 25. Dezember 2018 werden ein 25jähriger Mann und sein Freund nachmittags in der Weserstraße von drei Männern homophob beleidigt und angegriffen (vgl. apabiz, S. 110, a.a.O.). 

 

Die  Sonnenallee

 

Die Bautätigkeit in der Region der heutigen Sonnenallee setzte ein, als 1874 die Hütungsberechtigungen auf den Cöllnischen Wiesen aufgehoben wurden und der große sumpfige Wiesenkomplex zur Bebauung freigegeben wurde.
Die heutige Sonnenallee ist eine im späten 19. Jhdt. angelegte breite Straße (ursprünglich mit einer Promenade, „Promsche“), die heute den Hermannplatz und Treptow-Köpenick (Ortsteil Baumschulenweg) verbindet. Angelegt wurde sie um 1880 in einem sumpfigen Gebiet im Nordwesten Rixdorfs als „Straße 84“. Nach dem Tod des Kaisers Friedrich III. (des „99-Tage-Kaisers) im Jahr 1888 (dem „Dreikaiserjahr“) erhielt die Straße 1893 zu seinen Ehren den Namen Kaiser-Friedrich-Straße.
Ringbahnhof Sonnenallee
In den abschnittweise vom Hermannplatz her entstehenden Mietswohnhäusern (vielfach mit Seitenflügeln und Hinterhäusern) der Straße wohnten v.a. ärmere von der Landflucht in die Berliner Vororte ziehende Menschen. Um 1900 erreichte die Randbebauung der Straße die heutige Kreuzung Erkstraße/Wildenbruchstraße. Entlang der Straße gab es zahlreiche kleine Händler, Handwerker und Gastwirtschaften (viele Eckkneipen). Zu dieser Zeit gab es in Rixdorf zwei größere Bierbrauereien (3).
Bis 1905 wird die Bebauung bis zur Ringbahn verlängert, parallel dazu auch Wasser- und Abwasserleitungen sowie Gasanschlüsse verlegt.
Der S-Bahnhof Sonnenallee der Ringbahn, Eingang in der Saalestraße, errichtet von Reinhold Kiehl; heute ein Baudenkmal. Ab 1911 entstand die neue Bahnhofsanlage, die 1912 unter dem Namen „Ringbahnstation Kaiser-Friedrich-Straße“ eröffnet werden.
Um das Jahr 1914 wird die Kaiser-Friedrich-Straßenbrücke (die heutige: Sonnenbrücke) über den Neuköllner Schifffahrtskanal gebaut. Damit wurde dir Verlängerung der Straße nach Südosten nach Baumschulenweg möglich. Im August 1920 wurde der Bahnhof Köllnische Heide nahe dem Dammweg eröffnet, der vierte Neuköllner S-Bahnhof. Ebenfalls 1920 erhält die Verlängerung der Kaiser-Friedrich-Straße zwischen der Kanalbrücke und dem Dammweg den Namen Sonnenallee. Der Name entstand in Anlehnung an die Bezeichnungen im nahegelegenen Planetenviertel.


Der gesamte Straßenzug aus Kaiser-Friedrich-Straße und Sonnenallee wurde am 11. Mai 1938 zur Braunauer Straße (nach Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers) zusammengefasst. Auch der S-Bahnhof wurde entsprechend umbenannt (vgl. Karte 1944).
Nun reichte die Allee vom Hermannplatz bis zur Baumschulenstraße und war knapp 5km lang. Nötig wurde nun auch eine Umnummerierung der Grundstücke.

 

Das Haus in der Sonnenallee Nr. 13  war seit 1927  das Wohn- und Praxishaus des Ehepaars Heller, die in einer „privilegierten Mischehe“ leben. Irmgard Heller (eine „arische“ Krankenschwester) und Benno Heller (ein jüdischer Frauenarzt, als Student Mitglied einer schlagenden Verbindung, ein patriotischer Freiwilliger des 1. Weltkriegs, Träger des EK). In der Weimarer Republik standen sie der KPD nahe, - bis zu einem Besuch in der Sowjetunion 1930.

Schon vor 1933 war Benno Heller wegen illegaler, oft unentgeltlich vorgenommener Abtreibungen inhaftiert worden. 1938 wurde das Hinweisschild auf seine Praxis (ein Schild auf blauem Grund, einen gelben Kreis mit blauem Davidstern) mit dem Wort „Jude“ beschmiert.

Das Ehepaar hatte seit 1941 unter Lebensgefahr jüdische Berliner versteckt und viele so gerettet. Benno Heller drängte/erpresste allerdings Frauen zur Dankbarkeit: Er nötigte ehemalige nicht-jüdische Patientinnen, zur Aufnahme von deportationsbedrohten Juden, Frauen bei denen er einst eine –streng verbotene - Abtreibung vorgenommen hatte (vgl. TAZ, 28. 9. 1994, S. 24).

Marie Simon (1922 - 1998), die spätere Altphilologin und Autorin von "Untergetaucht. Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940 - 1945" (a.a.O.), war eine der Jüdinnen, denen das Ehepaar eine Unterkunft vermittelte.

Nach den Aussagen von Marie Simon war Bruno Heller allerdings ein zwiespältiger Mann. So konnte er, obwohl er ein Gegner der Nationalsozialisten war, den Gedanken an die militärische Niederlage der Wehrmacht nicht ertragen (vgl. Simon, S. 208, a.a.O.).

Marie Simon erinnerte sich zudem: „Er hat alte Patientenkarteien, das habe ich selbst erlebt, mit seiner Frau durchgesehen, und das ging etwa so: ,Ach, das war doch die Müller, ein ganz armes Luder. Der habe ich doch damals eine Abtreibung umsonst gemacht. Da gehe ich jetzt hin’“ (Simon, a.a.O.).

Die Hellers wurden von einer 14 Tage lang versteckten Jüdin bei der Gestapo denunziert – die Hellers hatten ihr kein Anschlussversteck besorgen können – die Frau war obdachlos geworden und lieferte sich so selbst der Gestapo aus. Im KZ, soll sie gesagt haben, ginge es ihr besser; da gäbe es zumindest eine Suppe und ein Dach über dem Kopf.

Das Ehepaar Heller wird am 23. Februar 1943 verhaftet, Irmgard stirbt bald darauf, Benno kommt in verschiedene Lager, in denen er als Lagerarzt tätig ist, überlebt aber Ravensbrück nicht, wahrscheinlich bis zuletzt ein Frauenarzt (vgl. Wolff & Simon, a.a.O.).

Einige der nicht-jüdischen Helferinnen versteckten auch nach der Verhaftung Hellers jüdische Berliner, die so überleben konnten. Insgesamt überlebten ca. 1500 Juden durch die Hilfe von Nicht-Juden die Zeit des Nationalsozialismus im Berliner Untergrund.

Nachdem die erst geplante Anbringung einer Gedenktafel zum 100. Geburtstag Hellers 1994 seitens des Hausbesitzers verboten wurde, installierte der Verein Aktives Museum am 29. September 1994, ohne Erlaubnis ein vorübergehendes Provisorium.

Eine spätere Tafel wurde am 27. September 1996 durch den Neuköllner Bildungs- und Kulturstadtrat Michael Wendt feierlich enthüllt. Die Metalltafel aus dem Neuköllner Gedenktafelprogramm befand sich in einem Stahlrohrrahmen neben einer Linde vor dem Haus. Rechts neben der weißen Inschrift ist in Ätztechnik ein Foto des Ehepaares wiedergegeben.

Die Tafel wurde Anfang Juli 1999 von Unbekannten entwendet aber erneut aufgestellt.

 

 

Im Jahre 1947 – mehr als zwei Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs beschließt der Berliner Magistrat die gesamte Braunauer Straße in Sonnenallee umzubenennen. Da es in Charlottenburg bereits seit 1892 ebenfalls eine Kaiser-Friedrich-Straße gab, wurde der Name nicht wieder vergeben.

 

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Wohnbevölkerung auch der Sonnenallee weitgehend verändert, internationalisiert, insbesondere durch zahlreiche Einwanderer aus arabischen Ländern und der Türkei. Viele Einzelhandelsgeschäfte in der Straße entstammen diesem Bevölkerungssegment. Der Bus M41, der u.a. in der Sonnenallee fährt, ist trotz geringer Taktzeiten von nur 4 min in den Hauptverkehrszeiten regelmäßig überfüllt, es ist eine der meistbenutzten Buslinien Berlins. Durch den Film „Sonnenallee“ von Leander Haußmann erlangte die Straße seit 1999 bundesweite Bekanntheit; er spielt allerdings in dem Treptower Teil der Straße.

 

Am 11. April 2018 wurde gegen 23.30 Uhr ein 23jähriger Mann aus einer Gruppe von 15 Personen heraus aus LGBTIQ-feindlicher Motivation [4] beleidigt und beraubt. Er wird umringt, sein Essen wird ihm aus der Hand geschlagen, dann mit dem Messer verletzt. Er wird zu Boden gestoßen, beraubt und mit Reizgas besprüht (vgl. apabiz, S. 91, a.a.O.).  

 

 

Ernst-Abbe-Schule - ehem. Karl-Marx-Schule

 

Die Schule in der Kaiser-Friedrich-Str 208/10 (Sonnenallee Nr. 79) wurde 1901/1902 von Hermann Weigand [5]   errichtet und als Kaiser Friedrich-Realgymnasium und Realschule eröffnet. Zwischen 1906/1907 wurde die Schule von Reinhold Kiehl erweitert, mit Wohnungen für den Schuldiener und den Direktor.

Seit 1922 war Fritz Karsen an der Schule als Direktor tätig und begann seine pädagogischen Ziele in die Realität umzusetzen. Ein wichtiger Unterstützer der Vorstellungen Fritz Karsens war der Pädagoge, Bildungspolitiker und Reichstagsabgeordneter der SPD Kurt Löwenstein (1885 - 1939), der von 1921 bis 1933 Stadtrat für Volksbildung in Neukölln war. Karsen realisierte eine staatliche dreizehnjährige Einheitsschule (die erste in Deutschland), die die Grundschule sowie die drei traditionellen Schultypen umfasste, von der 1. Klasse bis zum Abitur führte und in der produktive Gemeinschaftsarbeit unter weiter Partizipation der Schüler durchgeführt werden sollten. Experimentiert wurde an der Schule auch mit schriftlichen, notenfreien Berichten zur Lernentwicklung, mit fächerübergreifendem, projektorientierten Unterricht, einem nahezu „antiautoritären“ Erziehungsstil sowie Studienreisen und Studientagen. Dazu gehörten auch Arbeiter-Abiturientenkurse, die mit zu den ältesten deutschen Einrichtungen zum Aufbau eines Zweiten Bildungswegs gehörten. Die Schule vermittelte koedukativ den Volksschulabschluss nach der 8. (freiwillig auch nach der 9.) Klasse, den Realschulabschluss und das Abitur.
1929/30 wurde die Schule – übrigens gegen die Meinung Fritz Karsens - umbenannt in Karl-Marx-Schule (KMS). Unter der Eltern- und Schülerschaft waren sozialistische und kommunistische Überzeugungen weit verbreitet (vgl. Bergemann, S. 100. a.a.O.). Die Schule sollte lebensnah und -offen sein, vom ‚Geist der Selbstverwaltung' durchdrungen, aber nicht parteipolitisch erziehen, zudem frei von jedem Bekenntniszwang sein. Die Schüler sollten zu autonomen Persönlichkeiten, mit Kraft zur Reflexion und Selbstbestimmung und mit der Fähigkeit zu solidarischem, emanzipatorischen und zivilen Zusammenleben heranwachsen (vgl. Haubfleisch, S. 117 f., a.a.O.) Die äußere Gestalt des Neuköllner Gebäudekomplexes - aus einzelnen Schulteilen zusammengestückelt – widersprach Karsens Vorstellung einer Einheitsschule. Er entwarf deshalb zusammen mit Bruno Taut das Konzept einer integrierten Gesamtschule für 2500 bis 3000 Schüler, das am Dammweg in Süd-Neukölln entstehen sollte. In dem Projekt Dammwegschule sollten die reformpädagogischen Ideen eine architektonische
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Gestalt nach außen hin geöffnet bekommen. Das Projekt konnte nach dem 30. Januar 1933 nicht realisiert werden.
Die Käthe-Kollwitz-Schule am Richardplatz, an der es auch Aufbauklassen gab, organisierte oft Veranstaltungen gemeinsam mit der Karl-Marx-Schule. Im Jahre 1932 wurde die Schule einer Revision unterzogen, mit ganz überwiegend positiven Ergebnissen (vgl. Bergmann, S. 101, a.a.O.). Die Schule wurde dennoch von konservativer Seite und den Nationalsozialisten heftig angegriffen. Letztere sahen in der Reformschule eine „Keimzelle des Bolschewismus“, „kulturbolschewistisch“ und „Tummelplatz der kommunistischen Propaganda“. Heftig attackiert wurde die Marl-Marx-Schule auch publizistisch von dem Studienrat, NSDAP- und SA-Mitglied Kurt Schwedtke5 , der ab dem 20. April 1933 ihr kommissarischer Direktor wurde und die „Gleichschaltung“ organisierte. Sehr wahrscheinlich hatten die NS bereits vor ihrer Machtübernahme Listen von jüdischen Beamten und politischen Gegnern angelegt. Für das Justizwesen ist das belegt, für das Schulwesen sehr wahrscheinlich (vgl. Bergemann, S. 103, a.a.O.). Nach dem Februar 1933 verlor die KMS ca. die Hälfte der alten Lehrkräfte durch Entlassung oder Zwangsversetzung: „Diese radikale Zerschlagung eines Kollegiums durch die Nationalsozialisten ragt im Berliner Schulwesen heraus“ (Bergemann, S. 112, a.a.O.). Zum Beispiel wurde die entschiedene Reformpädagogin Hedda Korsch (1890-1982), die Ehefrau des marxistischen Philosophen und KPD-Dissidenten Karl Korsch, entlassen (vgl. Bergemann, S. 107, a.a.O.). Insgesamt waren in Berlin 468 Lehrer*innen von den Zwangsmaßnahmen und Berufsverboten nach 1933 betroffen (vgl. Bergemann, S. 115, a.a.O.)
1933 erhielt die Schule von den Nationalsozialisten wieder ihren alten Namen, dann aber wurde sie in Hermann-Löns-Schule umbenannt.
Im 2. Weltkrieg wurde das Vordergebäude der Schule schwer beschädigt, so dass anfangs nur in dem Hintergebäude unterrichtet werden konnte. Mit der Wiederherstellung der Dreigliedrigkeit wurde die Schule
die 4. OWZ (Oberschule Wissenschaftlicher Zweig), eine von fünfen in Neukölln.
1956 schließlich wurde die Schule nach dem Physiker Ernst Abbe benannt. In den letzten Jahrzehnten veränderte sich die Zusammensetzung der Schülerschaft dieses Gymnasiums grundlegend. Schon vor 15 Jahren gab es praktisch nur Schüler „mit Migrationshintergrund“ an der Schule.
Links neben dem Haupteingang der Schule gibt es unterdessen eine Gedenktafel für Fritz-Karsen.
Die Karl-Marx-Schule Neukölln war die vielleicht weitest gehende und „bekannteste pädagogische Versuchsschule der Weimarer Republik“ (vgl. Bergemann, S. 100, a.a.O.).
(vgl. Chronologie 1865, 1922, 1933/34,1948)
Polizeipräsidium
Am 25. September 1902 wurde das von Regierungsbaumeiester Timmermanns entworfene neue Polizeipräsidium nach einer Bauzeit von ca. zwei Jahren durch den Rixdorfer Polizeipräsidenten v. Glasenapp für den Dienstverkehr übergeben.
Polizeipräsidium Neukölln
Damals stand das „Dienstgebäude der königlichen Polizeiverwaltung“ an der Ecke Kaiser-Friedrich-Straße/Wildenbruchstraße noch auf der grünen Wiese (vgl. Karte 1903).
Zur Einweihung wurde die „… mit … vornehmer Einfachheit (des)… monumentalen Gebäudes … des neuen Polizeipalastes“ betont, eine „… neue architektonische Zierde des Kaiser-Friedrich-Straße“ (zit. n. Neuköllner Zeitung, September 1972, S. 10.).
In der NS-Zeit befand sich am Polizeipräsidium ein Kasten des antisemitischen Hetzblattes „Stürmers“ (vgl. Kolland, S. 360, a.a.O.).
5 Schwedtke war 1929 kurzfristig Lehrer an der Karl-Marx-Schule gewesen und zudem ein führendes Mitglied des damaligen Philologenverbandes.
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Ehem. Wechselstube Ecke Anzengruberstraße
Von ca. Ende der 40er Jahre bis ca. 1962 befand sich hier eine private Wechselstube, in der in beiden Richtungen West- und Ost-Mark nach Angebot und Nachfrage getauscht werden konnten.
(vgl. Chronologie 1948 und 1957)
Zwangsarbeiter*innenlager
In der Sonnenallee (damals Braunauer Str. 181/89) gab es zumindest seit dem Juni 1942 ein Zwangsarbeiter*innenlager; seit dem September 1944 war es eine Außenstelle des KZ Sachsenhausen (amtlich: „K.L.A.L.Neukölln“ ≙ Konzentrationslager Sachsenhausen Außenlager Neukölln), in der zwischen ca. 400 und 865 (darunter ca. 500 jüdische Frauen aus Polen und der Tschechoslowakei) Zwangsarbeiter*innen für National Krupp-Registrierkassen GmbH 6 nahe dem Hertzbergplatz auf dem Gelände zwischen der Braunauer Str. und der Weserstr. 104/106 arbeiten mussten. Hergestellt wurden dort Munition, Maschinenpistolen, Zünder, Uhren für Zünder, Elektrospulen, Flugzeugteile etc. Auf dem Gelände des heutigen Sportplatzes und der Kleingartenkolonie standen mindestens 6 Baracken, drei davon für die Wachmann- schaften und die Verwal- tung. (vgl. http://www. zwangsarbeit-for schung.de/Lagerstandorte/Neukoelln/neukoelln.html).
Abb. Gedenktafel in der Sonnenallee (Photo: Christian Meyer, Mai 2018)
Morgens um 4.00 Uhr begann der Tag der Gefangenen mit dem oft zweistündigen Appell, es folgte eine 12stündige Tag- oder Nachtschicht, sechs Tage lang. Sonntags mussten die Baracken etc. gereinigt werden.
!945 wurden Teile des Lagers durch Bombenangriffe zerstört, aufgelöst wurde das Lager am 18. April 1945. Die Arbeiterinnen wurden nun mit der S-Bahn nach Oranienburg transportiert und kamen von Sachsenhausen nach Ravensbrück. Die ca. 500 jüdischen Frauen gehörten zu den ungefähr 4000 Personen, die das schwedische Rote Kreuz unter Graf Folke Bernadotte (1895-1948) allein aus Ravensbrück befreien konnte und nach Schweden brachte (vgl. Kolland, S. 424, a.a.O.).
Zwei der Baracken, eine an der Sonnenallee, eine an der Weserstraße existierten bis in die 50er Jahre. 1957 wurden beide abgerissen.
Zumindest bis 1988 hat keine der Zwangsarbeiterinnen eine Entschädigung erhalten (vgl. Kolland, S. 424, a.a.O.).
Weitere kleinere Zwangsarbeitsorte In Nord-Neukölln befanden sich u.a.:
 Elbestraße 10: ca. 1941/42 waren dort in angemieteten Wohnungen 30 Zwangsarbeiter untergebracht.
 Richardstr. 12 (Rückseite der Passage): ein in den Dokumenten als „Lager“ bezeichneter Ort für Zwangsarbeiterinnen; eine russische Frau bekam hier 1944 einen Sohn.
6 Die Firma hatte eine Monopolstellung auf dem deutschen Markt, stellte aber ab 1939 ihre Produktion auf Rüstungsgüter um.
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 Schandauer Str. 5-6: eine Barackenlager für ca. 100 Frauen aus Frankreich und Russland, mit Mannschaftsbaracke, Wachlokal, Drahtzaun und Splittergraben. Hergestellt wurden Elektromotoren.
 Wildenbruchstraße 23: In angemieteten Wohnungen sind 1943 jüdische Zwangsarbeiter untergebracht, die für die Fa. Ehrlich & Graetz AG u.a. Präzisionsspulen herstellen müssen.  Hermannstr. 84-90, das sog. Friedhofslager auf dem Friedhof der Jerusalems- und Neue Kirchengemeinde an der Ecke Netzestr. / Grüner Weg, 1942 wurde das Barackenlager errichtet, ein Lager im Verborgenen- man scheute die Öffentlichkeit. 1943-1945 betrieb die Ev. Kirche das dortige Lager, in dem über 100 „Ostarbeiter“ aus der besetzten Sowjetunion in qualvoller Enge leben und arbeiten mussten. Es war das einzige Lager in ganz Deutschland, das von der Kirche geplant, finanziert und betrieben wurde. Es bestand aus einer Wohn- und einer Wirtschaftsbaracke mit Küche, es war vom übrigen Friedhofsgelände durch einen Zaun getrennt und hatte es nur einen Ausgang am Grünen Weg.
Das Lager wurde im August 1942 als „kriegswichtig” anerkannt. Die Insassen mussten Arbeitskräfte auf Friedhöfen ersetzen und für eine rasche Bestattung auch der vielen Bombenopfer sorgen. Einige der Zwangsarbeiter arbeiteten vermutlich auch in Pfarrhaushalten.
Am 24. April 1945 wurde das Friedhofslager von Soldaten der Roten Armee befreit.
Im Jahre 2010 wurde der Pavillon einer kleinen Gedenkstätte für die dortigen Zwangsarbeiter eingeweiht, auf dem Thomasfriedhof, dem historischen Ort der Zwangsarbeiterbaracken gegenüber.
Abb.: Gedenkstein an das kirchliche Zwangsarbeiterlager auf dem Friedhof in der Hermannstraße 180 (Photo: Christian Meyer, Juli 2018)
. Ganghoferstraße
Raphael Silberstein gab die Anregung für den Bau des Stadtbades in der Ganghoferstraße. Für viele Einwohner Neuköllns war das Bad die einzige Möglichkeit sich gründlich zu waschen oder zu duschen. Der gesamte Komplex einschließlich des Atriums entstand nach den Plänen von Reinhold Kiehl, die sehenswerten Mosaiken im Stadtbad stellte die Neuköllner Mosaik-Fabrik her (vgl. Chronologie 1890, 1904, 1969. 1972)
Abb. Römische Bäder (aus Tagesspiegel, 25. Dezember 1990)
. Karl-Marx-Straße
Bis heute wird der Name der ca. 3 km langen Straße vom Hermannplatz zum U-Bahnhof Grenzallee offiziell erklärt mit: „Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus“. Die Straße ist – der Verkaufsfläche nach – die drittgrößte Einkaufsstraße Berlins.
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Rixdorf, Rathaus, Postamt, Joseph-Kaufhaus um 1910
Das ehem. Postamt wurde ebenfalls von Reinhold Kiehl entworfen.
Ehem. Joseph- bzw. Hertie-Kaufhaus
Im Jahre 1900 wurde in der Berliner Str. 54/55 das „Mode-Waaren-Haus, en gros – en detail Hermann Joseph & Co. AG" gegründet. Die Firma expandierte rasch, das Haus wurde zum größten Kaufhaus Neuköllns (bis zum Bau von Karstadt am Hermannplatz). Im Jahre 1909 nahm das Kaufhaus im langgestreckten Gebäude mit einer reich gegliederten Jugendstil-Fassade den gesamten Bereich zwischen Neckar- und Jägerstr. (heute: Rollbergstraße, vgl. Karte 1903) ein. Auch das Warenangebot wurde erweitert, Haushaltsartikel, Schuhe, Lebensmittel, auch ein
.
Werbung für das Kaufhaus Joseph, nach 1912 (Abb. aus Kolland, S. 293, a.a.O.)
Café und ein Erfrischungsraum wurden eingerichtet. Hinter dem mittleren Haupteingang befand sich ein eleganter großen Innenhof mit einem breiten, zentralen Treppenhaus unter einer Glaskuppel. Noch in den 50er Jahren sprachen alte Neuköllner*innen mit Hochachtung davon, zu „Joseph“ zu gehen. Im Krieg wurde das Warenhaus stark zerstört und „modernisiert“, „schnörkellos“ 7 , aber mit überglasten Innenhof wieder aufgebaut, als eine Filiale der Kaufhauskette Hertie 8. Die Hertie GmbH betrieb in ihrer Blütezeit ca. 115 Warenhäuser unter den Namen Hertie, Wertheim, Alsterhaus und KaDeWe sowie rund 35 der Niedrigpreis-Warenhäuser „Bilka“ (Billigkaufhaus). Mit der Kaufhauskrise seit den 70er Jahren wurde auch das Haus in der (nunmehr) Karl-Marx-Straße 92–98 umgebaut, hatte anschließend zwar mehr Verkaufsfläche, wurde aber architektonisch völlig gesichtslos, beliebig.
7 Schon in den 20er Jahren begann nicht nur in Berlin unter dem Einfluss der „modernen Bauens“ die Tendenz, zumindest historisierende Fassaden zu „entschlacken“: Was der Krieg nicht schaffte, schafften die Stadtplaner und die Architekten.
8 Namensgeber der 1882 gegründeten Kaufhauskette Hertie, war der Jüdisch-deutsche Kaufmann, Hermann Tietz (1837-1907). Hermann Tietz wurde in einem Ehrengrab der Stadt Berlin auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee im Feld O2 beigesetzt.
9
1936 wurde das große Warenhaus Hermann Joseph & Co. "arisiert" und in „Kaufhaus Friedland“ umbenannt.
Anzeige der „arisierten“ Max Friedland GmbH im Neuköllner Tageblatt vom 30. 12. 1936
(Abb. aus Kolland,
S. 321, a.a.O.)
1994 wurde das
kriselnde Haus von
dem Konkurrenten
Karstadt übernommen,
als
„Schnäppchencenter“
wiedereröffnet, im
Februar 2006 nach
einem Komplettumbau
mit neuen Mietern
2010 (C&A, H&M,
DM) neu eröffnet.
Abb.: Hertie-
Gebäude,
Postkarte in den
50er Jahren
Anzeige von Hertie um 1960 (Abb. aus Kolland, S. 312,
a.a.O.)
Ehemalige Neuköllner Synagoge
Das religiöse und kulturelle Zentrum von mehr als 2.000 Rixdorfer Jüdinnen und
Juden befand sich in der Isarstraße 8, im Hinterhof. Georg Kantorowsky (1863
– 1972, in San Francisco), der von 1917 bis 1938 liberaler Rabbiner der
Neuköllner Synagoge war, schaffte das im Gottesdienst traditionell
obligatorische Gebet für den Landesherrn ab. Nach Aussagen eines Zeugen formulierte er im Herbst 1933 zu
den hohen Feiertagen: „Na, für den Landesherrn wollen wir das Gebet auslassen… Daran erinnere ich mich, daß
er den Mut gehabt hat, das Gebet zu streichen“ (zit. n. Kolland. S. 266, a.a.O.). Seit 1933 begannen sich die
Reihen in der zuvor gut besuchten Synagoge zu lichten. Viele Gemeindemitglieder emigrierten.
Die Familie Kantorowsky wohnte – nur einen kurzen Fußweg entfernt – in der Sonnenallee 68: Hier erinnert
seit 2014 ein Stolperstein an Hans Erich Kantorowsky (1913-1943, in Auschwitz), den Sohn des Rabbiners.
Er besuchte die nahegelegene Karl-Marx-Schule (heute: Ernst-Abbe-Schule 9). Er hatte sich schon früh einer
kommunistischen Widerstandsgruppe angeschlossen hatte, 1933 nach Prag geflohen war
9 Eine Gruppe von Schüler*innen (mit Migrationshintergrund) der Ernst-Abbe-Schule recherchierte unter
Anleitung eines Lehrers und engagierte sich für die Installation eines Stolpersteines für Hans Erich
Kantorowsky vor der Sonnenallee 68.
10
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 wurden im ganzen Reich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte wurden verwüstet oder geplündert, viele Juden wurden misshandelt, verhaftet oder verschleppt. Wegen der vielen zu Bruch gegangen Fensterscheiben und der vielen Feuer wurde dieses Pogrom als euphemistisch als „Reichskristallnacht“ bezeichnet. Auch die Synagoge in der Isarstraße wurde der Nacht der Novemberpogrome 1938 demoliert und verwüstet. . Kantorowsky wurde am 11. November in seiner Wohnung in der Geygerstraße verhaftet und ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Dort wurde er gefoltert, erlitt Erfrierungen an Arm und Bein, wurde als körperlich gebrochener Mann nach zwei Monaten entlassen (vgl. Kolland, S. 273, a.a.O.). Die restliche Gemeinde traf sich seitdem in der erhalten gebliebenen Jugend-Synagoge am heutigen Fraenkelufer in Kreuzberg. Wer nun nicht emigrierte; dem fehlten entweder die finanziellen Mittel oder die Beziehungen. Manche Juden – auch in Neukölln, blieben auch, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass es noch schlimmer kommen könne. So Georg Kantorowsky, entgegnete bei entsprechenden Fragen immer: „Was soll ich in Amerika, was soll ich in Shanghai?“ Erst nach der Deportation seines Sohnes Hans Erich emigrierte er am 22. Oktober 1940 mit seiner Frau Frieda und Tochter Eva von Berlin über Moskau und die Transsibirische Eisenbahn in Richtung Shanghai und später in die USA. Neben 5 Koffern und zwei Bücherkisten durften sie 10,- Mark Bargeld pro Person mit sich führen (vgl. Kolland, S. 277, a.a.O.). Die Reste der Synagoge wurden in der Nachkriegszeit von den „Zeugen Jehovas“ gekauft und umgebaut. Von der alten Synagoge sind auf dem Hof nur ein paar Stützmauern und eine Außentreppe (Abb. oben) erhalten, die zu Zeiten der Synagoge zur Frauenempore führte. Das Haus ist in der Regel verschlossen, aber man kann durch die Glasscheiben die Treppe erkennen. Seit 1988 erinnert eine Gedenktafel, die an der Hausfront angebracht ist, an die Synagoge und den Rabbiner.
Vielfaltsbodenskulptur
Auf dem "Alfred-Scholz-Platz" 10 (ehem. Platz der Stadt Hof) gibt es heute eine Skulptur besonderer Art zu sehen. Im August 2012 wurde ein einen Wettbewerb um die Neugestaltung des Platzes an der Ecke Karl-Marx-Straße/Ganghoferstraße/Richardstraße durchgeführt. Gewonnen wurde der Wettbewerb u.a von der in Berlin lebenden Künstlerin Nadia Kaabi-Linke (* 1978, in Tunis) und Landschaftsarchitekten mit der Idee, die Herkunft der Bewohner von Neukölln aus 160 Ländern im Pflaster des Platzes abzubilden. So entstand 2016 die Bodenskulptur „Mein Stein“, bei der der Anteil der unterschiedlichen Steine jeweils dem Anteil der Bevölkerungsgruppe entspricht. Insgesamt ließ das Bezirksamt auf dem Platz dazu ca. 150 000 Pflastersteine verlegen, für jeden Nord-Neuköllner einen Stein. U.a. sollen die 67 % „deutschstämmiger“ Neuköllner durch einen „deutschen“ Quirrenbacher Grauwacke-Stein (einen aschgrauen Pflasterstein) symbolisiert werden. Für die 13,6 % der Bewohner aus dem Nahen und Mittleren Osten kam Basalt aus der Izmir/Türkei, für die ca. 9% osteuropäischen Neuköllner steht Strzeliner Granit (vgl. Odoj, S. 31, a.a.O.), „Striegauer“, aus Strzelin/Strehlen im polnischen Niederschlesien.
Bodenskulptur (Photo: Christian Meyer, April 2018)
10 Alfred Scholz (1876-1944) war ein deutscher Politiker, zunächst erster sozialdemokratischer Bürgermeister von Neukölln, ab 1920 Bezirksbürgermeister des Bezirks Neukölln. Er wurde 1933 entlassen, da er sich geweigert hatte, auf dem Rathaus die Hakenkreuzfahne zu hissen.
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Passage, Karl-Marx-Straße 131/133 und Richardstraße 12/13
1908 – 1910 wurden die vorhandenen Gebäude des Areals abgerissen und nach Vorstellungen des Stadtbaurates Reinhold Kiehl der Neubau der Passage, eine seltene Offene Passage, realisiert. Die Passage hatte nun den Grundriss eines schiefen H mit zwei Querbalken. Die Längsbalken verlaufen zwischen der Karl-Marx-Straße und der Richardstraße. Der Gebäudekomplex besteht aus zwei giebelständigen Vorderhäusern zur heutigen Karl-Marx-Straße hin. Sie waren durch ein zweigeschossiges Torhaus verbunden, in Höhe ihres 1. und 2. Obergeschosses. Wer von der Karl-Marx-Straße her die Passage betritt, muss darunter durch. Die Seitenflügel sind bis zur Richardstraße durchgebaut und mit einem fünfgeschossigen Brückenhaus verbunden. Die zwei unterschiedlich großen Höfe sind zur Karl-Marx-Straße und zur Richardstraße offen und mit einem Durchgang verbunden.
In der Passage wurden Restaurants, Kinos, Ballsäle, Varietés. aber auch Wohnungen untergebracht. Anfang der 30er Jahre gab es hier eine Ehe- und Sexualberatungsstelle. Der Armenarzt Karl Kollwitz (1863-1014) arbeitete in der Passage als Stadtarzt. Seine Frau, Käthe Kollwitz, gab zuweilen zum Zeichnen hierher. 1933 wurde die Sozialeinrichtung in eine „Beratungsstelle für Erb- und Rassepflege" umgewandelt. Frauen wurden jetzt nicht mehr vor einer unerwünschten Schwangerschaft geschützt, eugenisch und „rassebiologisch“ getestet, ggf. zur Kinderzeugung animiert. 1985 wurde die Passage unter Denkmalschutz gestellt. Der Kinosaal hat eine prächtige stuckverzierte Jugendstildecke mit Originalanstrich, der auch bei der Sanierung und Schallisolierung erhalten blieb. Von 1987 bis 1989 wurden der ehemalige Ballsaal und andere Räume für die Spielstädte der Neuköllner Oper, zu einem Theatersaal umgebaut. Gegründet und jahrelang geleitet wurde die Neuköllner Oper durch den Komponisten und Kirchenmusiker Winfried Radeke (*1940). Uraufgeführt wurde hier z.B. die Oper „Die Vögel“ (nach Aristophanes, Text und Musik Winfried Radeke).
Unterdessen entwickelte sich die Neuköllner Oper durch z.B. Werke wie „Das Wunder von Neukölln“ oder „Elternabend“ zu einem auch international bekannten „Trendsetter“ für das neue deutsche Musical.
Heute ist die Passage und ihre Umgebung ein kulturelles Zentrum Neukölln, denn es befindet sich dort die Neuköllner Oper, das Passage-Filmkunstkino und nahebei im historischen Saalbau der „Heimathafen Neukölln“.
. Richardstraße
Hier kommt man in das eigentliche alte Rixdorf:
Richardstraße 99 (zwischen dem Herrnhuter Weg und der Passage): Puppenklinik von Brigitta Polina; Reparaturen von Puppen und Teddybären, Restaurierungen, An- und Verkauf, Herstellung von Puppenkleidung nach historischen Vorbildern.
Richardstr. 104: Hier befindet sich die Galerie Olga Benario, ein Veranstaltungsort auch zu feministischen und politischen Themen (Infos: 680 59 387 oder 626 16 51 E-Mail: forum@galerie-olga-benario.de, Internet: www.Galerie-Olga-Benario.de).
Haus Richardstraße 110: Hier befindet sich der Alevitische Kulturverein „Oniki Imam Yolu“ (trk. „Weg der 12 Imame“; Telefon: +49 30 36463881; e-mail: info@oniki-imam-yolu.com)
Abb. einfügen: Schild der Alevitischen Grabstätte in der Hermannstraße 180 (Photo: Christian Meyer, Juli 2018)
Umspannwerk – Richardstraße 20 „Kathedrale der Elektrizität“
Nach der Zusammenlegung zu Groß-Berlin im Jahre 1920 wurde zur Sicherung der anwachsenden Stromversorgung eine ganze Reihe von Elektrizitätswerken benötigt. Um Verluste zu minimieren, wurde von den am Stadtrand liegenden Kraftwerken der Strom mit 30 kV geliefert und wurde in den Umspannwerken auf 6kV „abgespannt“. Seit ca. 2000 werden die Abspannwerke nicht mehr benötigt.
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Das Umspann- (oder E-Werk) in der Richardstraße wurde 1926-29 von dem Architekten Hans-Heinrich Müller (1879-1951) errichtet. Ab 1924 war Müller Leiter der Bauabteilung der Berliner Elektrizitätswerk-Aktiengesellschaft (BEWAG) und gestaltete als solcher eine Reihe von Umspannwerke u. ä. in ganz Berlin, einen wichtigen Beitrag zur deutschen Industriearchitektur der Zwischenkriegszeit. Fassadendetail des Umspannwerkes (Photo: Christian Meyer, April 2018) Von Hans-Heinrich Müller stammen zudem das Auguste-Viktoria-Lyzeum Steglitz, das heutige Fichtenberg-Gymnasium und das Steuerverwaltungsgebäude Steglitz, mit einer Dienstwohnung Müllers, heute die Rothenburg-Grundschule (in der Rothenburgstraße. errichtet 1911/12), das Elektrizitätswerk Steglitz (in der Birkbuschstraße, am Teltowkanal, errichtet 1909–1910), die Gemeinde-Doppelschule in Berlin-Steglitz (Gritznerstraße 21/23 ; heute: Dunant-Grundschule, errichtet 1911–1912), der Wasserturm Steglitz (Bergstraße, auf dem Friedhof Steglitz, errichtet 1914–1919), das Umspannwerk in Berlin-Kreuzberg (Kottbusser Ufer/Paul-Lincke-Ufer, errichtet 1924–1926), das Umspannwerk ‚Humboldt‘ in Berlin-Prenzlauer Berg (Kopenhagener Straße 61, errichtet 1924–1926), das Umformwerk ‚Koppenplatz‘ an der Berliner Auguststraße 56/57 (errichtet 1926), das Umspannwerk ‚Leibniz‘ in Berlin-Charlottenburg (Leibnizstraße, errichtet 1927–1929), das Umspannwerk Köpenick in Berlin-Köpenick (Lindenstraße 33, errichtet 1928–1929) und das Umspannwerk ‚Oberspree‘ in Berlin-Oberschöneweide, (Wilhelminenhofstraße, errichtet 1933). Müllers Bauten sind charakterisiert durch eine originelle Mischung aus expressiver Moderne und norddeutscher Backsteingotik – er bewunderte Schinkel und die Marienburg. Sachliche Lochfassaden treffen auf Spitzbögen, Tordurchfahrten und Türme. Architekturhistoriker sehen deutliche Einflüsse seines Werks auf zeitgenössische Rationalismus-Architekten wie Hans Kollhoff oder Petra und Paul Kahlfeldt.
Böhmisches Dorf 11
Das Böhmische Dorf ist nicht nur ein teilweise erhaltenes Beispiel für die preußische Einwanderungspolitik des 18. Jhdts. („Peuplierungspolitik“), sondern auch ein idyllisch anmutendes dörfliches Kleinod im urbanen Nordneukölln.
Richardstraße 97: Kirchsaal der Ev. Reformierten Bethlehemsgemeinde 12 (der ehemaligen Böhmischen ev.-ref. Gemeinde). Es handelt sich um einen eingeschossigen Bau mit hohem Dach in Form einer Spitztonne.
An der Richardstraße 78 – 95 liegen ehemaligen Kolonistenhäuser des Böhmischen Dorfes.
Als Traufenstellung wird die Lage eines Hauses zur Straße bezeichnet, bei der der Dachfirst parallel zur Straßenachse verläuft, die Dachtraufe (d.h. die Unterkante einer Dachschräge, von der das Regenwasser trieft) ebenfalls zur Straße weist. Umgekehrt ist bei der Giebelstellung das Haus um 90° gedreht, die Giebelfront ist
11 Ein ältere, weit verbreitete deutsche Redensart lautet: „Das ist mir ein böhmisches Dorf“, oder auch: „Das sind böhmische Dörfer für mich“. Inhaltlich wird damit ausgesagt: „Das ist mir gänzlich unbekannt“, oder: „Das verstehe ich gar nicht.“ Die Redensart entstammt vermutlich ursprünglich der Habsburgermonarchie, zu der Jahrhunderte lang auch das Königreich Böhmen gehörte. In den Randgebieten Böhmens (und in der Stadt Prag) wurde bis 1945 vielfach Deutsch gesprochen. Für deutschsprachige Durchreisende, z.B. nach Prag, waren vielfach sowohl die Ortsnamen als auch die tschechischsprachigen Bewohner unverständlich. Die Redensart war und ist noch im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet.
12 Auch die Rixdorfer Dorfkirche heißt heute Bethlehemskirche. Diese Betonung des traditionellen Geburtsortes Jesu hat zur Ursache, dass Johann (Jan) Hus (1370-1415) in Prag gerne und oft in der dortigen Bethlehemskapelle (heute ein Festsaal der Universität und Konzertsaal) predigte. Die Predigtkirche war ein zentraler Ort der tschechischen Reformation.
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die Schauseite zur Straße hin. Die Traufen von Nachbarhäusern sind dann einander zugewandt. Die ursprünglichen Kolonistenhäuser unter Friedrich Wilhelm I. waren giebelständige Doppelhäuser. Comenius-Garten (Richardstr. 35): Eine „grüne Oase“, mit Comenius-Denkmal, Kräuter-, Flanier- und Wildwiesengarten.
Die tschechische 200-Kronen-Banknote seit dem Jahre 1992 zeigt ein Porträt den Jan Amos Komenský – Comenius
Auf der Rückseite der Banknote findet man neben dem Staatswappen ein Motiv aus dem Buch „Orbis pictus: Die Berührung der Hand eines Kindes und eines Erwachsenen. Richardstraße 36: Der Gebäudekomplex besteht einem zweigeschossigen Vorderhaus (vgl. Abb. oben) und einem eingeschossigen Seitenflügel. Von dem ursprünglichen Rixdorfer Bauernhaus (vor der böhmischen Ansiedlung) aus dem Zeitraum um 1670 – 1700 sind der Seitenflügel mit steilem Satteldach (der häufigsten Dachform in kalten und gemäßigten Zonen) und schwarzer Küche (oder Rauchküche, Rußkuchl, Schwarzküche oder Rauchstube) sowie das ursprüngliche Hofpflaster erhalten geblieben. Das ursprüngliche Vorderhaus wurde 1820 bei einem Brand zerstört, der heute Bau wurde 1830 errichtet. Der ganze Komplex ist eines der wenigen Bauten, die den großen Brand von 1849 überlebt haben und bis heute erhalten blieben. Ende des 20. Jhdts. wurde der Komplex saniert, instandgesetzt und unter Denkmalschutz bestellt. Der hier erhaltenen Rauchküche wird deshalb ein hoher dokumentarischer Wert zugesprochen.
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Schwarze Küche (Abb. aus: https: //de.wikipedia.org/wiki/Rauchk%C3%BCche) Schwarze Küchen waren in Brandenburg von ca. dem 16. bis zum 19. Jhdt. in Betrieb. Charakteristisch für sie war, dass in ihr auf offenem Feuer in der Regel mit Holz in einem darüber hängenden Topf gekocht oder am Spieß/überm Rost gebraten wurde. Wegen des Brandschutzes bestand der Küchenboden aus Lehm, Steinplatten oder Kacheln. Über der Feuerstelle wurde ein gemauerter oder ein mit Lehm feuerfest gemachtes Holzgerüst (Gewölme) als „Funkenhut“ errichtet, in den der Rauch aufstieg. Von dem Funkenhut fielen die Funken ins Feuer zurück. Der nun funkenfreie Rauch sammelte sich unter der kaminlosen Raumdecke, „hing“ dort und schwärzte durch den Rauch, Ruß und Teer Küchendecke und Teile der Wände. Da die Decke und das Dach oft nicht sehr dicht waren, zog der Rauch so langsam ab. Häuser dieser Art werden auch Rauchhäuser genannt. Über dem Herd wurden dort aufbewahrte Lebensmittel geräuchert. Im Rauchhaus lag die Stube, der Aufenthaltsraum neben der Küche, hatte einen Kachelofen, der von der Küche aus mit geheizt wurde. So war die Stube nicht dem Rauch ausgesetzt. Der nur langsam abziehende Rauch war für die Gesundheit der dort v.a. arbeitenden Frauen katastrophal 13. Umgekehrt bewirkte der Raum eine Vertreibung von Ungeziefer und imprägnierte das Holz. Ein Nachteil der offenen Feuerstellen war zudem die Energieverschwendung: Ein Großteil der erzeugten Wärme ging verloren und der Holzverbrauch war dementsprechend hoch. Erst ab der Mitte des 18. Jhdts, setzte sich auch in Brandenburg hölzerne und gemauerte Kamine durch. Gemauerte Mantelschornsteine lagen oft in der Mitte des Hauses. Aber Im bäuerlichen Bereich wurden Rauchküchen vielfach erst gegen Ende des 19. Jhdts. abgeschafft, z.T. wegen der Feuerschutzbestimmungen. Die seit dem späten 18. Jahrhundert langsam aufkommenden Sparherde stellten eine Art Küchenrevolution dar. Sie hatten einen vollständig geschlossenen Feuerraume mit Rost oder mit verschiedenen Ofenringen und Aschenfall. Der gemauerte oder metallene Sparherd konnte außer mit Holz auch mit Kohle beheizt werden. Die wichtigste Neuerung war aber eine Klappe, um den Ofen zu schließen. So ging weniger Wärme verloren, es wurde Brennstoff gespart, eine höhere Effektivität erreicht. Auch in der „hohen“ Literatur wird die Schwarze Küche erwähnt, im „Faust", in der Szene vor dem Tor berichtet Faust von seinem alchemistischen Vater: „... Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann, der über die Natur und ihre heil'gen Kreise in Redlichkeit, jedoch auf seine Weise, mit grillenhafter Mühe sann; der, in Gesellschaft von Adepten, sich in die schwarze Küche schloß, und, nach unendlichen Rezepten, das Widrige zusammengoß. Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier, Im lauen Bad der Lilie vermählt, und beide dann mit offnem Flammenfeuer aus einem Brautgemach ins andere gequält. ...“ (vgl. Goethe, S. 159/60, a.a.O.). 13 Menschen, die Tag für Tag den Rauch von Kerosin- und Holzfeuern einatmen, bekommen besonders häufig Schlaganfälle, den zur Erblindung führenden Grauen Star, Lungenkrebs und Krebs der oberen Atemwege. Die WHO schätzt, dass heute häusliche Abgase weltweit jährlich 3,5 Mio. Menschen töten. Betroffen sind v.a. arme Frauen und deren Kinder. Mehr Kinder sterben an durch Rauch verursachter Lungenentzündung als an Malaria, Durchfallerkrankungen und Masern zusammen.
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Richardstraße 37 Ursprünglich befand sich hier das Wohnhaus des Tagelöhners Daniel Gutschwager aus dem Jahre 1795. Es wurde zusammen mit dem Nachbargebäude Richardstraße 36 als ein eingeschossiges Doppelhaus errichtet. Das Haus wurde nach dem großen Brand von 1849 wiederaufgebaut in seiner ursprünglichen Form. Die Nachbarhäuser sind Mietshäuser aus dem 19. Jhdt. . Kirchgasse:
Statue des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen (1688-1740) in der Kirchgasse.
Das Denkmal wurde von dem neobarocken Berliner Bildhauer Alfred Reichel (1856-1928) geschaffen, einem Schüler von Reinhold Begas (1831-1911). Auch das Schillerdenkmal auf den Gendarmenmarkt stammt von Reichel. Gestiftet wurde die – von der Gestalt her wahrscheinlich euphemistische Figur – im Jahre 1912 zum 175. Jahrestag der Ansiedlung von den „dankbaren Nachkommen der hier aufgenommenen Böhmen“, wie auf der Rückseite zu lesen ist.
Zu dem Denkmal bemerkte Egon Erwin Kisch: „Breitspurig, in brauner Bronze, steht Friedrich Wilhelm I., der Begründer der preußischen Militarismus, auf dem Postament“ (vgl. Kisch, a.a.O.).
Die „Peuplierung“ des entvölkerten Landes war dem König ernst, wie es einige seiner Randbemerkungen zu Akten belegen: „Wenn man auch nur zehn Familien gewinnen kann, gut, wenn man tausend und mehr Familien bekommen kann, noch besser“. Oder: „Und wenn noch 30 000 kommen, ich habe Platz genug. Die Ausgaben, unter uns gesagt, sind nicht so groß, aber ich peupliere mein wüstes Land“. Ein Motto des Königs lautete: „Je mehr Menschen, je lieber“.
Auf der linken Seite der Kirchgasse sind die ehemaligen Scheunen der Kolonisten zu sehen.
In der Kirchgasse 14 befindet sich der Betsaal der Brüdergemeine, die heute noch einige 100 Mitglieder in Berlin hat.
Berühmt ist der seit 1731 in Herrnhut durchgeführte Ostergang der Brüdergemeine. Man trifft sich am Ostersonntag bei Sonnenaufgang vor dem Betsaal und zieht mit Posaunenmusik des Bläserchores zum „Gottesacker“. Dort findet eine Feier zum Gedenken an die Verstorbenen des letzten Jahres statt, dann geht es zurück zum Betsaal (vgl. Bloch, S. 50, a.a.O.)..
Früher heirateten die Mitglieder der Brüdergemeine nur untereinander, sonst wurden sie aus der Gemeine ausgeschlossen.
Das Museum im Böhmischen Dorf (vgl. Chronologie Notgeldschein, 2008)
Kirchgasse 6: Bauherr des ehemaligen Büdnerhauses war der Siedler Krystek; das eingeschossige giebelständige Wohnhaus entstand um 1750, es ist das einzige erhaltene Büdnerhaus aus dieser Zeit. Zwar wurde es bei einem Kosakenüberfall 1760 und bei dem großen Brand 1849 stark beschädigt, es wurde aber jeweils in Lage und Grundriss unverändert wieder errichtet.
. Richardplatz
Der Richardplatz war die einstige Dorfaue von Deutsch-Rixdorf. Auf dem Platz finden alljährlich am 2. Adventswochenende der Rixdorfer Weihnachtsmarktstatt, mit u.a. vielen Herrnhuter Weihnachtssternen.
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Am Richardplatz 28 befindet sich die „Alte Schmiede“.
Die ältesten Teile der Dorfschmiede sind von 1797; alte am Ostende des Platzes liegt die aus dem 15. Jhdt. stammende, mehrfach umgebaute ehemalige Dorfkirche. Sie trägt seit 1912 den Namen Bethlehemskirche.
Seit 1884 ist sie im Besitz der böhmisch-lutherischen Bethlehemgemeinde.
Ebenfalls am Platz liegt das Fuhrunternehmen Gustav Schön, das seit 1894 (in der 5. Generation im Familienbesitz) z.B. Kutschen und Kremser verleiht.
. Böhmischer Gottesacker (Kirchhofstraße)
Auf dem Böhmischen Gottesacker in der Kirchhofstraße wurden und werden Angehörige der drei böhmischen Gemeinden beerdigt.
An der Kirchhofsmauer haben die ältesten Grabsteine tschechische Inschriften, dann folgen zweisprachige Texte, schließlich ausschließlich deutsche Inschriften.
Auf dem Teil des Friedhofs, auf dem die Mitglieder der Brüder-Gemeine beerdigt wurden, fallen die einheitlichen liegenden Grabplatten auf, wie im Betsaal nach „Schwestern“ und Brüdern getrennt. Der Name „Gottesacker“ wurde bereits aus Herrnhut übernommen. Abb.: In die Mauer eingelassene alte Grabsteine auf dem „Gottesacker“ Eine Gedenktafel auf dem Gottesacker erinnert an Johann Liberda, der bei der böhmischen Immigration nach Preußen eine wichtige Rolle spielte. Es war der böhmische Seelsorger Johann Liberda (1700-1742), der am 31. August 1732 anlässlich einer Audienz bei König Friedrich Wilhelm I. die Ansiedlung von böhmischen Flüchtlinge in Berlin erreichte. Der König hatte bereits anderen aus Glaubensgründen Verfolgten Zuflucht und Glaubensfreiheit gewährt. Nun durften sich böhmische Glaubensflüchtlinge, über 1000 „Exulanten“ in Berlin sowie in Rixdorf ansiedeln. Selbstlos war das nicht, denn Preußen brauchte Arbeitskräfte, durch den 30jährigen Krieg war es partiell entvölkert. An die böhmischen Immigranten erinnert der Hussitenkelch im Wappen von Rixdorf/Neukölln.
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Abb. Dorfkirche – Bethlehemskirche am Richardplatz 22
. Körnerpark Eine der schönsten Parkanlagen Berlins ist m.E. der 2,4 ha große neobarocke Körnerpark zwischen Jonasstraße, Schierker Straße, Selkestraße und Wittmannsdorfer Straße (vgl. Karte 1908). Angelegt wurde der Park in einer ehemaligen Kiesgrube, die der Besitzer Franz Körner 1910 Rixdorf zum Geschenk machte, unter der Bedingung, dass der Park seinen Namen tragen müsse. Entworfen wurde der Körnerpark von dem Gartenmeister Hans Richard Kullenberg und zwischen 1912 und 1916 (in der Notzeit des 1. Weltkriegs) realisiert. Die „Stadtväter“ wollten durch den Park „dem … umgebenden (eher armen, C.M.) Stadtviertel ein
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besonders schmuckvolles Gepräge geben und zur Durchführung einer hervorragend schönen Umbauung und zur Schaffung einer besonders bevorzugten Wohngegend anspornen.“ Der Park liegt aufgrund der vorherigen Nutzung als Kiesgrube 5-7m tiefer als das umliegende Straßenniveau, ist deshalb auf drei Seiten von Stützmauern eingerahmt. Im westlichen Teil des Parks, an der Einfassungsmauer befindet sich – ähnlich wie in Versailles – die Orangerie, heute mit Cafe, einer Kunstgalerie und Blick auf eine schöne Wassertreppe. Der Körnerpark ist seit 2004 denkmalgeschützt.
Beim Straßenbau wurde 1912 am heutigen Körnerpark ein germanisches Reitergrab aus der Völkerwanderungszeit entdeckt.
2. Chronologie
Ca. 27 000 – 25 000 v. Chr.: In der Nähe des heutigen Neuköllner Rathauses leben u.a. Mammute, Wollhaarnashörner und Steppenwisente. Knochenreste dieser Tiere wurden 1872/74 bei Bauarbeiten in dem Gebiet aufgefunden. Sie werden dem eiszeitlichen „Rixdorfer Horizont“ 14 zugeordnet.
vor ca. 22.000 Jahren: Die letzte Eiszeit in der Region Berlin, die Weichsel-Kaltzeit hat ihren Höhepunkt. Im Jahresdurchschnitt dürften damals Temperaturen von -3°C geherrscht haben (heute liegt die jährliche Durchschnittstemperatur in Berlin bei etwa 9°C). .Diese Eiszeit endete vor ca. 12.000 Jahren. Die innerstädtischen Berge in Berlin sind die alten Uferkanten 15 des Tals, das die Gletscher nach ihrer Schmelze hinterlassen haben (so der Prenzlauer Berg, der Kreuzberg oder die Rollberge).
Abb. Oberschenkelknochen und Gelenkkugel eines eiszeitlichen Wollhaarmammuts; beide wurden um 1900 in Franz Körners Kiesgrube gefunden (Abb. aus: https://facettenneukoelln.wordpress.com/2016/10/31/sommerzeit-winterzeit)
um 500 v. Chr.: Im heutigem Berliner Stadtgebiet existieren mehrere eisenzeitliche (frühgermanische??)
14 Im „Rixdorfer Horizont“ wurden u.a. noch Knochen vom Wildpferd, Waldnashorn, Moschusochsen, Höhlenbär, Höhlenlöwen, Elch, Wolf, Esel, verschiedenen Hirscharten, auch Riesenhirsche, und Biber aufgefunden (vgl. Heinrich, S. 70 f., a.a.O.).
15 Geologen zählen 5 verschiedene Endmoränenzüge zwischen Ostsee und Erzgebirge (vgl. Meier, S. 5, a.a.O.).
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Siedlungen, so nahe dem heutigen Steglitzer Bäkepark, auf der Schlossinsel in Köpenick und in der Nähe des Richardplatzes in Neukölln.
5./6. Jhdt n. Chr.: Ein germanischer (semnonischer ??) Reiter der Völkerwanderungszeit, ein ca. 40jähriger, nach damaligen Maßstäben steinalter Mann wird nach seinem Tode, entsprechend der hunnischen Mode zusammen mit seinem Pferd begraben 16. Im Grab, in einer Gruft von 2,5 m Tiefe, wurden zudem Reste eines eisenbeschlagenen Ledergürtels, Bronzenägel und ein Tongefäß gefunden. Ein Langschwert (lat. spatha) lag quer über dem Körper des Toten. Das Grab wurde am 23. Januar 1912 nahe am heutigen Körnerpark entdeckt. Es fand zuerst im Rathause Aufstellung, später, bis heute, wegen seines hohen Wertes wurde es im Märkischen Museum sichergestellt.
13. Jhdt.: Der Templer-Orden errichtet im Teltow befestigte Stützpunkte und besitzt auch die Gemarkungen von Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde und (das erst später so bezeichnete) Rixdorf.
1312: Unter der vorgeschobenen Anschuldigung der Ketzerei wird der zu mächtige und sehr reiche Orden der Tempelherren von u.a. Papst Clemens V. (pont. 1305-1314) und dem Philipp IV, dem Schönen, König von Frankreich 1268 - 1314) aufgelöst und enteignet. Der Papst übereignet die Masse des Reichtums der Templer den Johannitern.
1318: Die Güter der Templer auf dem Teltow gelangen in die Verwaltung des Johanniter-Ordens. Dazu gehörte auch der »Hof« Richardsdorp. Das Johanniter-Kreuz im Neuköllner Wappen hat hier seinen Ursprung. Der Name „Richard“ könnte von einem der gründenden Tempelritter herrühren.
26. Juni 1360: In einer Urkunde der Johanniter wird erwähnt, dass sie den Hof Richardsdorp (mit 24 Hufen und ca. 50 Bewohnern) zum »Dorf« erhoben hatten. Der Tag, „am Freitag vor St. Stephan“, gilt als Gründungsdatum von Rixdorf. Das Dorf wurde der Pfarrei von Tempelhof zugeordnet. Die Bauern des Dorfes von 24 Hufen (1 H ≙ 10 Morgen Ackerland) wurden verpflichtet, je Hufe einen halben Scheffel Getreide abzuführen, zusätzlich einen Fleischzehnten, eine Pachtsumme und hand- und Spanndienste an drei Tagen wöchentlich auf den Tempelhofer Ordenshufen abzuleisten (vgl. Neuköllner Zeitung, November 1971, S. 12). Der Dorfschulze brauchte zeitweise keine Abgaben zu entrichten.
1375: Im Landbuch Kaiser Karls IV. (1316-1378, Kaiser ab 1355) ist aufgeführt, dass zwölf Bauern Richardsdorf bewirtschaften.
1435: Der Johanniter-Orden verkauft seine Teltower Besitzungen, auch Rixdorf an Berlin und Cölln.
Bau der Dorfkirche am Richardplatz (anfangs eine Filialkirche von Tempelhof), die mehrfach abbrennt, zerstört und umgebaut wird.
1457: Gründung der Unitas Fratrum (lat. „Brüder Unität“) in Kunwald, nahe der Grenze zum schlesischen Glatz. Die „Brüder“ vertraten eine hussitische Richtung, die sich am egalitären und pazifistischen Urchristentum mit freiwilliger Armut orientierte, die Feudalordnung, Militärdienst und Eide ablehnten. Geleitet wurde die Brüder Unität von vier gewählten Senioren. Schon die frühe Unität ist durch ihre hohe Wertschätzung der tschechischen Sprache gekennzeichnet. Ende des 16. Jhdts. wird die „Kralitzer Bibel“, eine Bibelübersetzung (AT & NT) ins Tschechische von Brüdern (und Schwestern??) vollendet, gedruckt und verbreitet.
Vor dem 30jährigen Krieg gab es in Böhmen und Mähren um die 150 Brüder-Gemeinden, die ca. 2-3% der Landesbevölkerung ausmachen.
August 1543: Richardsdorf (das spätere Rixdorf) geht in den Besitz der Stadt Cölln über; bereits zu dieser Zeit existiert an der Südseite des späteren Hermannplatzes ein Wirtshaus, an dem u.a. Kutschpferde auf dem langen Weg nach Sachsen gewechselt werden.
1592-1670: Der bedeutende Philosoph, Theologe, Lehrer und Pädagoge Jan Amos Komenský (Comenius) ist der letzte Senior der alten Brüder Gemeine, die im 30jährigen Krieg unterdrückt und verfolgt wird.
16 Zu dieser Zeit war die Sitte der Leichenverbrennung aufgegeben worden, man war wieder zur Körperbestattung übergegangen.
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Als Kind schon besucht er drei Jahre lang die Brüder-Lateinschule in Přerow (dt. Prerau in Mähren, südöstlich von Olomouc/Olmütz); nach Studien in Herborn und Heidelberg leitet Komenský ab 1614 die Schule.
Latein verwendete er als internationale Wissenschaftssprache, Deutsch nach außen, Deutschen gegenüber, meist aber benutzte es das Tschechische, in Predigten, vielen Texten und Liedern. Er selbst dichtete ca. 40 Lieder und übersetzte die Psalmen Davids ins Tschechische.
Komenský wird durch den Krieg nach 1622 vogelfrei, verbannt, zu einem heimatlosen Flüchtling, seine Schriften werden auf den Index verbotener Bücher gesetzt. Er reist immerfort tätig quer durchs (protestantische) Europa, war auch kurzzeitig in Berlin, sonst u.a. in Polen, Siebenbürgen, Schweden, Holland und England
Auch in der Zeit Komenskýs sind die „Schwestern“ und „Brüder“ der Unität dazu verpflichtet, selbst für den Lebensunterhalt zu arbeiten. Ilse Seehase charakterisiert die Unität dieser Zeit als „humanistisch“, eine „‘stille‘ Bewegung gegen den Feudalismus“ (Seehase in Komenský, S. 9, a.a.O.).
Komenský war kein konsequenter Pazifist, in seinem „Geheimen Gespräch Nathans mit David“ von 1654 lässt er auch das mit Gottes Kraft gegürtete Schwert zu, um Tyrannei und Bedrückung auszurotten. In dem an den Fürsten Sigismund Rakoczy von Siebenbürgen gerichteten „Gespräch“ skizziert er Vorstellungen von einer Weltreform (vgl. Komenský, S. 195 ff., a.a.O.).
Comenius stirbt 1670 in Amsterdam und wird in Naarden begraben.
Abb. Porträt Komenskýs von Jurien Owens (Abb. aus Komenský, S. 2, a.a.O.). 1618-48: Durch den 30jährigen Krieg wurde auch die Mark Brandenburg stark betroffen, viele Orte waren „Wüstungen“ geworden, die überlebende Bevölkerung weitgehend verarmt. Während des Krieges werden in Rixdorf 5 Bauerngüter und ein Teil der Kossätenhöfe 17 „wüst“ (Fidicin, 1957, S. 117, a.a.O.). Auch die Dorfkirche wird niedergebrannt. 1618 hatte das Dorf ca. 150 Einwohner, von denen 1648 noch 50 übriggeblieben waren (vgl. Neuköllner Zeitung, November 1971, S. 12).
Abb.: „Komm her, Knab, lerne Weisheit“ – Erste Bildtafel von Comenius „Orbis pictus“
Seit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. (reg. 1640-1688) wurde deshalb eine aktive Einwanderungspolitik („Peuplierung“) betrieben, Hugenotten, Salzburger, Waldenser wurden ins Land gerufen und angesiedelt. Vor allem waren es Glaubensflüchtlinge, überwiegend Protestanten, die durch die Rekatholisierung in ihrer Heimat ihren Glauben nicht mehr frei ausüben konnten.
17 Kossäten waren Dorfbewohner mit Haus- und geringem Landbesitz, aber ohne Anteil an der Hufenflur des Dorfes. Landwirtschaft könnten sie deshalb meist nur als Nebenerwerb betreiben. Sie ernährten sich durch handwerkliche Hilfsarbeiten. Dem Grundherren mussten sie Naturalabgaben und Hand- und Spanndienste leisten.
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1649: Einrichtung der ersten Postlinien in Brandenburg
Nach Schätzungen sollen nach dem 30jährigen Krieg im 17./18. Jhdt. bis zu 300 000 Menschen allein aus Mähren ausgewandert sein (vgl. Seehase, in Komenský, S. 13, a.a.O.).
1658: In Nürnberg erscheint erstmals das Werk Komenskýs „Orbis Sensualium pictus“ (lat. „Die sichtbare Welt“). Auf über 300 Seiten wird Gott, die Welt, Tiere und Pflanzen, die Menschen, Berufe, Künste und Wissenschaften beschrieben und mit ca. 150 Holzschnitten illustriert. Nur ca. 10% der Themen sind theologisch-moralisch, ca. 40 % gehören der Naturgeschichte an. Die Schrift „Orbis pictus“ wird als das erste bekannte illustrierte Kinderbuch betrachtet. 17. Jhdt: Anlage der heutigen Karl-Marx-Str., einer alten Heerstraße, die von Berlin über die Hasenheide am Fuß der Rollberge entlang des Südrands des sumpfigen Cöllnischen Wiesen nach Mittenwalde führte. Später wird der südöstliche Abschnitt Bergstraße, der westliche Abschnitt (vom Hermannplatz bis zur Ganghoferstraße) Berliner Straße genannt.
Ende des 17. Jhdts.: Der heutige Volkspark Hasenheide ist ein Jagdrevier von Kurfürst Friedrich Wilhelm (dem „Großen Kurfürsten“)
1700 – 1760: Der pietistische Theologe und Missionar Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf nimmt seit 1722 protestantisch-hussitische z.T. deutschsprachige Glaubensflüchtlinge aus Böhmen und Mähren auf seinen Gütern in der Lausitz, u.a. in Berthelsdorf auf. Herrnhut wird gegründet. „Herrnhut“ ist eine sprechender Name, „… bewusst wollten sie unter der Hut ihres himmlischen Herrn und Gottes leben“ (vgl. Theile, S. 4, a.a.O.). Unter Zinzendorfs Einfluss kommt es dort zu einer Art Erweckungsbewegung; es wird die Brüder Unität erneuert, mit ganz eigenen egalitären Lebensformen. Schon in Herrnhut wird ein Brüderchorhaus für unverheiratete Männer, ein Schwesternchorhaus für unverheiratete Frauen und ein Witwenchorhaus gegründet. Betont wurde jedoch die angesehene Stellung von Frauen, die auch verantwortungsvolle Positionen in den Gemeinden innehatten. Der schlicht in weiß gehaltene Betsaal war das Zentrum der Gemeinde.
Für die verschiedenen Alters- und Standesgruppen gab es Kleidungsvorschriften.
In den Schulen der Herrnhuter folgte man der Ablehnung der Prügelstrafe durch Zinzendorf.
Welche Formen des Herrnhuter Gemeindelebens direkt auf Zinzendorf zurückgehen, ist ungewiss. Sicher ist, es gab in Herrnhut keine Kirche, sondern einen Betsaal, wo aber nicht nur gebetet und gepredigt wurde, sondern auch gesungen, gegessen und getrunken, gespielt und diskutiert. Der Saal sei die „gute Stube der Gemeinde“ meinte Zinzendorf, das ganze Leben ein Gottesdienst.
Abb. „Zinzendorf mit der Lichtenburg in Herrnhaag“ (eine Gründung Zinzendorfs bei Büdingen in der hessischen Wetterau); Öl auf Leinwand von Johann Valentin Haidt (Abb. aus Theile, S. 4, a.a.O.)
Zinzendorf vertrat pionierhaft eine Art von christlicher Ökumene, er wollte die christlichen Konfessionen zusammen- führen, ohne sie aufzulösen, ihre dogmatischen Unterschiede einzuebnen. Der „gelebte Glaube“ solle – meinte er – Lehrunterschiede relativieren, bei gegenseitiger Anerkennung.
Neu war die ausgedehnte Missionstätigkeit der Herrnhuter; Missionare aus Herrnhut gingen u.a. nach Afrika, nach Grönland, in
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die Karibik und Lateinamerika. Zinzendorf selbst wurde 1736 wegen seiner religiösen Aktivitäten aus Kursachsen verbannt und bereiste als Missionar u.a. Amerika. 1700: Der Besitzer des Rixdorfer Schulzengutes, Johann Wolfgang Brewert, erhält die Braukonzession und ein Bierverlagsrecht.
1709: Die Schwesterstädte Berlin und Cölln werden vereinigt.
1710: Rixdorf ist (wie z.B. auch Stralau oder Reinickendorf) Kämmereidorf 18 von Berlin 1717: Einführung der Schulpflicht in Preußen. Erste Hälfte des 18. Jhdt.: König Friedrich Wilhelm I. befiehlt den Brandenburger Windmüller Joachim Friedrich Bading (1724–1803) nach Rixdorf, um für die protestantischen Flüchtlinge aus Böhmen Getreide zu mahlen. Später sind die Badings Müller, Schmiede und Landwirte, werden zu einer angesehenen Rixdorfer Familie. Durch den Bauboom der Gründerzeit werden die Grundbesitzer wohlhabend. Aus der verzweigten Familie gehen eine Reihe von Musikern, auch Mitglieder der Philharmoniker hervor. seit 1731: Die auf Zinzendorf zurückgehenden Herrnhuter „Losungen“, ein tägliches Bibelwort, das den Tag positiv beeinflussen soll, erscheinen seither jährlich in ununterbrochener Abfolge. Unterdessen erscheinen sie in millionenfacher Auflage in mehr als 50 Sprachen. 1732: Einwanderung der ersten 500 „Böhmen“ nach Berlin; sie flüchteten auch vor der Leibeigenschaft (vgl. Schildt, S. 62, a.a.O.).
um 1737:
Am späteren Hermannplatz entsteht das Wirtshaus Rollkrug, benannt nach den südlich beginnenden Rollbergen (einem eiszeitlichen Höhenzug). Der Platz erhält ab. ca. der Mitte des 18. Jhdts. die Bezeichnung Platz am Rollkrug.
1737: Rixdorf ist eine bäuerliche Gemeinde mit dem Schulzen, 10 Bauern- und 8 Kossätenfamilien. Zusammen waren es ca. 150 Einwohner.
König Friedrich Wilhelm I: (der „Soldatenkönig“) lässt das Rixdorfer Lehnsschulzengut ankaufen und an 18 böhmische Kolonistenfamilien verteilen. Die Böhmen wurden ihres protestantischen Glaubens wegen aus dem nordöstlichen Böhmen (v.a. aus den Dörfern Horni und Dolni Čermná (Ober- und Niedertschermna) bei Ústi nad Orlici/Wildenschwert) von den katholischen Habsburgerherrschern vertrieben. Böhmisch-Rixdorf wurde als Zeilendorf ohne Dorfanger geplant und errichtet. Neben religiösen Gründen spielten auch anwachsenden feudalen Arbeitsverpflichtungen bei der Auswanderung eine Rolle.
Der Preußische Staat stellte den 18 Familien jeweils eine Hälfte eines Doppelhauses zur Verfügung. Die Häuser des geplanten Zeilendorfes ohne Dorfanger waren ursprünglich alle gleichermaßen mit dem Giebel zur Straße ausgerichtet (vgl. Karte von Ricksdorf). Auf einer Fläche von jeweils ca. 600 m2 fanden noch ein Stall, eine Scheune und ein kleiner Garten Platz. In den Scheunen wurden z.T. sofort kleine Einliegerwohnungen eingerichtet. Am 15. Juni 1737 sollen ca. 340 in dem neuen Dorf gelebt haben (vgl. Bloch, S. 16, a.a.O.). Die Rückseiten der unterdessen umgebauten Scheunen weisen heute auf die Kirchgasse.
Zusätzlich stellte der preußische Staat den böhmischen Kolonisten eine landwirtschaftliche Grundausstattung zur Verfügung, zwei Pferde, zwei Kühe, einen Wagen einen Pflug, eine Hacke etc.
Außerdem wurden die Exulanten privilegiert, sie erhielten die Glaubensfreiheit 19, die Befreiung vom Militärdienst und eine Form von Selbstverwaltung: sie stellten einen eigenen Dorfschulzen (er hatte das Polizeiwesen und die niedere Gerichtsbarkeit inne), auch waren sie für einige Jahre von Abgaben und dem
18 Kämmereidörfer waren stadteigene Dörfer, die der Versorgung der Stadt sowie ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und Stärke dienten. Sie musste ihre Abgaben an die Stadtkasse, den Kämmerer leisten.
19 In der Folge gründeten sie drei protestantische Gemeinden, die bis heute existieren: die Evangelisch-Böhmisch-Lutherische Bethlehemsgemeinde, die Evangelisch-reformierte Bethlehemsgemeinde und die Evangelische Herrnhuter Brüdergemeine. Zeitweise befehdeten sich die Gemeinden untereinander heftig.
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Militärdienst befreit. Die böhmischen Kolonisten betreiben neben der Landwirtschaft die Herstellung von Leinen- und Baumwollstoffen.
Nachfahren der damaligen „Exulanten“ leben noch heute im Böhmischen Dorf oder der Neuköllner Umgebung, so Angehörige der Familien Motel, Jansa oder Maresch. Zum Gedächtnis der Exulantenfamilien wurden einige Straßen nach ihnen benannt, so die Maresch- oder die Jansastraße,
In der Folge bestand Rixdorf aus 2 Gemeinden, Deutsch- und Böhmisch-Rixdorf. Es gab zwei Schulen, die böhmische Kolonie errichtet rasch einen eigenen Betsaal.
In der Berliner Mauerstraße wird die Bethlehemskirche eingeweiht, in der noch „längere Zeit“ in tschechischer Sprache gepredigt“ wurde (vgl, Schildt, S. 63, a.a.O.). Der weitere Zuzug aus Böhmen hält noch jahrzehntelang an.
1744: Der böhmische Rademacher Georg Nemec (Niemetz) erhält ein Grundstück zum Hausbau. Nachfahren wohnten bereits um 1822 am Richardplatz. Daniel Benjamin Niemetz (1853-1910) war von 1886 bis 1899 Gemeindevorsteher in Rixdorf und von 1899 bis 1909 Stadtrat. Er leitete u.a. die Straßenreinigung, im Jahre 1909 war er Stadtältester. Er wurde in Neukölln auf dem evangelischen Magdalenen-Friedhof (Kirchhofstraße 35) beigesetzt. 1906 wurde die Niemetzstraße nach ihm und seiner Familie benannt.
Noch in den 50er Jahren des 20. Jhdts. lebte in der Karl-Marx-Straße eine Familie Niemetz, Nachfahren des damaligen Kolonisten.
Seit 1744 hat die Brüder-Gemeine in Rixdorf einen Bläserchor, der eine wichtige Funktion im Gemeindeleben hat. Seit 1789 hat die Brüder-Gemeine ein eigenes Gesangbuch, mit vielen Liedern von Zinzendorf (vgl. Bloch, S. 47, a.a.O.).
1750: Errichtung der ersten Gemeindeschule in Deutsch-Rixdorf, gegenüber der Dorfkirche am heutigen Richardplatz.
1753-54: Bau des Böhmischen Schulhauses (in der heutigen Kirchgasse 5), das zuerst als Betsaal und Schulhaus dient. In den ersten Jahrzehnten erfolgt der Unterricht zweisprachig Tschechisch und Deutsch. Bis 1829 hielt die Böhmische Reformierte Gemeinde regelmäßig Gottesdienste auf Tschechisch. Bis 1830 war Tschechisch noch Umgangssprache in Böhmisch-Rixdorf. 1925 starb der letzten Böhmisch-Rixdorfer, der kaum ein Wort Deutsch sprach. Im Jahre 1940 – mehr als 200 Jahre nach der Einwanderung - starben die letzten beiden Personen, die noch fließend Tschechisch sprachen (vgl, Motel, a.a.O.).
Schon Egon Erwin Kisch bemerkte 1926 die Germanisierung von „böhmischen“ Namen: In einem Gasthaus in Böhmisch-Rixdorf fand er in weißen Porzellanbuchstaben aufgeführt: „Inhaber Willibald Spazier“. Dieser war ein Enkel von einem Böhmen namens „Prochazka“ (tschech. prochazká ≙ Spaziergang; vgl. Kisch, a.a.O.).
Heute allerdings hört man in Rixdorf /Neukölln weit eher arabische oder türkische Worte, als tschechische.
Bis heute singen einige Böhmisch-Rixdorfer das alte tschechische Weihnachtslied „Čas radosti“ („Zeit der Freude“) zu Weihnachten auf Tschechisch.
1773: In der Stadt Berlin leben 147 388 Zivilisten, darunter 5340 Franzosen, 3951 Juden und 1179 „Böhmer“ (vgl. Schildt, S. 64, a.a.O.).
Bis Ende des 18. Jhdts.: Die wenig ergiebigen Böden der Rollberge werden von Rixdorfer Bauern landwirtschaftlich genutzt (vgl. Karten 1738 & 1827). Beim Bauboom während der Industrialisierung und dem Bevölkerungswachstum können die grundbesitzenden Bauern die Rollbergflächen an Bergbaubetriebe verkaufen. In großem Umfang werden nun Kies und Sand abgebaut, die Rollberge wurden so innerhalb von wenigen Jahrzehnten merklich abgetragen. Ein Überrest dieser Tätigkeit ist der Körnerpark, eine ehemalige Kiesgrube (s.o.).
20. Januar 1803: Mauereinlassung über der Haustür des Hauses Richardplatz 15; das Haus brannte an diesem Tag ab und wurde rasch wieder aufgebaut.
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Um 1810/11: Der nationalistisch-fremdenfeindliche „Turnvater Jahn“, Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852) legt in der Hasenheide den ersten öffentlichen Turnplatz an. „zur Wiedererstarkung der Volkskraft“ (zit. n. Börsch-Supan, S. 362, a.a.O.). Der „bekennenden Antisemitismus“ –avant la parole – Jahns bewirkt heute vielfältige Umbenennungsforderungen (vgl. Tagesspiegel, 20. Juni 2018, S. 4).
1817: Deutsch-Rixdorf hat 398, Böhmisch-Rixdorf 337 Einwohner; beide Dörfer wurden durch die Kriege 1757, 1760 und 1806 schwer geschädigt.
Abb. Auf einem Berliner Notgeldschein aus dem Jahre 1921; nach einer Radierung von J. F. Hennig. Der Betrachter blickt von den Rollbergen ca. in Richtung Südosten auf das Dorf. Der Feldweg im Vordergrund ist der Vorläufer der heutigen Karl-Marx-Straße. Fast alle Häuser waren Fachwerkbauten mit Schilfbedeckung. Auf der Ostseite der Straße, ganz am rechten Bildrand, sieht man einen Teil des Büdnerhauses des Rademachers Georg Nemec (Niemetz). Er hatte schon 1744 diesen Platz zum Hausbau erhalten. Im Jahre 1790 gehörte das Haus bereits seinen Enkeln. Das Haus mit den 2 Schornsteinen, links neben der Kirche, war das „Hohe Haus“, die Schule der Brüdergemeine. Heute befindet sich in dem Haus das Museum im Böhmischen Dorf. Wie Wilhelm Schmidt feststellte, muss das Original vor 1820 entstanden sein, vermutlich um 1790 (vgl. Schmidt, S. 1, a.a.O.).
1827: Die Rixdorfer Dorfstraße, die heutige Richardstraße, wird gepflastert.
Seit 1838: Die als Turn- und Schießplatz dienende Hasenheide wird nach den Plänen von Peter Joseph Lenné (1789 - 1866) als Landschaftspark umgestaltet.
1840: Deutsch-Rixdorf hat 2146, Böhmisch-Rixdorf 520 Einwohner.
1842: Nach Ernst Fidicin 20 (Berlin-Historiker und Stadtarchivar, 1802-1883) haben Deutsch- und Böhmisch-Rixdorf zusammen ca. 130 Feuerstellen und ungefähr 800 Einwohner (Fidicin, 1852, S. 187, a.a.O.).
20 Im Jahre 1890 wurde die Fidicinstraße im heutigen Bezirk Kreuzberg nach ihm benannt.
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1845: Eröffnung des neuen Schulhauses in Deutsch-Rixdorf, in der Mühlenstraße (heute: Karl-Marx-Platz). Das Gebäude wurde 1898 abgerissen, um dort Platz für ein Denkmal Kaiser Wilhelm I. zu schaffen.
1849: Ein Großbrand vernichtet fast das gesamte Böhmische Dorf und Teile Deutsch-Rixdorfs. Auch die Gemeindeschule fällt den Flammen zum Opfer. Der Brand entsteht durch ein Missgeschick: Ein Knecht wollte einen Storch auf dem Wohnhaus abschießen, traf aber das Strohdach, das rasch Feuer fing; nahezu alle Häuser in Rixdorf brennen ab, mehr als 500 Menschen werden obdachlos.
1852: Einrichtung des Alten Jacobi-Friedhofes am heutigen Hermannplatz; begraben sind dort u.a. der Karto- und Geograph Heinrich Kiepert (1819 - 1889; im Feld JCI . 61/62,. G3) und der impressionistische Maler Franz Skarbina (1849 – 1910, im Feld JCI-545). 1854: Vom Halleschen Tor in Berlin wird zum Rollkrug (am heutigen Hermannplatz) erst ein Pferdebus eingerichtet, später eine Pferdeeisenbahnlinie gebaut.
1865:
Baubeginn der „Bergschlossbrauerei Hasenheide“ (damals mit der Adresse „Hasenheide 108 -114“) durch den Fabrikanten Karl Gustav Eduard Kelch. (+ 1902) Nach 2jährigem Bau wird die Brauerei 1867 eingeweiht und in Betrieb genommen.
Gründung der Bergschloss-Brauerei in der heutigen Wissmannstraße (damalige Adresse: Hasenheide 108-116)
Geburt von Fritz Karsen (+ 1951 in Ekuador) in einer deutsch-jüdischen Familie in Breslau.
Ab 1866: Anlage des „Mohammedanischen“ Friedhofes am Rande des Tempelhofer Feldes (heute am Columbia-Damm): Begraben wurden hier zuerst zwei osmanische Botschafter am Preußischen Hofe; ihnen zu Ehren wurden ein hohes kunstvolles Grabmonument aufgestellt.
Heute wird dort noch immer beerdigt, zudem entstand dort die größte sunnitische Moschee Berlins, die Şehitlik cami. Vorübergehend war dort auch Talaat Pascha begraben, bis er mit „militärischen Ehren“ durch die Wehrmacht 1943 nach Istanbul überführt wurde.
1872: Böhmisch- und Deutsch-Rixdorf haben zusammen ca. 15.000 Einwohner
1. Januar 1872: Eröffnung des Bahnhofs Rixdorf (heute: Neukölln) auf der dampfbetriebenen Ringbahn. Die Fahrt vom Lehrter Bahnhof nach Rixdorf kostete 6 Silbergroschen in der II: Klasse, 2 ½ Silbergroschen 21 in der III. Klasse. (eine I. und IV. Klasse gab es auf der Ringbahn nicht; vgl. Neuköllner Rundschau – Sonderausgabe Juli 1996, S. 2).
Abb.: Die Berliner Stadtbahn 1904, noch dampfbetrieben, auf dem Berliner Südring (Abb. aus der „Neuköllner Rundschau“, Sonderausgabe Juli 1996, S. 4).
1874: Vereinigung von Deutsch- und Böhmisch-Rixdorf zu einem gemeinsamen Dorf durch einen königlichen Erlass. Böhmisch-Rixdorf wehrte sich vergeblich gegen die Vereinigung. Das vereinte Rixdorf gilt bald darauf mit 12300 Einwohnern als das größte Dorf Preußens. Hermann Boddin (1844-1907) wird der Gemeindevorsteher, später
21 Bis 1873 war der Silbergroschen (Sgr) eine preußische Münzeinheit. 1Sgr ≙ 12 (Kupfer-)Pfennige oder 1/30 Taler. Bis heute werden die Begriffe „Sechser“ für 5 Pfennige bzw. Cent verwendet, da ½ Sgr ≙ 6 Pfennige bzw. 1 „Groschen“ für 10 Pfennige oder Cent. Um 1860 verdiente eine Strickerin/Weißnäherin in Berlin durchschnittlich 4 Sgr. 1873 wurde Reichsweit die Mark („Goldmark) eingeführt, 1 M ≙ 100 Pfennige.
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Bürgermeister und Oberbürgermeister auf Lebenszeit. Rixdorf wuchs in seiner Amtszeit rapide: Von 15 323 (1875) auf 90 422 (1900), 94 032 (1901) und 101 740 (1902) Einwohner.
Abb. Wasserrutschbahn in der Neuen Welt
bis 1874: Gegenüber dem Rollkrug (nach den nahe gelegenen Rollbergen, am späteren Hermannplatz) befindet sich ein Accisehaus, in dem Zoll für nach Berlin eingeführte Waren entrichtet werden. Es wurde bei der Umgestaltung des Hermannplatzes abgerissen.
Die Bautätigkeit erlebt einen starken Aufschwung, insbesondere nach der Aufhebung der Hütungsberechtigungen auf den Cöllnischen Wiesen. Ein großer Wiesenkomplex um die heutige Sonnenallee wird zur Bebauung freigegeben.
1875: Das letzte Kind aus einer „rein böhmischen“ Ehe wird geboren.
seit 1875: Zwischen Bergstraße und Halleschem Tor werden Pferdebahn-Linien ein gerichtet, seit 1884 zwischen Berliner Straße und Spittelmarkt, seit 1885 zwischen Hermannplatz und Knesebeckstraße (der heutigen Silbersteinstraße).
1872: In der Nordostecke der Hasenheide wird das Bronzestandbild Jahns von Erdmann Encke (1843 - 1896) errichtet. Die Steinblöcke der Denkmalsterrasse tragen die Namen der internationalen stiftenden Turnvereine. Die „Vereinsbrauerei Berliner Gastwirte zu Berlin AG“ wird in Rixdorf (mit dem Hauptsitz in dem Böhmischen Weg, der heutigen Rollbergstraße/Ecke Hermannstraße) gegründet.
Abb.: Amtshaus und Rathaus; Photo vor 1926 (Abb. aus https://www.neukoellner.net/zeitreisen/leuchtturm-der-urbanitaet/)
1879: Errichtung des Rixdorfer Amtshauses auf dem heutigen Rathausvorplatz. Das Amtshaus wurde im 2. Weltkrieg zerstört, der Ort zum Vorplatz des Rathauses umgestaltet.
Auch wurde in diesem Jahr die Magdalenenkirche in der Bergstraße (heute Karl-Marx-Str. 197) eingeweiht, da die alte Dorfkirche am Richardplatz zu klein geworden war.
1880: Der Gastronom Rudolf Sternecker eröffnet am östlichen Ende der Hasenheide seinen Vergnügungsgarten „Neue Welt“. Die Schankwirtschaft wächst rasch zu einem der erfolgreichsten Eventbetriebe heran: Es entstehen ein „indischer Pavillon“ (mit Teichen und Kaskaden-Springbrunnen), ein Hippodrom, eine Freiluftbühne und ein Fachwerksaal, Tanzsäle mit Alpenpanorama, einem Kraxlsteig und der berühmten Rutschbahn.
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1881: August Bading (1837 -1885) spielt auf einem „Wohltätigkeits-Concert“ in Niesigk’s Salon (dem späteren Saalbau) Klarinette, begleitet von 4 königlichen Kammermusikern und am Klavier sein Sohn Paul.
1884: Auf einem Stadtplan von 1884 (Ausschnitt oben) ist der spätere Hermannplatz ein unauffälliger Straßenzug, die Sonnenallee existiert noch nicht.
1885: Der Platz am Rollkrug erhält den Namen „Hermannplatz“. Wie bei der hier beginnenden Hermannstraße bezieht sich der Name auf Hermann den Cherusker. Jedoch kam schon früh die Vorstellung auf, dass der Rixdorfer Gemeindevorsteher Hermann Boddin gemeint sei. Die Fläche des Hermannplatzes gehört zu Neukölln, lediglich die Seite mit Karstadt (Hausnummern 5–10) zählt zum Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Heute gilt der Platz als Tor nach Neukölln.
Der Rollkrug um 1900; Ecke Hermannstraße/Berliner Straße, Blick auf den Hermannplatz
6. Juni 1885: Vom Rollkrug (am Hermannplatz) zur Hermann-Ecke Knesebeckstraße (der späteren Silbersteinstraße) wird eine Pferdebahn-Linie eröffnet, betrieben von der Gemeinde Rixdorf. Im Jahre 1888 geht die Linie in der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn A.G. auf.
1885: Nach der zeitgenössischen Meyers Encyklopädie ist Rixdorf ein „…Dorf im preußischen Regierungsbezirk Potsdam, Kreis Teltow, auf der Südseite von Berlin und an die Hasenheide sich anschließend, an der Berliner Ringbahn und mit Berlin durch eine Pferdebahn verbunden, hat ein Amtsgericht, Linoleum- und Wachstuch-, Woll-, Gummi- und Guttaperchafabrikation 22, Weberei, Tischlerei, 3 große Bierbrauereien, Acker- und Gartenbau und … 22 775 meist evangelische Einwohner“ (Bibliographisches Institut, Bd. 13, S. 861, a.a.O.).
letztes Drittel des 19. Jhdts.: In einer der Aufschwungphasen nach den Gründerjahren wird im Gebiet der Rollberge die erste Arbeitervorstadt Berlins geplant und gebaut, die sog. Rollbergsiedlung: Das Ergebnis von Spekulation und Profitjägerei waren Mietskasernen oft mit mehreren engen, lichtlosen Hinterhöfen, viele Menschen in engen Räumen, Podest- oder Hoftoiletten, keine Badezimmer, Not und Elend. Heinrich Zille meinte: „Man kann einen Menschen nicht nur mit einer Axt, sondern auch mit einer Wohnung töten“ (zit. n. Neuköllner Zeitung, November 1971, S. 15). In den 70er Jahren des 20. Jhdts. wurde das Viertel abgerissen, „saniert“ und durch triste, verwahrloste Betonsilos ersetzte.
1887: Zwischen Mittelweg und Leykestraße errichtet die (private) Charlottenburger Wasserwerke AG errichteten ein Wasserwerk zur Versorgung von Rixdorf.
1888: Die deutsche Pädagogin Martha Gunkel (1858 – 1913) gründet die erste Höhere Mädchenschule in Rixdorf. Sie unterrichtet anfangs in ihrer Privatwohnung in der Bergstraße 144. Bis 1907 bietet ihre Schule die einzige Möglichkeit für junge Frauen, eine höhere Schulbildung zu erlangen.
Heute erinnert eine Gedenktafel in der Karl-Marx-Straße 166 (ihrer letzten Wohnung) an die Pädagogin und Frauenrechtlerin.
Seit 1889/90: Der »Rixdorfer« wird in Berlin und Umgebung („jwd“) populär: „Uff den Sonntag freu ick mir / Ja, denn jeht et 'raus zu ihr / ... In Rixdorf ist Musike ...“ (vgl. Anhang). Die Melodie des Schlagers soll auf ein böhmisches Lied zurückgehen. 22 Das Guttapercha (oder auch Gutta) ist ein gummiartiger Harz verschiedener Bäume in Indonesien (hauptsächlich vom Guttaperchabaum, Palaquium gutta). Der Name kommt aus dem Malaiischen, von get(t)ah ≙ Gummi (Harz) und pertja, percha ≙ Name des Abstammungsbaums. Vor der Entwicklung der Kunststoffe wurde Guttapercha u.a. zur Isolierung von Elektrokabeln benutzt. Heute spielt es noch in der Zahnmedizin eine Rolle.
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Einer Überlieferung nach soll der Kapellmeister und Komponist Eugen Philippi im November 1890 in der „Neuen Welt“ den Text des Komikers Littke-Carlsen als Tanzlied vertont und überaus erfolgreich zu Gehör gebracht haben. Rasch wurde es in der Folge in ganz Berlin gespielt und gesungen (vgl. „Neuköllner Zeitung“, Mai 1972, S. 18).
1890: Der den Straßenabschnitt der Hasenheide, in der die Brauerei steht, wird in „Wissmannstraße" umbenannt - zu Ehren von dem Kolonialpionier und –offizier Hermann von Wissmann 23 (1853-1905), der 1890 durch Wilhelm II. für die Niederwerfung des antikolonialen „Araberaufstandes“ in „Deutsch-Ostafrika“ in den Adelsstand erhoben worden war. Er war eine Art „Forscherkonquistador“ (vgl. Prinz, S. 333, a.a.O.).
Abb. Wissmann-Briefmarke
Gründung der Mosaikfabrik Pohl & Wagner, der „Vereinigten Werkstätten für Mosaik- und Glasmalerei August Wagner“ im Rixdorfer Rollkrug, unter kaiserlicher Protektion und mit der Aussicht auf profitable staatliche Aufträge.
Rixdorf hat ca. 35 000 Einwohner.
1891-93: Rixdorf erhält im Zuge der Berliner Kanalisation (mit einem Kostenaufwand von 3,285 Mio. Mark) eine neue Entwässerungsanlage; bis Ende 1895 sind 1 008 Hausgrundstücke angeschlossen. 1893/94: Der Architekt und preußische Bauberater Otto Techow (1848 – 1919) baut auf dem Gelände der Wasserwerke am höchsten Punkt der Rollberge einen 40 m hohen Wasserturm, der dem Spandauer Juliusturm ähnelt. Der Turm hat einen Durchmesser von 22 m und in 30 m Höhe einen genieteten Hängebodenbehälter von 2240 m³. Heute dient das Baudenkmal nicht mehr als Wasserturm sondern nur für Feiern und Veranstaltungen. Dieser Wasserturm ist der größte noch vorhandene Berliner Wasserturm.
1894: Errichtung der Kindl Festsäle in der Hermannstr. 217-219. In den Räumlichkeiten finden bis 1989 Veranstaltungen aller Art statt: Konzerte, private Feiern, Sitzungen eines Neuköllner Karnevalsvereins etc.
Der Rixdorfer Lehrer und Schriftsteller Konrad Agahd (1867 - 1926) veröffentlicht eine Studie zu den gesundheitlichen und pädagogischen Folgen der gewerblichen Kinderarbeit der 3287 Rixdorfer Kinder.
Ihm zu Ehren heißt die Grundschule in der Neuköllner Thomasstraße 39 Konrad-Agahd-Schule. Anfangs war die Schule eine Mädchenschule, die Jungenschule lag gegenüber.
1897: Durch den Lehrer Emil Fischer (1865-1932) wird das Heimatmuseum ins Leben gerufen. Einige Jahre lang befand es sich in dem antikisierenden Innenhof der Ganghoferstraße 3-5.
seit 1897: Der aus einer deutsch-jüdischen Familie stammende Allgemeinmediziner Raphael Silberstein (1873–1926) lebt und praktiziert in Rixdorf (Berliner Straße 73, heute: Karl-Marx-Straße). Er wurde SPD-Mitglied, war Stadtverordneter und bis zu seinem Tode ehrenamtlicher Neuköllner Gesundheitsstadtrat. Als „Hygienearzt“ versuchte er die z.T. katastrophalen sanitären und Gesundheitsbedingungen zu verbessern. Viele Wohnungen in den Mietskasernen besaßen kein eigenes Bad, die Toilette befand sich eine halbe Treppe tiefer außerhalb der Wohnung („indische Toiletten“, jenseits des Ganges) und wurden von mehreren Mietparteien genutzt. 23 Hermann von Wissmann war als Reichskommissar und später Gouverneur von Deutsch-Ostafrika (es umfasste Gebiete des heutigen Tansania, Burundi, Ruanda und einen kleinen Teil Mosambiks) beauftragt „geordnete politische Verhältnisse“ in die Kolonie zu bringen. Wissmann war dafür mitverantwortlich, dass die deutsche Kolonialarmee in Massakern viele Afrikaner tötete, die sich zur Wehr setzten. Wissmanns Kriegsführung war brutal, auch im Reichstag wurde er z.T. für seine Grausamkeit kritisiert. Im Jahre 1934, dem „Kolonialgedenkjahr“ der NS, gab die Reichspost eine Briefmarkenserie heraus, die u.a. Wissmann ehrte (s.o.).
Seit einigen Jahren bemühen sich u.a. die Werkstatt der Kulturen und Neuköllner BVV-Mitglieder um eine Umbenennung der Wissmannstraße.
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Silberstein regte sowohl den Bau des Stadtbades in der Ganghoferstraße als auch den des Krankenhauses Neukölln an. Ihm zu Ehren wurde die Knesebeckstraße in Silbersteinstraße umbenannt.
1899: Als letzte der Windmühlen auf den Rollbergen Holländermühle gegenüber dem Rathaus abgebaut. Zuvor war schon die „Jungfernmühle“ (von der Bergstraße 17) abgebaut und nach Buckow umgesetzt worden.
1. April 1899: Rixdorf wird zur Stadt erhoben. Es hat ca. 85 000 Einwohner. 1. Juli 1899: Die erste elektrische Straßenbahn („Elektrische“) in Rixdorf nimmt den Betrieb auf. Es ist eine Ringlinie, sie führte über Rixdorf, Britz, Tempelhof, Schöneberg und Kreuzberg wieder zurück zum Hermannplatz. Weil die Bahn im Süden durch noch unbewohntes Gebiet führt, heißt sie im Volksmund „Wüstenbahn“.
zwischen 1899 und 1910: Auf der Ringbahn wird die Zahl der Bahnhöfe von 16 auf 23 erhöht (heute sind es 29 Stationen). Auch der Bahnhof Hermannstraße entsteht als zweiter Bahnhof in Rixdorf.
12. Januar 1900: Ein Großbrand zerstört das Warenhaus Max Aron in der Bergstraße/Ecke Prinz Handjerystraße (die heutige Werbellinstraße, vgl. Karte Nr. von 1903). Veranlasst durch diesen Warenhaus-Brand mit mehreren Todesopfern, erlässt der Polizeipräsident von Berlin daraufhin „Sonderanforderungen für den Bau von Warenhäusern".
1900: Gründung des Rixdorfer TuFC Tasmania 1900 Sport- und Fußballvereins; nach der Gründung von Neukölln nennt er sich Sport-Club Tasmania von 1900 Berlin, war mehrfach Berliner Fußballmeister und lange Lokalrivale von Hertha. In der Saison 1965/66 spielte der Verein in der Bundesliga. Tasmania Berlin („Tas“) gilt bis heute als der erfolgloseste Verein der Bundesliga. Dies spiegelt sich unter anderem auch in den Negativ-Rekorden wider, die der Verein seither hält. Allerdings erzielte ein Heimspiel zwischen Hertha und Tasmania in den 60er Jahren auch den klaren Besucherrekord im Berliner Olympiastadion. Im Juli 1973 löst sich der Verein auf. Als inoffizieller Nachfolger gilt der SV Tasmania Berlin.
1902: Bau des Saalbaus in der damaligen Bergstraße: er wird als Ort für Theateraufführungen und politische Versammlungen genutzt und verfügt über 3000 Plätze. Heute befindet sich dort der „Heimathafen Neukölln“, ein wichtiges Kulturzentrum des Bezirks. Auf dem Hohenzollernplatz (dem heutigen Karl-Marx-Platz, vgl. Karte Nr.1957) wird ein Denkmal für Kaiser Wilhelm I. errichtet.
In den Rixdorfer Gemeindeschulen sind durchschnittlich 55 Schüler*innen pro Klasse, die jeweils ca. 1m2 Raum in der Klasse zur Verfügung haben.
In der Kaiser-Friedrich-Straße wird das Polizeipräsidium eröffnet (vgl. Karte 1903).
1903: Auch durch das Engagement des Rixdorfer Lehrers Agahd wird das Kinderschutzgesetz verabschiedet, das das Mindestalter und die Arbeitszeit beschränken soll.
Von Reinhard Kiehl geplant wird am Richardplatz – etwas zurückgesetzt - die Richard-Grundschule errichtet.
1904: Fritz Gaubschat gründet in Rixdorf die Gaubschat-Fahrzeugwerke GmbH. Das Unternehmen an der heutigen Karl-Marx-Straße 269/273 produziert Nutzfahrzeugaufbauten, vor allem Omnibuszüge. Im Jahre 1975 machte die Firma Konkurs.
Fertigstellung des Firmensitzes der „Vereinigten Werkstätten für Mosaik- und Glasmalerei August Wagner“ im Südosten von Rixdorf, in der Kiefholzstraße 72-74, direkt an der Bezirksgrenze zu Treptow. Ausgeführt wurde der Bau von dem kaiserlichen Hofarchitekten Franz Schwechten 24. Der neoromanische Bau war wie eine permanente Ausstellung der Kunstfertigkeit der Mosaikfabrik, eine „… Mischung aus Fabrik und Märchenschloss … Nicht nur der große Schornstein war in seiner ganzen Länge ausmosaiziert, auch die Balkons und Portale waren mit Mosaiken geschmückt. Die Hofseite … war mit einer großen, kunstvoll ausgelegten Sonnenuhr versehen … Gegen den Garten war der Hof durch einen Kreuzgang abgeschlossen, dessen Gewölbe
24 Franz Schwechten (1831 – 1924) war der Lieblingsarchitekt von Kaiser Wilhelm II.. Er hatte auch den Anhalter Bahnhof und die (alte) Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche entworfen. Mehrfach besuchte Wilhelm die ans Mittelalter gemahnenden Gebäude, er soll sich sogar als „ersten Reisenden des Hauses Wagner“ bezeichnet haben.
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in blau und gold ausmosaiziert waren. Jedes der zwanzig Doppelkapitelle war mit anderen Mosaik-Ornamenten versehen“ (Kerbs, S. 8, a.a.O.). Das „Unternehmen (wurde) durch Mosaiken in der ganzen Welt berühmt“ Baedeker, S. 258, a.a.O.).
Die Fabrik wurde bis zum 2. Weltkrieg die bedeutendste Mosaik-Fabrik Europas. Hergestellt wurden hier u.a. die Mosaiken der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, des Stadtbades in der Neuköllner Ganghofer Straße, in der Wartburg, des Kaiserbrunnens auf dem Hippodrom in Istanbul, im Goldenen Saal des Stockholmer Stadthauses oder der Neuen Reichskanzlei Hitlers 25.
(Abb. aus Kerbs, S. 8, a.a.O.).
Auch die Mosaiken im Pavillon des Sowjetischen Ehrenmals in Treptow sowie die Mosaiken der neuen Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche in Tiergarten (1957) stammen aus Neukölln, - wohl die letzten Großaufträge nach dem 2. Weltkrieg.
1905: Die Grünanlagen am Wildenbruchplatz entstehen.
1905-08: Bau des Rixdorfer (heute: Neuköllner) Rathauses durch Reinhold Kiehl, der in Konkurrenz Herrmann Weigand ausgestochen hatte; der 70m hohe Turm trägt eine große Uhr und wird von einer Glücksgöttin bekrönt. Der hohe renaissancehafte Giebel zur Straße hin ist plastisch gegliedert und mit Werkstein verkleidet. Im ehem. Eingangsbereich, links vom heutigen Haupteingang sind schöne Mosaiken der Neuköllner Mosaikfabrik erhalten geblieben.
1906: Der Schuster Wilhelm Voigt (1849 - 1922), der spätere Hauptmann von Köpenick, hält sich bei seiner Schwester in der Kopfstraße 27 in Rixdorf auf; sie hat dort ein Seifengeschäft. Am 1. September 1906 wird er seiner Vorstrafen wegen aus Rixdorf ausgewiesen.
1907:
Tod des ersten Gemeindevorstehers und Oberbürgermeisters Hermann Boddin. Die Boddinstraße und eine Schule werden nach ihm benannt. An dem Rathaus Neukölln befindet sich eine Gedenktafel an Boddin.
Der „Goldjunge im Krug“ wird das Logo der Berliner Kindl-Brauerei
Ebenfalls 1907 wird der Rollkrug abgerissen durch ein Geschäftshaus ersetzt, das auch als „Neuer Rollkrug“ bezeichnet wird und über dem Portal in der Hermannstraße bis heute die Inschrift „Rollkrug“ trägt. Seit 1988 steht das Gebäude unter Denkmalschutz.
25 Es scheint, dass die denkmalsartige, auf „Ewigkeit“ bedachte Repräsentationsarchitektur der nationalsozialistischen Bauten mit ihrem Hang zu aufwendigen Materialien und vorindustrieller Fertigung (vgl. Bussmann, S. 101, a.a.O.) der Verwendung von Mosaiken entgegenkam.
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1909: Das Schulhaus im Böhmischen Dorf wird als Wohnhaus genutzt.
1910: Die Jugendstil-Trinkhalle, rund wie eine Litfaßsäule, wird auf dem Richardplatz gebaut. Entworfen wurde sie von Reinhold Kiehl, der als erster Baustadtrat Neuköllns auch das Rathaus und das prächtige Stadtbad in der Ganghofer Straße gestaltete. Rixdorf hat 237 285 Einwohner (vgl. Börsch-Supan, S. 360, a.a.O.)
Christian Morgenstern (1871-1914) veröffentlicht im „Palmström“ ein Gedicht zum „sogenannten Böhmischen Dorf“ (Morgenstern, S. 109, a.a.O.; Text in den Materialien).
Umzug der Höheren Mädchenschule von Martha Gunkel in den Neubau am Richardplatz. Dieser Teil der Schule wird im 2. Weltkrieg zerstört.
Die „Vereinsbrauerei Berliner Gastwirte zu Berlin AG“ wird in „Berliner Kindl Brauerei-Aktiengesellschaft“ umbenannt. Auf dem Rollberg werden am Wochenende an bis zu 10.000 Gäste zuweilen 40 hl Bier ausgeschenkt. Ein Grund für den Erfolg war, dass Berliner Kindl v.a. auf das angesagte klare untergärige Bier26 setzte, welches nach Pilsner Brauart zubereitet wurde. .
Die Berliner Kindl Brauerei AG übernimmt in wenigen Jahren 20 kleinere Brauereien in Berlin und Umgebung. Sie wird bis zum 2. Weltkrieg zu einer der vier größten Brauereien Deutschlands (vgl. Gidom. a.a.O.). Auch in der Weltwirtschaftskrise macht Berliner Kindl hohe Umsätze. 1926-1930 lässt Kindl durch Hans Claus und Richard Schepke die Brauerei in Anlehnung an den deutschen Expressionismus erweitern: Ein mit sechs kupfernen Pfannen ausgestattetes Sudhaus und einem siebengeschossigen Turm aus rotem Bockhörner Klinker; nach Meinung vieler Architekturkenner ist der denkmalgeschützte Klinkerbau „das schönste Sudhaus Europas“. Rixdorf hat ca. 238.000 Einwohner
1911: Errichtung des Elektrizitätswerkes am Neuköllner Schifffahrtskanal (Ederstr. 14, bis Weigandufer 49/ Ecke Thiemannstraße), erbaut durch Reinhold Kiehl; die Abwärme des Kühlwassers des Kraftwerkes wurde bereits damals für das 1,5 km entfernte Schwimmbad in der Ganghoferstraße benutzt).
Es ist seit 1923 ein Fernheizwerk, firmiert heute Fernheizwerk Neukölln AG.
27. Januar 1912: Kaiser Wilhelm II genehmigt die Umbenennung der Stadt Rixdorf in »Neukölln«. (an Kaisers Geburtstag). Die neue Stadt hat ca. 255 000 Einwohner. Bei der Umbenennung von Rixdorf waren die Namen »Hermannstadt« und »Neukölln« im Gespräch. Neukölln wurde favorisiert, weil der Name an die alte Verbindung mit der Berliner Schwesterstadt Cölln und der Cöllnischen Heide erinnert und das Image verbessert. Die Umbenennung geschieht gegen die Stimmen der rasant anwachsenden Sozialdemokraten, aber mit Unterstützung des Kaisers, konservativer Kaisertreuer und Immobilien- und Grundstückbesitzer. „Gegen den Willen der Bevölkerung hat das eine kleine politische Clique aus Hauseigentümern und Grundstücksspekulanten im Rixdorfer Magistrat durchgesetzt“ formulierte der Neukölln-Historiker Henning Holsten (vgl. „Tagesspiegel“, 26. Januar 2012). Da damals die Umbenennung einer Stadt extrem ungewöhnlich war, rief sie auch eine Fülle von Karikaturen hervor.
1912: Errichtung des Denkmals für König Friedrich Wilhelm I. von Alfred Reichel (1856-1928, selbst ein Mitglied der Brüdergemeine mit böhmischen Wurzeln) im Böhmischen Dorf, in der Kirchgasse.
Der junge aus Charlottenburg stammende Max Reichpietsch (1894-1917) meldet sich freiwillig zur Kriegsmarine. Erst unter dem Eindruck des Kriegselends wandelt er sich zum Kriegsgegner und beteiligt sich an Protestaktionen von Matrosen in Wilhelmshaven.
23. Mai 1914: Eröffnung des Neuköllner Schifffahrtskanals, einer Verbindung zwischen dem Teltowkanal und dem Landwehrkanal. Der Kanal wurde teilweise im Verlaufe des Wiesengrabens (auch: Schlangengrabens) gebaut, einem Fließ, der vorn Rudow kommend die Cöllnischen Wiesen entwässerte. Neukölln wurde so Hafenstadt, mit zwei Häfen und einer Schleuse. Die Planung und Bauleitung lag bei Hermann Weigand.
26 Unter- bzw. obergärige Biere benötigen unterschiedliche Hefearten. Hefe für obergäriges Bier arbeitet am besten bei warmen Temperaturen, die Hefe für untergäriges Bier braucht es hingegen kühl, und kühle Temperaturen konnten nun technisch leicht hergestellt werden.
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Abb. Die Berliner Straße um 1910: Hinten das Rathaus, vorne der Platz der Stadt Hof. (Photo: Museum Neukölln (HTTPS://WWW.TAGESSPIEGEL.DE/BERLIN/WIE-AUS-RIXDORF-NEUKOELLN-WURDE-DER-RUF-WAR-RUINIERT/6112574.HTML)
1914-18: Im 1. Weltkrieg müssen 45 000 Neuköllner Soldat werden, es fallen 6600 Neuköllner (vgl. Neuköllner Zeitung, November 1971, S. 15). In der „Neuen Welt“ oder „Kliems Festsälen“ an der Hasenheide sind Lazarette untergebracht.
Bis 1916: Anlage des Körnerparkes als neobarocker Tiefpark durch R. Kiehl, mit Orangerie, Kaskaden und Springbrunnen.
Abb. Max Reichpietsch
Juni 1917: Max Reichpietsch besucht auf Heimaturlaub seine Eltern in Neukölln; dort begegnet er einer jungen, verzweifelten Soldatenwitwe, die ihm anbot, sich für ihn zu prostituieren, um ihre Kinder zu ernähren. In diesem Augenblick soll er das Gelöbnis abgelegt haben, sich mit allen Kräften für den Frieden einzusetzen. Aber auch die Zustände an Bord der Kriegsschiffe und das Elend der Zivilbevölkerung lassen Reichpietsch zum Kriegsgegner werden. Auch hatte er in Berlin Kontakt zur USPD aufgenommen, was ihm zum Verhängnis werden sollte.
5. September 1917: Die kaiserliche Kriegsmarine lässt die Matrosen Max Reichpietsch und Albin Köbis. in Köln hinrichten – wegen versuchten Aufstands. Sie sieht in ihnen Rädelsführer und will ein „Exempel“ statuieren. Den Abschiedsbrief an seine Eltern in Neukölln schloss er mit den Worten: „Mir ist das Herz so schwer, daß es mir unmöglich ist noch weiter zu schreiben. Denn es ist traurig, als junger Mensch in der Blüte der Jahre, mit einem Herzen voll Hoffen und Sehnen, schon sterben zu müssen, sterben durch harten Richterspruch.“
Heute erinnert das Reichpietschufer am Landwehrkanal an den unschuldig Hingerichteten, genau dort wo sich das Verteidigungsministerium zuvor Oberkommando der Wehrmacht befand.
8. November 1918: Die Sozialdemokraten fordern den Kaiser zur Abdankung auf. Der Telegraph, - Fernsprech- und Fernzugverkehr von und nach Berlin ist eingestellt. „Nach Privatmeldungen soll in München
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die Republik ausgerufen sein, und auch auf Magdeburg, Halle und Zeitz soll die bolschewistische Bewegung übergegriffen haben“ (Berliner Tageblatt, Abend-Ausgabe, 8. November 1918, S. 1). Auffällig viel Militär und Polizei ist unterwegs, viele öffentlichen Gebäude, auch das Berliner Schloss sind militärisch gesichert.
Vielfach wird ein Generalstreik für den nächsten Tag angekündigt/befürchtet. Berichtet wird jedoch auch über die „Vorgänge“ in Kiel und die Forderungen des Arbeiter- und Soldatenrates.
Gleichzeitigt aber wird an der Westfront immer noch gekämpft und gestorben; erst am 10. November um 5.00 Uhr morgens schweigen die Waffen.
Titelseite des Berliner Tageblatts vom 8. November 1918. Die Zeitung erschien von 1872 – 1939 im Rudolf Mosse-Verlag und war im Kaiserreich die auflagenstärkste Zeitung, eine Art Leitmedium.
9. November 1918: Auf dem Rathaus wird die Rote Fahne gehisst. Ein Arbeiter- und Soldatenrat unter Vorsitz des Arbeiters Friedrich Haberland von der USPD (später Spartakus) übernimmt den Vorsitz und zeitweilig unter Umgehung der Stadtverordneten die Exekutivgewalt. Auch fordert er das Recht für sich, fortan Kontrolle über alle Ämter und Fabriken auszuüben. Neukölln ist als Arbeiterbezirk der vielleicht radikalste Bezirk Berlins. Innerhalb kürzester Zeit entsteht eine 500-köpfige revolutionäre Arbeitermiliz. Jugendliche überfallen und entwaffnen Polizisten. Gefordert wird die Weltrevolution, ausgerufen wird die „Republik Neukölln“. Nach dem Wetterbericht sollte es „mild, jedoch ziemlich trübe und neblig mit leichten Regenfällen“ sein (vgl. Berliner Tageblatt, 8. November 1918, S.4).
10. November 1918: Die Ausgabe des „Berliner Tageblatts“ titelt: „Der Erfolg der Revolution“ (vgl. Berliner Tageblatt, 10. November 1918, S.1). Weiter unten heißt es: „Berlin war gestern … vollständig in den Händen der Arbeiter- und Soldatenrates- Die rote Fahne weht über der Hauptstadt. Wenige , hat sich die Umwälzung in verhältnismäßig ruhigen Formen vollzogen“ (vgl. Berliner Tageblatt, 10. November 1918, S.2).
Gründung des „Vollzugsrates der Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte“ im Circus Busch. Der Vollzugrat ist paritätisch mit je 7 Mitgliedern der MSPD und USPD besetzt (vgl. Engel, a.a.O.).
11. November 1918: Der Vollzugsrat erklärt sich zur obersten Exekutiv-Gewalt in Berlin.
4. Dezember 1918: Die Politik des Neuköllner A.u.S.-Rates wird von der Reichs- und der Preußischen Staatsregierung scharf kritisiert.
12. Dezember 1918: Der Neuköllner A.u.S-Rat erklärt die Stadtverordnetenversammlung und den Magistrat für aufgelöst, da sie noch nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt worden seien 27.
27 Auch in anderen Regionen Deutschlands gab es heftige Konflikte zwischen rätedemokratischen und parlamentarischen Demokratievorstellungen. In Sachsen-Gotha (im heutigen Thüringen) versuchte 1919 der linke Flügel der USPD eine Art Räteverfassung zu installieren, „… eine Kombination aus parlamentarischen, Räte- und plebiszitärer Demokratie“ (vgl. Hesselbarth, S. 55, a.a.O.). Sie wurde jedoch auch wegen der sich abzeichnenden Konflikte mit der Reichsverfassung nicht verabschiedet.
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In der Neckarstraße 3 in Berlin-Neukölln richtet Friedrich Haberland ein Bezirksbüro des Spartakusbundes ein, das auch Britz, Rudow, Treptow und Baumschulenweg betreut.
13. Dezember 1918: Neuköllner städtische Beamte, Angestellte und Arbeiter drohen mit Streik, wenn der A.u.S.-Rat nicht umgebildet wird.
19. Dezember 1918: Im A.u.S.-Rat wird durch Haberland und die USPD/Spartakus gefordert, alle Neuköllner Häuser zu kommunalisieren 28 , alle Hypothekenforderungen zu streichen und Einkommen unter 5000,-Mark nicht zu besteuern. Das führt zu heftigen Auseinandersetzungen mit Vertretern der MSPD.
7. Dezember 1918: Der Neuköllner A.u.S.-Rat nimmt Unter den Linden mit Hilfe der Marinedivision 70 „konterrevolutionäre“ bewaffnete Offiziere, Studenten und Diplomaten fest und überstellt sie dem Polizeipräsidium.
30. Dezember 1918: Der Ortsverein Neukölln der USPD veranstaltet (angekündigt in der „Roten Fahne“) eine Mitgliederversammlung an. Sie findet im Wintergartensaal der Unionsbrauerei in der Hasenheide 22/31 mit den Referenten Hugo Haase, dem österreichischen Sozialdemokraten (und Ministerpräsidenten) Karl Renner und Karl Liebknecht statt. Schließlich wird mit 2900 gegen 100 Stimmen beschlossen, möglichst geschlossen der KPD beizutreten.
4. Januar 1919: Die Preußische Staatsregierung verbietet dem A.u.S.-Rat die Teilnahme an den Magistratssitzungen.
17. Januar 1919: Einmarsch der 17. Infanteriedivision (bestehend v.a. aus Mecklenburgern) in Neukölln; Verhängung des Belagerungszustandes, das Militär übernimmt im Rathaus die vollziehende Gewalt, Durch- suchungen nach Waffen in vielen Neuköllner Wohnungen. Blutige Feuergefechte um das Schulgebäude am Hertzberplatz, Tote und Verwundete auf beiden Seiten.
19. Januar 1919: Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am gewinnt die SPD 163 Sitze, die USPD 22, das Zentrum 91, die linksliberale DDP 75, die nationalkonservative DNVP 44 und die rechtsliberale DVP 19 Sitze.
21. Januar 1919: Das Infanterieregiment 64 ersetzt die 17. Division
26. Januar 1919: Kommunalwahlen in Neukölln; die USPD und die MSPD erhalten eine deutliche Mehrheit der Stimmen.
Wahlen zu der Berliner Stadtverordnetenversammlung (in Prozenten der Stimmen)
Jahr USPD SPD DDP DNVP DZP DVP 1919 33,0 31,7 14,5 10,5 5,6 4,6 1920 44,0 16,8 6,0 10,7 4,0 14,9
28 Auch z.B. der Vollzugsrat für Reuß j. L. in Thüringen plante im Februar 1919 „… zur Behebung der Wohnungsnot und aus Gründen des öffentlichen Wohls die Enteignung aller bebauten und unbebauten Grundstücke sowie ihre Überführung in den Besitz der Allgemeinheit“ (Hesselbarth, S. 54, a.a.O.).
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11. März 1919: Vom Standquartier im Britzer Gutshof aus löst das (zeitweise ca. 11000 Mann starke) Freikorps von Hülsen den Neuköllner A.u.S.-Rat auf, dessen Räume im Rathaus militärisch besetzt und verschlossen werden. Standrechtliche Erschießungen von Neuköllnern durch das Freikorps.
1. April 1919: Erich Bading (1891-1952) aus einer der ältesten und wohlhabendsten Rixdorfer Bürgerfamilien eröffnet in der damaligen Bergstraße 43 die Musikalienhandlung Musik-Bading. Das Geschäft im eigenen haus bietet - wohl sortiert - alles, was man zum Musikhören und -machen benötigt, von Notenblättern über den Opernauszug, bis zu vielerlei Instrumenten und Grammophonschränken oder Schellackplatten. Auch eine Theater- und Konzertkasse ist integriert. Erich Bading gewinnt mit Leo Blech (1871 – 1958) von der Staatsoper und Arthur Nikisch (1855- 1922) von den Berliner Philharmonikern führende Dirigenten zu beliebten Konzerten im Saalbau. Auf dem Programm der Abonnementskonzerte stehen z.B. Wagner, Beethoven und Weber, aber auch damals moderne Komponisten wie Richard Strauss. Es musiziert u.a. das einst angesehene Blüthner-Orchester (aus dem das Berliner Sinfonie Orchester und dann das Konzerthausorchester Berlin hervorgingen) und die Berliner Philharmoniker. Die Konzerte sind in der Regel ausverkauft.
25. April 1919: Die neue Stadtverordnetenversammlung Neukölln lehnt die stimmberechtigte Teilnahme von Vertretern des A.u.S.-Rates ab.
Oktober 1920: Erwin Piscator (1893-1966) eröffnet - unterstützt von George Grosz und John Heartfield, in Kliems Festsälen ein „Proletarisches Theater“, eine „Bühne der revolutionären Arbeiter Groß-Berlins“, das sich allerdings nicht lange hielt. Schon 1921 wurde eine Dauerkonzession für das Theater verweigert.
1920: Entstehung von Groß-Berlin aus 93 Städten, Dörfern und Gemeinden zusammengefügt, z.T. gegen heftige Widerstände. Als Bezirk wird Neukölln eingemeindet. Dem Bezirk Neukölln werden die südlich gelegenen Dörfer Britz, Buckow und Rudow eingegliedert. Groß-Berlin war schon lange diskutiert; 1912 wurde der „Zweckverband Groß-Berlin gegründet; 1918 wurde Groß-Berlin bereits von z.B. der USPD gefordert (vgl. Berliner Tageblatt, 8. November 1918, S.4).
Sommer 1920: Auflösung des Vollzugsrates der Groß-Berliner A.o.S.-Räte
1922: Der Reformpädagoge Fritz Karsen 29 wird Direktor des Kaiser.Friedrich-Realgymnasiums, das ab 1930 (bis zum Frühjahr 1933) den Namen Karl-Marx-Schule (KMS) trägt.
1920er Jahre: Der Hermannplatz wird zu einem Verkehrsknotenpunkt mit zahlreichen Omnibus-Linien, zwei U-Bahnlinien und 15 Straßenbahnlinien: Die 47 fährt durch die heutige Karl-Marx-Straße, die 27 durch die Hermannstraße und die 95 durch die heutige Sonnenallee.
1924-29: Elektrifizierung der Ringbahn, 1930 Umbenennung in S-Bahn (Stadt-Schnellbahn). Auch das Logo, das weiße S auf grünem Grund wird eingeführt.
Abb: Gedenkstein für Bruno Taut in der Hufeisensiedlung in Britz/Neukölln (Photo: Christian Meyer, April 2018)
1925-33: Bau der Hufeisensiedlung durch u.a. Bruno Taut als Arbeitersiedlung in Britz. Seit 2008 gehört sie zum UNESCO-Weltkulturerbe.
1925-30: Werner Seelenbinder (1904-1944), Arbeitersportler, späterer deutscher Ringmeister und kommunistischer Widerstandskämpfer, trainiert mit seinem Verein, dem SC Berolina 03 Neukölln, in der Turnhalle der Konrad-Agahd-Schule in der 29 Fritz Karsen lebte von 1921 – 33 in der Neuköllner Geygerstraße 4 (vgl. Karte 1957); an dem Haus gibt es nun eine Gedenktafel für Karsen.
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Thomasstraße. Heute erinnert eine Gedenktafel an Seelenbinder.
1926:
Die Bergschloss-Brauerei in der Wissmannstraße 12 wird von der Brauerei - Böhmisches Brauhaus AG übernommen und als "Abteilung Bergschloss" weitergeführt. Zu ihren lange Zeit beliebten Biersorten gehören das „Löwen-Böhmisch" und das "Pilsator".
Abb.: Bierdeckel „Pilsator“, vermutlich aus den 50er Jahren des 20. Jhdts.
1926/27: Im April 1926 geht der erste Abschnitt der damals Nordsüd-Untergundbahn (heute U6 bzw. U7) von Seestraße im Wedding über u.a die Stationen Hasenheide (heute: Südstern), Hermannplatz bis zur Bergstraße (heute: Karl-Marx-Straße) in
Betrieb. Im Juli 1927 geht auch der zweite (obere) Bahnsteig von Hermannplatz, der sog. GN-Bahn (Gesundbrunnen – Neukölln, die heutige U 8) mit den Stationen Schönlein- und Boddinstraße in Betrieb. Der U-Bahnhof Hermannplatz wird nach den Plänen von Alfred Grenander als „Turmbahnhof“ errichtet. Der untere Bahnsteig ist eine imposante, ca. 9m hohe, gekachelte Halle, der obere Bahnsteig schiebt sich wie ein Riegel quer durch die Halle. Die Bahnsteige sind durch Rolltreppen verbunden, die ersten Rolltreppen überhaupt bei der Berliner U-Bahn. Die Decke beider Bahnsteige befindet sich auf gleicher Höhe, unmittelbar unter der Straße. Zudem gibt es (seit .1929) einen direkten unterirdischen Zugang zum Kaufhaus Karstadt, vom unteren Bahnsteig
aus. Karstadt am Hermannplatz war das erste Kaufhaus Europas, das einen eigenen U-Bahnzugang hatte.
Direktzugang vom U-Bahnhof Hermannplatz zum Kaufhaus Karstadt, gegenwärtiger Zustand
1927: Beginn des U-Bahnverkehrs auf einer Teilstrecke der Linie D (heute U8). 1928 recht die Linie von der Boddinstraße bis zur Neanderstraße (heute: Heinrich-Heine- Straße).
Der Dichter, Publizist und Anarchist Erich Mühsam (1878-1934, ermordet im KZ Oranienburg) und seine Frau Kreszentia ziehen nach, Britz, in die Hufeisensiedlung, in die Dörchläuchtingstraße 48. Dort lebte Mühsam bis zu seiner Verhaftung am 28. Februar 1933. durch die Nationalsozialisten. Mühsam selbst fasste seine Bestrebungen 1916 in einer Selbstbiographie wie folgt zusammen: „Im Staat erkannte ich früh das Instrument zur Konservierung all der Kräfte, aus denen die Unbilligkeit der gesellschaftlichen Einrichtungen erwachsen ist. Die Bekämpfung des Staates in seinen wesentlichen Erscheinungsformen, Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Klassenherrschaft, Zweckjustiz und Unterdrückung in jeder Gestalt, war und ist der Impuls meines öffentlichen Wirkens“ (Mühsam, S. 6, a.a.O.). Der Gedenkstein vor dem Haus wurde am 13.9.1947 (Berliner Zeitung, 16.9.1947, S. 6) enthüllt. Der Text lautet: „ERICH MÜHSAM DICHTER FÜR FREIHEIT UND MENSCHLICHKEIT VON SS IM KZ 1934 ERMORDET WIR VERGESSEN DICH NIE !“
1927/1928: Für die Stromversorgung der U-Bahn wird in der Hermannstraße 5–8 (nahe dem Hermannplatz) nach Plänen des schwedischen Architekten Alfred Grenander (1863 - 1931 ) das Umformerwerk Hermannstraße erbaut. Die
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vom Umspannwerk Kottbusser Ufer mit 6000 V und einer Frequenz von 50 Hz herangeführte Wechselspannung wurde dort in Gleichspannung mit 780 V umgewandelt. Seit dem Ende des 20. Jhdts. ist das Gebäude ein Baudenkmal.
Abb. Karstadt am Hermannplatz (Postkarte von 1931) 1927 bis 1929: Das Gebäude von Karstadt am Hermannplatz (auf der Kreuzberger Seite) wird von dem Hausarchitekten des Konzerns, Philipp Schaefer (1885 - 1952) erbaut. Die Fassade aus Muschelkalk ist stark vertikal gegliedert, ähnlich der damaligen Hochhausarchitektur der Stadt New York. Über dem eigentlichen 32m hohen Baukörper erhoben sich zwei gleiche 24m hohe Türme, bekrönt von jeweils 15m hohen Lichtsäulen. Besonders bei Nacht war das Gebäude eine Attraktion. Sehr beliebt beim Publikum wurde rasch der 4000 m² große Dachgarten, auf dem 500 Personen Platz finden konnten, Karstadt am Hermannplatz galt in den 30er Jahren als das modernste Kaufhaus Europas, es hatte 9 Etagen (davon 2 unterirdisch) mit ca. 72.000 m² Nutzfläche, 24 Rolltreppen, sowie 24 Personen-, 13 Speise- und acht Lasten-Aufzüge. „Der Bau mit den beiden blauen Lichttürmen, die sich als Fliegersignal für das nahe Tempelhof auf dem riesigen Dachgarten erhoben, gaben dem Stadtbild einen neuen Sinnenreiz. Um zu zeigen, wie bequem seine Treppenanlagen waren, ließ Karstadt die Schulreiterin Cilly Feindt mit ihrem Schimmel vom Parterre bis zum Dachgarten hochreiten“ (Kiaulehn, S. 34, a.a.O.). Von den Fliegerbomben des 2. Weltkriegs blieb das Gebäude verschont, wurde aber bei den Straßenkämpfen im April 1945 stark zerstört. Wahrscheinlich wurde das Gebäude von der Waffen-SS gesprengt, da die umfangreichen Vorräte im Wert von 29 Mio. Mark der Roten Armee nicht in die Hände fallen sollten. Viele Frauen und Kinder werden unter den Trümmern begraben. Nur der kleinere Gebäudeteile an der Hasenheide blieb unbeschädigt.
1928: Errichtung einer 4geschossigen Wohnhausanlage in der Ossastra. 9-16a durch Bruno Taut: Der Bau ist „längs der Straße leicht gekrümmt... Die Wohnungsfenster liegen bündig in der gelb geputzten Fassade, die Treppenhausfenster sind zurückgesetzt. Die Gebäudeecken und die der Sonne zugekehrte Hoffront sind durch eingeschnittene Loggien belebt“ (vgl. Börsch-Supan, S. 365, a.a.O.).
1929: „Blutmai“, v.a. im Wedding und in Neukölln. Ein Demonstrationsverbot zum 1. Mai 30 unter freiem Himmel durch den Berliner Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel (SPD, 1878-1961) wird von der KPD und vielen Arbeitern ignoriert. Die Partei ruft zu friedlichen Massendemonstrationen am 1. Mai auf. Die Polizei löst
30 1929 fiel der 1. Mai auf einen Mittwoch. In Preußen war damals der 1. Mai noch kein Feiertag.
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Demonstrationszüge mit Gewalt auf, „dreht durch“, sie setzt Schusswaffen ein und verbraucht vom 1.-3. Mai ca. 11000 Schuss Munition. In der Öffentlichkeit wird – fälschlich - von einem kommunistischen Aufstandsversuch gesprochen. Ca. 33 Demonstranten werden getötet, die Polizei wird nicht beschossen (vgl. Schirmann, a.a.O.). Bei dem Blutmai werden u.a. in der Rollbergstraße unter Führung des paramilitärischen RFB (Rotfrontkämpferbund) Straßensperren errichtet.
Oktober/November 1932: Mehrfach gibt es kommunistische Demonstrationen auf der Bergstraße: Auf der Straße sind sie verboten, deshalb läuft man auf den Bürgersteigen. Auf der einen Seite ruft man „Neukölln“, auf der anderen Seite antwortet man: „Bleibt rot“ (Kolland, S. 264, a.a.O.).
1933: Die KPD erhält bei den Wahlen 26,2% der Stimmen, die NSDAP erlangt keine Mehrheit in Neukölln.
Die Neuköllner Kindl-Brauerei wird ein „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“. Unternehmen, die diesen Titel trugen, wurden mit Prämien dazu angehalten, ihre Leistung im Sinne des NS-Regierung zu erhöhen. Die Geschäftsführung verkaufte den Nationalsozialisten eine ehemalige Brauerei in Oranienburg, wo 1933 eines der erstes Konzentrationslager eingerichtet wurde, das Lager, in dem Erich Mühsam 1934 ermordet wurde.
2. Februar 1933: Bernhard Rust (NSDAP, 1883-1945, Selbstmord) wird Reichskommissar am Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. bald darauf auch Reichskulturminister.
21. Februar 1933: Fritz Karsen wird telefonisch als Schulleiter und Oberstudiendirektor abgesetzt, „beurlaubt“,; vom 22. Februar an darf er die Karl-Marx-Schule nicht mehr betreten (vgl. Bergemann, S. 101, a.a.O.). In der Nacht des Reichstagsbrandes flieht er über Zürich und Paris in die USA.
In der Folge wird die KMS „gleichgeschaltet“, „gesäubert“, viele Kolleg*innen werden entlassen oder Zwangsversetzt, viele Schüler*innen diszipliniert. Alle in NS-Sicht jüdischen Lehrer*innen werden entlassen und erhalten ein Berufsverbot. Die Einheitsschulstruktur der KMS wird zerschlagen.
22. Februar 1933: Die „Vossische Zeitung“ berichtet in der Morgenausgabe von der Absetzung Karsens und kommentiert: „Die jetzt getroffene Maßregel ist in der Geschichte des deutschen Schulwesens ohne Vorgang. Die Absetzung eines Oberstudiendirektors ohne Disziplinarverfahren und die Ankündigung seiner weiteren Maßregelung ohne Angabe dienstlicher Gründe findet im geltenden Schulrecht … keine Stütze“ (Zit. n. Bergemann, S. 101, a.a.O.).
März 1933: Kurt Schwedtke veröffentlicht einen Artikel: „Nie wieder Karl-Marx-Schule-Eine Abrechnung mit der marxistischen Erziehung und Schulverwaltung“
1. April 1933: Tag des „Judenboykotts“, auch in Neukölln; z.B. steht ein SA-Mann vor der Praxis eines jüdischen Arztes in der Wissmannstraße (vgl. Kolland, S. 264, a.a.O.), mehrere versperren die Eingänge zum Kaufhaus Joseph in der Berliner Straße (dem späteren Hertie).
20. April 1933: Kurt Schwedtke wird neuer Schulleiter, die Schule heiß nun wieder Kaiser-Friedrich-Realgymnasium.
9. September 1933: Fritz Karsen wird wegen „nationaler Unzuverlässigkeit“ (nach § 4 BBG, „Berufsbeamtengesetz“31) aus dem preußischen Schuldienst entlassen.
4. Dezember 1933: In der Neuköllner Schillerpromenade 39 (vgl. Karte 1957) wird der spätere Schauspieler Host Buchholz („Hotte“, + 2003) geboren, der als „deutscher James Dean“ Karriere machte.
31 „§ 4: Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden. Auf die Dauer von drei Monaten nach der Entlassung werden ihnen ihre bisherigen Bezüge belassen. Von dieser Zeit an erhalten sie drei Viertel des Ruhegeldes (§ 8) und entsprechende Hinterbliebenenversorgung“.
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30er Jahre: Der U-Bahntunnel der Linie D wird von Leinestraße bis zum S-Bahnhof Hermannstraße verlängert aber nicht fertiggestellt. Im 2. Weltkrieg wurden Teile des Tunnels als Luftschutzräume benutzt: Bis zu 2500 Personen konnten dort vor den alliierten Bombenangriffen Schutz finden. Beim Ausbau der U-Bahnlinie in den neunziger Jahren wurden erhaltene phosphoreszierende Leistreifen entdeckt und als Mahnung sichtbar erhalten.
Abb. Erhalten gebliebene Hinweise auf Luftschutzräume im U-Bahnhof Hermannstraße (Abb. aus „Neuköllner Rundschau“, Sonderausgabe Juli 1996, S. 2)
30er-40er Jahre: Am Herzbergplatz ein Nebenlager des KZ Sachsenhausen; die Häftlinge arbeiten bei den Nationalregistrierkassen (NCR)
1934: Die Neuköllner Walterstraße (benannt nach Willi Walter, einem Ortspolizisten und Gemeindevorsteher in Britz) wird in Willi-Walter-Straße umbenannt: Dieser Willi Walter (12.6.1911 - 10.1.1933) war Nationalsozialist und kam als SA-Mann bei Auseinandersetzungen ums Leben.
1. Mai 1934: Die Neuköllner KPD im Untergrund verteilt die Nr. 6 der antifaschistischen „Neuköllner Sturmfahne“; Flugblätter werden u.a. aus dem fahrenden S-Bahnzug bei Unterführungen zwischen Sonnenallee und Neukölln geworfen (vgl. Ausstellung „Widerstand in Neukölln 1933-45“ des Kulturamts Neukölln. Insgesamt mussten mindestens 152 Neuköllner*innen ihren Widerstand gegen die Nazis mit dem Leben bezahlen.
7. August 1936: Der Gewerkschaftler, KPD-Funktionär und Widerstandskämpfer Wienand Kaasch (1890-1945) kehrt im Juli 1935 mit einem kanadischen Pass aus Moskau nach Berlin zurück und soll dort mit anderen den Widerstand koordinieren. Er kommt bei Gesinnungsgenossen in der Britzer Parchimer Allee 94 unter. Er bemüht sich um eine Zusammenarbeit mit der illegalen Berliner SPD und den Wiederaufbau einer freien Gewerkschaft (vgl. Schulte, S. 24, a.a.O.). Am 7. August wird er bei einem konspirativen Treffen am Hundekehlen-See verhaftet. Er wird zuerst in das Columbia-KZ, dann in das „Hausgefängnis“ der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße eingeliefert.
9. Mai 1936: Der Volksgerichtshof verurteilt Wienand Kaasch wegen Vorbereitung zum Hochverrat unter erschwerenden Umständen zu 11 Jahren Zuchthaus, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte im 1. Weltkrieg 4 Jahre lang an der Front mit Auszeichnung gekämpft hatte (vgl. Schulte, S. 32, a.a.O.).
1938: Die Martha-Gunkel-Schule wird vom Richardplatz in die Britzer Onkel-Bräsig- Straße verlegt (vgl. Berliner-Morgen-Zeitung, 19. März 1938).
Zu Ferienbeginn und –ende wurde hier wie an allen damaligen Schulen in Deutschland auf dem Schulhof der Fahnenappell veranstaltet. Die Kinder mussten strammstehen, den Reden des Rektors lauschen, die 1. Strophe des Deutschlandliedes und das Horst-Wessel-Lied singen.
1938/39: Das Kaiser-Friedrich-Realgymnasium (die ehemalige Karl-Marx-Schule) wird in Hermann-Löns-Schule umbenannt.
9. November 1938: Der „Reichspogromnacht“ fällt auch die Synagoge in der Isarstraße 8 zum Opfer, sie wird verwüstet und demoliert.
Der Pfarrer der Neuköllner Nikodemus-Gemeinde in der Nansenstraße (vgl. Karte 1926) Walter Steiner, ein NSDAP-Mitglied, SA-Mann, Deutscher Christ und Antisemit, nimmt führend teil an den Versuchen, die Synagoge am Landwehrkanal, an dem Thielisch-Ufer (heute: Fraenkel-Ufer) in Brand zu stecken. Polizei und Feuerwehr verhindern das, um die benachbarte Schule zu schützen (vgl. Kolland, S. 272, a.a.O.).
Seit dem Frühjahr 1941: In der Neuköllner Willi-Walter-Straße 32-38 (heute: Karl-Marx-Str. 259/263) befindet sich ein Zwangsarbeiterlager der Fa. Gaubschat für jüdische Zwangsarbeiter; die Firma stellt Karosserien und Fahrzeuge her. Die Firma stellt auch „Sonder-Fahrzeuge“ für das RSHA her, Gaswagen, mit
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luftdicht abgeschlossener Kastenaufbau, in denen durch das Einleiten von Auspuffgasen Menschen erstickt werden (vgl. Beer, a.a.O.). Nach einer „Erprobung“ der Gaswagen im KZ Sachsenhausen und im ukrainischen Poltawa wurden sie v.a. im KZ Kulmhof eingesetzt. Die „Sonder-Fahrzeuge“ der Firma Gaubschat hatten sich „bewährt“, wie SS-Obersturmbannführer Walther Rauff (1906-1984, unausgeliefert in Chile) feststellte: „Seit Dezember 1941 wurden ... mit 3 eingesetzten Wagen 97 000 verarbeitet, ohne daß Mängel an den Fahrzeugen auftraten.“ (vgl. http://www.zeit.de/1987/30/mythos-hitler). Den Arbeitern, auch den Zwangsarbeitern der Firma scheint der Zweck der „Sonderwagen“ unbekannt geblieben zu sein. Erst „viel später“ (nach 1945, C.M.) wurde deutlich, „… was in den Fabrikhallen bei Gaubschat geschehen ist, zugetraut hatte man das der gehassten Geschäftsleitung immer“ (Kolland, S. 429, a.a.O.).
Abb.: Gaswagen der Neuköllner Fa. Gaubschat (Abb. aus: www.google.com/search?q=firma+gaubschat&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved)
1939-45: In dem Bezirk Neukölln werden durch Luftangriffe und Kämpfe (nur) 15,2 % der Wohnungen zerstört und bot so vielerlei Gewerbebetriebe Unterkunft, was zu einem bedeutenden Strukturwandel nach dem Krieg führte (vgl. Baedeker, S. 255, a.a.O.).
18. Oktober 1941:Unter den 1003 Juden des 1. Berliner „Transports“ nach dem Ghetto Lodz sind auch 5 Neuköllner (vgl. Kolland, S. 277, a.a.O.).
1942: „Lagerbausonderaktion“; für viele Industriebetriebe in Berlin werden für Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge Barackenlager gebaut, um dem zunehmenden Arbeitskräftemangel zu begegnen. Allein in Berlin gab es mehrere hundert solcher kleinerer und größerer Lager (vgl. Kolland, S. 420/21, a.a.O.). Im ganzen „Großdeutschen Reich“ wurden 1944 ca. 7,7 Mio. Zwangsarbeiter*innen aus knapp 20 Ländern Europas eingesetzt, zusätzlich noch ca. 650 000 jüdische Zwangsarbeiter*innen. Ohne diese Arbeiter wäre nicht nur die Rüstungsproduktion zusammengebrochen.
9. Oktober 1942: Der Volksgerichtshof verhängt Todesurteile gegen 5 Neuköllner Widerstandskämpfer der sog. Rütli-Gruppe. Sie hatte u.a. Anti-Kriegsflugblätter hergestellt und verbreitet.
19. Januar 1945: Wienand Kaasch stirbt im Zuchthaus Luckau an den Folgen seiner jahrelangen Haft.
25. April 1945: Die Reste der französischen Waffen-SS-Division Charlemagne 32 besetzen als Unterkunft die Brauereigebäude nahe dem Hermannplatz, in der Wissmannstraße (vgl. Mabire, S. 179, a.a.O.). Sie kamen gerade noch vor der Einschließung durch die Rote Armee nach Berlin hinein, wohl als letzte Militäreinheit.
Viel hoffen wohl auf einen Frontwechsel der Alliierten. 32 Den Franzosen war zuvor von ihrem Kommandeur freigestellt worden, entweder weiterhin gegen die Sowjets zu kämpfen oder die Waffen niederzulegen und nur noch Schanzarbeit zu leisten. Derr Kommandant wies auch darauf hin, dass de Gaulles Regierung dabei sei, Frankreich wieder aufzubauen, erklärten 60 % der Division, nicht mehr kämpfen zu wollen. So entstand aus Freiwilligen der Freiwilligen eine Resttruppe von etwa 400 Franzosen, die weiter kämpfen wollten (vgl. Spiegel, 26.5.1965).
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(Abb. aus Mabire, S. 188, a.a.O.).
Sowjetische Panzerspitzen sind bereits in die Sonnenallee und Bergstraße vorgedrungen. Ca. 1 Mio. Sowjetsoldaten waren beim Sturm auf Berlin eingesetzt. Dabei werden Tausende Berlinerinnen, auch in Neukölln, vergewaltigt. Die „Schlacht um Neukölln“ beginnt (vgl. Mabire, S. 190, a.a.O.). Schon im Laufe 25. April schießen die Verteidiger im „Raum Hermannplatz" 14 Panzer ab; zwei der französischen SS-Männer erhalten dafür die letzten im 2.Weltkrieg verliehenen Ritterkreuze (vgl. Spiegel, 26.5.1965). Ebenfalls am 25. April 1945 treffen sich Einheiten der 69. US-amerikanischen Division und die 58. sowjetische Gardedivision bei Torgau an der Elbe.
26. April 1945: Der Gefechtsstand wird im 1. Stock des Rathauses eingerichtet. Auch viele HJ, Volkssturmmänner und Reste der Waffen-SS-Division Nordland (Freiwillige aus Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland) werden bei den Versuchen zu Gegenangriffen eingesetzt, die aber nach wenigen 100 m von den in jeder Hinsicht überlegenen Einheiten der Roten Armee zurückgedrängt, die jedoch große Verluste haben. Das Rathaus Neukölln wird (notdürftig) zur „Festung“ ausgebaut (Mabire, S. 273, a.a.O.), muss aber gegen Abend unter permanenten Kämpfen geräumt werden.
Am Hermannplatz wird eine provisorische Reservestellung eingerichtet. Am 26. April kommt ca. die Hälfte der Franzosen ums Leben.
27. April 1945: In der Nacht erhalten die Einheiten am Hermannplatz den Befehl, sich zum Anhalten Bahnhof, dann zum Reichssicherheitshauptamt und der Reichskanzlei zurückzuziehen.
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Abb. oben: Titelseite des (wohl) von Goebbels herausgegebenen und im Tempelhofer Ullsteinhaus gedruckten „Panzerbären“, die letzte von acht Ausgaben; der Berliner Bär hält eine Schaufel zum Ausheben von Panzergräben und eine Panzerfaust 28. April 1945: Die letzte Ausgabe des „Panzerbären“ berichtet von einer älteren Neuköllnerin, die (angeblich) im Polizeirevier fordert: „Ick möchte‘ mir bei’n Volkssturm melden, det der mir eene Panzerfaust jibt. Ick muß jejen die Bolschewicken kämpfen“ (zit. n. „Panzerbär“ Nr. 8, 29. April, S. 4). In derselben Ausgabe heißt es: „Wir stehen und halten. Bei uns ist der Führer. Wo der Führer ist, ist der Sieg“ (zit. n. „Panzerbär“ Nr. 8, 29. April, S. 2).
2. Mai 1945: Berlin kapituliert; die französischen und skandinavischen SS-Einheiten sollen sich als letzte ergeben haben. Sie kämpften besonders rücksichtslos und ahnten wohl, was ihnen bevorstand. Die Einheiten der Waffen-SS sollen bei den Kämpfen in Berlin insgesamt über 800 Panzer und Panzerfahrzeuge außer Gefecht gesetzt haben (Mabire, S. 397, a.a.O.).
Abb. Rathaus Neukölln 1945: (aus http://www.neukoellner.net/zeitreisen/mythos-karl-marx-strasse/)
1946-48: Fritz Karsen kehrt als Bildungsberater der US-amerikanischen Militärregierung nach Berlin zurück; er trifft sich in dieser Zeit auch mit Kolleg*innen der ehemaligen Karl-Marx-Schule. Stellenangeboten in Deutschland lehnt Fritz Karsen aber ab.
1947: Umbenennung der Berliner Straße, Bergstraße und eines Teils der Willi-Walter-Straße in Karl-Marx-Straße. In den 50er Jahren – im Kalten Krieg - gab es einen Versuch zur Umbenennung der Straße. Als Reaktion auf die Umbenennung von Chemnitz in Karl-Marx-Stadt sollte die Neuköllner Karl-Marx-Straße in Chemnitzer Straße umbenannt werden. Das Vorhaben scheiterte allerdings u.a. am Widerstand der anwohnenden Geschäftsleute. die ihre Visitenkarten etc. nicht umstellen wollten (vgl. Odoj, S. 31, a.a.O.).
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Abb.: In dem gründerzeitlichen Haus Karl-Marx-Straße 1 (das Eckhaus am Hermannplatz) ließ der Architekt über der Eingangstür ein Reliefporträt von Karl Marx einbauen. Marx blickt hinab auf einen Donut-Laden, einen Schnäppchenmarkt und – gegenüber auf eine Filiale der Deutschen Bank (Abb. aus Odoj, S. 31, a.a.O.).
Geldschein der Alliierten Militärbehörde, in Umlauf gesetzt seit 1944
1948:
Die Ost-Mark hatte – theoretisch - den Charakter einer „Binnenwährung“ sie wurde an keiner Devisenbörse gehandelt, durfte nach den DDR-Gesetzen nicht in das Gebiet einer anderen Währung verbracht werden.
Nach den Währungsreformen gibt es keine offiziellen Umtauschmöglichkeiten. Hans Weber, ein früherer Angestellter einer Berliner Privatbank, eröffnet mit alliierter Lizenz eine erste Wechselstube. Der Kurs pendelt sich nach Angebot und Nachfrage rasch auf 6,- Mark Ost für eine Mark West ein. Die „vornehmen“ Geschäftsbanken wollen sich nicht mit einer Währung ohne offiziellen Wechselkurs abgeben.
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5-Mark-Schein der (Ost-)Deutschen Notenbank von 1948
Das „Einheitsschulgesetz“ wird vom Berliner Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit angenommen. U.a. Fritz Karsen setzte sich für die Einführung der Einheitsschule in Berlin ein. In West-Berlin bleibt im Kalten Krieg davon nur die 6jährige Grundschule und – als „Schule besonderer pädagogischer Prägung“ – die ebenfalls 1948 gegründete Fritz-Karsen-Schule (unter diesem Namen seit 1956) in Britz übrig.
seit 1948: Beginn der Spaltung Berlins, auch der Bus- und Straßenbahnlinien der BVG. 1949 wird sie in eine Ost- und West-BVG aufgeteilt. Zum Beispiel wird die Straßenbahnlinie 95 (vom Attilaplatz in Tempelhof zum Krankenhaus Köpenick) 1953 aufgespalten in eine Ost-95 (von Köpenick bis zur Sektorengrenze an der Sonnenallee in Baumschulenweg) und eine West-95 (von der Sektorengrenze zum Attilaplatz). Kam man mit der Ost-95 in der Sonnenallee an, musste man aussteigen, zu Fuß über die Grenze, vorüber an der meist kurzen Kontrolle durch Ost-Berliner Polizei und West-Berliner Zoll, ca. 150m zu der West-95, einen anderen Bahn, die nie in den Ostteil kam, aber mit demselben Fahrschein. Anlass für diese Aufspaltung war, dass die Ost-BVG Frauen als Fahrerinnen einsetzte, was im Westen noch verboten war.
!948 gibt es in West-Berlin noch 37 Straßenbahnlinien, ein Netz mit über 420 km Länge (vgl. Dirks/Mentel, a.a.O.). Die letzten Straßenbahnen der Sonnenallee fahren 1966 von der Saalestraße zu dem Schulenburg-Park.
Es entwickeln sich langsam zwei Städte die – meinte Uwe Johnson 1961 vor dem Mauerbau – „… ein Modell für die Begegnung der beiden Ordnungen“ in Ost und West bildeten. Nur hier „… leben zwei gegensätzliche staatliche Organisationen, zwei wirtschaftliche Arrangements, zwei Kulturen so eng nebeneinander, daß sie einander nicht aus dem Blick verlieren können und einander berühren müssen“ (Johnson, S. 10, a.a.O.).
1948-49: Blockade West-Berlins durch die sowjetischen Behörden. Die Halb-Stadt wird durch die Luftbrücke versorgt. Die alliierten Flugzeuge landen z. T. im Minutenabstand, die Anflüge führen zu einem Teil über Neukölln.
März 1949: Die Westmark wird das allein gültige Zahlungsmittel in West-Berlin. Die Wechselstuben blieben und machen gute Geschäfte.
1950: Der Gestaltungsplan für die im 2. Weltkrieg stark zerstörte Hasenheide sieht die Errichtung eines Trümmerberges einer „Kriegs-Endmoräne“ vor. Bis Ende 1951 werden 750 000 Kubikmeter Trümmerschutt aus den Bezirken Kreuzberg und Neukölln angefahren, das entsprach 1% des gesamten in Berlin angefallenen Trümmerschuttes. Es entsteht ein Berg mit zwei durch einen Sattel verbundenen Kuppe. Auf dem Schutt wurde eine 20 cm starke Füll- und Mutterbodenschicht aufgetragen. Zur Begrünung werden schließlich auf der Fläche von 10,5 ha ca. 200 000 Bäume und Sträucher gepflanzt. Der „Trümmerberg“ erhält den Namen ‚Rixdorfer Höhe’ (vgl. Forßbohm, a.a.O.) Auf dem höchsten Gipfel, 69,5 m ü. NN, wurde ein Aussichtsplateau errichtet, Richtsteine erleichterten damals die Orientierung. Heute ist die ursprüngliche Aussicht zugewachsen.
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Kleinere Trümmerhügel, entstanden durch „Notstandskräfte“ zu Beginn der 50er Jahre sind die Hügel in den Parks Thomashöhe und Lessinghöhe westlich der Karl-Marx-Straße (vgl. Karte 1957).
1955 wird an der Rixdorfer Höhe die überlebensgroße Muschelkalkfigur „Die Trümmerfrau“ von der Berliner Bildhauerin Katharina Singer (1918 - 2010) aufgestellt, die an die Arbeit der Trümmerfrauen nach 1945 erinnern soll.
1951: Eröffnung des Neuköllner Sommerschwimmbades („Culle“) am Columbiadamm.
Trauerzug für Erich Bading auf der Karl-Marx-Straße, 1952 (Photo: Privatbesitz der Familie Bading; aus http://www.neukoellner.net/zeitreisen/institution-bading/)
1952: Tod von Erich Bading. Tausende Neuköllner*innen erweisen ihm in einem Trauerzug in der Karl-Marx-Straße die letzte Ehre (vgl. Abb.).
Seit den 1950er Jahren: In West-Berlin erfolgt eine langsame Umstellung von Straßenbahnen zum Omnibusverkehr
1955: Auch West-Berliner Banken beginnen mit dem Handel von Ost-Mark.
Auf der Ringbahn werden vor den West-Berliner Sektorengrenz-Bahnhöfen Gesundbrunnen und Sonnenallee Wendeschleifen für die S-Bahn gebaut, wie sich zeigte eine Vorbereitung auf eine Trennung des Vollrings.
13. Oktober 1957: Dieser Sonntag wurde vielfach als der „Schwarze Sonntag“ bezeichnet, denn an diesem Tag ließ, ganz überraschend, ohne Vorankündigung die Regierung der DDR die Banknoten umtauschen: In der„Aktion Blitz“.sollten an diesem Sonntag zwischen 12.00 und 22.00 Uhr alle DDR-Bürger ihre alten Scheine abgeben und bekamen neue Banknoten. Dabei blieb die Bezeichnung „Deutsche Mark“ weiter erhalten. Ausgezahlt wurden allerdings nur 300,- Mark pro Person. Höhere Beträge wurden gutgeschrieben, allerdings auch auf eine „spekulative Herkunft“ überprüft.
Für alle West-Berliner Wechselstuben aber auch West-Geschäfte an Sektorenübergängen, die für Ost-Mark verkauften, war die Aktion ein schwerer Schlag, denn insgesamt waren in West-Berlin liegende ca. 40 Mio. Ost-Mark über Nacht wertlos geworden.
Vermutlich aber war die „Aktion Blitz“ nicht nur gegen die Spekulation gerichtet, sondern auch gegen die DDR-Bürger, die ihr Geld bei Freunden oder Verwandten in West-Berlin aufbewahrten, um jederzeit nach einer „Republikflucht“ eine Art „Startgeld“ im Westen zu haben. Zudem wurde durch die Aktion überschüssige Kaufkraft abgeschöpft: Denn es gab eine inflationäre Tendenz, mehr Geld war im Umlauf als entsprechende (z.T. noch rationierte) Waren in den Geschäften der DDR angeboten wurden. Schwierig war es v.a. auch für die „Grenzgänger“ es gingen zu dieser Zeit noch ganz offiziell ca. 17 000 West-Berliner nach Ost-Berlin (dem „demokratischen Sektor“) zur Arbeit, und rund 35 000 Ost-Berliner weniger offiziell im Westen der Stadt. Im West-Radio wurden zu dieser Zeit täglich die Ost-West-Markkurse der Wechselstuben gemeldet, meist gab es nach Angebot und Nachfrage für 4 Ostmark 1 eine Westmark.
Seit der „Aktion Blitz“ hielten die Wechselstuben im Westen ihre Ost-Mark-Bestände niedrig. „So etwa 30 000 Mark haben wir verloren“, berichtete ein Wechsdstubeninhaber, „beim Kurs von 1:6 waren das 5000 Westmark; ein solches Risiko hatten wir in unseren Kursen natürlich einkalkuliert.“ (ZEIT Archiv, Jg 1990, Nr. 27).
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60er Jahre: Im Süden des Bezirks werden die letzten Reste der Landwirtschaft durch Kleingärten und Neubausiedlungen (Britz-Süd, Gropiusstadt) verdrängt.
Nahe dem Hermannplatz befindet sich noch in den 60er Jahren ein Vergnügungsviertel, so die Neue Welt (Hasenheide 107; beherbergt heute den Konzertsaal Huxleys Neue Welt), das Ballhaus Resi (Hasenheide 32-38; „Ich seh’ Sie, heut Abend im Resi“, 1979 abgerissen) oder Kliems Festsäle (Hasenheide 14/15; beherbergt heute „Urban Industrial“, eine Mischung aus Industriedesign-Museum und Antiquitäten-Geschäft.). Um die Jahrhundertwende soll es zwischen Hasenheide und Richardplatz noch ca. 150 Amüsierbühnen und unzähligen Spelunken gegeben haben.
26. Juni 1960: 600-Jahrfeier der Gründung von Rixdorf mit großem Festprogramm; u.a. erhielt die große Wiese im Körnerpark als Schmuck das Neuköllner Stadtwappen.
1961: Vor dem Mauerbau wird die Sektorengrenze täglich in beiden Richtungen von ca. 500 000 Personen überquert (vgl. Johnson, S. 23, a.a.O.). Täglich flüchten durchschnittlich ca. 1000 DDR-Bürger über die Sektorengrenze (oft mit der S-Bahn) nach West-Berlin.
13. August 1961: Bau der Mauer zwischen West- und Ost-Berlin/der DDR. Die Grenze von Neukölln nach Ost-Berlin und der DDR ist 25 km lang. Die DDR-Regierung begründet den Mauerbau nicht mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten, sondern als Vorbeugung militärische Übergriffe, sie sei ein „antifaschistischer Schutzwall“. Die DDR bietet eine Passierscheinregelung für West-Berliner nach Ost-Berlin an. Die Passierscheinstellen sollen in den S-Bahn-Stationen eingerichtet werden. Aus statusrechtlichen Gründen wurde dies vom West-Berliner Senat wie auch von den Alliierten abgelehnt.
nach 1961: Vom August an propagiert der Berliner DGB den Boykott der – unter Reichsbahnverwaltung stehenden Berliner S-Bahn. Wer mit der S-Bahn fahre, finanziere damit „Ulbrichts Mauer und Stacheldraht“.
Am Bahnhof Friedrichstraße entsteht eine extraterritoriale Zone für West-Besucher zum Umsteigen und Einreisen, eine Zone die für Ost-Berliner nicht zugänglich ist.
In seinem 1965 geschriebenen Aufsatz „Eine Kneipe geht verloren“ beschreibt Uwe Johnson (1934- 1984) eine Kneipenwirtin (und Studentin), die aus Nachbarschaftshilfe in die Fluchthelferszene gerät, in Konkurrenz zur kommerziellen und kriminellen Fluchthilfe. Durch die Hilfsaktionen verschuldet sie sich immer mehr und muss schließlich die Kneipe – sie lag vermutlich in Neukölln (??) – verkaufen (vgl. Johnson, S. 64 ff., a.a.O.).
1961/62: Als Ersatz für die im Krieg zerstörten, wird ein neuer Betsaal der Brüdergemeine in der Kirchgasse Nr. 14-17 durch den Architekten und TUB-Hochschullehrer Peter Lehrecke (1924-2010) errichtet. Alle traditionellen Forderungen der Herrnhuter sind darin berücksichtigt: „Hölzerne Bänke, kein Kreuz, kein Altar, kein religiöses Bild, weiße Farbe.... Stuhl mit hoher Lehne, Tisch und Lesepult ... “ (vgl. Börsch-Supan, S. 362, a.a.O.). Der Betsaal ist heute ein Baudenkmal.
1. Oktober 1964: Die Straßenbahn Linie 27 (über die Hermannstraße nach Buckow) wird als letzte Linie, die über den Hermannplatz fährt, eingestellt.
2. Mai 1965: Die Straßenbahn-Linie 95 (auf der Achse Urbanstraße – Sonnenallee) wird eingestellt.
Dezember 1963: Durch das „Dezemberabkommen“ über eine Passierscheinregelung können West-Berliner erstmals wieder – zunächst nur über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel – nach Ost-Berlin einreisen. Eine Passierscheinstelle wird im Rathaus Neukölln, Eingang Schönstedt-/Ecke Donaustraße, eine Übergangsstelle an der Sonnenallee in Richtung Baumschulenweg eingerichtet (vgl. Karte Nr. 1957). Der umgekehrte Weg bleibt Ost-Berlinern aus den Gründen verwehrt, aus denen die Mauer gebaut wurde,
Ähnliche Regelungen folgten in den Jahren 1964 – 55. Danach scheitern weitere Abkommen. Bis 1972 gab es keine Besuchsmöglichkeiten für West-Berliner.
1966: Neukölln ist mit 275 300 Einwohnern der bevölkerungsreichste Bezirk West-Berlins.
1. März 1966: Die BVG benennt ihre U-Bahnlinien um: Aus der Linie D wird die U8, aus der Linie C die U7 (vgl. „Neuköllner Rundschau“, Sonderausgabe Juli 1996, S. 2).
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1967: Alfred Andersch (1914 - 1980), eines der Gründungsmitglieder der Gruppe 47; „Efraim“, spielt zum Teil im Böhmischen Dorf in Neukölln.
1969: Die Mosaik-Fabrik Pohl & Wagner in der Kiefholzstraße hatte seit 1946 fast nur Restaurierungsaufträge und macht Konkurs. Die Gebäude werden von der Stadt Berlin übernommen.
11. Dezember 1971: Berlin-Abkommen über das Besuchswesen und den Transitverkehr von West-Berlin in die Bundesrepublik.
1972: Obwohl die kunsthistorisch bedeutsamen Gebäude der ehemaligen Mosaikfabrik noch im Baedeker von 1966 als Sehenswürdigkeit aufgeführt waren (vgl. Baedeker, S. 258, a.a.O.), werden sie abgerissen: Was der Krieg nicht schaffte… „Ein einzigartiges architektonisches Ensemble wurde vernichtet, weil sich nageblich keine Verwendung dafür finden ließ“ meinte der Kulturhistoriker und Kunstpädagoge Dieter Kerbs (1937-2013; Kerbs, S. 8, a.a.O.).
Der Abriss kostete 79 000,- DM, angeblich war er für den Bau einer Umgehungstraße nötig (vgl. Karte 1957).
Details vor dem Abriss der Neuköllner Mosaikfabrik (Abb. aus Kerbs, S. 9, a.a.O.)
In der Karl-Marx-Straße, der wichtigsten Einkaufsstraße Neukölln, wohnen mehr als 10 000 Menschen, sie zählt zu den „bevölkertsten“ Straßen Berlins (vgl. Neuköllner Zeitung, Mai 1972, S. 8).
1985: Eröffnung des „Blub“ („Berliner Luft- und Badeparadies“) in der Blaschkoallee 64 in Britz.
1985/86: Anlässlich der Buga wird auf dem Hermannplatz die Bronzeskulptur „Das tanzende Paar“ von Joachim Schmettau 33 installiert. das Denkmal wird auch „Rixdorfer Tanzpärchen“ genannt und soll an die Musike und Rieke und Franz erinnern.
Nacht vom 5./ 6. Februar 1989: Der 20-jährige Chris Gueffroy wird beim Versuch über den Britzer Zweigkanal nahe der Sonnenallee nach West-Berlin zu kommen von Soldaten der DDR-Grenztruppen erschossen. Er war das letzte Todesopfer an der Berliner Mauer.
1992: Nach der Schließung der Kindl-Festsäle in der Hermannstraße werden die Räume besetzt, es soll – wird gefordert - ein „unabhängiges Kiezzentrum“ entstehen. Nach der polizeilichen Räumung entsteht dort 1994 eine Woolworth-Filiale. Von den Festsälen der Kindl-Brauerei bleiben die stuckverzierten Decken erhalten.
3./4. April 1992: Der 47-jährige Elektroingenieur (und Familienvater) Gerhard Kaindl ist jahrelang Funktionär verschiedener rechtsorientierter Organisationen, wie den REPs, und auch Berliner 33 Von dem Berliner Bildhauer Joachim Schmettau (* 1937) stammen außerdem u.a. Bronzeskulptur „Hand mit Uhr“, im Berliner Hansaviertel, Altonaer Straße (1975), der Weltkugelbrunnen („Wasserklops“) auf dem Breitscheidplatz (1984) oder die „Vier Jahreszeiten“ im Skulpturengarten des Auguste-Viktoria-Krankenhauses (Schöneberg, 1980/81). Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2002 war Schmettau Professor an der Universität der Künste Berlin.
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Landesschriftführer der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“. Am 3./4. April 1992 wird Kaindl in dem chinesischen Restaurant „Jin Shan" am Kottbusser Damm, an der Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg ermordet. Ein Gast in dem Restaurant erkennt die Gruppe von rechten Politikern, u.a. Carsten Pagel (damals Landesvorsitzender der Berliner Republikaner), den Journalisten Thorsten Thaler (von der „Nation und Europa“) mit Kaindl. Sein Anruf löst eine Telefonkette aus, die zu dem Überfall und schließlich dem Mord führt. 10 - 12 Vermummte, eine Gruppe junger Immigranten stürmen in der Nacht das Restaurant; sie sind u.a. mit Baseballschlägern, Messern, Metallstangen, einer Gaspistole bewaffnet und überfallen die Gruppe von im Restaurant, verletzen mehrere Gäste schwer. Gerhard Kaindl stirbt noch am Tatort an den Folgen dreier Messerstiche.
Im Kaindl–Prozess wurden drei Tatverdächtige zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, wegen Körperverletzung mit Todesfolge – nicht wgen Mordes; zwei weitere Tatverdächtige erhielten zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafen, einem Verdächtigen wurde Schuldunfähigkeit attestiert.
In der rechtsorientierten Szene und neurechten Publikationen gilt Gerhard Kaindl bis heute als Märtyrer (vgl. Meyer, Bd. 2, S. 882, a.a.O.).
Oktober 1993: In dem früheren Brauereigebäude in der Wissmannstraße 12 entsteht die Werkstatt der Kulturen, ein Kulturzentrum, das von dem Berliner Senat gefördert wird. Die Werkstatt der Kulturen thematisiert die Transkulturalität, die kulturelle Differenz – sie ist in ihrer Selbstsicht ihr Raison d'Être.
13. Juni 1996: Eröffnung des U-Bahnhofes Hermannstraße, mit einer Umsteigemöglichkeit zur S-Bahn (vgl. „Neuköllner Rundschau“, Sonderausgabe, Juli 1996, S. 1).
Ca. 100 Straßenkids und –eltern (viele n. d. H.) versuchen – knapp vergebens – das Polizeirevier 55 in der Rollbergstraße (vgl. Karte 1957) zu stürmen, um einen Festgenommenen zu befreien (vgl. Spiegel, H. 43/1997).
1997: Im „Spiegel“ erscheint ein Artikel „Endstation Neukölln“, in dem der Bezirk – zwischen Verwahrlosung, Verelendung, Armut, Perspektivlosigkeit, Drogen, Kriminalität und Gewalt – zu der Bronx von Berlin erklärt wird (vgl. Spiegel, H. 43/1997).
1998: Erstmaliges Kunst- und Kulturfestival „48 Stunden Neukölln“, das sich zu dem größten dezentralen Festival Berlins entwickelt.
2001: Bei der Bildung der neuen Großbezirke bleibt Neukölln unverändert: Der Bezirk hat ca. 307 000 Einwohner, einen „Ausländeranteil“ von 20,8 % und 13,1 % Sozialhilfeempfänger; das Haushalts- nettoeinkommen pro Monat liegt bei ca. 2600,- DM (vgl. „Tagesspiegel“, 14. Januar 2001, S. 14).
2001-15: Heinz Buschkowsky (SPD) ist Bürgermeister von Neukölln; er macht mit dem Slogan „Multikulti“ sei gescheitert, Schlagzeilen.
2002: Das Blub in Britz wird geschlossen.
2004: In der al-Nur-Moschee (ar. ≙ das Licht, ein Verweis auf die gleichnamige 24. Sure des Korans) in der Neuköllner Haberstraße (nahe der Neuköllnischen Allee) werden deutschsprachige salafistisch orientierte Islamseminare angeboten (vgl. Verfassungsschutz, S. 9, a.a.O.). Der Berliner Verfassungsschutz differenziert salafistische Strömungen idealtypisch und inhaltlich zutreffend in „quietistisch-puristische“, „politische“ und „jihadistische“ Salafisten.
2005: Die „Konzernmutter“ Oetker beschließt die Abteilung I in Neukölln – die Berliner Kindl-Brauerei in der Rollbergstraße zu schließen.
2006: „Brandbrief“ des Kollegiums der Rütli-Schule
September 2008: Eröffnung des Museums im Böhmischen Dorf im unter Denkmalsschutz stehenden ehemaligen Schulhaus, Kirchgasse 5. Dargestellt werden in dem Museum die Geschichte der Böhmen, ihre Religion, die Traditionen und Gebräuche, die Handwerke, Leben und Arbeit der Bewohner. Gezeigt werden u.a. zweisprachige Gesangbücher, Trachten oder historische Herrnhuter Sterne.
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2008: Einrichtung einer Ermittlungsgruppe „Rechtsextremismus in Neukölln“, als eine seiner letzten Amtshandlungen als Innensenator wurde sie unter Henkel (CDU) aufgelöst, später unter Geisel (SPD???) wieder eingerichtet. Vielfach wurde vermutet, dass sich ein V-Mann des VS in der Szene aufhält, der geschützt werden soll.
2008-14: Im „angesagten“ Reuterkiez in Nord-Neukölln steigen bei Neuvermietungen die durchschnittlichen Mieten um 80 %.
seit 2010: Sanierung der Karl-Marx-Straße, u.a. werden die Tunneldecke der U-Bahn erneuert, Radwege angelegt und Sitzbänke aufgestellt. Die Sanierung soll bis 2021 abgeschlossen sein – dies sei, wird gelästert, die lahmste Baustelle Deutschlands – nach dem BER (vgl. Odoj, S. 31, a.a.O.).
2011: Gründung des selbstorganisierten Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld. Seither gedeiht der Garten und seine Gemeinschaft mit mehr als 250 Hochbeeten und mit unterdessen über 500 Mitgärtner*innen. Der Zugang erfolgt von der Neuköllner Oderstraße aus.
Herbst 2011: Ein deutsch-schweizerisches Investorenpaar erwirbt das Gebäude-Ensemble der ehemaligen Kindl-Brauerei am Rollberg mit dem Ziel, eine kulturelle Nutzung zu ermöglichen. Die Gebäude werden aufwändig saniert und umgestaltet. Es entsteht das „KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst“
Ende 2011: In Berlin gehören nach den Daten des VS ca. 350 Personen zu dem salafistischen Spektrum; von ihnen gelten etwa 100 als gewaltorientiert: sie schlossen zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt nicht aus.
5. April 2012: Der 21jährige Burak Bektaş wird in der Rudower Straße in Britz ermordet. Auf offener Straße hatte ein unbekannter Mann nachts an einer Bushaltestelle unvermittelt, ohne Vorwarnung, wortlos mit einer Pistole auf 5 Jugendliche fünfmal das Feuer eröffnet und in der Nacht verschwand. Die Überlebenden beschrieben die Tat als eine Art Hinrichtung. Die Tat geschah so schnell, dass die Erinnerung nicht für die Gestaltung eines Phantombildes ausreichte. Burak starb mit einem Lungendurchschuss bald darauf auf dem Operationstisch im nahegelegenen Klinikum, zwei seiner Freunde überlebten schwerverletzt.
Bis heute sind der/die Täter nicht ermittelt, die Polizei gab ab „in alle Richtungen“ zu ermitteln. Vermutet wird vielfach ein rassistischer Hintergrund der Mordtat. Die Staatsanwaltschaft hat 15 000 Euro Belohnung ausgesetzt. War die Tat eine NSU-Nachahmungstat?
War der Mord an Burak Bektaş gar die Rache für den Tod des REP-Funktionärs Gerhard Kaindl, der genau vor 20 Jahre bei einem politisch motivierten Anschlag in Neukölln getötet wurde? (vgl. Haarbach, a.a.O.).
5. April 2013: Ca. 250 Menschen erinnern in einer Protestdemonstration von dem Friedhof am Columbiadamm, über das Rathaus Neukölln zum Hermannplatz an den unaufgeklärten Mord an Burak Bektaş
Dezember 2013: Armin Langer (*1990 in München, lebt in Neukölln, ungarischer Herkunft, zum Judentum konvertiert, studiert jüdische Theologie und lebt offen homosexuell) gründet mit Mitstreitern die Salaam-Schalom-Initiative, eine Bürgerinitiative, die insbesondere Juden und Muslime, aber auch alle anderen Menschen zusammenführen will. Die Bürgerinitiative ist so erfolgreich, dass sich bereits in anderen Städten Ableger gründen. Bekannt wurden Langer und die Initiative durch einen Disput um den Einwandererbezirk Neukölln. sie traten der Behauptung entgegen, dass der Bezirk wegen gewaltbereiter Muslime eine „No-Go-Area“ für Juden sei. „Die Situation in Neukölln ist keineswegs schlimmer als in anderen Stadtteilen. Wer von No-Go-Areas spricht, will nicht die einen schützen, sondern vor allem die anderen brandmarken“, formulierte Langer.
Armin Langer ist Autor des Buches „Ein Jude in Neukölln“ (.a.a.O.).
16. November 2013: In Neukölln wird auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei (Rollbergstraße 26) das SchwuZ (Schwulen-Zentrum) neu eröffnet. Es ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Mitglieder ehrenamtlich AIDS-Aufklärung betreiben, Aktionen und Demonstrationen vorbereiten und zur Gründung von Berliner Institutionen wie z.B. dem Magazin „Siegessäule“ verhalfen.
September 2013: In der Britzer Blaschkoallee 48 wird der hinduistische Sri Mayurapathy Murugan Tempel in Anwesenheit von Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) eingeweiht, der zweitgrößte Hindutempel Europas.
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Abb.: Hinduistischer Tempel Britz (Photo: Christian Meyer, April 2018)
2013/14:
In Nord-Neukölln können sich 80% der Schüler*innen die Lernmittelzuzahlung nicht leisten.
2015: Die Neuköllner BVV spricht sich für ein Verbot des (teilweise??) salafistisch orientierten Trägervereins der al-Nur-Moschee aus. Die Moschee ist nach dem Verfassungsschutz von 72 eingetragenen Berliner Moscheevereinen einer der drei Salafisten-Treffpunkte. Die Innenverwaltung prüft ein Verbot bis heute (vgl. „Tagesspiegel“, 7. April 2018, S. MB3).
2015-18: Franziska Giffey (SPD) wird Bürgermeisterin von Neukölln; sie wechselt im Frühjahr 2018 ins Amt einer Bundesministerin.
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20. September 2016 : Der Brite Luke Holland wird in einer Neuköllner Bar erschossen. Der Täter wird gefasst und verurteilt. Das Motiv, vermutlich Fremdenhass. Das Opfer sprach Englisch.
seit 2016: In Rudow existiert eine aktive, militante Neo-Nazi-Szene, die nach Schätzungen ca. 40 z.T. gewaltaffine Personen umfasst. Einer der Treffpunkte ist die Rudower Spinne am U-Bahnhof Rudow. Auf ihr Konto gehen – vermutlich viele Neo-Nazi-Aufkleber, rassistische Plakate, einige Brandanschläge, Hakenkreuz-Schmierereien. Vom Sommer 2016 bis zum März 2017 gab es mehr als 80 Körperverletzungen, Drohungen, eingeschmissene Scheiben, Brandanschläge. Die Koordinierungsstelle der Berliner Register (sie dokumentiert rechte Straftaten) sieht eine „extreme Steigerung gegenüber den Vorjahren“ und eine Welle der Einschüchterung, wie in keinem anderen Bezirk (vgl. https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/sonntag/neue-welle-rechter-gewalt-die-nazis-von-neukoelln/19470362.html).
Oktober 2016: Die Initiative für den geplanten Gedenkort an Burak Bektaş erhält den Hans-Frankenthal-Preis der Stiftung Auschwitz-Komitee 34.
Januar 2017: Die BVV Neukölln stellt der Initiative für den Gedenkort an Burak Bektaş die gewünschte Grünfläche gegenüber dem Tatort zur Verfügung. Die CDU stimmte in der BVV dagegen und meinte, die Tat müsse erst aufgeklärt sein, bevor ein Mahnmal errichtet würde. Der (grüne) Neuköllner Stadtrat für Stadtentwicklung und Soziales, Jochen Biedermann (*1979) meinte dazu: „Das Mahnmal sagt ja nicht: Das ist ein rassistischer Mord! sondern: Hier wurde ein Mensch getötet und bis heute ist die Tat nicht aufgeklärt“ (vgl. Haarbach, a.a.O.).
7. September 2017: Vor dem Haus in der Parchimer Allee 94 – der letzten Berliner Unterkunft von Wienand Kaasch – wird zur Erinnerung an ihn eine Stolperstein verlegt.
2017: In der Britzer Hufeisensiedlung leben ca. 6000 Personen, darunter viele liberale und links orientierte Menschen. Die NPD ist in Neukölln nicht mehr kampagnenfähig, aber die AfD ist stark geworden...
Abb: Logo des Festivals „Offenes Neukölln“
Freitag, 14. Juli bis Sonntag, 16. Juli 2017: Interkulturelles Festival 48 Stunden Neukölln, mit vielen Lesungen, Musik, Tanz, Essen und Trinken, der Stadtführung „Geflüchtete zeigen ihr Berlin – Das Kurdische Neukölln“, Draußen-Spiele für Kinder und Jugendliche, Kunst und Kultur im Gemeinschaftgarten Allmende-Kontor u.v.a.m.
34 Hans Frankenthal (1926 - 1999) war ein jüdisch-deutscher Holocaust-Überlebender. Seine Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Er selbst überlebte die Zwangsarbeit in Auschwitz-Monowitz (für die IG Farben) und Dora-Mittelbau (bei der V2-Produktion). Später wurde er Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland und stellvertretender Vorsitzender des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik. Frankenthal wurde in den 90er Jahren bekannt, als er mehrfach auf Aktionärsversammlungen der Abwicklungsgesellschaft der IG. Farben sprach, seine Erfahrungen schilderte und Entschädigung für die ehemaligen Zwangsarbeiter forderte. Unterstützt wurde dabei von dem 1986 gegründeten „Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre“, schließlich mit gewissem Erfolg. Seit 2010 verleiht die Stiftung Auschwitz-Komitee einmal jährlich in Erinnerung an Hans Frankenthal den Hans-Frankenthal-Preis. Ausgezeichnet werden mit diesem Preis Gruppen oder Institutionen, die im Sinne des Komitees Aufklärungs- oder Bildungsarbeit gegen das Vergessen sowie gegen nationalsozialistische und neofaschistische Bestrebungen leisten.
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Das „Bündnis Neukölln“ ist nach ihrer Eigendarstellung ein „... überparteilicher, überkonfessioneller und multikultureller Zusammenschluss von Organisationen, Gewerkschaften und Geschäftsleuten, privaten und staatlichen Einrichtungen sowie Einzelpersonen“, die sich gegen „Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Nationalismus gleich welcher Couleur“ engagiert.
Abb. der Gedenktafel (Photo: Christian Meyer, März 2018)
2016: Die Neuköllner Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş plant einen Gedenkort an die Tat, nahe dem Tatort, gegenüber dem Krankenhaus Neukölln. „Im Kontext der NSU-Morde wollen wir eine Brücke zum Fall von Burak Bektas schlagen“, meinte Ralf Fischinger, ein Sprecher der 2012 gegründeten Initiative für die Aufklärung des Mordes (vgl. Tagesspiegel, 26.05.2016). Die Kreuzberger Künstlerin Zeynep Delibalta entwarf das Denkmal, das sie „Algorithmus für Burak und ähnliche Fälle“ nannte: Der Begriff Algorithmus soll darauf anspielen, dass neue Algorithmen, neue Lösungswege für den Fall Burak Bektaş – und ähnliche – gefunden werden müssen.
Es handelt sich bei dem Denkmal (vgl. Abb. unten) um eine spiralförmige Figur, deren sieben in sich gedrehte „Finger“ in den Himmel weisen (vgl. https://www.berliner-zeitung.de/25953192 ©2018).
Isabella Greif und Fiona Schmidt (vgl. a.a.O.) versuchen zu belegen, dass die staatsanwaltliche Tätigkeit zumindest bei den Ermittlungen zum NSU-Komplex und dem Oktoberfestattentat von 1980 von „strukturellen Defiziten“ charakterisiert seien. So ist die Generalbundesanwaltschaft gegenüber dem BM für Justiz weisungsgebunden. „In der Struktur und Funktionsweise von Staatsanwaltschaften als zentralen Behörden der Strafverfolgung offenbart sich ein Maß an Ermessen- und Deutungsspielraum, das der Auffassung von Staatsanwaltschaften als ‚Garanten für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe“ entgegensteht“ (Greif/Schmidt, a.a.O.).
Insbesondere fehle es an der Einbeziehung migrantischer Erfahrung und Wissen, tendenziell führe das zuweilen zu „institutionellem Rassismus“. Ermittlungen tendieren zudem öfter zu „staatlichem Selbstschutz“ statt Aufklärung, zu „Entpolitisierung“ und „Entkontextualisierung“.
Unterstützt wird die Planung und Finanzierung für den Gedenkort u.a. von der BVV Neukölln, der Hans-Böckler-Stiftung und der Asien AG der Stiftung - Umverteilen.
Schuljahr 2016/17: In Berlin verlassen knapp 10% aller Schüler die Schule ohne Schulabschluss; unten den Schülern ndH sind es knapp 16%. In Neukölln verlassen 16,9 % aller Schüler die Schule ohne Schulabschluss (vgl. bbz, April/Mai 2018, S. 5).
5. April 2017: Am 5. Jahrestag des Mordes an Burak Bektaş wird der Grundstein für das Denkmal gelegt.
5. November 2017: Eine kleine Gedenktafel für Bektaş wird an dem Gedenkort gegen über dem Eingang des Krankenhauses eingeweiht.
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November 2017: Kinostart des Films „Überleben in Neukölln“ von Rosa von Praunheim (* 1942). Der Film ist eine Dokumentation über eine Reihe von in Neukölln lebender Künstler*innen verschiedener sexueller Orientierung.
Dezember 2017: Tod der seit 1970 in Berlin lebenden Künstlerin Zeynep Delibalta, die den Entwurf und die Silikonform für den Bronzeguss des Denkmals an Burak Bektaş noch fertigstellen konnte.
Die Hohenzollern-Apotheke in der Karl-Marx-Straße 168 muss schließen, seit 1900 ein Familienbetrieb. Ursprünglich war ihr Standort am Hohenzollernplatz (heute: Karl-Marx-Platz). Nach der Ausbombung 1945 zog die Apotheke ca. 100m weiter in die spätere Karl-Marx-Straße. Im Jahre 2016 kam dann die Mieterhöhung um das Zweieinhalbfache, eine Miete, die die kleine Apotheke nicht abwirft. Der Tagesspiegel urteilte, die Apotheke sei ein „Opfer der Gentrifizierung“ (vgl. Tagesspiegel“, 15. Dezember 2017). Prognosen besagen, dass in den nächsten Jahren ca. 40% aller Apotheken in Deutschland schließen werden müssen.
1. Januar 2018: Das Musikhaus Bading in der Karl-Marx-Straße 186/Ecke Thomasstraße – eine Neuköllner Institution – wird in der Silvesternacht mutwillig angezündet und zerstört. Das traditionsreiche Geschäft mit der grünen Leuchtreklame und dem großen Notenschlüssel hätte 2019 sein 100jähriges Jubiläum feiern können.
Januar 2018: Nach dem Lagebericht des Berliner VS hat sich in den letzten Jahren die salafistische Szene Berlins deutlich vergrößert, auf 850 Personen, von denen 380 als gewaltorientiert gelten. Ca. die Hälfte der Salafisten waren deutsche Staatsbürger. 150 Salafisten wohnen danach in Neukölln (vor allem in Nord-Neukölln), nach dem Bezirk Mitte die zweitgrößte Anzahl (vgl. Verfassungsschutz 2017, S. 14, a.a.O.).
31. Januar/1.Februar 2018: In der Nacht werden (zum wiederholten Male) Autos bekannter Demokrat*innen und Antifaschist*innen in Brand gesetzt.
28. Februar 2018: Die BVV Neukölln verurteilt in einer Entschließung die Brandanschläge und erklärt sich mit den Betroffenen solidarisch.
März 2018: Durch einen Polizeieinsatz in der Boddinstraße sollten zwei Drogendealer festgenommen werden. Die Polizisten wurden von Schaulustigen umringt, beschimpft und bedroht, so dass sie schließlich Verstärkung anforderten. „Wo ein Funkwagen nicht ausreicht, sondern immer nur ein Großaufgebot für Ruhe und Ordnung sorgen kann, müssen wir von einer No-Go-Area oder einem rechtsfreien Raum sprechen“ urteilte der in Köpenick direkt gewählte SPD-Abgeordnete Tom Schreiber (vgl. „Berliner Zeitung“, 6. April 2018, S. 1).
März 2018: Dem „Bündnis Neukölln“ wird das Preisgeld für das Festival „Offenes Neukölln“ (ausgelobt im Rahmen des Bundesprogramms für Demokratie und Toleranz) durch eine Intervention des Bundesinnen- und Justizministeriums verwehrt, sie bewirken den Ausschluss des Bündnisses. In dem „Bündnis Neukölln“ arbeitet auch die „Interventionistische Linke“ mit, die vom VS beobachtet wird.
8. April 2018: Enthüllung des ausschließlich durch Spenden finanzierten Denkmals für Burak Bektaş an dem Gedenkort gegenüber dem Neuköllner Krankenhaus. Nach Polizeiangaben nahmen ca. 400 an der Aktion teil, nach Schätzungen der Organisatoren ca. 900 Personen.
Die Angehörigen Buraks führen aus, es ginge bei dem Gedenkort nicht nur um Burak, sondern um den alltäglichen Rassismus, dem Menschen mit Migrationshintergrund in Neukölln (und anderswo) ausgesetzt sind.
Der an der Enthüllung teilnehmende „Freundeskreis im Gedenken an den rassistischen Brandanschlag von Mölln 1992“ urteilte: „Gedenken ist nichts Abstraktes. Gedenken ist immer mit Menschen verknüpft, an die gedacht wird. Es geht um Menschen, die fehlen; darum, die sichtbar zu machen. Darum finden wir einen Gedenkort an Burak so wichtig“.
Der Rechtsanwalt der Familie Bektaş berichtete bei der Gedenkveranstaltung, dass in den Ermittlungsakten keine Hinweise auf die Suche nach einem Täter mit rassistischen Motiven zu finden seien. Sind das Ermittlungen in alle Richtungen, fragte er?
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Abb. einfügen; Denkmalsenthüllung in Neukölln (Photo Christian Meyer, 8. April 2018)
Abb. einfügen; Plakat während der Denkmalsenthüllung in Neukölln (Photo Christian Meyer, 8. April 2018)
21. April 2018: Das Denkmal für Burak Bektaş wurde in der Zwischenzeit mit einer ätzenden Flüssigkeit geschändet.
Juni 2018: Die Säuglingssterblichkeit ist im Bezirk Neukölln nahezu doppelt so hoch wie im Gesamt-Berliner Durchschnitt: In Neukölln erreichen 5 von 1000 lebendgeborenen Kindern nicht den ersten Geburtstag, im Berliner Schnitt sind es ca. 3 Kinder (vgl. Tagesspiegel, 12. Juni 2018, S. 12). Einige mögliche Ursachen dafür werden in der Studie „Gesundheitliche Lage von Menschen mit Migrationshintergrund“ des BA Neukölln angeführt:
 Der akute Fachärztemangel im Bezirk, es gibt nur relativ wenige Privatpatienten in Neukölln
 Belastende sozioökonomische
Bedingungen, durch die Beratungen/Vorsorgeuntersuchungen später und seltener erfolgen, insbesondere auch wegen der Scham von Schwangeren, sich vor einem Arzt zu entblößen
 Die Gefahr von Totgeburten liegt bei Familien „mit Migrationshintergrund“ statistisch signifikant höher als bei deutsch-deutschen Familien
 Umstritten ist, ob oder inwieweit Verwandtenehen dabei eine Rolle spielen; so liegen keine Angaben über die Zahl von Verwandtenehen in Neukölln vor. Medizinische Indizien weisen jedoch darauf hin, dass Kinder aus Verbindungen von Cousins ersten Grades ein messbar höheres Risiko für Fehlbildungen aufweisen. Ob sich das auch auf die Säuglingssterblichkeit auswirkt. ist umstritten (vgl. Tagesspiegel, 12. Juni 2018, S. 12).
22. – 24. Juni 2018: 20. Ausgabe des Kunstfestivals „48 Stunden Neukölln“, das seit dem April des Jahres auch durch den Festivalfonds des Berliner Senats gefördert wird: Ca. 250 verschiedenste Orte in Neukölln
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werden von ungefähr 1200 Künstler*innen „bespielt“, u.a. ist ein „Musikschiff“ auf dem Schifffahrtskanal (von
der Wildenbruchbrücke aus, vgl. Karte 1957) unterwegs, in der alten Sparkasse in der Karl-Marx-Straße findet
eine Ausstellung zur „Neuen Echtheit“ statt (vgl. Tagesspiegel, 22. Juni 2018, S. 15).
3. Anhang – Materialien
Rixdorf in der Literatur
Rixdorf hatte lange einen schlechten Ruf, - Armutsquartier, Sozi-Brutstätte und proletarisches
Vergnügungsviertel - Neukölln hat ihn in vielerlei Hinsicht bis heute. Schon Willibald Alexis (1798 - 1871)
sprach in seiner Geschichte „Die beiden Markmann“ (im „Pitaval“) vom „Gesindel der Berliner Vororte“,
einschließlich des „von vielen dürftigen Familien bewohnten Dorfes Rixdorf (von) Faulenzern und Tagedieben
aus dem Pöbel“ .
Bei Arno Holz (1863-1929) heißt es in seiner Komödie „Sozialaristokraten“ von 1896: „Sie sin ja überhaupt
man n janz jemeener … Rixdorfer“ (Holz, 4. Akt, S. 56, a.a.O.). Oder: „Un unsereens muß froh sind, wenn se'n
nich aus Rixdorf schmeißn!“ (Holz, 1. Akt, S. 14, a.a.O.).
Theodor Fontane (1819-1898) hingegen meinte in seinen „Wanderungen durch die Mark“ im Kapitel „Eine
Pfingstfahrt in den Teltow“: „Die Natur lacht und die Menschen auch; die Sonne geht in Strahlen unter, die
Rapsfelder blühn und selbst die Windmühlenflügel schwenken einen grünen Maienbusch in die Luft. Rixdorf
rüstete sich zum Fest. Die Mägde, kurzärmelig und aufgeschürzt, standen auf den Höfen und wuschen und
scheuerten, die kupfernen Kessel blinkten wie Gold …“ (Fontane, S. 173, a.a.O.).
Im Jahre 1926 besuchte auch Egon Erwin Kisch im Rahmen seiner „Hetzjagd durch die Zeit“ Rixdorf und
fragte sich: „Ist das Berlin?... ein beinahe deplaziertes Idyll, zwischen Scheunenfronten und Gartenzäunen
hindurch, hinten dann ebenerdige typisch böhmischen Charakters“ (Kisch, S. 335, a.a.O.).
Die Rixdorfer Polka
Schuld an dem schlechten Ruf war auch die „Rixdorfer Polka“, der Gassenhauer „In Rixdorf is Musike “(vgl.
dazu Chronologie 1889/90 und 1985/86).
Der Rixdorfer
„In Rixdorf ist Musike
Musike, Musike
da tanzen Franz und Rieke
die letzte Polka vor
Auf den Sonntag freu ich mir
Ja dann geht es raus zu ihr
feste mit vergnügtem Sinn
Pferdebus nach Rixdorf hin
Dort erwartet Rieke mir
ohne Rieke kein Plaisir
In Rixdorf ist Musike,
Da tanz ick mit der Rieke
In Rixdorf bei Berlin
Rieke, Riekchen, Riekake
die ist mir nicht pi-pa-pe
Geh mit ihr ins Tanzlokal
Rieke,Riekchen woll´n wir mal?
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Kost Groschen nur für die ganze Tour. Rieke lacht und sagt: „Na ja dazu sind wir auch noch da!“
Und nu geht es mit avec immer feste weg Rieke feste angefasst Rechts herum, links herum immer mang das Publikum
kreuz und quer, hin und her das gefällt mir sehr, ja sehr Balancez, ach herrje Rieke tanzt wie eine Fee Tritt sie mir, tret ich ihr das gehört nun zum Plaisir“
Abb. Karikatur von 1912 (Zeichnung aus der „Berliner Allgemeinen Zeitung vom 22. 1. 1912 (Abb. im Museum Neukölln)
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Zwischen 1911/1912 hielt sich der Heimat- und Blut- und Bodendichter Hermann Löns (1866-1914) in Berlin auf und war vermutlich auch im Rixdorfer Vergnügungsviertel. Er war dem Alkohol sehr zugetan und hatte (daher??) zuweilen Farbvisionen. In seinem Buch „Kraut und Lot. Ein Buch für Jäger und Heger“ schrieb er dazu: Und neulich beim Tanz, die freche Rixdorfer Polka, die war ganz entschieden schwefelgelb und feuerrot geringelt, und wenn das lange blonde Mädel, mit dem ich tanzte. lachte, dann sah ich etwas Rosenrotes vor mir“ (Löns, 48. Kapitel, a.a.O.). 1912 wurden als frivol geltende Engtänze, wie der Schieber polizeilich verboten.
Abb.: Denkmal „Das tanzende Paar“ auf dem Hermannplatz; es soll an Rieke und Franz erinnern. Das Denkmal stammt von dem Berliner Bildhauer Joachim Schmettau und dreht sich in einer Stunde zweimal um die eigene Achse.
(Photo: Christian Meyer, April 2018)
Böhmische Dörfer
Christian Morgenstern
Palmström reist, mit einem Herrn v. Korf, in ein sogenanntes Böhmisches Dorf. Unverständlich bleibt ihm alles dort, von dem ersten bis zum letzten Wort.
Auch v. Korf (der nur des Reimes wegen ihn begleitet) ist um Rat verlegen.
Doch just dieses macht ihn blaß vor Glück. Tiefentzückt kehrt unser Freund zurück.
Und er schreibt in seine Wochenchronik: Wieder ein Erlebnis, voll von Honig!
(Aus: Morgenstern, S. 109, a.a.O.).
Tschechische Einflüsse im Deutschen und im Berlinischen
Das Register des „Deutschen Wörterbuches“ führt unter dem Stichwort „Tschechisch“ u.a. folgende Begriffe auf: Baude, Halunke, Haubitze, Kalesche, Pistole, Polka, Preiselbeere, Quarz, roboten, Scharwenzel, Tornister, Trabant, verquasen, Zeisig, Ziesel oder Zobel (vgl. Paul, S. 28, a.a.O.).
Viele der Wörter sind alte Entlehnungen, diejenigen aus dem militärischen Bereich könnten der Zeit der Hussitenkriege im 15. Jhdt. entstammen. So Haubitze, von tschech. „houfnice“ wörtlich „Schleuder“, Tornister, vom mittelgriech. τάνιστρον (tánistron) ≙ „Futtersack der Reiter“ über das gleichbedeutende tschech. „tanistra“ in die deutsche Militärsprache (vgl. Pfeifer, Bd. III, S. 1816, a.a.O.) oder schließlich die Pistole, von atsch. „píščala“ ≙ Pfeife, Röhre, dann semantisch übertragen auf kurze Handfeuerwaffen. In mehreren Varianten wurde das Wort ins Deutsche (pischaln, pischczaln...) entlehnt, um die Mitte 16. Jhdts. entstand daraus das frz.
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„pistole“. Diese Bildung wurde dann Ende des 16. Jhdts. ins Deutsche wie auch tschechische rückentlehnt. (neutsch. „píšťala“ ≙ Pfeife, „pistole“ ≙ Pistole, vgl. Pfeifer, Bd. II, S. 1282, a.a.O.).
In neuerer Zeit hatte das Tschechische selten das Prestige, die Nachbarsprachen zu beeinflussen, sein Status verbessert sich dann allmählich seit dem Ende des 18. Jhdts., und dann mit der tschechischen Nationalbewegung im 19. Jhdt.
Eine Überraschung ist, dass Trabant ≙ „Fußsoldat, Wächter, Begleiter, Satellit“ sehr wahrscheinlich aus dem Tschechischen (oder Polnischen) herrührt: „drabant“ zu tschech. „drab“≙ „Krieger zu Fuß“. Vermutet wird auch die Herkunft aus dem Persischen: pers. „darbān“ ≙ „Türhüter, Torwächter“.
Zuerst wohl in Prag 1831 kam die „Polka“ (tschech. „polka“ ≙ „die Polin“) auf, ein Gesellschaftstanz tschechischer Herkunft. Der Name wurde wahrscheinlich aus Sympathie für das damals zaristisch unterdrückte Polen gewählt (vgl. Pfeifer, Bd. II, S. 1296/97, a.a.O.).
Von den neueren Entlehnungen aus dem Tschechischen ist „Roboter“ (urspr. künstlicher Maschinenmensch, dann allg. Automat) hervorzuheben: tschech. „robot“ von „robota“ „Frohndienst, Frohne“ (Kunz, S. 372, a.a.O.). Das tschechische Wort ist ein Neologismus, das zum ersten Mal in Karel Čapeks utopischen Drama „Rossums Universal Robots“ (1920) verwendet wurde. In der deutschen Übersetzung von O. Pick wurde 1922 die Form „Roboter“ erfunden (vgl. Pfeifer, Bd. III, S. 1433, a.a.O.).
Auch im Berlinischen Regiolekt sind relativ wenige Begriffe aus dem Tschechischen gesichert, deutlich weniger als aus dem Französischen, dem Niederdeutschen, dem Jiddischen und dem Rotwelsch.
Relativ sicher ist die Herkunft des Begriffs „Klamotte“ aus dem Tschechischen, vermittelt durch das Rotwelsch.
„Klamotte“ hat drei verschiedene Inhalte, so 1. „Steine, Steinbrocken“ , 2. „Kleidung“ (oft abwertend) und 3. „schlechtes Theaterstück, schlechter Film“ etc. Im Tschechischen „klamol“ ≙ „Bruchstück“, oder „klamuti“ ≙ „täuschen, trügen, betrügen“, der Bedeutungswandel ist m. E. unklar. Das Wort verbreitete sich von Berlin aus in der 1. Hälfte des 20. Jhdts. (vgl. Pfeifer, Bd. II, S. 840, a.a.O.).
Folgende (z.T. m.E. ungebräuchlich gewordene) Berlinismen sollen slawischen, vielleicht tschechischen Ursprungs sein: die Penunse ≙ Geld; im Berlinischen zuerst aufgetaucht; wahrscheinlich vom gleichbedeutenden poln. pieniądze, oder vom tschech. „peníče“; Vermutlich ist das Wort eine Rückentlehnung vom Westgermanischen (vgl. Pfennig).
die Kaschemme ≙Gaststätte mit schlechtem Ruf, Ganovenkneipe; aus dem Rotwelsch, mit einer slawischen gleichbedeutenden Wurzel: tschech: krčma, poln karczma, osorb. korčma (vgl. Pfeifer, Bd.II, S. 801, a.a.O.).
dalli: Schnell, schnell machen, wahrscheinlich aber von poln. „dalij“ ≙ vorwärts (vgl. Schildt, S. 360, a.a.O.)
Kamurke: kleine, elende Stube, vermutlich von tschech. „komůka“ ≙ Kämmerchen
Kaleika: Spaß, Unfug, Unsinn; auch: Aufhebens, Umstände; vielleicht vom poln. „kolejka“ ≙ Reihenfolge. Kabache: schlechtes, niedriges Haus; vielleicht von russ. kabak ≙ Schenke, Kneipe
Bude: einfache Unterkunft, Hütte, Kiosk; vom tschech. „bouda“ ≙ Bude, Berghütte. Auch die Sonderbedeutung „Berghütte, Berggasthof“ breitete sich im 19. Jhdt. vom Riesengebirge aus, wegen der Grenzlage zu Böhmen (vgl. Pfeifer, Bd. I, S. 133, a.a.O.).
Ob auch nur eines dieser Worte durch die Einwanderung der Böhmen im 18. Jhdt. ins Deutsche bzw. ins Berlinische gelangte, erscheint sehr fraglich.
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3.1. 3.1. 3.1. Bilder/KartenBilder/Karten Bilder/KartenBilder/KartenBilder/Karten Bilder/KartenBilder/KartenBilder/Karten Bilder/Karten
1738
Teil einer Karte der Rixdorfer Feldmark von 1738. Der heutige Kottbusser Damm verläuft ca. auf dem Rixdorfer Weg. Der Müllen-Graben wurde später zum Landwehrkanal, die Ansiedlung der Böhmen ist bereits eingezeichnet.
1827
Die Rixdorfer Separationskarte von 1827 verzeichnet noch die alten Flurnamen der gemeinschaftlichen Feld- und Weidewirtschaft, etwa den »Upstall«, einst ein nächtlicher Viehpferch.
60
1857
Böhmisch- und Deutsch-Rixdorf 1857 [1] heutige Richardstraße [2] heutiger Richardplatz [3] heutige Karl-Marx-Straße; aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Rixdorf_1857.jpg)
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1903
(aus dem Pharus Plan von 1903, a.a.O.)
62
1908
63
1926
Nord-Neukölln 1926 (aus dem Schulatlas a.a.O.
64
1944
Karte: Nord-Neukölln, Detail aus dem Pharus-Plan von 1944
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1957
Nord-Neukölln – aus Berlin in der Tasche (1957 ?)
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Fußnoten

 

(1) Der Architekt und Rixdorfer Stadtbaurat Reinhold Kiehl (1879-1913) hat in vieler Hinsicht das späte Rixdorfer und frühe Neuköllner Stadtbild geprägt. Von ihm stammen u.a. auch die Planungen für das Amtsgericht, zum Stadtbad in der Ganghoferstraße, die Passage, das städtische Krankenhaus in Buckow, das Elektrizitätswerk am Weigandufer der S-Bahnhof Sonnenallee, mehr als zwölf Gemeindeschulen oder der Schulkomplex in der Donaustraße 120-127, vgl. Radde, S.24, a.a.O.). Schließlich stammt auch das Bauensemble am Eingang zum Alten St. Jacobi-Friedhof (1911-1912) an der Karl-Marx-Straße aus dem Entwurfsbüro Reinhold Kiehls. Schon ein Jahr nach dem Bau des Ensembles wurde Kiehl auf dem Friedhof beigesetzt (vgl. Abb. unten). Ihm zu Ehren wurde 1934 die Straße im Norden des Schifffahrtskanals, das Köllnische Ufer in Kiehlufer umbenannt.
In der Schule in der Donaustraße wurde in der NS-Zeit eine jüdische Religionsschule eingerichtet, auf der auch Hebräisch gelehrt wurde. Einige der jugendlichen Schüler*innen konnten bis 1939 auch noch nach Palästina auswandern.
(2) Karl Heinrich von Schönstedt (1833- 1924) war ein konservativer Preußischer Justizminister und Mitglied des Herrenhauses.

(3) Zum einen war das die spätere Berliner-Kind-Brauerei in der Rollbergstraße (alter Name: Böhmischer Weg)/Ecke Hermannstraße, zum anderen die Bergschloss-Brauerei in der Wissmannstraße (damalige Adresse: Hasenheide 108-116), nahe dem Hermannplatz, die spätere Löwen-Böhmisch-Brauerei. 

[4] LGBTIQ Lesbisch, Schwul (eng. gay), Bisexuell, Transsexuell, Intersexuell, Queer; eng. „queer“, ein diffuser Begriff, „von der Norm abweichend“.  

 

[5] Der Architekt und Baubeamte Hermann Weigand (1854 – 1926) baute eine Reihe von Schulen und war an dem Ausbau des Neuköllner Schifffahrtskanals beteiligt. Er wohnte in der Sonnenallee 244. Noch zu seinen Lebzeiten wurde die Straße südlich des Kanals ihm zu Ehren Weigandufer benannt.

  


3. 2. Literatur


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Aus dem Netz:

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Wappen_des_Bezirks_Neuk%C3%B6lln
www.gedenkort-fuer-burak.org. http://www.neukoellner.net/zeitreisen/revolutionaer-wider-willen/
35 Es handelt sich bei dem Autor und dem Verlag um Parteigänger der Neuen Rechten, ich kenne jedoch keine Publikation, die die letzten Kriegstage in Neukölln genauer beschreibt.
69
http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt01/0104prof.htm
http://www.richardquartier.
de/fileadmin/PDF/Geschichten_im_Quartier/01_richardplatz_28_stadtentwicklungsgeschichten.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stra%C3%9Fen_und_Pl%C3%A4tze_in_Berlin-Neuk%C3%B6lln
www.boehmischesdorf.de)
http://www.zwangsarbeit-forschung.de/Lagerstandorte/Neukoelln/neukoelln.html

 

 

 

Abb.: Die letzte Windmühle auf den Rollbergen, ca. 1899; nach einem zeitgenössischen Photo. Die Abbildung befindet sich heute am südlichen Ausgang des U-Bahnhofs Boddinstraße. Im Vordergrund sieht man die Baustelle der Kindl-Brauerei (Photo: Christian Meyer, März 2020)

Abb.; Das Grab von Reinhold Kiehl - der das Stadtbild von Neukölln maßgeblich mitgeprägt hat - auf dem Jacobi-Friedhof am Hermann-Platz (Photo: Christian Meyer, September 2019) 

Karte von Rixdorf 2017

 

Karte des Böhmischen Dorfes (aus: www.boehmischesdorf.de)
Legende zur Karte:
Gelb: Böhmisches Dorf (um 1737)

Grün: Deutsch-Rixdorf

3. Kirchsaal der Brüdergemeine
7.  Magdalenenkirche

4.  Kirchsaal d. Ref. Gemeinde
8.  Streuobstwiese 

1. Denkmal Friedrich-Wilhelm I.
5.  Comenius - Garten
10. Rixdorfer Schmiede
2. Museum im Böhmischen Dorf
6.  Böhmischer Gottesacker 

10. Bethlehemkirche